Titel: | Die neue (russische) Zukerrübe. |
Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. XXXIX., S. 142 |
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XXXIX.
Die neue (russische)
Zukerruͤbe.
Die neue Zukerrübe.
Wien, den 21. Jan. 1845. – Ueber den Anbau und die
Verarbeitung der neuen Rübe (nicht Runkel)Man vergl. über dieselbe polytechnisches Journal Bd. XCI S. 158. A. d. R. im Laufe des verflossenen Jahrs sind die Erfahrungen der Fabrikanten und
ihre Urtheile theilweise bekannt geworden. Sie sind sehr verschieden ausgefallen;
einige loben sie außerordentlich und finden sie der Runkel in jedem Betracht bei
weitem vorzuziehen; andere wollen keine besonderen Vortheile bei ihrer Verarbeitung
finden; noch andere endlich finden sie schlecht und verwerflich. Die Wahrheit muß
demnach nicht so ganz auf der Oberfläche liegen und bedarf einiger Prüfung, wie
alles Neue. In der vorjährigen Mittheilung hierüber ist angegeben worden, daß der
Saft der neuen Rübe, auf demselben Aker und unter gleichen Umständen mit der Runkel
gebaut, im specifischen Gewicht mit lezterer ungefähr gleich stehe, bald etwas mehr,
bald etwas weniger am Aräometer zeige; diese Beobachtung hat sich auch im lezten
Jahr im Allgemeinen bestätigt. Es ist weiter gesagt worden, daß die neue Rübe eine
rothe und eine weiße Abart habe, und daß noch nicht ausgemittelt sey, ob einer und
welcher von beiden ein Vorzug zukomme. Bei der dießjährigen Vergleichung hat sich
herausgestellt, daß die weiße, welche eine gelbliche Haut besizt, die bessere ist
und etwas mehr Süßigkeit besizt. Der Saft der rothen wog am
Procenten-Aräometer 5 Grade, der der gelblichweißen 5 1/2 Grad, ein
Unterschied, der in der Fabrication nicht ohne Belang ist. Die Runkeln, die mitten
unter jenen gezogen wurden, zeigten gleichzeitig 5 1/4 und 5 1/2 Grad. Soweit also
die Zukerwaage Auskunft gibt, so ist die rothe neue Rübe geringer als die Runkel,
die weiße aber ihr gleich und scheint sie noch zu übertreffen. Das Jahr 1844 war
indessen hier seines nassen Charakters wegen der Süßigkeit aller Feldfrüchte kein
sehr günstiges und sämmtliche Rübenarten ergaben am Aräometer einen um einen vollen
Grad niederem Stand, als in den Jahren 1842 und 1840, auf welche sich die
vorjährigen öffentlichen Bekanntmachungen bezogen und aus denen die dazu verwendeten
Erfahrungen herkamen. Mittlerweile ist von Hrn. R. Hermann aus Moskau eine Mittheilung erschienenPolytechnisches Journal Bd. XCIV S.
365., welcher jene Angaben als „Wahrheit und Irrthum“
bezeichnet und versichert, daß er die neue gelbweiße Rübe um 2 Procent weniger
zukerhaltig gefunden habe als die Runkel, daß die neue Rübe aus Weißrußland stamme
und daselbst nicht zum Zuker, sondern zum Viehfutter gebraucht werde. In diesen
Angaben des Hrn. Hermann liegt jedenfalls auch Wahrheit
und Irrthum. Ohne die Genauigkeit der angegebenen Thatsachen eines so wohl
unterrichteten Schriftstellers in Zweifel ziehen zu wollen, kann man doch die Luke
nicht übersehen, die darin liegt, daß Hr. Hermann nicht
angibt, ob beide Rübenarten auf demselben Aker, und zunächst neben und unter
einander gezogen worden sind oder nicht. Hierauf kömmt aber bei einer Vergleichung,
die entscheidend werden soll, alles an. Denn in Böden von verschiedenem Grundgehalt,
von verschiedener Sonnenlage, Windlage, von verschiedenem Feuchtigkeitszustand, ja
in Wechselstellen, wo eine Gabel voll Mist mehr oder weniger, oder Mist von
verschiedener Herkunft wirksam war, wird man alsogleich, wie jeder Landwirth und
jeder aufmerksame Zukerfabrikant weiß, im Zukergehalt der Rüben vom nämlichen
Jahrgang Differenzen von ein paar Procenten finden. Hat er also seinen Samen nicht
mitten unter die Runkeln hineingesäet und den Saft alsdann mit den zunächst unter
ihnen gewachsenen Runkeln verglichen, so kann sein Ergebniß keinen sichern Maaßstab
