Titel: | Beitrag zur Theorie der Grundeisbildung, nach Beobachtungen an der Mur; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k. Professor der Physik an der Universität zu Grätz. |
Fundstelle: | Band 87, Jahrgang 1843, Nr. CI., S. 369 |
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CI.
Beitrag zur Theorie der Grundeisbildung, nach
Beobachtungen an der Mur; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k.
Professor der Physik an der Universität zu Grätz.Hr. Dr. Gintl hat, durch Arago's Aufsaz im Annuaire pour l'an 1833
veranlaßt, zahlreiche Versuche über die Bildung des Grundeises am Murflusse
angestellt und die Resultate seiner Beobachtungen in der steyermärkischen
Zeitschrift, Jahrgang V. neue Folge 2tes Heft, veröffentlicht. Obiger alles
Wesentliche enthaltende Auszug seiner Abhandlung,
welchen er uns mitzutheilen die Gefälligkeit hatte, dient zur Berichtigung von
Dr. Engelhardt's Bemerkungen S. 118 in diesem Bande
(2tes Januarheft) des polytechnischen Journals. A. d. R.
Gintl, uͤber die Theorie der Grundeisbildung.
Es ist bekannt, daß die Mur in der Regel nicht, weder in gewöhnlichen noch in
strengen Wintern zufriert, daß dieses nur in außerordentlich strengen Wintern und da
nur auf sehr kurze Zeit geschehen mag, so daß es zu den größten Seltenheiten gehört
und man daher nicht so Unrecht hat, wenn man von ihr im Allgemeinen sagt, sie sey
seit Mannesgedenken nicht zugefroren. Man darf aber den Grund dieser Erscheinung
nicht etwa in einer höheren Temperatur des Wassers suchen, da dieses keineswegs der
Fall ist, sondern nur einzig und allein in der bedeutenden Geschwindigkeit, mit
welcher sich das Wasser fortbewegt, denn diese verhindert selbst bei hinreichend
niedriger Temperatur das Festwerden des Wassers an der Oberfläche, worin eigentlich
der Act des Zufrierens besteht. Ungeachtet dieses höchst seltenen Zufrierens der Mur
ist aber das Eis doch keine Seltenheit auf derselben, ja man sieht vielmehr fast in
jedem Winter, sobald die Temperatur der äußeren Luft nur auf 5 bis 6 Grade R. unter
Null herabgesunken, und diese Kälte einige Zeit anhaltend ist, reichliches Eis auf
dem Flusse daher treiben, welches sogar die Form von Eisschollen hat, ohne jedoch
die ihnen angehörige Consistenz zu besizen. Dieses so zahlreich daherschwimmende Eis
ist aber kein auf der Oberfläche entstandenes, sondern sogenanntes Grundeis. Es kömmt in so großer Menge vor, daß es fast
die ganze Oberfläche des Wassers bedekt, und bei anhaltender Kälte oft tagelang in
zunehmender Menge, aber auch mit wachsender Consistenz einherschwimmt, und indem es
sich an den seichteren Uferstellen zusammenschiebt, die Veranlassung zum Entstehen
des sogenannten Ufereises gibt. Daß aber dieses in so großer Menge auf der Mur
vorkommende Eis wahres Grundeis sey, lehrt schon der Augenschein, da es den
allgemeinen Charakter desselben, d. i. das gallertartige Aussehen und das lokere
Gefüge nebst den übrigen
Kennzeichen des Grundeises besizt. Was es aber für eine Bewandtniß mit seiner
Entstehung habe, wird sich dann am besten beurtheilen lassen, wenn wir die bisher
über das Grundeis überhaupt gemachten Erfahrungen Anderer zu Rathe ziehen, und die
Ergebnisse derselben mit den an der Mur angestellten Erfahrungen vergleichen werden.
