Titel: | Ueber den Zustand, in welchem sich das Jod im natürlichen Natronsalpeter und in der käuflichen Salpetersäure befindet; von Hrn. Lembert in Lyon. |
Fundstelle: | Band 88, Jahrgang 1843, Nr. XC., S. 359 |
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XC.
Ueber den Zustand, in welchem sich das Jod im
natuͤrlichen Natronsalpeter und in der kaͤuflichen Salpetersaͤure
befindet; von Hrn. Lembert in Lyon.
Aus dem Journal de Pharmacie, März 1843, S.
201.
Lembert, über jodhaltige Salpetersäure.
Nachdem das Vorhandenseyn von Jod in der käuflichen Salpetersäure und im natürlichen
Natronsalpeter nachgewiesen war (siehe polyt. Journal Bd. LXXXV S. 238), blieben noch folgende vier
Fragen zu beantworten übrig:
1) In welchem Zustande befindet sich das Jod in dem Natronsalpeter?
2) In welchem Zustand befindet es sich in der daraus bereiteten Salpetersäure?
3) Was geht bei der Bereitung der Salpetersäure hinsichtlich des Jods vor?
4) Warum enthält die concentrirte Säure Jod und die schwächere Säure nicht?
1. Frage. – Ich dachte zuerst, daß das Jod im
Natronsalpeter als Jodnatrium vorkommen dürfte, aber einige Anomalien in der
Reaction brachten mich auf den Gedanken, daß es wohl auch in einem anderen Zustande
darin enthalten seyn könnte und zwar als jodsaures Natron. Bei der Bildung des
Natronsalpeters nämlich könnte das ursprünglich in demselben enthaltene Jodid sich
oxydiren und in ein jodsaures Salz umwandeln.
Folgende Versuche beweisen, daß dieß wirklich geschieht:
A. Als natürliches salpetersaures Natron gestoßen, mit
etwas destillirtem Wasser ausgewaschen, die Flüssigkeit dann filtrirt und mit etwas
Stärkmehl versezt wurde, erhielt ich damit folgende Reactionen:
1)
Schwefelsaͤure
sehr geringe Faͤrbung
2)
schweflige Saͤure
nichts
3)
Chlor
nichts
4)
schweflige Saͤure der Schwefelsaͤure
schonenthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt.
die Farbe verschwindet und trittnachher dunkler
wieder hervor.
5)
Schwefelsaͤure der schweflige Saͤure
schonenthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt.
sehr auffallende Faͤrbung.
B. Eine concentrirte Lösung von salpetersaurem Natron
mit Zusaz von Chlornatrium, sehr wenig Jodkalium und jodsaurem Kali, welche,
abgesehen von der Basis, so zu sagen die Zusammensezung des natürlichen
Natronsalpeters darstellte, bot auch dieselben Reactionen wie dieses Salz dar; nur
brauchte der schwefligen Säure keine Schwefelsäure zugesezt zu werden, um die Bläuung
hervorzubringen. Die Ursache dieser Verschiedenheit wird aus dem Folgenden
erhellen.
C. Als Natronsalpeter gestoßen, mit rectificirtem
Weingeist ausgewaschen, die geistige Flüssigkeit im Wasserbade zur Trokniß
abgedampft, der Rükstand in destillirtem Wasser wieder aufgelöst, die Lösung
filtrirt und mit Stärkmehl versezt wurde, erhielt ich folgende Reactionen:
1)
Schwefelsaͤure
sehr leichte Faͤrbung,
2)
schweflige Saͤure
nichts
3)
Chlor
nichts
4)
schweflige Saͤure der Schwefelsaͤure
schonenthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt
die Farbe verschwindet u. kommtnicht mehr zum
Vorschein.
5)
Schwefelsaͤure der schweflige Saͤure
schonenthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt
nichts.
D. Das mit Weingeist ausgewaschene salpetersaure Natron
wurde an der Sonne getroknet, mit destillirtem Wasser ausgewaschen, die Flüssigkeit
filtrirt und mit Stärkmehl versezt; sie gab dann folgende Reactionen:
1)
Schwefelsaͤure
nichts
2)
schweflige Saͤure
nichts
3)
Chlor
nichts
4)
schweflige Saͤure der Schwefelsaͤure
schon enthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt
Faͤrbung
5)
Schwefelsaͤure der schweflige Saͤure
schon enthaltenden Fluͤssigkeit zugesezt
Faͤrbung.
Aus diesen vier Versuchen geht unstreitig hervor, daß das natürliche salpetersaure
Natron eine sehr kleine Quantität Jodid und eine größere Menge jodsauren Salzes
enthält.
