Titel: | Baldwin und Vail's Locomotive für Lastzüge. |
Fundstelle: | Band 93, Jahrgang 1844, Nr. LXVII., S. 244 |
Download: | XML |
LXVII.
Baldwin und Vail's Locomotive fuͤr Lastzuͤge.
Gutachten einer Commission des Franklin Institute in
Philadelphiaüber die Vorzüge und Leistungsfähigkeit derselben.
Mit einer Abbildung auf Tab. IV.
Baldwin und Vail's Locomotive für Lastzüge.
Das Comité, welches zur Untersuchung dieser Maschine ernannt worden ist, fand
sich am 25. Januar 1842 auf der Columbia-Eisenbahn ein, fuhr mit der Maschine
bis zur Schuylkillbrüke und kehrte mit ihr bis zur Broadstraße in Philadelphia
zurük, wobei dieselbe einen Lasttrain von beiläufig 200 Tonnen Brutto zog; die Last erreichte bei
weitem nicht die Gränze der Locomotivleistung, doch waren gerade nicht mehr Wagen in
Bereitschaft gewesen.
Das Eigenthümliche dieser Maschine, Fig. 10, besteht darin,
daß die Adhäsion der vier Untergestellräder zugleich mit
jener der Haupttriebräder in Wirksamkeit gebracht wird, ohne daß hiebei dem
Untergestell (truck) diejenige Beweglichkeit genommen
würde, durch welche es im Stande ist, sich in die Krümmungen und Undulationen der
Bahn zu fügen. Die Erfahrung auf den amerikanischen Eisenbahnen hat gezeigt, daß
sechsräderige, mit einem beweglichen Untergestell versehene Locomotiven sich viel
gleichförmiger und sicherer als vierräderige bewegen, und da ein theilweiser Verlust
an Kraft, so wie noch mancher anderweitige Nachtheil von dem Ausgleiten oder
Schleifen der Triebräder (welches häufig, auch ohne vom Maschinenführer bemerkt zu
werden stattfindet) erfolgen muß, so ist es sehr wünschenswerth, die Adhäsion aller Räder zu gewinnen, wenn anders dabei die Vortheile
der Beweglichkeit des Gestells nicht verloren gehen.
Die Schwierigkeit, dieses zu erreichen, welche hauptsächlich in dem Umstand lag daß,
wenn die Maschine auf einer Curve steht, die Achsen der Trukräder nicht mit der
Achse der Triebräder parallel sind, wurde durch die HHrn. Baldwin und Vail auf folgende Weise beseitigt.
Ein paar Haupttriebräder von 44 Zoll Durchmesser sind, wie bei den gewöhnlichen
Maschinen dieser Fabrikanten hinter dem Heizkasten angebracht; die Achse ist gerade und die Kolbenstangen haben außenseitige
Verbindungen (outside connections). An denselben Zapfen
(der Räder) sind andere Verbindungsstangen, welche nach vorn gehend eine, unter dem
Vordertheil des Kessels und den Achsen der Trukräder befindliche Welle in Bewegung
sezen, welche Welle so angebracht ist, daß sie mit der Achse der Haupträder
fortwährend parallel, d. i. zur Achse des Kessels vertical bleibt. An der Mitte
dieser Welle sizt ein gezahntes Rad mit gehärteten (chilled) ein wenig abgerundeten Zähnen, welches zwei an den Achsen des
Gestells befestigte Zahnräder in Bewegung bringt. Die vier Trukräder sind 33 Zoll im
Durchmesser und das Zahngetrieb ist so proportionirt, daß sie sich mit gleicher
Geschwindigkeit wie die Triebräder bewegen. Die Dampfcylinder haben 13 Zoll
Durchmesser und 16 Zoll Hub. Das Gewicht der Maschine, wenn sie in gangbarem Stande
ist, beträgt 29,980 Pfd. und ist so vertheilt, daß 11,755 Pfd. auf den zwei
Berührungspunkten der Triebräder mit der Bahn, und 18,225 Pfd. auf den vier
Berührungspunkten des Untergestells ruhen. Als die Maschine in Gegenwart des
Comité auf der Columbia-Bahn versucht wurde, zog dieselbe den Wagenzug
ohne Anstand über Curven von 757 Fuß Halbmesser, indem die abgerundeten Stirnseiten der Zähne des
Vorgeleges den Achsen des Untergestells gestatten, sich den Krümmungen anzupassen.
Die Locomotive ging mit Leichtigkeit ohne Train durch eine mit 312 Fuß Halbmesser
beschriebene Curve von 90 Graden, und dann rükwärts durch eine Krümmung von 75 Fuß
Halbmesser.