Dabei wird es sich sehr leicht zeigen lassen, ob die über das Grundeis anderwärts
gemachten Erfahrungen auch auf das an der Mur vorkommende Eis anwendbar sind, und,
wenn dieses der Fall, welche unter den verschiedenen bis jezt versuchten
Erklärungsarten dieser Erscheinung diejenige ist, die dem gegenwärtigen Zustande der
Wissenschaft am meisten zusagt.
Indem ich die bisher an andern Orten und Flüssen über das Grundeis gemachten
Erfahrungen als bekannt vorausseze, will ich jezt meine an der Mur über denselben
Gegenstand angestellten Beobachtungen mittheilen, und alle von mir erhobenen
Umstände, wie sie mit der Erscheinung des Eises an der Mur verbunden sind, so genau
als möglich angeben. Bei meinen Beobachtungen unterscheide ich solche, die ich vor,
während und nach dem Erscheinen des Eises am Flusse anstellte. Zunächst handelte es
sich mir darum, die Temperatur der Luft sowohl als des Wassers kurz vor dem
Erscheinen des Eises kennen zu lernen. In dieser Beziehung verschaffte ich mir durch
lange fortgeseztes und täglich wiederholtes Beobachten die Ueberzeugung, daß zum
Vorkommen desselben an der Mur nicht bloß eine gewisse Erniedrigung der Temperatur
erfordert werde, sondern daß sie auch eine gewisse Zeit lang anhalten müsse. So
ergab es sich mir bei meinen Beobachtungen, daß schon eine Temperatur der Luft von 5
bis 6 Graden R. unter Null hinreicht, auf der Mur einherschwimmendes Eis zur Folge
zu haben, sobald sie länger als 24 Stunden dauert, und während dieser Zeit keine
bedeutenden Veränderungen erleidet. Eine rasch eintretende selbst bedeutende
Temperatur-Erniedrigung vermag kein solches Eis zu erzeugen, sobald sie nicht
über 24 Stunden anhält. So gab es einzelne Tage, wo die Temperatur 9 bis 10 Grade R.
unter Null herabsank, ohne Eis zu bringen, weil die niedrige Temperatur kaum einen
Tag anhielt, und dann rasch wieder in die Höhe ging. Die dabei berüksichtigten
Temperatur-Verhältnisse des Wassers an der Oberfläche zeigten sich immer
unter Null, doch mehr oder weniger davon entfernt, je nachdem die äußere
Lufttemperatur mehr oder weniger tief unter Null gesunken und dabei anhaltend war.
So lange die Temperatur des Wassers während der Zeit, wo die äußere Kälte über 24
Stunden anhielt, immer unter Null blieb, war die Hauptbedingung zum Erscheinen des
Eises vorhanden, denn
niemals blieb dasselbe dann aus. Bei plözlich eingetretener, selbst bedeutender,
aber nicht über 24 Stunden anhaltender Kälte, fand ich zwar die Temperatur des
Wassers am Morgen stets unter Null, allein sie stieg im Laufe des Tages etwas über
Null, und so oft dieß der Fall war, kam das Eis am andern Tage nicht zum Vorschein,
blieb also nach 24 Stunden aus, wo es sonst immer zum Vorscheine gekommen wäre.
Hieraus ergibt sich, daß zum Erscheinen des auf der Mur dahin schwimmenden Eises
zwar keine so niedrige Temperatur an sich erfordert werde, es aber dagegen eine
Hauptbedingung zum Vorkommen desselben sey, daß die an sich mäßige Kälte hinreichend
lange und zwar so anhalte, daß die Temperatur des Wassers während der ganzen Zeit
nicht über Null steige. Man kann als Temperaturgränze für die äußere Luft 5 bis 6
Grade unter Null und als Zeitgränze wenigstens 24 Stunden annehmen, wodurch die
früher genannte Bedingung erfüllt wird. Wenigstens ist mir in den zwei Wintern, 1837
und 1838, während welchen ich meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand richtete,
niemals der Fall vorgekommen, daß bei einer Temperatur der Luft, welche nicht 5
Grade unter Null erreichte, selbst wenn sie über 24 Stunden dauerte, und eben so
wenig bei einer 5 Grade unter Null weit übersteigenden Lufttemperatur, wenn sie
weniger als 24 Stunden anhielt, die Mur an ihrer Oberfläche Eis getrieben hätte.