Man wird es vielleicht auffallend finden, daß der schwefligen Säure Schwefelsäure
zugesezt werden muß, um die Färbung hervorzurufen; zwei Ursachen aber können
beitragen, daß dieser Zusaz nothwendig wird; erstens die merkliche Alkalinität des
natürlichen salpetersauren Natrons; zweitens die Veränderung, welche das Stärkmehl
erlitten hat, wenn es nicht frisch bereitet ist. Macht man nämlich eine sehr
verdünnte Mischung von jodsaurem Natron und Jodnatrium und sezt derselben frisch
bereitetes Stärkmehl zu, so zeigt schweflige Säure ohne Beihülfe von Schwefelsäure
die Gegenwart des Jods an; wird aber eine nur äußerst kleine Menge eines
kohlensauren Alkali's oder etwas altes Stärkmehl zugesezt, so ist die Schwefelsäure
unentbehrlich, um die blaue Färbung hervorzubringen.
Man wird bei obigen Reactionen bemerkt haben, daß das Chlor die Gegenwart des Jods im
Zustande des Jodids niemals anzeigte, während die Schwefelsäure es beständig
anzeigte. Die eben angeführten Ursachen stehen damit wahrscheinlich in Beziehung.
Uebrigens hat Hr. Dupasquier auch nachgewiesen, daß die
Schwefelsäure zur Entdekung der Jodide in sehr kleinen Quantitäten dem Chlor
vorzuziehen sey; bei den zahlreichen Versuchen aber, welche ich hierüber anstellte,
fand ich, daß Chlor und Schwefelsäure gemeinschaftlich eine stärkere Bläuung
hervorrufen, als Schwefelsäure allein, also eine kleinere Menge Jod zu erkennen
geben.
2. Frage. – Ich sättigte käufliche Salpetersäure,
welche Jod enthielt, mit kohlensaurem Kali, so daß lezteres Salz ein wenig
vorwaltete; die filtrirte und mit Stärkmehl versezte Flüssigkeit gab dieselben
Reactionen, wie das natürliche salpetersaure Salz; es folgt daraus, daß in der
käuflichen Salpetersäure Jod als Jodsäure und als Jodwasserstoffsäure enthalten
ist.
3. Frage. – Weiß man einmal, in welchem Zustande
das Jod im natürlichen salpetersauren Natron enthalten ist, so kann man sich über
die bei der Bereitung der Salpetersäure stattfindenden Vorgänge leicht Rechenschaft
geben. Es sind dieß folgende:
1) Gießt man Schwefelsäure auf das salpetersaure Salz, so bildet sich schwefelsaures
Natron, Salpetersäure und Jodsäure werden frei, das Jodid wird zersezt und dann
wirkt die Salpetersäure auf das Jod und verwandelt es in Jodsäure.
2) Die Salpetersäure destillirt über, die Jodsäure aber, welche fix ist, bleibt im
Destillationsapparate zurük. Ist die Salpetersäure ganz oder doch beinahe ganz
verflüchtigt, so steigt die Temperatur und die Jodsäure wird in Sauerstoff und Jod
zersezt.
3) Nach der Zersezung der Jodsäure geht das Jod in den Recipienten über und löst sich
in der Salpetersäure auf, welche von ihm gefärbt wird.
4) Die Salpetersäure wirkt allmählich auf das in ihr aufgelöste Jod; nach einigen
Tagen enthält sie kein freies Jod mehr, wohl aber einerseits aus der Einwirkung der
Salpetersäure auf das Jod hervorgegangene Jodsäure, andererseits durch Zersezung von
etwas Wasser entstandene Jodsäure und Hydriodsäure.Wenn die Schwefelsäure concentrirt ist und zu gleicher Zeit mit den
Joddämpfen sich salpetrige Dämpfe entwikeln, so können die Joddämpfe
sogleich in Jodsäure übergehen und die erhaltene Salpetersäure zeigt dann
auf der Stelle die Reaction der käuflichen. Sie kann in diesem Falle gar
keine Hydriodsäure enthalten.
Diese Theorie wird übrigens durch folgende Versuche noch bestätigt.
A. Behandelt man salpetersaures Kali, welches etwas
Jodkalium enthält, mit Schwefelsäure, so färbt sich die Masse zuerst braun und entbindet schwache
violette Dämpfe; nach kurzer Zeit aber, namentlich wenn man umrührt, verschwindet
die Farbe; verdünnt man hierauf mit Wasser und sättigt den Säureüberschuß mit
kohlensaurem Kali, so wird man finden, daß die Flüssigkeit eine bedeutende Menge
durch Stärkmehl und schweflige Säure zu erkennende Jodsäure enthält.
B. Bringt man salpetersaures Natron in eine tubulirte
Retorte, gießt Schwefelsäure durch den Tubulus ein und destillirt unter
abgesonderter Auffangung der Producte, so wird man die lezten Antheile der
destillirten Flüssigkeit allein Jod enthaltend finden.Um bei diesem Versuche die Joddämpfe wahrzunehmen, muß man ihn mit einer
ziemlichen Menge des salpetersauren Salzes, z.B.
500 Grammen, vornehmen, wegen der ungemein geringen Quantität Jod, welches
im Salze enthalten ist.
C. Wenn man, wie ich im ersten Theile meiner Arbeit
sagte (man vergl. polyt. Journal Bd. LXXXV S.
