Titel: | Vorschlag zur Construction von Locomotiven nach einem neuen System; von Paltrineri. |
Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. XLVI., S. 168 |
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XLVI.
Vorschlag zur Construction von Locomotiven nach
einem neuen System; von Paltrineri.
Aus den Comptes rendus, Nov. 1844, No.
20.
Paltrineri's Locomotive.
Von jeher hatte mich der Gedanke beschäftigt, daß sich große dynamische Vortheile
ergeben würden, wenn man durch die Kraft des Dampfes unmittelbar eine continuirliche
Kreisbewegung erhalten könnte, und daß eine rotirende Dampfmaschine, welche bei
großer Einfachheit sehr wenig Reibung darböte, die lebendige Kraft des Fluidums zum
größten Theile in sich aufbewahrte und nüzlich verwendete, eine wahre Wohlthat für
die Industrie wäre. Der Gedanke, daß man sich durch gleichzeitige Benüzung der
Wirkung und Rükwirkung diesem Resultate nähern könne, führte mich auf einen
Mechanismus, welcher einfach aus zwei oder mehreren concentrischen und von einander
unabhängigen Rädern besteht, so daß diese frei und im entgegengesezten Sinne sich
drehen können. Der Dampf tritt durch die Achse des innern Rades, und da er in
continuirlichen oder intermittirenden Strahlen durch kleine Oeffnungen, die in der
Richtung der Tangente an dem äußeren Umfange angebracht sind, heraustritt, so
nöthigt er dieses Rad im Sinne der Reaction zu rotiren. Zugleich nöthigt die directe
Einwirkung der Dampfstrahlen auf die krummen Schaufeln, womit der Kranz des äußeren
Rades versehen ist, auch dieses, eine Bewegung in einem dem inneren Rade
entgegengesezten Sinne anzunehmen. Beide Räder rotiren demnach in Folge der
vereinigten Action und Reaction in entgegengeseztem Sinne, und der Dampf, welcher
dieses bewirkt, entweicht am Umfange des zweiten Rades, und zwar wegen der Krümmung
der Schaufeln in der Richtung der Tangente. Dieser Dampf hat bei seinem Austritte
immer noch eine Kraft, welche man durch ein drittes Rad nuzbar verwenden kann; die krummen Schaufeln
dieses leztern müßten zu denen des zweiten Rades eine entgegengesezte Stellung
haben, so daß dasselbe wieder in entgegengesezter Richtung zu rotiren genöthigt
wäre.
Es scheint, daß durch diese mechanische Anordnung die Expansivkraft des Dampfes ohne
großen Verlust an lebendiger Kraft verwendet werden kann. Die dynamischen Effecte,
obgleich sie in entgegengesezter Richtung stattfinden, lassen sich doch durch ein
sehr einfaches und leichtes Mittel zu einem und demselben Zwek vereinigen und
summiren, nämlich mit Hülfe des Eingriffes zweier Räder in ein gemeinschaftliches
Getriebe, dessen Achse die Hauptwelle der Maschine bildet. Mein Modell, das ich
versuchsweise an einer kleinen Locomotive anbrachte, ist vor der Hand nur der
materielle Ausdruk des Princips und stellt einstweilen nur die erste rohe
mechanische Anwendung meiner Idee dar. Eine Menge Verbesserungen und
Vervollkommnungen haben mir sogleich vorgeschwebt; vor Allem müssen die am Modelle
willkürlich gewählten Dimensionen und Formen auf die durch die Theorie und Erfahrung
vorgeschriebenen geeignetsten Verhältnisse reducirt werden.
Das Modell, womit ich Versuche anstellte, lieferte folgende Resultate. Beide Räder,
abgesondert untersucht, gaben einen beinahe gleichen dynamischen Effect. Der erste
Versuch wurde angestellt, indem man dasjenige der beiden Räder, welches bei der
Probe nicht in Betracht kam, frei laufen ließ; hieraus ergab sich die Folgerung, daß
der Werth der Wirkung demjenigen der Rükwirkung gleich kam. Nun wurden wieder die
Leistungen beider Räder abgesondert untersucht, indem man das eine feststellte; das
Resultat war dasselbe wie bei dem vorhergehenden Versuch, woraus hervorging, daß der
dynamische Effect des einen Rades von dem des andern ganz unabhängig ist. Als man
jedoch beide Räder mit dem gemeinschaftlichen Getriebe in Eingriff brachte, wobei
man ein dynamisches Resultat höchstens gleich der Summe der gemessenen Einzeleffecte
der Räder hätte erwarten sollen, hatte ich das Vergnügen einen weit größern Effect
wahrzunehmen, einen Effect, welcher öfters beinahe das Doppelte jener Summe (?)
erreichte.