Die Menge und Beschaffenheit des unter den angegebenen
Temperatur-Verhältnissen auf der Mur zum Vorscheine kommenden Eises richtet
sich gleich anfangs nach der früher stattgehabten und andauernden Kälte, und es
zeigt sich hierin unter verschiedenen Umständen ein bedeutender Unterschied. Beträgt
die vorausgegangene Temperatur der Luft nicht viel über 5 Grade unter Null, etwa 6
1/2 bis 6 Grade, so ist die Menge des nach 24 Stunden zum Vorscheine kommenden Eises
nicht bedeutend; einzelne kleine, die Form von dünnen Schollen habende Eisklümpchen
kommen an der Oberfläche des Wassers in großen Zwischenräumen von einander
abstehend, daher geschwommen, und man sieht ihnen schon ihr lokeres Gefüge von
weitem an, da sie vom Wasser ganz durchzogen, eine schmuzig grüne Farbe haben, und
wenn sie vom Strome an solche Stellen geführt werden, wo das Wasser Wellen wirft,
sie durch die heftige Bewegung in ihre kleinsten Theile zerstäuben. Betrachtet man
dieses Eis, so lange es noch im Wasser, aber an einer ruhigen Stelle in der Nähe des
Ufers schwimmt, so erblikt man es als eine faserige, gallertartig aussehende Masse,
welche, wenn sie herausgefischt wird, sich aus feinen und kurzen Eisnadeln von
hellglänzender Farbe, welche loker zusammenhängen, gebildet zeigt. Nicht selten habe
ich an seichten Uferstellen solche feine Eisfasern vom Boden aufsteigen gesehen, bei
denen es den Anschein hatte, als wären sie kurz zuvor dort entstanden, da in der
Nähe kein anderes Eis vorüber schwamm. Doch will ich es nicht mit Gewißheit
behaupten, da es mir nicht möglich war, mein Auge dem Orte, woher sie aufstiegen, so
nahe zu bringen, um ihr Entstehen dort genau zu sehen.
Bleiben die Temperatur-Verhältnisse längere Zeit dieselben, so vermehrt sich
zwar die Menge des vorkommenden Eises, aber seine sonstige Beschaffenheit ändert
sich kaum merklich und nur darin, daß die Eisnadeln nicht mehr so fein, sondern
etwas stärker, und zwar breiter geworden sind.
