Titel: | Ueber die Zusammensezung des auf der Havanna gebauten kreolischen Zukerrohrs; von Hrn. Casaseca. |
Fundstelle: | Band 92, Jahrgang 1844, Nr. XXXV., S. 124 |
Download: | XML |
XXXV.
Ueber die Zusammensezung des auf der Havanna
gebauten kreolischen Zukerrohrs; von Hrn. Casaseca.
Aus den Comptes rendus, Maͤrz 1844, Nr.
10.
Casaseca, über die Zusammensezung des auf der Havanna gebauten
kreolischen Zukerrohrs.
Von Allem, was auf den tropischen Inseln angebaut wird, bietet das Zukerrohr das
größte Interesse dar; der Zuker ist die Hauptquelle des Handels der Antillen und der
Wohlfahrt der Insel Cuba. Bei dieser Wichtigkeit desselben muß es befremden, daß vor
dem Jahre 1839 noch keine genaue chemische Analyse des Zukerrohrs bekannt war. Die
erste umfassende Arbeit über die Zukerindustrie der Colonien verdankt man Hrn. Peligot. Die Unwissenheit, in welcher man über die
chemische Constitution des Zukerrohrs und den wirklichen Gehalt des Safts geblieben
war, ist übrigens leicht zu erklären. Lange Zeit nämlich war die Zukerindustrie der
Colonien eine der gewinnbringendsten; die Pflanzer genossen jene Sicherheit, welche
bei Individuen sowohl als bei Völkern aus gänzlichem Mangel an Concurrenz
hervorgeht. Die wenig versprechenden Versuche, welche in den südlichsten Gegenden
Europa's über den Anbau des Zukerrohrs angestellt wurden, waren der Art, daß sie die
Pflanzer gegen die Befürchtung, daß sich ihr Industriezweig auf dem alten Continent
acclimatisiren könnte, erst ganz sicher machen und sie in dem Glauben bestärken
mußten, daß zu einer reichlichen Zukerproduction die tropische Sonne unentbehrlich
sey.
Die großen politischen Ereignisse, welche am Anfange dieses Jahrhunderts die Welt
bewegten, offenbarten aber den Pflanzern, wie wenig gegründet ihre Sorglosigkeit
sey; die neue Zukerfabrication aus Runkelrüben machte bald solche Fortschritte, daß
sie den Colonien gefährlich wurde.
Von nun an erst fanden bei den Pflanzern Untersuchungen Eingang, deren Nuzen sie bis
dahin mißkannten, und sie riefen sogar selbst solche hervor; jezt erst lernten durch
Peligot's Untersuchungen die Pflanzer auf den Antillen
und den englischen Besizungen in Indien den wahren Gehalt des Zukerrohrs und
zugleich die ungeheuern und unglaublichen Verluste kennen, welche Folge ihres
fehlerhaften Fabrications-Verfahrens waren. Peligot
Polytechn. Journal Bd. LXXV S.
227. zeigte, daß das Zukerrohr keineswegs zwei verschiedene Zukerstoffe, einen
krystallinischen und einen syrupartigen, enthält, wie man allgemein annahm, und daß
während man nach dem bisherigen Verfahren daraus 6 bis 10 Proc. verkäuflichen Zuker
erhältZu Venezuela ist nach Codazzi das mittlere
Erträgniß 7,5., nicht weniger als 18 bis 19 Proc. in demselben enthalten seyen; da nun das
Zukerrohr nur Holzfaser, Wasser, Zuker und einige Tausendstel salziger Bestandtheile
enthält, so wurde es höchst wahrscheinlich, daß beim Auspressen des Rohrs viel Saft
in der Faser zurükbleibt.
Es war sonach zu wünschen, daß Peligot's Analysen, welche
in Paris mit den von den französischen Antillen überschikten Producten angestellt
wurden, an Ort und Stelle selbst wiederholt würden. Dieß geschah auf der Havanna
durch Hrn. Prof. Casaseca; derselbe wählte zu seinen
Versuchen die unter dem Namen Canna de la Tierra
bekannte Varietät. Der Saft wurde im Augenblik seines Abfließens aus der Presse
aufgefangen und die darin enthaltenen festen Stoffe durch Abdampfen im luftleeren
Raum bei der gewöhnlichen Temperatur der Atmosphäre erhalten; sie bestanden, einige
Tausendstel abgerechnet, aus beinahe farblosem krystallinischem Zuker.
Nach zwei übereinstimmenden Analysen besteht der Saft des kreolischen Zukerrohrs von
Cuba aus:
krystallinischem Zuker
20,94
Wasser
78,80
mineralischen Substanzen
0,14
organischen Substanzen, außer dem
Zuker
0,12
––––––
100,00.
Die so äußerst kleine Menge in dem Saft enthaltener mineralischer Substanzen stimmt
mit den Analysen von Peligot beinahe ganz überein, wenn
man die Schreibfehler verbessert, welche sich nach Casaseca offenbar in die Abhandlung dieses Chemikers eingeschlichen haben.
Diese Uebereinstimmung hinsichtlich der ganz unbedeutenden Menge von Salzen im
Zukersafte bestimmt Hrn. Casaseca, der Ansicht des Hrn.
Peligot über die Einwirkung dieser salzigen
Substanzen auf die Bildung der Melasse nicht beizustimmen.
