Titel: | Ueber knallende Dampfkessel-Explosionen; von Hrn. Sorel. |
Fundstelle: | Band 88, Jahrgang 1843, Nr. CXII., S. 452 |
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CXII.
Ueber knallende Dampfkessel-Explosionen;
von Hrn. Sorel.
Aus den Comptes rendus, Mai 1843, Nr.
19.
Sorel, über knallende Dampfkessel-Explosionen.
Knallende (fulminantes) nennt
man jene schreklichen Explosionen, welche eintreten, während die ganze Dampfmaschine
im normalen Zustande zu seyn scheint. Sie finden gewöhnlich in dem Augenblik statt,
wo man die Maschine von neuem in Gang sezt, oder wenige Augenblike nach dem Oeffnen der
Sicherheitsventile, oder auch unmittelbar nach einer Verminderung des
Dampfdruks.
Nach Hrn. Jacquemet, einem geschikten Fabrikanten zu
Bordeaux, rühren diese Explosionen davon her:
1) daß die Ventile oder andere Oeffnungen durch Wasser verstopft werden, wann sie in
sehr kurzer Zeit viel Dampf hindurchlassen;
2) von der Zunahme der Elasticität des Dampfes, welche dadurch entsteht, daß die
latente Wärme des Kesselwassers in dem Augenblik frei wird, wo durch Entweichen von
Dampf die Oberfläche der Flüssigkeit sich senkt;
3) daß das Gemisch von Dampf und Wasser, welches in Folge dieser Depression den
Kessel über der Flüssigkeit ausfüllt, weniger Capacität für den Wärmestoff hat, als
Wasser allein, wodurch das Gemisch rasch eine hohe Temperatur und folglich einen
starken Druk erlangt.
Ich werde die sinnreiche Theorie des Hrn. Jacquemet hier
nicht näher erörtern und bemerke nur, daß es mir, eben so, wie den HHrn. Arago und Dulong unmöglich
war, den Druk im Kessel dadurch zu erhöhen, daß ich dem Dampf einen weiten Ausweg
gewährte; ich stellte meine Versuche mit einem Dampfkessel von 12 Pferdekräften mit
zwei Siederöhren, wie jener des Hrn. Jacquemet, an. Der
Druk betrug 5 Atmosphären. Ich bemerkte, daß der Manometer jederzeit um so schneller
fiel, je mehr reiner oder mit Wasser gemischter Dampf austrat.
Auf folgende Weise erkläre ich die Entstehung der knallenden Explosionen; ich glaube,
daß allen eine Ueberhizung des Bodens des Dampfkessels oder der Siederöhren in Folge
mangelnder Flüssigkeit vorausgeht. Troken aber kann der Boden des Kessels durch
mehrere Ursachen werden, welche ich schon früher angab und hier wiederhole:
1) wenn der Dampfverbrauch die Erzeugung desselben um vieles übersteigt;
2) durch Ablagerungen zwischen dem Boden des Kessels und der Flüssigkeit;
3) durch CalefactionUnter Calefaction (Caléfaction) wird hier
durchaus jener von mehreren Physikern beobachtete Wärmegrad verstanden, bei
welchem auf glühendes Eisen gebrachtes Wasser Kugelgestalt annimmt und nur
in sehr geringem Grad verdampfe, während die gewöhnlichen Erscheinungen der
Verdampfung erst bei niedrigerem Wärmegrade des Gefäßes eintreten. Eine
Zusammenstellung der darauf bezüglichen Beobachtungen und der Versuche zur
Ermittelung ihrer Geseze von Boutigny findet man
im polytechn. Journal Bd. LXXXIII S.
457. M–x.;
4) durch mangelnde Speisung. Ich glaube, wie Hr. Jacquemet, daß die stürmische Bewegung (das Aufsteigen) des Wassers die
meisten knallenden Explosionen hervorbringt; allein die Entwikelung der den Kessel
sprengenden Kraft schreibe ich Umständen zu, deren Hr. Jacquemet nicht erwähnt. Nach meiner Meinung rühren diese Explosionen von
einem durch die Flüssigkeit auf die Kesselwände hervorgebrachten heftigen Stoß her, welcher durch eine
rasche und plözliche Erhöhung der Spannung des Dampfes hervorgebracht wird; viele
Thatsachen, wovon ich einige anführen will, sprechen für diese Erklärung.
