Titel: | Ueber den Entbindungsmoment des Wasserdampfs und der elastischen Flüssigkeiten überhaupt. |
Fundstelle: | Band 93, Jahrgang 1844, Nr. XCIV., S. 370 |
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XCIV.
Ueber den Entbindungsmoment des Wasserdampfs und
der elastischen Fluͤssigkeiten uͤberhaupt.
Ueber den Entbindungsmoment des Wasserdampfs.
Was ist die Ursache daß, wenn man einen Theekessel mit
kochendem Wasser vom Feuer abhebt, der Boden desselben nur mäßig warm gefunden
wird? Man hat eine Erklärung dieser Erscheinung (indem man Dampf für Dunst
nahm) in der Erfahrung des Gefühls von Kälte finden wollen, welche man empfindet,
wenn Weingeist auf die Haut gegossen wird, in welchem Fall der Flüssigkeit zuerst
Wärme mitgetheilt werde und dann eine Veränderung in dem Zustand der Flüssigkeit
erfolge.
Diese Erklärung wird von Woodhouse im Edinburgh new philosophical Journal, Maiheft 1844 für
mangelhaft und nicht ausreichend erachtet, und er sucht in Folgendem nachzuweisen,
warum sie Mängel habe und wie diese zu ergänzen seyen.
Wenn der Kessel kocht, kann es nur bei einer Temperatur des Wassers von 80° R.
geschehen, das Feuer ist viel heißer und dennoch empfindet die den Kesselboden
berührende Hand nur eine gelinde Wärme, welche inzwischen bald bis zur
Unerträglichkeit zunimmt, d.h. bis zur Temperatur der innen befindlichen
Flüssigkeit.
Gestehen wir nun zu daß, wenn die Hize des Kesselbodens größer als 80° R. ist,
das Wasser bei seiner Verwandlung in Dampf eine Veränderung erleide und somit die
Wärme der Kesselflüssigkeit theilweise latent werde; angenommen demnach, daß der
Kesselboden keine höhere als 80° R. fühlbare Wärme
anzuzeigen vermöge, so ist es nicht einzusehen, warum der Boden eine Wärme geringer als 80° fühlbar haben müsse; denn das
Wasser hat 80° R. Wärme, der Dampf unter gewöhnlichem Druk kann ebenfalls zu
80° angenommen werden, das unten brennende Feuer aber hat eine viel höhere
Temperatur.
Betrachten wir nun einmal, wie die Sache in Wirklichkeit sich verhält.
Man denke sich einen Punkt w, in einem beliebigen Abstand
von diesem Punkt einen ihn concentrisch umgebenden Kreis v, um diesen einen zweiten Kreis v'.
w stellt ein Wassertheilchen vor. Eine Kugel, deren
Halbmesser wv ist, versinnlicht den Raum, den der
aus jenem Wassertheilchen durch die Einwirkung der Wärme entwikelte Dampf einnimmt.
Dieser Dampf wird eine Temperatur von 80° R. besizen; doch unserem Zwek der
Erklärung eingangs erwähnten Problems zu genügen, nehmen wir an, daß die Wärme des Dampfs wirklich
unter 80° sey, und um diese Annahme festzustellen, entwikeln wir folgende
Theorie:
Wir nehmen an daß, wenn ein Wassertheilchen aus dem tropfbar flüssigen in den
gasförmigen Zustand übergeht, eine plözliche Ausdehnung oder so zu sagen Zerplazung
stattfindet. Nimmt der Dampf in dem Augenblik seiner Entwiklung und unter
atmosphärischem Druk einen Raum gleich wv ein, so
wird er in Folge seiner Elasticität und des Moments seiner Partikeln einen Raum
ausfüllen, welcher größer als wv, z.B. gleich
einer Kugel ist, deren Halbmesser = wv'.
