Titel: | Ueber die Anwendung des luftleeren Raumes zu technischen Operationen, insbesondere zur Concentration der Schwefelsäure; von Friedr. Kuhlmann. |
Fundstelle: | Band 93, Jahrgang 1844, Nr. XXXIX., S. 131 |
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XXXIX.
Ueber die Anwendung des luftleeren Raumes zu
technischen Operationen, insbesondere zur Concentration der Schwefelsaͤure; von
Friedr.
Kuhlmann.
Aus den Comptes rendus, 1844, 1tes Semester No.
23.
Kuhlmann, über die Anwendung des luftleeren Raumes zu technischen
Operationen.
In einer Abhandlung, welche ich im Jahre 1833 der (französischen) Akademie vorlegte,
besprach ich den Einfluß des Luftdruks auf die Aetherbildung. Ich fand, daß wenn man
ein Gemisch von Schwefelsäure und Weingeist, welches unter dem gewöhnlichen Druk
eine große Menge Aether liefert, im luftleeren Raum der Wärme aussezt, die
Flüssigkeit bei 86° C. zu sieden beginnt und Alkohol gibt, daß bei
104° Weinöhl und Wasser überdestillirt und man endlich bei noch höherer
Temperatur die gewöhnlichen Producte der Zersezung des Weingeists durch
überschüssige Schwefelsäure, ohne eine Spur Aethers, erhält. Dieß war ein neuer
Beweis, daß der Aether zu seiner Erzeugung durch Erhizen eines Gemisches von
Weingeist und Schwefelsäure einer 140° C. nahekommenden Temperatur
bedarf.
Bei den erwähnten Versuchen entwich der Weingeist, dessen Verflüchtigung durch die
Verminderung des Druks unterstüzt wurde, ehe noch die zur Aetherbildung
erforderliche Temperatur erreicht werden konnte. Die Erzeugung des süßen Weinöhls,
welches bei 104° C. überdestillirte, kann aber doch bei niedrigerer
Temperatur eintreten, indem es mir schon gelungen ist, Weingeist bei gewöhnlicher
Temperatur (ungefähr 15° C.) durch langsames Einwirken von Borfluorid in
dieses Product umzuwandeln. Allerdings konnte in diesem Fall die Zeit die Stelle der
Temperaturerhöhung vertreten.
Es schien mir für die Wissenschaft sowohl als die Technik sehr wichtig zu seyn, den
Einfluß des luftleeren Raums auf die chemischen Reactionen zu untersuchen und
folgende Fragen zur Lösung zu bringen:
1. Kann die Einwirkung der Wärme, wenn man im luftleeren Räume operirt, nicht dazu
dienen, um in vielen Fällen den Grad der Beständigkeit (Stabilität) chemischer
Verbindungen zu ermitteln, um zu erfahren, welche als bloße Gemenge zu betrachten
sind?
2. Kann der luftleere Raum Abweichungen in den Zeitpunkten herbeiführen, in welchen
die chemischen Zersezungen vor sich gehen?
3. Kann man, indem man gewisse Substanzen, welche beim Erhizen einige neuer Körper,
wie z.B. die Brandsäuren entwikeln, einem nur schwachen Druk aussezt, leztere nicht
leichter isoliren als unter dem gewöhnlichen Druk?
4. Der Zeitpunkt des Siedens wird bei den verschiedenen Körpern, welche wir
vermittelst der Destillation von einander zu trennen vermögen, durch den luftleeren
Raum modificirt. Hat dieser Umstand Einfluß auf das Verhältniß, in welchem diese
Körper bei der Destillation übergehen, wenn man unter verschiedenem Druk
operirt?
Die von mir bezüglich der Aetherbildung ermittelten Thatsachen beweisen, daß zwei
gemischte oder schwach verbundene Körper, wenn sie auf einander einzuwirken
vermögen, beim Erhizen verschiedene Resultate geben können, je nachdem man unter dem
atmosphärischen Druk oder im luftleeren Raum operirt. Im angeführten Beispiel
verflüchtigte sich der eine Körper im luftleeren Raum, ehe die Temperatur hoch genug
steigen konnte, um seine Zersezung durch den andern Körper zu bewirken.
Ich glaube, daß der luftleere Raum zuweilen bei Experimentaluntersuchungen gute
Dienste leisten und ein wahrhaftes Mittel der Analyse werden kann. Bis jezt zwar
schien mir der verminderte Luftdruk sehr wenig Veränderungen in den Zeitpunkten, in
welchen die chemischen Zersezungen eintreten, zu veranlassen; so zersezt z.B.
concentrirte Schwefelsäure das zweifach-oxalsaure Kali ziemlich bei derselben
Temperatur im luftleeren Raum wie unter dem atmosphärischen Druk; ähnliche Resultate
erhielt ich hinsichtlich der Zersezung des salpetersauren Ammoniaks, des essigsauren
Kupfers etc. mittelst der Wärme.
Doch kann man sich bei den zahlreichen Beobachtungen von Abweichungen, welche starker
Druk auf den Zeitpunkt der chemischen Reactionen herbeiführen kann, über diese
Gleichmäßigkeit der Wirkung nicht umsichtig genug aussprechen.
Zur Absonderung der brandigen Körper in dem Maaße, wie sie sich bilden und ehe noch
die sie erzeugenden Substanzen eine tiefergehende Veränderung erlitten haben, läßt
sich der luftleere Raum jedenfalls mit Vortheil benuzen.