238), eine Mischung von käuflicher Jod enthaltender Salpetersäure und
Schwefelsäure destillirt, so geht alle Salpetersäure über, ohne daß sie die mindeste
Spur Jod enthält.Unter dem Einfluß der Wärme und der Concentration der Salpetersäure, durch
deren Vermischung mit Schwefelsäure, wird die Hydriodsäure also in Jodsäure
umgewandelt. Ist die Salpetersäure einmal aufgesammelt und fährt man zu erhizen fort, so
geht Wasser, dann gehen Joddämpfe über, welche sich in der Salpetersäure auflösen
und sie färben. Diese Säure entfärbt sich nach und nach und zeigt nach einigen Tagen
alle Eigenschaften der jodhaltigen käuflichen Salpetersäure.
D. Ich brachte Salpetersäure von verschiedenen Graden
mit Jod zusammen; die Säure färbte sich durch das Auflösen von etwas Jod sogleich
braun. Nach zweimonatlichem Stehen trennte ich die gefärbte Flüssigkeit vom Jod und
ließ die Flaschen verstopft; mehr als 14 Tage nach diesem Decantiren waren die
Flüssigkeiten wieder wie früher gefärbt. Ich sättigte einen Theil derselben mit
kohlensaurem Kali und probirte sie mit Stärkmehl, Schwefelsäure, schwefliger Säure
und Chlor; diese Reagentien zeigten mir die Gegenwart freien Jods, von Jodsäure und
Hydriodsäure an.
Ich hatte bei diesen Versuchen den Sättigungsgrad etwas überschritten; da ich nun
fürchtete, daß der Ueberschuß von kohlensaurem Kali einen Einfluß auf die Resultate
gehabt habe, wiederholte ich die Versuche mit den Säuren und hütete mich dabei, sie
vollkommen zu sättigen; ich erhielt aber dieselben Resultate.
Ich öffnete hierauf die die verschiedenen erwähnten Säuren enthaltenden Flaschen; sie
entfärbten sich nun alle, wenigstens beinahe, jedoch in sehr verschiedenen
Zeitlängen und in folgender Ordnung:
1.
die Saͤure
von
37°
2.
–
–
45°
3.
–
–
44°
4.
–
–
40°
5.
–
–
38°
6.
–
–
36°
Die erste war in einigen Tagen gänzlich entfärbt; die beiden
folgenden in acht bis zehn Tagen; die drei lezten waren erst nach vier bis fünf
Wochen gänzlich entfärbt.Die Ursache dieser Verschiedenheit ist sicher die verschiedene Spannung der
Säuren, da die Entbindung salpetriger Dämpfe die Verflüchtigung des Jods
befördert.
Diese verschiedenen Säuren, wie oben erwähnt, gesättigt und auf dieselbe Weise
probirt, gaben dieselben Reactionen wie vor dem Verpfropfen, nur fand ich mehr
freies Jod in jenen, welche vollkommen entfärbt waren.
Zu bemerken ist, daß bei den mit Jod zusammengebrachten Säuren der Gehalt an Jodsäure
in der Regel um so größer und an Jodwasserstoffsäure um so geringer war, je
concentrirter die Säure war, und umgekehrt; so schien es mir wenigstens nach den
Färbungen.
4. Frage. – Die verschiedene Bereitungsart der
Salpetersäure, je nachdem man sie mehr oder weniger concentrirt gewinnen will,
scheint mir allein die Ursache des Vorkommens von Jod in dieser Flüssigkeit zu
seyn.
Man nimmt nämlich, um concentrirte Säure darzustellen, Schwefelsäure von größerer
Dichtigkeit und muß daher, um das schwefelsaure Natron zu schmelzen, stärker
erhizen, weil es weniger Wasser enthält, und dadurch wird die Jodsäure reducirt;
während, wenn man minder concentrirte Schwefelsäure anwendet, das Glaubersalz wegen
des darin enthaltenen Wassers schon bei einer Temperatur in Fluß kommt, wobei sich
die Jodsäure noch nicht reducirt.
Aus dem Vorhergehenden ziehe ich folgende Schlüsse:
1) Das Jod ist nicht, wie man bisher glaubte, nur im Zustand eines Jodids oder eines
hydriodsauren Salzes, sondern auch als jodsaures Natron im Natronsalpeter
enthalten.
2) Die Salpetersäure kann ohne Hülfe der Wärme durch ihren Sauerstoff auf das Jod
wirken und die Bildung von ein wenig Jodsäure veranlassen.
3) Das Jod kann ebenfalls ohne Beihülfe von Wärme auf das Wasser der Salpetersäure
wirken und die Bildung von Jodsäure und Jodwasserstoffsäure veranlassen.
Eine Frage bliebe noch aufzuhellen übrig, ob nämlich die Salpetersäure sich zuerst
bildet und dann auf das Jodid einwirkt, oder ob bloß Oxydation unter dem Einflusse
der Nitrification stattfindet? Wie dem aber auch sey, berechtigt die Oxydation des
Jods bei der Nitrification nicht zu der Hoffnung, daß diese chemische Einwirkung zur
Darstellung gewisser oxydirter Producte benuzt werden kann?