Titel: | Versuche auf der Braunschweig-Harzburger Bahn über Bergfahrten mit Locomotiven. |
Fundstelle: | Band 92, Jahrgang 1844, Nr. LXI., S. 245 |
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LXI.
Versuche auf der Braunschweig-Harzburger
Bahn uͤber Bergfahrten mit Locomotiven.
Versuche auf der Braunschweig-Harzburger Bahn über
Bergfahrten mit Locomotiven.
Die Anlage einer rentablen Eisenbahnlinie wird besonders durch Terrainschwierigkeiten
bestimmt, zu deren Ueberwindung verschiedene Mittel in Anwendung gekommen sind. Man
hielt sich in Deutschland mehr an englische als amerikanische Erfahrungen, und
wählte, um den Locomotivenbetrieb für die ganzen Bahnen möglich zu machen, sehr
niedrige Gränzen für die noch zu gestattenden Steigungen. In Nordamerika bestrebte
man sich besonders diese Gränzen weiter zu rüken, und die Constructionsprincipe der
amerikanischen Dampfwagen riefen eine erhöhte Thätigkeit in den englischen
Locomotivenwerkstätten hervor.
Die neuen Patent-Locomotiven von Robert Stephenson
in New-Castle u. T. haben den Locomotivenbau um einen großen Schritt vorwärts
gebracht, und die Leistungen dieser Maschinen werden ohne Zweifel einen großen
Einfluß auf die Ausführung von Eisenbahnen in bergigen Gegenden ausüben, indem die
bisher für den vortheilhaften Betrieb mittelst Locomotiven gestellten Gränzen der
Steigungsverhältnisse beträchtlich erweitert werden können.
Es eignet sich unter allen Eisenbahnen Deutschlands, um Erfahrungen über den Betrieb
mit Locomotiven auf stark steigenden Bahnen zu sammeln und um insbesondere ihre
Leistungsfähigkeit auf denselben zu erproben, vielleicht keine so gut als die
Braunschweig-Harzburger Bahn. Diese Bahn führt von Braunschweig nach dem Fuß
des Harzgebirges und es wird mit derselben auf eine Länge von 6 1/6 deutsche Meilen
eine Höhe von 580 Fuß braunschw. erstiegen. Die Steigungen sind keineswegs
gleichmäßig vertheilt, sondern mußten mit Rüksicht auf das Terrain, auf die
Wohlfeilheit des Baues und auf die Verkehrsverhältnisse am Ende der Bahn zwischen
Bienenburg und Harzburg angehäuft werden. Auf dieser Streke, welche 1 1/16 deutsche
Meile lang ist und wo eine Höhe von 348 Fuß braunschw. erstiegen wird, finden sich
daher die stärksten Steigungen. Gleich hinter dem Stationsplaze Vienenburg geht die
Bahn mit einer Steigung von 1 : 102 aufwärts nach Harzburg an und geht so weiter
unter folgenden Steigungsverhältnissen: 1 : 111; 1 : 96 1/2; 1 : 77; 1 : 76 1/2; 1 :
58; 1 : 98 und 1 : 46 fort und langt auf dem Stationsplaze Harzburg mit 1: 200 an.
Diese Bahnstreke besizt außer ihren starken Steigungen noch bedeutende Krümmungen,
und gerade auf der größten Steigung von 1 : 46 windet sich die Bahn mit einer Curve
von 380 Ruthen braunschw. Radius im Thale fort.
Die schwersten Lasten, welche aus Bauholz und Chausseesteinen bestehen, werden nur
abwärts vom Harze nach Braunschweig transportirt. Aufwärts findet neben einer
beträchtlichen Menge Waaren der Personen- und der Transport der leeren
Holz- und Steinwagen statt.
Das Gefälle von Harzburg abwärts ist so bedeutend, daß zur Beförderung der schweren
beladenen Holz- und Steinwagen und der Personenwagen nicht nur keine Zugkraft
nöthig ist, sondern, sobald der Zug auf der Station losgebremset ist und sich sofort
von selbst in Bewegung sezt, alsdann die Bremsen immerwährend angezogen werden
müssen, um die beschleunigende Bewegung des Zuges in seinen Gränzen zu halten und
ihn auf der Station Vienenburg zum Stillstande zu bringen. Das Gefälle der Bahn von
Vienenburg abwärts nach der Station Schladen ist ebenfalls nicht unbedeutend, so daß
bei gehöriger Handhabung der Bremsen ein beladener Steinwagenzug von Harzburg bis
Schladen von selbst abwärts läuft.