1) Wenn man eine sogenannte Glasthräne in ein mit Wasser gefülltes Glas oder irdenes
Gefäß hält und die Spize abbricht, so zerbricht das Gefäß in tausend Stüke durch die
Wirkung der Flüssigkeit, deren Molecüle nicht Zeit hatten, sich von Unten nach Oben
zu Verdrängen.
2) Aus den in Arago's Abhandlung über
Dampfkessel-Explosionen angeführten Versuchen ersieht man, daß eine mit
Wasser angefüllte Metallröhre, wenn sie durch einen kleinen
kurzen Stoß erschüttert wird, springt, während ein allmählich zunehmender,
selbst bedeutender Druk das Brechen der Röhre nicht veranlaßt.
3) Eine sehr kleine Quantität eines Knallpulvers, welches einen abzuschießenden
Gegenstand nicht so weit zu treiben vermag, wie gewöhnliches Jagd- oder
Schießpulver, zersprengt den Flintenlauf, in welchem es abgebrannt wird.
Dieß reicht, wie es mir scheint, hin, um den Einfluß der Stöße auf das Brechen der
Körper einleuchtend zu machen; es bleibt mir nun nur noch zu zeigen übrig, wie Stöße
im Innern der Dampfkessel erzeugt werden können.
Folgendes geht nach meinem Dafürhalten vor, wenn man dem Dampf plözlich einen so
weiten Ausweg gibt, daß bei weitem mehr davon verwendet als erzeugt wird; das Wasser
verläßt in diesem Falle den Boden des Kessels oder der Siederöhren und steigt in
Gestalt von Schaum bis an die obern Theile des Kessels, was man durch die
aufsteigende Bewegung des Schwimmers leicht wahrnimmt, so wie auch durch das
Austreten von Flüssigkeit durch die Ventile und andern Oeffnungen; ist die
Verbrennung im Feuerraum zu dieser Zeit eben lebhaft, so wird der Boden des Kessels
und der Siederöhren bald sehr stark erhizt werden, weil sie troken liegend der
Wirkung des Feuers ausgesezt sind; thut man unter diesen Umständen dem Austritt des
Dampfes Einhalt oder vermindert man denselben so weit, daß der Verbrauch desselben die Erzeugung nicht
mehr übersteigt, so wird sich der Dampf vom Wasser abscheiden und im Kessel den von
seiner Dichtigkeit ihm angewiesenen Raum einnehmen; die vom Dampf befreite
Flüssigkeit fällt auf den Boden des Kessels, auf seine rothglühenden oder doch sehr
stark erhizten Wände nieder; befindet sich nun auf dem Boden des Kessels ein
Bodensaz, welcher die Flüssigkeit zu absorbiren und ihre Calefaction zu verhindern
vermag, so erzeugt sich plözlich eine große Menge Dampfs,
was einen das Bersten des Kessels zur Folge habenden Stoß veranlaßt.
Eben so entsteht eine Explosion, wenn der Kesselboden mit einer anliegenden
Kalttruste überzogen ist, welche sich in Folge der Ueberhizung des Kessels
losmacht.
Anders verhält es sich, wenn der Kessel keinen Bodensaz enthält. Es tritt die
Calefaction der Flüssigkeit ein, und das auf den Boden des Kessels fallende Wasser
wird nicht im selben Augenblik in Dampf umgewandelt; die Folge davon ist, daß die
Dampferzeugung beinahe Null ist und der Druk des Dampfs abnimmt, was auch wenige
Augenblike vor Explosionen öfters beobachtet wurde; hört aber die Calefaction der
Flüssigkeit durch irgend eine Ursache auf, z.B. durch auf den Boden des Kessels
geleitetes Speisewasser, oder durch die Abkühlung in Folge der Leitungsfähigkeit des
Kesselmetalls, welches oben durch die es benezende Flüssigkeit abgekühlt wird, so
wird plözlich Dampf erzeugt, der vermittelst des Wassers einen Stoß hervorbringt,
welcher (gerade so wie die Glasthränen die Gefäße sprengen) den Kessel sprengt, ehe
die Ventile sich öffnen können, oder die Flüssigkeit Zeit hat auszuweichen.