Nun wird, zufolge der Lehre von der latenten Wärme bei Verwandlung des Wassers in
Dampf, derselbe unter atmosphärischem Druk einen mit der Anzahl der Calorien
wechselnden Raum einnehmen. Nach derselben Lehre wird dieselbe Dampfmenge, welche
unter gleichem Druk den größern Raum wv' ausfüllen
soll, eine größere Anzahl von Calorien erfordern, und gesezt nun, die Raumausfüllung
von wv auf wv'
geschehe in mechanischer Wirkung durch die Elasticität des Dampfs, so wird dieser
Wärme bedürftig, die Wärme allen Stoffen entziehen, mit welchen er in Berührung
ist.
Diese Theorie erklärt unserer Ueberzeugung nach alle Erscheinungen. Ein Theil Wasser
wird an der innern Seite des Kesselbodens in Dampf verwandelt, der in ruhigem
Zustande und unter atmosphärischem Druk den Raum wv einnimmt; inzwischen durch die Elasticität oder das Moment seiner
Partikeln wird er bei seiner Entwiklung auch augenbliklich den Raum wv' einnehmen, kälter als 80° R. werden und
Hize vom Kesselboden aufnehmen, dessen Temperatur er dadurch unter 80°
erniedrigt, nachdem das Feuer, wenn man den Kessel abgehoben hat, nicht mehr neue
Wärme zuführen kann; diese Wärme-Erniedrigung kann nur eintreten, wenn das
Wasser kocht. Sobald es zu kochen aufhört, wird es schnell seine Wärme an den
Kesselboden zurükgeben und dieser heiß werden. Solchergestalt stimmt die Erscheinung
mit der Folgerung aus der Theorie zusammen.
Durch Versuche können wir es freilich nicht beweisen daß, wenn Gas aus dem
Gebundenseyn im Flüssigen oder Festen gelöst wird, in dem Augenblik seiner Befreiung
es mehr Raum einnimmt als es eigentlich sollte nach den anerkannten Gesezen über
latente Wärme; doch stellen wir nachstehende Erwägung auf, welche unsere Annahme
höchst wahrscheinlich macht.
Wenn ein aufrecht befestigtes Sägeblatt oder Lineal rechts herumgebogen und gleich
darauf wieder losgelassen wird, wird es nicht nur in seine ursprüngliche Stellung zurük-,
sondern links hinüber schnellen und eine Zeitlang rechts und links vibriren. Sollte
nun nicht das durch den Finger herabgedrükte federnde Sägeblatt etwas Analoges mit
einem Gas haben, welches in einem Flüssigen oder Festen gebunden ist, und geht man
zu weit, eine ähnliche Erscheinung, wie das Hinüberschlagen des Sägeblatts zur
Linken, bei dem Gas anzunehmen, wenn es durch irgend eine Einwirkung frei gemacht
oder entbunden wird?
Noch bleibt uns eine Bemerkung zu machen übrig, welche in innigem Zusammenhang mit
der vorhergehenden Aufstellung steht und diese bestätigt.
Es ist häufig bewahrheitet worden, daß ein Metallgefäß mit kochendem Wasser in dem
Augenblik, wo es vom Feuer abgehoben wird, heftiger aufwallt. Der Grund dieser
Erscheinung mag folgender seyn. Wenn die kalte Luft mit der äußern Seite der Wände
des Gefäßes in Berührung kommt, ziehen sich diese durch die Entziehung von Wärme
zusammen, wodurch die Kesselwände inwendig mechanisch
zusammengezogen werden und so die Wärme frei werden kann. – Diese Erklärung
erläutert beinahe das Umgekehrte der früheren in Bezug auf Dampfentwiklung.
Hier entsteht zuerst eine chemische Ausdehnung, welcher eine mechanische folgt. Dort
bei dem Metall zeigt sich zuerst eine chemische Zusammenziehung und gleich darauf
eine mechanische, durch welche die Wärme frei wird. (Allgem. Ztg. f.
Nat.-Industr. Nr. 59. 1844. S. 329.)