Die Maschine ist zeither auf der Reading-Eisenbahn verwendet worden, und aus
einem Zeugniß des Superintendenten Hrn. Nicholls geht
hervor, daß sie am 12. Februar 1842 von Reading bis zur Columbia-Eisenbahn,
54 Meilen weit, einen Train von 117 beladenen Frachtwagen zog, wobei das Gewicht der
Wagen 215 Tonnen, der Ladung 375 Tonnen, die ganze Last also 590 Tonnen ausmachte.
Die Geschwindigkeit der eigentlichen Fahrt war 10 Meilen pro Stunde.
Die Meinung des Comité geht nun dahin, daß diese Locomotive in einem hohen
Grade die Vortheile des beweglichen Untergestells mit jenen der Anwendung der
Adhäsion aller Räder verbindet. Sie empfehlen dieselbe
der Aufmerksamkeit der Compagnien von Eisenbahnen, auf welchen Frachtgeschäfte
betrieben werden, und glauben, sie werden den verdienten hohen Ruf, dessen sich die
Fabrikanten erfreuen, noch mehr vermehren helfen.
Auf Befehl des Comité
(Unterz.) William Hamilton, Actuar.
Den 21. Februar 1842.
––––––––––
Folgendes ist das oben erwähnte Zeugniß über die Leistung der Baldwin'schen Locomotive auf der
Philadelphia-Reading-Pottsville-Eisenbahn, am 12. Februar
1842.
Diese Maschine hat sechs Räder mit außenseitiger Verbindung. Die großen Triebräder
sind hinter dem Heizkasten und mit den vier Trukrädern mittelst Zahnräder der Art
verbunden, daß die dem ganzen Gewicht der Locomotive zustehende Adhäsion in
Wirksamkeit tritt, und zwar mit nur geringer Vermehrung der Friction und ohne daß
die nöthige Beweglichkeit in den Curven verloren ginge. Ihr Gewicht (im gangbaren
Stande) ist 30,000 Pfd., und zwar auf den großen Triebrädern 11,775 Pfd. und auf den
Trukrädern 18,225 Pfd.; die Cylinder haben 13 Zoll Durchmesser, der Hub beträgt 16
Zoll.
Diese Maschine zog am obigen Datum einen Train von 117 beladenen Wagen, im Gewicht
von 590 Tonnen, von Reading bis zur geneigten Ebene der Columbia-Eisenbahn,
54 Meilen weit, in 5 Stunden 22 Minuten, also mit einer Mittlern Geschwindigkeit von
mehr als 10 Meilen per Stunde. Sie consumirte hiebei 2,6
Cords
(à 128 Kubikfuß) Holz und verdampfte 3110 Gallons
Wasser. Das Gewicht der Ladung war 375 Tonnen à
2240 Pfd., und bestand in 258 Tonnen Steinkohlen, 22 Tonnen Eisen und 94 Tonnen
anderer Güter mit Einschluß von 53 lebenden Schweinen, 16 Faß Whiskey, 188 Faß Mehl,
Butter etc. Das Gewicht der Wagen war 215 Tonnen; die ganze Last ohne Maschine und
Tender 590 Tonnen à 2240 Pfd. Die Länge des
Trains macht 1402 Fuß oder 82 Fuß über 1/4 Meile aus.
Dieser Train wurde bei dem gewöhnlichen Frachtgeschäfte befördert, ohne eine
besondere Vorbereitung der Maschine, der Wagen und des Brennmaterials. Die
Locomotive wurde, so oft sie sich in Bewegung sezte, genau beobachtet und man konnte
nicht das geringste Schleifen der Räder bemerken. Sie arbeitete vortrefflich während
der ganzen Fahrt und bewegte sich mit Leichtigkeit und ohne merkbare Vermehrung der
Friction in den Zahngetrieben, durch Curven von 819 Fuß Halbmesser. Ihre
Geschwindigkeit in den horizontalen Streken war 9 Meilen per Stunde. Die ganze Länge horizontaler Bahn ist 28 Meilen, die längste
fortlaufende horizontale Ebene 8,1 Meilen; das ganze Gefälle vom Abfahrts-
bis zum Anhaltspunkt des Trains 210 Fuß.
Obiger Train ist bis jezt noch unerreicht an Länge und Gewicht sowohl in Europa als
in Amerika.
(Unterz.) G. A. Nicholls,
Superintendent der Philadelphia-Reading etc. Eisenbahn.
(Wiener allg. Bauzeitg. von Förster, Jahrg. 1842, 10. u. 11. Heft S. 364.)