Bis zum Herbst 1843 wurde der Betrieb auf der Harzbahn von Braunschweig bis
Vienenburg und umgekehrt regelmäßig mit Locomotiven und von da aufwärts nach
Harzburg mittelst Pferden, abwärts aber durch die Wirkung der Schwere auf der stark
geneigten Bahn geführt. Ein vierjähriger Betrieb auf der Harzbahn, während welcher
Zeit kein einziges Unglük, welches Menschenleben gefährdete, sich zutrug, hat gezeigt, daß
das Abwärtsfahren auf so stark geneigten Bahnen bei gehöriger Vorsicht ohne Gefahr
geschehen kann.
Die Bahnstreke von Vienenburg bis Harzburg konnte unter den obwaltenden Verhältnissen
für den Betrieb mit Pferden sehr wohlfeil gebaut und dieselbe auch nach
amerikanischer Art mit Plattschienen von 2 Zoll Breite und 1 Zoll Dike, auf
fortlaufende Langholzschwellen genagelt, ausgeführt werden. Es zeigte sich aber
bald, daß die durch Pferdekräfte ausgeführten Bergfahrten bei der sehr wechselnden
Frequenz der Harzbahn ungenügend, dem ausdehnbaren Betrieb auf derselben hinderlich
und selbst bei den obwaltenden Verhältnissen, welche eine hinlängliche Beschäftigung
für die verwendeten Pferde gestatteten, dennoch kostspielig waren. Die Leistungen
der Pferde waren sehr gering. Für jeden vierräderigen Personenwagen, der höchstens
mit 24 Personen besezt werden konnte, waren zwei Pferde erforderlich, welche die
etwas über 1 Meile lange Bergfahrt in höchstens 35 Minuten, als die kürzeste Zeit,
nicht ohne große Anstrengung zurüklegten, während die Thalfahrt gegen 13, ja sogar
nur 7 Minuten währte. Zum Aufwärtstransport der leeren Stein- und Holzwagen
bedurfte man je nach der Größe der Wagen entweder 2 Pferde zu 2 Wagen oder 2 Pferde
zu 3 Wagen, welche die Bergfahrt in 1 1/2 Stunden zurüklegten. Mehr konnten die
Pferde bei einer regelmäßiger Dienstleistung, ohne bald dienstunfähig zu werden,
nicht leisten.
Diese Umstände, so wie die schon jezt bestätigte Aussicht, daß der Betrieb der
Harzbahn beim Anschluß an die Hauptbahn, welche von Braunschweig über Oschersleben
nach Magdeburg führt, sich bedeutend vergrößern wird, gaben Veranlassung, die
Leistungen der zwischen Vienenburg und Braunschweig gehenden Locomotiven auf der
steilen Endstreke der Harzbahn zu erproben. Die hierzu gewählten Locomotiven, eine
amerikanische von Norris, eine englische von Forrester in Liverpool und eine auf der braunschweiger
Bahnhofswerkstätte nach etwas verändertem amerikanischem Princip construirte
Locomotive, welche für stark steigende Bahnen construirt waren, zeigten durch die
angestellten Probefahrten die Möglichkeit, die Bergfahrten zwischen Vienenburg und
Harzburg mit Locomotiven auszuführen.
Obwohl die Resultate mit diesen Maschinen auf der mit Plattschienen construirten Bahn
noch nicht genügend ausfielen, so hatte man doch die Ueberzeugung gewonnen, daß bei
soliderer Construction der Bahn und mit kräftigeren Maschinen die Bergfahrten
mittelst Locomotiven mit großem Vortheil für den Betrieb sich bewerkstelligen lassen
würden. Sobald diese Ueberzeugung gewonnen war, wurde der Umbau der mit leichten Schienen
construirten Bahnstreke und der Ankauf geeigneter Locomotiven beschlossen, um den
Betrieb auf der ganzen Harzbahn mittelst Locomotiven zu beschaffen.
Die Wahl der für die Bergfahrten geeigneten Locomotiven war ohne Zweifel eine
schwierige zu nennen. Nach reiflicher Ueberlegung und nach Kenntnißnahme von den
Leistungen der neuen Stephenson'schen Patentlocomotiven
an Ort und Stelle, wurden für den vorliegenden Zwek im Mai 1843 zwei Locomotiven von
gleicher Construction bei R. Stephenson in Newcastle
u./T. in Bestellung gegeben. In den Monaten August und September langten dieselben
in Vienenburg an. Sie bedurften bei ihrer Zusammensezung nicht der geringsten
Nachhülfe, sind durchweg schön und solid gearbeitet, und ihr Gang war gleich bei den
ersten Probefahrten über alle Erwartungen leicht, sanft und sicher, so daß sie
sofort dem Betriebe übergeben werden konnten.