Nach vorausgegangener starker und anhaltender Temperatur-Erniedrigung der
Luft, etwa auf 10 bis 12 Grade unter Null, erscheint nach Verlauf von 24 Stunden
gleich anfänglich eine bedeutende Eismenge, welche in größeren Massen
zusammengeschoben, das Aussehen von großen Eisschollen hat, die nur durch kleine
Zwischenräume von einander getrennt, auf der Oberfläche des Wassers daher schwimmen
und dieselbe fast ganz bedeken. Sie scheinen wohl, so lange sie an ruhigen Stellen
des Flusses schwimmen, mehr Consistenz zu haben, allein so wie sie an Stellen
kommen, wo das Wasser in heftiger Bewegung ist und Wellen schlägt, da sieht man aus
ihrem leichten Zertheilen in eine Menge kleiner Bestandtheile, daß auch sie noch ein
sehr lokeres Gefüge haben. Ihre außerhalb des Wassers befindliche Oberfläche ähnelt
schon mehr dem festen Eise, und sieht aus, als wäre sie mit einer dünnen Lage
Schnees bedekt, wodurch sie ein rauhes, unebenes Aeußere bekömmt. Untersucht man die
Masse einer solchen scheinbaren Eisscholle näher, so findet man, daß sie eine
bedeutende Dike hat und tief im Wasser geht, daß aber die Masse von den Rändern nach
Abwärts konisch zuläuft und nicht eine Art von Platte, sondern mehr einen Klumpen
bildet. Uebrigens besteht sie aus einem losen Conglomerate von kleinen, etwa Linsen
großen dünnen Eisblättchen, welche aber mehr länglich als rund sind und durch
Capillarattraction zusammenzuhängen scheinen. So lange sie im Wasser in großer Menge
beisammen sind, bilden sie eine schwammige, zusammengeballtem und in Wasser
getauchtem Schnee ähnliche Masse, welche aber außerhalb des Wassers in lauter
hellglänzende und durchsichtige längliche Eisblättchen zerfällt. Diese sind offenbar
nichts anderes, als die der Länge und Breite nach vergrößerten Eisnadeln der früher
besprochenen Art gelatinösen und faserig aussehenden Eises. Daraus wird ersichtlich,
daß sich die leztere Art von Eis von der erstern keineswegs dem Wesen, sondern nur
der Form nach unterscheidet. Bei den ersteren sind die dasselbe constituirenden
Theile sehr dünne und
der Zahl nach noch wenige, der Art nach leicht zusammenhängende Eisnadeln, daher die
geringe Masse, ihr gallertartiges, faseriges, flokiges Aussehen; bei lezteren sind
dagegen der Theile schon mehrere, die einzelnen haben schon eine größere Masse, und
es ist die Nadelform bereits in die von Blättchen übergegangen, welche zwar
ebenfalls noch lose, aber doch schon stärker zusammenhängen, und daher die größere
Masse der vorkommenden Schollen, ihre scheinbar größere Consistenz, ihr dem Eise
mehr ähnliches Aeußere, ihr schwammiges innere Gefüge. Ersterem sieht man es noch
ganz deutlich an, daß es eben erst entstanden und in der Ausbildung begriffen,
lezteres aber schon darin bedeutend vorgeschritten sey. Offenbar liegt der Grund
davon für das erstere in der vorausgegangenen mäßigen, für das leztere aber in der
stärkeren Kälte sowohl der Luft als des Wassers.
Dauert die Kälte längere Zeit in gleichem Grade fort, oder nimmt sie sogar an Stärke
zu, so vermehrt sich die Anzahl und Größe der daher kommenden Schollen; sie nehmen
an Dike und Consistenz merklich zu, indem sich an der Oberfläche durch
Zusammenfrieren der Eisblättchen eine feste Eisschichte bildet, unterhalb welcher
aber die übrige im Wasser gehende Masse noch immer schwammig und loker
zusammenhängend ist. Wenn man gegen eine solche Scholle mit dem Stoke stößt, so
findet man von Seite der oberflächlichen Eisrinde einen schwachen Widerstand; so wie
aber diese durchbohrt ist, so fährt der Stok durch die unterhalb befindliche Masse
ungehindert durch. Ohne allen Zweifel ist diese oberflächliche feste Eisschichte
erst später und zwar durch die längere Zeit stattgehabte Berührung der Masse an
ihrer Oberfläche mit der äußern sehr kalten Luft entstanden. Sobald diese eben
besprochenen Schollen an solche Stellen gerathen, wo das Wasser ruhig fließt oder
gar stagnirt – und dieß ist meistens in der Nähe derjenigen Ufer der Fall,
von welchen der Stromstrich abgewendet, und wo das Wasser seicht ist oder das Ufer
eine Art von Bucht bildet – so schieben sich mehrere derselben dort zusammen,
und indem sie aneinander frieren, bilden sie eine feste aber holperige und unebene
Eisdeke, welche in das Wasser mehrere Schuhe hinausragt und unter dem Namen des
Ufereises bekannt ist. Mit der Zeit wird diese Eisdeke durch das Anfrieren der
unterhalb befindlichen schwammigen Eismasse so dik und fest, daß man sie ohne Gefahr
betreten, und auf ihr herumgehen kann. Das eine solche Deke bildende Eis
unterscheidet sich aber wesentlich von jenem, welches die Eisdeke auf ruhig
stehendem Wasser, z.B. in einem Teiche bildet. Lezteres ist hell, durchsichtig und
hat in diken Schichten eine bläulichgrüne Farbe, erstens dagegen ist undurchsichtig
und zeigt eine weißliche, an zusammengefrorenen Schnee mahnende Farbe. Das eine
hat eine ebene glatte Oberfläche, das andere ist rauh, holperig und trägt recht
deutlich die Spuren, wo die aneinander geschobenen Schollen zusammengefroren
sind.