Auf ähnliche Weise tritt Explosion ein, wenn durch mangelhafte Speisung das Wasser im
Kessel ausgeht. Was in diesem Fäll, wie in den vorigen, die Heftigkeit des Stoßes
noch vermehrt, ist, daß der Kessel innerlich luftleer ist, wodurch eine jener des
Wasserhammers ähnliche Wirkung hervorgebracht werden muß; falls das Wasser aber ganz
ausgegangen ist, erfolgt die Explosion wahrscheinlich nur dann, wenn die Calefaction
des Speisewassers stattfinden kann und hiezu sind zwei Bedingungen nothwendig:
erstens daß der Boden des Kessels heiß genug, und dann, daß kein Bodensaz vorhanden
sey. Findet die Calefaction statt, so entsteht die Explosion, wie im vorhergehenden
Fall, durch die Abkühlung des Kessels.
Jedermann kann hinsichtlich der Calefaction des Wassers einen sehr einfachen Versuch
anstellen, welcher darthut, daß die Dampfbildung augenbliklich erfolgt, sobald die
Temperatur tief genug gesunken ist.
Man erhizt einen Kaffeelöffel über einer Lampe oder Kerze und sprengt mit dem Finger
ein paar Tropfen Wasser hinein; dieses Wasser wird einen großen kugelförmigen
Tropfen bilden, welcher nur sehr langsam in Dampfgestalt übergeht; wird der Löffel
vom Feuer genommengenommmen und etwas erkalten gelassen, so wird das Wasser bald sich plözlich in
Dampf verwandeln und, obgleich nicht eingeschlossen, explodiren.
Die wahrscheinlichste Ursache der knallenden Explosionen ist die Calefaction des
Wassers, die andern bezeichneten Ursachen führen minder rasche, und daher minder
gefährliche Kraft-Entwikelungen herbei. Eine langsame und fortschreitende
Zunahme des Druks bewirkt selten Explosion, indem die Ventile Zeit erhalten, sich zu
heben und den Kessel zu entladen; überdieß sind die Explosionen in Folge eines
progressiven Druks beinahe niemals sehr zu fürchten; es beschränkt sich beinahe
Alles auf ein mehr oder minder großes Zerreißen des Kessels, wodurch Wasser und
Dampf frei werden; dieß wurde durch Thatsachen und Andraud's zahlreiche Versuche mit comprimirter Luft bewiesen. Bei den
knallenden Explosionen ist die Kraftentwikelung vielmehr so rasch, daß die Ventile
sich nicht mehr öffnen können und ein bloßes Zerreißen des Dampfkessels der
ungeheuren Schnellkraft des Dampfes keinen Einhalt mehr thun kann; bei diesen
Explosionen zerspringen die Kessel auch in zwei bis drei Stüke, welche ungeachtet
ihres großen Gewichts sehr weit geschleudert werden.
Das beste Verfahren, diese Calefaction des Wassers und folglich die knallenden
Explosionen zu verhüten, ist:
1) Anwendung schmelzbaren Metalls am Boden des Dampfkessels; die Legirung muß aber
derart zusammengesezt seyn, daß sie schon bei einem niedrigem Hizgrad schmilzt, als
dem zur Calefaction erforderlichen.
2) Das Einbringen von Thon in den Dampfkessel, oder noch besser von Alaun oder Borax,
welche Salze die Eigenschaft, die Calefaction zu verhindern, in hohem Grade
besizen.
3) Anwendung guter Speisungsapparate, damit das Wasser in dem Kessel niemals ausgeht.
Außerdem ist es noch rathsam, Allarm-Vorrichtungen anzubringen, durch welche
man aufmerksam gemacht wird, wenn das Niveau des Wassers im Kessel zu tief
sinkt.
Ich bin fest überzeugt, daß durch Anwendung dieser Mittel die knallenden Explosionen
verhütet werden.