zur Beurtheilung des relativen Zukergehalts abgeben. Daß jene Vorsicht bei seinen
Untersuchungen nicht beobachtet wurde, geht mit aller Wahrscheinlichkeit sowohl
daraus hervor, daß er ihrer nicht Erwähnung thut, als auch aus dem Ergebniß
überhaupt, sofern es mit den aräometrischen Wägungen, welche dieses Jahr in Wien
gemacht wurden, und nach welchen der Saft der weißgelben Rübe und der Runkel in
specifischem Gewicht einander vollkommen gleichstehen, nicht übereinstimmt. Das
Eigengewicht des Safts ist zwar kein absolutes Maaß für den Zukergehalt
verschiedener Rüben, indem auch Salpeter oder andere lösliche Salze darauf Einfluß
nehmen können; allein bei Rüben, die vermengt unter einander auf einem und demselben
Aker wuchsen, wie es hier geschah, ist das Aräometer doch der allgemeinen und langen
Erfahrung nach ein ziemlich zuverlässiges Instrument. Weiters ist die Prüfung des
Zukergehalts eines Safts durch Berechnung nach der bei der Gährung entwikelten
Kohlensäuremenge zwar chemisch genau für den freien Zuker, auch praktisch zureichend
für Rüben, die genau und unter gleichen Umständen neben einander wuchsen; dagegen
zweifelhaft für den nicht freien und an andere Substanzen gebundenen Zukerantheil
und jedenfalls unzureichend für Gewächse aus verschiedenen Böden und Lagen. Wir sind
aber bekanntlich noch sehr wenig unterrichtet über die Zustände und Verbindungen, in
welchen der Zuker im Zellgewebe der Rübe sich befindet. Endlich sagt Hr. Hermann, von dem wir nun erfahren, daß die neue Rübe russischer Herkunft
ist, sie werde dort nicht zur Zukererzeugung verwendet, dieß sey ein Irrthum,
sondern zum Viehfutter. An diese Bemerkung erlaube ich mir die Gegenbemerkung zu
sezen, daß alle Rüben ohne Ausnahme, und auch die Runkel, Jahrtausende lang
lediglich zum Viehfutter verwendet worden sind, ehe irgend ein Mensch an
Zukerfabrication dachte. Es gibt keine Rübe in der Welt, die der Landwirth nicht
ursprünglich bloß des Viehfutters wegen gezogen hätte, und am heutigen Tage werden
in ganz Europa gewiß noch weit mehr Runkeln zum Viehfutter gebaut und verbraucht,
als zur Zukerfabrication, indem in ganzen Landstrichen die Runkel als ein
vortreffliches Futter fürs Melkvieh beliebt ist. Wenn also die Bauern in Weißrußland
die fragliche neue Rübenart für ihr Vieh bauen, so thun sie es ohne Zweifel aus dem
nämlichen Grunde, aus welchem die unsrigen die Runkel bauen, aus dem nämlich, daß
sie ihre Süßigkeit und deren gute Wirkung auf den Milchertrag ihrer Kühe
herausgefunden haben, und dieß kann ihr höchstens zu einer Empfehlung mehr
gereichen, nicht aber zur Aufhellung eines Irrthums über ihre Bedeutung; denn es ist
von hier aus nirgends gesagt worden, daß die Rübe zur russischen Zukerfabrication
diene. Diese Verwendung erhielt sie zuerst in Ungarn, und ein sehr erfahrener
Zukerfabrikant von dort versichert, daß er keine Runkel mehr anbaue, seit er diese
neue, also russische Rübe besize. Daß die rothe Varietät ausgemerzt werden und der
gelblichweißen, als der süßeren, Plaz machen müsse, darin stimmen die dießjährigen
Wiener Versuche mit denen des Hrn. Hermann überein. Die
Frage dreht sich also um den Punkt, ob die gelblichweiße russische Rübe an
Zukergehalt der Runkel erheblich nachstehe, oder ob sie ihr darin durchschnittlich
gleichkomme. Darüber sind die Meinungen allgemein getheilt und werden es auch
wahrscheinlich so lange bleiben, bis eine mehrjährige Erfahrung unter verschiedenen
Witterungsverläufen darüber und zwar über ausschließlich gelblichweiße Rüben wird
haben entscheiden können. Das Jahr 1844 war in vielen Gegenden der Zukerbildung
durch Nässe und Kühle nachtheilig, und die ungemein günstigen Erfahrungen von den
Jahren 1840 und 1842, die man in Wien machte, stammen aus trokenen Sommern, nach
deren Ergebniß auch der ausgezeichnete, in Oesterreich unersezte Landwirth, der