Wenn man nun alles das, was ich über die Beschaffenheit und Verhalten des auf der Mur
vorkommenden, von mir in den verschiedenen Stadien beobachteten Eises angeführt
habe, mit dem zusammenhält, was die bekannt gewordenen Beobachtungen und Erfahrungen
Anderer über das Grundeis an andern Orten und Flüssen gelehrt haben, so läßt es sich
nicht läugnen, daß es alle Eigenschaften und Erscheinungen des sogenannten
Grundeises zeigt, und daher schon deßhalb in einerlei Kategorie mit ihm gesezt zu
werden verdient, und dieses um so mehr, als man sich recht leicht und deutlich
überzeugen kann, daß das auf der Mur vorkommende Eis am Grunde des Wassers entstehe
und von da zur Oberfläche steige. Denn abgesehen von dem von mir sehr oft
beobachteten und schon früher angegebenen Factum, daß ich an seichten, dem Ufer nahe
gelegenen Stellen solches Eis in die Höhe kommen sah, kann man besonders nach sehr
kalten Tagen an solchen Stellen, wo das Wasser seicht, nicht zu rasch bewegt und der
Grund mit Flußgerölle bedekt ist, alle Steine mit einer ziemlich diken. Schichte Eis
überzogen finden, welches von derselben Beschaffenheit, wie das an der Oberfläche
einherschwimmende Eis ist. Von Zeit zu Zeit lösen sich größere Stüke dieser
schwammigen Eismasse von dem Gesteine los, steigen in die Höhe und schwimmen an der
Oberfläche zuerst vereinzelnt, dann aber, wenn ihrer mehrere zusammentreffen, wegen
ihres lokeren Gefüges zu einer größeren und ausgedehnteren Masse vereinigt. Bedenkt
man nun, daß die Mur bis Scheifling herab in der Regel so seicht ist, daß man sie
überall durchwaten kann, daß dieses bei sehr niedrigem Wasserstande, wie dieses im
Winter fast durchgehends der Fall ist, auch noch weiter abwärts bis Ehrenhausen an
sehr vielen Stellen möglich ist, daß ferner die Mur in ihrem Laufe bis Grätz eine
sehr große Menge kleiner Bäche mit sehr raschem Laufe und seichtem Bette aufnimmt:
so wird man es begreiflich finden, daß in der ganzen Streke bis Grätz auf dem fast
gleich beschaffenen mit Gerölle bedekten Grune des Flusses und der sich einmündenden
Bäche überall solches Eis, wie man es hier an mehreren Orten finden kann, in sehr
großer Menge entstehen, nach und nach an der Oberfläche zum Vorscheine kommen, und
in seinem Laufe zu größeren Massen vereinigt, in Form von ausgedehnten Schollen
dahergeschwommen kommen müsse.