Am 23. Oktbr. wurde nun mit der neuen Patent-Locomotive, die den Namen
„Crodo“ erhalten hatte, eine Probefahrt von Braunschweig
nach Harzburg vorgenommen, um die Leistungen dieser Maschine zu erproben. Die
Locomotive Crodo hat gekurbelte Treibachsen mit inseitigen Lagern und innenliegenden
Cylindern von 15 Zoll Durchmesser, einen Kolbenhub von 24 Zoll, 3 Paar 4' 9''
Durchmesser haltende gekuppelte Räder, variable Expansion, einen Zugregulator, einen
12' 3'' langen Kessel mit 135 Stük 1 7/8 Zoll Durchmesser haltenden schmiedeisernen
Siederöhren, Handpumpe u.s.w. (Sämmtliche hier angeführte Maaße sind englisch.)
Ueberhaupt ist die Construction dieser neuen Patent-Locomotive so wesentlich
von der alten Construction verschieden, daß sie kaum als eine bloß veränderte,
sondern als eine völlig neu umgestaltete Construction angesehen werden muß, welche
durch ihre Einfachheit, Solidität und Zwekmäßigkeit und durch die hieraus
entspringenden Vortheile den Locomotivenbau um einen bedeutenden Schritt der
Vervollkommnung entgegengeführt hat. Der der Locomotive Crodo außer ihrem
sechsräderigen Tender, welcher Wasser und Kohks für 10 deutsche Meilen faßt,
angehängte Wagenzug wurde aus 35 Wagen formirt, worunter sich zwei große
sechsräderige, zum Theil besezte Personenwagen und drei beladene Güterwagen
befanden; die übrigen 30 Wagen waren leere Holz- und
Stein-Transportwagen.
Der ganze aus diesen 35 Wagen formirte Zug mit 144 Rädern hatte ein Gewicht, welches
hinreichend genau 175000 Pfd. braunschw. betrug. Mit diesem Wagenzuge wurde bei
einem Dampfdruk von 55 Pfd. engl. die 1 3/5 deutsche Meilen lange Streke von
Braunschweig bis
Wolfenbüttel, auf welcher die stärkste Steigung 1:800 beträgt, in 18 Minuten
zurükgelegt.
Von der Station Wolfenbüttel bis zur Station Schladen, unter gleichem Dampfdruke wie
oben, wurde diese Streke von 2 1/2 Meilen, auf welcher die stärkste Steigung 1 : 200
beträgt, in 26 Minuten durchlaufen.
Die nächste Streke bis Vienenburg, 1 Meile lang, mit einer Steigung von 1 : 154 und
einer Curve von 240 braunschw. Ruthen Radius wurde in 14 Minuten zurükgelegt. Der
Dampfdruk war bis 60 Pfd. gesteigert.
Auf der Station Vienenburg wurden, weil die Bahn von da gleich außerhalb des
Bahnhofes mit einer Steigung von 1 : 102 beginnt und bis Harzburg bis zu 1 : 46
zunimmt, 5 leere Wagen im Gewichte von 20400 Pfd. vom Zuge abgehängt, so daß also
noch 30 Wagen mit 124 Rädern im Gewichte von 154600 Pfd. braunschw. zu bewegen
waren. Die Entfernung von Vienenburg bis Harzburg beträgt 1 1/16 Meile und wurde in
21 Minuten zurükgelegt. Der Dampfdruk war bis auf 70 Pfd. engl. gespannt. –
Selbst auf der stärksten Steigung von 1 : 46 arbeitete die Maschine regelmäßig und
fand ein Schleifen der Locomotivräder auf den Schienen durchaus nicht statt.
Die ganze Länge der Harzbahn von nahe 6 1/6 deutschen Meilen wurde also in 79 Minuten
durchlaufen. Das Wetter während der Fahrt war troken; doch wurde der Wagenzug durch
fortwährend mäßigen Seitenwind etwas an die Schienen gepreßt. Die Locomotive Crodo
consumirte während dieser beschriebenen Fahrt durchschnittlich per Meile 130 braunschw. Pfd. Kohls und 21 braunschw.