verstorbene Burger, seine Vorträge darüber bei der
Brünner landwirtschaftlichen Versammlung motivirte. Der dießjährige nasse Sommer hat
nicht allein ein weniger süßes Product erzeugt, sondern man hat auch bemerkt, daß er
die unter der Rübe befindlichen Wurzelzasern in eine Art von kleinem, fleischigem
Schwanze verdikt hat,
wovon in den trokenen Jahren nichts zu sehen war. Im übrigen stehen die weitern
schäzenswerthen Eigenschaften dieser Rübe fest: ihr Wuchs auf der Oberfläche des
Bodens, ohne in die Tiefe sich einzubohren, wie die Runkel; ihre tellerförmige
Ausbreitung darauf; der Schuz, den sie der unter ihrer Unterfläche befindlichen
Feuchtigkeit der Erde durch ihre Gestalt verleiht; die Anheftung kurzer Wurzelzasern
zu unterst unter ihrer Bodenfläche, womit sie einerseits Schuz gegen Trokenheit sich
verschafft, andererseits nicht tiefer, als beiläufig einen halben Fuß in den Boden
eindringt, folglich die gewöhnliche Akerkrume nicht überschreitet und somit ungleich
weniger Vorarbeit zum Anbau fordert; die etwas kürzere Wachsthumszeit, die
geringere, schmälere Belaubung, die einen etwas dichtern Anbau zuläßt; die ungemeine
Leichtigkeit und Sicherheit der Ernte, bei der man sie nur mit den Händen vom Boden
wegzulesen braucht, wo die Runkel mit ihrer tiefen Einwurzelung viele Schwierigkeit,
Arbeit, Zeitverlust und Materialverlust durch abgebrochene Stüke verursacht; der
Mangel eines zukerleeren Kopfes, wie er der Runkel anhaftet, die leichtere
Zerreiblichkeit auf der Maschine; die im Verhältniß zum Reibsel erheblich größere
Saftmenge; die größere Reinheit des Safts an sich und damit verbundene größere
Leichtigkeit, blondere Rohzuker auf den ersten Wurf zu erlangen u.a.m. Auch zum
Versezen und sofort zur Verwendung nach der vortrefflichen Weise des Hrn. Köchlin eignet sich die russische Rübe ungleich besser,
als die Runkel. Der Grund hievon liegt in dem Knollen, den die junge Pflanze sehr
bald, schon im Frühbeet, unterhalb des Krauts bildet, und der als Saftbehälter das
Leben der Pflanze ungemein lange fristet, wenn nach dem Versezen trokene Witterung
eintritt. Es sind hier junge Pflanzen versezt worden, die 18 bis 20 Tage ohne Regen
dem Sonnenscheine Preis gegeben blieben und längst verdorrt und verloren geglaubt
wurden; gleichwohl kamen sie nach Eintritt so späten Regens auf und wurden gut und
groß. Dieß hätte nie ein Runkelsezling ausgehalten. Wo man also fleißig und
aufmerksam genug seyn will, sich der großen Vortheile der Köchlin'schen Verpflanzungsmethode theilhaftig zu machen, oder wo man
überhaupt der Methode des Versezens den Vorzug gibt, da wird man mit ungleich
größerer Sicherheit der russischen Rübe als der Runkel sich bedienen. Das
Hohenheimer Wochenblatt hat sehr treffend gesagt, daß die Frage der deutschen
Zukerfabrication sich in eine Frage des Rübenbaues umgestaltet habe, und alles was
diesem unter die Arme greifen kann, ist daher von der wesentlichsten Wichtigkeit für
diesen national-ökonomischen Gegenstand. Die Runkel mit allen ihren
Schwierigkeiten und Gefahren ist es entschieden nicht, die uns hierüber zufrieden stellen und
beruhigen kann; es muß also unter den Rüben des ganzen Erdballs herumgesucht und
jene erspäht werden, welche die meisten Vortheile der Cultur und der Süßigkeit in
sich vereinigt. Die russische Rübe geht der Runkel offenbar in vielen guten
Eigenschaften voran, ihre Anzucht ist leichter und sicherer, und ihre Baukosten sind
entschieden bedeutend geringer; es gibt aber im weiten Raum von Asien und andern
Ländern noch viele Duzende, vielleicht Hunderte von süßen Rübenvarietäten, die alle
noch nicht auf Zukerbau untersucht worden sind, und es ist unbegreiflich, warum die
Zukerfabrikanten von dieser Seite nicht thätiger sich umsehen, und so steif auf eine
Pflanze sich beschränken, die aus der ersten Wiege ihres Gewerbes herstammt.