Hören die das Erscheinen des Grundeises begleitenden Temperatur-Verhältnisse,
sowohl in der Luft als im Wasser nach und nach auf, so vermindert sich auch nach und nach die Menge des
vorkommenden Eises und verschwindet endlich nach einem oder höchstens zwei Tagen;
tritt jedoch plözliches Thauwetter ein, so ist auch schon nach wenigen Stunden keine
Spur vom Grundeise vorhanden.
Obwohl es schon aus den von Hrn. Dr. Mohr in Coblenz mitgetheilten Beobachtungen über die
Grundeisbildung am Rheine hervorgeht, daß unter den verschiedenen bisher üblichen
Erklärungsarten des Phänomens die von Arago gegebene
unstreitig die beste, dem Gange der Natur angemessenste und allen das Phänomen
begleitenden Umständen die am meisten genügende ist; so zeigt überdieß eine genaue
Erwägung aller durch weine Beobachtungen beim Erscheinen des Grundeises an der Mur
constatirter Temperatur-Verhältnisse und der übrigen damit verbundenen
Umstände, daß sich das Phänomen nach der von Arago
aufgestellten Ansicht in seinem ganzen Umfange vollständig erklären, und daher
nichts mehr zu wünschen übrig lasse, als daß man die Entstehung des Eises am Grunde
des Wassers selbst mit eigenen Augen zu sehen bekäme, um auf diese Weise dem
einzigen noch möglichen Einwurfe begegnen zu können, als sey dieses am Grunde des
Wassers factisch nachgewiesene Eis nicht etwa durch was immer für eine Ursache von
Oben herunter gebracht worden, sondern daselbst unmittelbar entstanden. Da dieses
jedoch im offenen Flusse nicht so leicht ausführbar ist, so beschloß ich in dieser
Hinsicht ein experimentum crucis zu machen, und Grundeis
selbst unter meinen Augen zu erzeugen. Zu diesem Behufe suchte ich nämlich in einem
hiezu geeigneten Wasserbehälter alle jene Umstände möglichst genau herbei zu führen,
wie sie an jenen Stellen im Flusse stattfinden, wo ich das Eis am Grunde
wahrgenommen hatte. Sollte es mir nun, so schloß ich, bei diesen Versuchen gelingen,
das Eis am Grunde des dazu gewählten Wasserbehälters zuerst entstehen zu sehen, so
glaube ich mit Recht behaupten zu können, daß das am Grunde des Flusses
wahrgenommene Eis auch daselbst zuerst entstanden seyn müsse. Die dahin zielenden
Versuche habe ich in folgender Weise angestellt. Ich nahm eine ovale 7 Zoll hohe, 8
Zoll breite und 15 Zoll lange, etwa acht Maaß Wasser haltende gläserne Wanne, damit
ich nicht bloß von Oben, sondern auch durch die Wände derselben hindurchsehen, und
so den innern Verlauf der Sache genau bemerken konnte. Diese Wanne stellte ich unter
freiem Himmel, vor dem Einflusse der Sonnenstrahlen geschüzt, auf und füllte sie mit
Murwasser voll an. In das Wasser tauchte ich zwei Thermometer mit auf Glas
getheilter Skala, und zwar reichte die Kugel des einen bis auf den Boden der Wanne,
die des andern aber nur in die oberste Schichte des Wassers, um dadurch die
Temperatur des Wassers oben und unten zu erfahren. Den Boden der Wanne belegte ich mit kleinem aus der
Mur genommenem Gerolle, um ihn dem Flußbette möglichst gleich zu machen. Bei einem
ganz heiteren Himmel, an einem Tage, wo die äußere Lufttemperatur 9° R. unter
Null war, und die Mur sehr reichliches Grundeis trieb, begann ich des Morgens um 9
Uhr mit einem Vorversuche, indem ich das Wasser ruhig stehen und der Einwirkung der
Kälte überließ. Das Wasser hatte anfänglich eine Temperatur von 5° R. über