Ist auch die Zusammensezung des Saftes vom de-la-Tierra-Rohr der
Havanna identisch mit jener vom Saft des Otaheiti-Rohrs, so findet doch ein
Unterschied in der Constitution des ganzen Gewächses statt. Das
de-la-Tierra-Rohr enthält nämlich viel mehr Holzsubstanz; es
besteht nach Casaseca aus:
Wasser
65,9
Zuker und Mineralsalze
17,7
Holzsubstanz etc.
16,4
–––––
100,0.
Nach Peligot's Analysen beträgt die Holzsubstanz des
Otaheiti-Rohrs nur 10 Proc.
Diese Verschiedenheit in dem Verhältniß der Holzsubstanz mehrerer
Zukerrohr-Varietäten verdiente näher ausgemittelt zu werden; sie wird ohne
Zweifel die Aufmerksamkeit der Pflanzer auf sich ziehen und erklärt die Abweichungen
in den Quantitäten der von dem Zukerrohr erhaltenen Bagasse (ausgepreßtes Rohr).
Einige von Hrn. Casaseca angestellte Versuche lieferten
ihm folgende Resultate:
Aus 100 krystallinischem Zukerrohr wurden
erhalten
65,0 Bagasse
deßgl.
gebaͤndertem (rubanée)
–
–
55,0 –
deßgl.
Otaheiti-Zukerrohr
–
–
43,5 –
Diese Zahlen sprechen selbst und zeigen, daß aus den mit einer Varietät, dem
Otaheiti'schen Zukerrohr, angestellten Analysen nicht voreilig der Schluß gezogen
werden kann, daß die das feste Gerippe der Pflanze bildende Holzsubstanz im
Durchschnitt 9 bis 11 Proc. beträgt. Wir haben so eben gesehen, daß das
de-la-Tierra-Rohr 16 Proc. davon enthält, und es ist nach den
in der Abhandlung des Hrn. Casaseca entwikelten
Betrachtungen höchst wahrscheinlich, daß die krystallinische Varietät, welche auf
der Mühle eine so große Menge Bagasse zurükläßt, 25 bis 30 Proc. Holzsubstanz
enthält. Es ist dieß übrigens ein Punkt, welchen der Verfasser gleich nach seiner
Zurükkunft in Cuba einer neuen Untersuchung unterwerfen wird.
Hr. Casaseca beschließt seine interessante Abhandlung mit
der kritischen Prüfung eines in Europa erfundenen und zur
Behandlung des Zukerrohrs in Amerika empfohlenen
Verfahrens. Dieses auf die Runkelrübe – ob mit Vortheil, wissen wir nicht
– angewandte Verfahren besteht darin, das in Schnitten geschnittene Rohr
zuvörderst zu troknen, um es dann nach der Macerationsmethode mit Wasser zu
behandeln. Hr. Casaseca beurkundet in seiner Kritik
genaue Sachkenntniß von den Erfordernissen zur Fabrication und den localen
Schwierigkeiten, welche sie darbieten kann; so werden in mehreren Zukersiedereien
(Ingenios) in einer Campagne 6 bis 7 Millionen Kilogramme zur Mühle gebracht. Hinsichtlich dieser Zahl
frägt Hr. Casaseca die Vertheidiger des neuen Verfahrens,
ob das Troknen einer so ungeheuer großen Masse in einer Gegend, wo die Luft beinahe
immer mit Feuchtigkeit gesättigt ist, lediglich durch Ausbreiten derselben an der
Sonne ohne Gefahr geschehen könne; bekanntlich braucht man das Zukerrohr der Luft
nur ein paar Stunden auszusezen, damit sich ein Keim von Säuerlichkeit in demselben
entwikelt. Trokenhäuser findet Hr. Casaseca wegen der
Kostspieligkeit der Gebäude und des Brennmaterials nicht anwendbar. Endlich ist die
ungeheure Menge Wassers, welche das Macerationsverfahren erheischt, schon ein
hinreichender Grund, um es von der Insel Cuba zurükzuweisen. Hr. Casaseca berechnet, daß in einer Siederei, wo 6 bis 7
Millionen Kilogr. Rohr verkocht werden, 22 Millionen Liter warmes Wasser
erforderlich wären. Nun liefern aber die mit Wasser am besten versehenen Wohnpläze
kaum die zum Getränke für die Neger und die häuslichen Bedürfnisse nöthige Menge.
Doch scheint die nach dem Verf. nöthige Menge Wassers etwas übertrieben zu seyn;
denn nachdem ein Theil des Rohrs getroknet ist, könnte ohne Anstand der aus einer
andern Partie Rohr ausgepreßte Saft als Macerationsflüssigkeit benuzt werden.
Uebrigens gibt es auch viele Orte, wo, wie auf Martinique und im Unterland von
Guadeloupe, Wasser in genugsamer Menge vorhanden ist.
Hr. Casaseca bezeichnet nun die Vortheile, welche die von
zwei französischen Mechanikern, den HHrn. Derosne und Cail, zur Behandlung des Zukerrohrs und Verkochen seines
Safts erfundenen Apparate darbieten. Mittelst derselben gewinnt man das im Saft
enthaltene Wasser als Nebenproduct in großer Menge, was in manchen Etablissements
sehr wichtig ist, weil man dieses Wasser nur mit Luft zu imprägniren braucht, damit
es trinkbar wird. Das Brennmaterial anbelangend, reicht die Bagasse als solches
reichlich hin.
Ungeachtet der schönen Untersuchungen Peligot's über das
Zukerrohr von Martinique, sind also, wie uns die Arbeit des Hrn. Casaseca beweist, die an die tropische Zukerindustrie
sich knüpfenden technischen Fragen bei weitem noch nicht gelöst.