Die Frage der Destillation bei hohem und niederm Druk wäre von großem technischem
Interesse, wenn constatirt würde, daß beim Destilliren von Gemischen der flüchtigere
Körper im luftleeren Raum sich vollständiger abscheidet als unter dem
atmosphärischen Druk.
Dieß scheint beim Weingeist und Wasser, wenn man bei den Gränzen des atmosphärischen
Druks stehen bleibt, nicht der Fall zu seyn, wie folgende Versuche zeigen:
I. 372 Gramme Weingeist von 25 Volumsprocenten oder Centesimalgraden bei 15°
C. Temperatur wurden unter einem Queksilberdruk von 0,76 Meter, welcher dem normalen
Druk der Atmosphäre entspricht, der Destillation unterworfen; sie waren nach 30 Minuten auf 279 Gramme
reducirt, welche nur mehr 7 Grade am Alkoholometer zeigten; die Temperatur war im
Maximum 95° C.
Dieselbe Quantität Weingeist von 25 Graden, unter einem Queksilberdruk von
10–12 Centimeter und bei einem Maximum der Temperatur von 58° C.
destillirt, hinterließ, nachdem das ursprüngliche Gewicht um 93 Gramme vermindert
war, eine Flüssigkeit, welche ebenfalls 7 Grade zeigte. Die Destillation hatte 55
Minuten lang gedauert.
II. 363,20 Gramme Weingeist von 50 Centesimalgraden bei 15° Temperatur,
verloren in einer Stunde unter einem Queksilberdruk von 76 Centimeter und bei
höchstens 90° Temperatur 98 Gr., worauf der Rükstand 35 Grade am
Alkoholometer zeigte.
Derselbe Weingeist von 50 Graden, unter einem Queksilberdruk von 10–12
Centimeter destillirt, lieferte, nach Abgang von 91,20 Grammen, einen Rükstand
welcher 36 Grade hatte. Die höchste Temperatur war 50° und die Dauer der
Operation eine Stunde.
III. 272 Gramme Weingeist von 80 Centesimalgraden, unter einem Queksilberdruk von 76
Centimeter der Destillation unterworfen, lieferten, nachdem 111 Gramme in Dampfform
entwichen waren, eine Flüssigkeit, welche noch eine Dichtigkeit von 74
Alkoholometergraden hatte. Die Operation wurde in 50 Minuten durchgeführt und das
Maximum der Temperatur war 82°.
Dieselbe Quantität Weingeist von 80 Graden zeigte, nachdem sie bei der Destillation
111 Gramme verloren hatte, nämlich bei einem Maximum der Temperatur von 48°
und einem Queksilberdruk von 10–12 Centimetern, ebenfalls 74
Alkoholometergrade. Die Operation hatte nur 35 Minuten gedauert.
Man sieht also, daß selbst bei verschiedener Dauer der Operationen (im ersten und
lezten Versuch), die Resultate hinsichtlich der Dichtigkeit der zurükbleibenden
Flüssigkeit unter schwachem wie unter dem gewöhnlichen Druk sich gleich bleiben.
Ist aus diesen wenigen Versuchen zu schließen, daß die Resultate bei der Destillation
aller Flüssigkeiten dieselben seyn müssen? Gewiß nicht; übrigens kommen bei der
Destillation der alkoholischen Flüssigleiten noch andere Fragen in Betracht, z.B.
wie sich die durch die Gährung erzeugten Oehle bei der Destillation im luftleeren
Raum verhalten; endlich ist in der Praxis auch die Schnelligkeit zu berüksichtigen,
mit welcher sich die Destillationen im luftleeren Raum ausführen lassen.
Die Technik findet ohne allen Zweifel im luftleeren Raum ein wirksames Mittel, um die
wesentlichen (flüchtigen) Oehle der Harze und Theere in sehr reinem Zustand zu
gewinnen.
Auch läßt sich die Verminderung des Luftdruks mit Vortheil zur Concentration der
Schwefelsäure benuzen.
Der höchste Aräometergrad, auf welchen man beim gewöhnlichen Druk die Schwefelsäure
in Bleikesseln zu concentriren vermag, ist 62 bis 63° Baumé. Meistens
bleibt man schon bei 60–61° stehen; gleichwohl werden die Bleikessel,
wenn man nur mit etwas Behutsamkeit zu Werke geht, nicht merklich angegriffen,
selbst wenn man die Concentration bis über 62° B. treibt.
Erhizt man die Schwefelsäure unter schwachem Druk, so gestattet ihr Siedepunkt die
Concentration in Bleikesseln zu beendigen.
Das Sieden der Säure von 66 Grad kann unter einem Queksilberdruk von 3–4
Centimeter bei 190–195° C. eintreten; bei 10 Centimeter Druk steigt
die Temperatur auf 215° C.
Obwohl die Temperatur, bei welcher das Blei von der Schwefelsäure angegriffen wird,
dem Siedepunkt dieser Säure im luftleeren Raum sehr nahe liegt, läßt sich die
Schwefelsäure dennoch bis auf 66 Grade Baumé in Bleikesseln concentriren,
ohne daß die Gefäße mehr angegriffen werden oder leichter schmelzen, als bei dem
jezigen Verfahren, wo man bei 62 Aräometergraden die Concentration schon einstellt.
Concentrirt man die Säure unter niederem Druk in gläsernen Ballons, welche
Bleiplatten enthalten auf 66° B., so geht die Operation leicht vor sich, ohne
daß das Blei bedeutend angegriffen wird.