Null, da es absichtlich früher in der Sonne etwas erwärmt wurde. Nach etwa zwei
Stunden zeigte das Thermometer in der obern Wasserschichte eine Temperatur von +
1°,5 R., während das Thermometer am Boden eine Temperatur von + 3°,8
R. angab. Nach Verlauf von einer halben Stunde zeigte das obere Thermometer auf 0
Grad, während das untere auf + 3° R. stand. Dabei waren schon die ersten
feinen Eisnadeln an der Oberfläche sichtbar, zum Zeichen, daß das Gefrieren daselbst
eintrat. Nach kurzer Zeit war die Oberfläche mit einer dünnen Eisschichte überzogen,
während die Temperatur des Wassers am Boden unverändert bei + 3° R. stehen
blieb. Die Dike der Eisschichte an der Oberfläche nahm fortwährend zu, ohne daß sich
die Temperatur am Boden merklich änderte; auch zeigte sich am Boden nirgend eine
Spur von Eisbildung. Es verhielt sich demnach bei diesem Versuche die Sache gerade
so, wie sie der Theorie nach auch stattfinden sollte. Ganz anders aber zeigte sich
der Verlauf der Sache bei dem am folgenden Tage wieder angestellten etwas
abgeänderten Versuche. Es wurde am andern Morgen um 9 Uhr bei einer Temperatur von
8° unter Null wieder damit begonnen, frisches und ganz eisfreies Murwasser in
die Wanne einzufüllen und den Boden derselben mit Gerölle auf gleiche Weise, wie
Tags zuvor, zu bedeken. Die beiden eben so wie früher angebrachten Thermometer
zeigten anfänglich eine Temperatur von + 5 1/2° R. an. Hierauf wurde die
Oberfläche durch fortwährendes Plätschern in Bewegung erhalten und von Zeit zu Zeit
mit einem Stabe durcheinander gerührt. Dieses geschah so oft, als das obere
Thermometer eine niedrigere Temperatur gegen das untere zeigte, und wurde so lange
fortgesezt, bis beide auf einerlei Temperatur gebracht wurden. Dadurch sank die
Temperatur der ganzen Wassermasse gleichmäßig auf 5, 4, 3, 2 Grade und so weiter bis
auf 0 Grad herunter, worauf die Eisbildung eintrat; war aber bei dem am verflossenen
Tage angestellten Vorversuche eine Zeit von drei Stunden dazu schon hinreichend
gewesen, so betrug die bei diesem Versuche dazu nöthige Zeit nahe das Dreifache der
früheren, und die Eisbildung begann dabei nicht an der Oberfläche, sondern am Boden.
Indem ich durch die Seitenwände der gläsernen Wanne nahe am Boden hinblikte, gewahrte ich
an einzelnen daselbst liegenden Geröllsteinchen sehr feine Eisnadeln büschelförmig
nach allen Richtungen hin anschießen, welche sich allmählich vergrößerten und zu
dünnen Blättchen heranwuchsen; an diese sezten sich nach einiger Zeit in Form von
kleinen Aestchen neuerdings feine Eisnadeln an, und so sah ich deutlich jenes
Gebilde entstehen, welches ich schon früher mehrmals in der Mur schwimmend
beobachtet hatte. Während dieses am Boden vor sich ging, war weder an der
Oberfläche, noch sonst wo in der übrigen Wassermasse eine Spur von Eisbildung zu
bemerken. Wurde das Gefäß nur leicht erschüttert, so lösten sich die gebildeten
Eisfloken von dem Gesteine los und stiegen in die Höhe.
Klar ist es, daß das, was hier im kleinen Maaßstabe vor sich ging, wohl auch in der
Natur im Großen vor sich gehen werde, und somit glaube ich nicht Unrecht zu haben,
wenn ich den Beweis für die Bildung des Eises am Grunde des Wassers als hergestellt,
und die bisher für problematisch angesehene Theorie der Grundeisbildung für erledigt
und abgethan halte.