Kubikfuß Wasser. Für die gewöhnlichen Personenzüge auf der Bahn von Braunschweig
nach Oschersleben consumirt sie nur 80 Pfd. Kohks und 12 Kubikfuß Wasser per Meile, und leichtere Personenzüge bei gutem Wetter
haben oft nur 60 Pfd. Kohks nöthig gemacht. Die schwere Last auf der sehr
bedeutenden Steigung und zugleich in den Curven hatte weder auf die Kuppelstangen,
noch auf irgend einen andern Theil der Maschine nachtheilig gewirkt.
Nachdem sich nun gezeigt hatte, daß die Locomotive Crodo mit der angehängten Last von
30 Wagen die stärkste Steigung mit angemessener Geschwindigkeit passirt hatte, wurde
der ganze Wagenzug nach Vienenburg hinabgefördert, die abgelösten 5 Wagen noch
angehängt und nun der aus 35 Wagen bestehende Zug mit der Locomotive Crodo von
Bienenburg aufwärts gezogen. Diese 35 Wagen vermochte indeß die Maschine nicht mehr
über die Stelle mit der Steigung von 1 : 46 zu fördern, indem man den Dampfdruk
nicht über 79 Pfd. engl.
steigern wollte. Sie blieb mitten auf dieser Streke stehen, jedoch ohne daß ein
Schleifen der Räder statt fand. Die Kraft der Maschine war auf diesem Punkte mit der
angehängten Last im Gleichgewichte. Wäre die Bahnstreke an dieser Stelle gerade
gewesen und läge sie nicht zugleich in einer starken Curve von 380 Ruthen braunschw.
Radius, so wäre die Maschine ohne Zweifel im Stande gewesen, dennoch den Zug von 35
Wagen über diese Stelle hinwegzuschaffen. Der stillhaltende Wagenzug wurde sofort
gebremset und der Dampf sodann abgesperrt. Alsdann wurden 11 vierräderige Wagen vom
ganzen Zuge abgehängt und nun mit 24 Wagen versucht, dieselben mit der Locomotive
vom Zustande der Ruhe aus auf der stärksten Steigung aufwärts zu schaffen, was die
Maschine mit der größten Leichtigkeit bewerkstelligte.
Die Resultate dieser Versuche waren sonach höchst befriedigend ausgefallen, und es
unterliegt nun keinem Zweifel, daß diese neuen Patent-Locomotiven für den
ausgedehntesten Betrieb auf der Harzbahn hinreichend Kraft besizen. Die Locomotive
Crodo, so wie die zweite ganz gleich construirte Locomotive Wildemann sind im
Stande, auf der Streke von Vienenburg bis Harzburg 8 sechsräderige, jeden mit 60
Personen besezte Personenwagen, also 480 Personen, mit angemessener Geschwindigkeit
aufwärts zu fordern; das ist aber mehr, als selbst auf den frequentesten Bahnen
Deutschlands in der Regel in einem Zuge zu transportiren vorkommen wird.
Seit Anfang November wird der Betrieb auf der Harzbahn durchaus mit Locomotiven
beschafft, und haben sich bisher die beiden Locomotiven Crodo und Wildemann in ihren
Leistungen selbst unter ungünstigen Witterungsverhältnissen bei dem herannahenden
Winter in jeder Beziehung als ganz ausgezeichnete Maschinen bewährt. Die
Einfachheit, Solidität und Zwekmäßigkeit ihrer Construction sind Bürgen für eine
lange Dienstfähigkeit, worüber allerdings nur eine längere Erfahrung bestimmt
entscheiden kann. Der rauhe Winter, besonders am Fuße des Harzes, gab neue
Gelegenheit, die Tauglichkeit dieser Maschinen unter den ungünstigsten
Verhältnissen, wo sie mit schneebedekter Bahn und beeisten glatten Schienen zu
kämpfen hatten, zu prüfen.
Die Thalfahrt mit solchen schweren Maschinen, deren Gewicht mit gefülltem Kessel über
16 Tonnen englisch beträgt, hat bei gehöriger Vorsicht und guter Bremsführung am
Tender gar keinen Anstand.
Unbedenklich können jezt Steigungsverhältnisse von 1 : 100 und darüber angenommen
werden, ohne daß im mindesten für Deutschlands Verhältnisse der geringste Nachtheil
für einen regelmäßigen und vortheilhaften Betrieb zu befürchten steht. Wo man
indessen günstigere Steigungsverhältnisse ohne Schwierigkeiten haben kann, wird man sie jederzeit
andern vorziehen. (Eisenbahnzeitung, 1844, S. 9.)