Titel: | Untersuchung der Ursachen, welche die bei Reading in Pennsylvanien am 2. Septbr. 1844 erfolgte Explosion der Locomotive „Richmond“ veranlaßten; auf Verlangen der HHrn. Gebrüder Norris (Locomotiven-Fabrikanten zu Philadelphia), angestellt von Dr. Dion. Lardner. |
Fundstelle: | Band 95, Jahrgang 1845, Nr. LXVI., S. 249 |
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LXVI.
Untersuchung der Ursachen, welche die bei Reading
in Pennsylvanien am 2. Septbr. 1844 erfolgte Explosion der Locomotive
„Richmond“ veranlaßten; auf Verlangen der HHrn.
Gebruͤder Norris
(Locomotiven-Fabrikanten zu Philadelphia), angestellt von
Dr. Dion.
Lardner.
Aus dem Mechanics' Magazine. Decbr. 1844, No.
1114.
Lardner's Untersuchung über die Explosion der Locom.
Richmond.
(Explosionen von Locomotiv-Maschinen sind seltene Ereignisse und die bisher
vorgekommenen haben so wenig Schaden angerichtet, daß sie kaum einen Eindruk auf die
öffentliche Meinung zurükließen. Der in Rede stehende Unglüksfall ist unbezweifelt
der größte, welchen man kennt. Die Freunde der Eisenbahnen werden jedoch aus
vorliegender Untersuchung ersehen, daß bei diesem Unfall kein Umstand obwaltete,
welcher unser Vertrauen in die Vorzüglichkeit derselben hinsichtlich der Sicherheit
vor jedem andern Fortschaffungsmittel im Geringsten schwächen könnte.)
Von den Gebrüdern Norris ersucht, über die Zerstörung der
Locomotive Richmond Untersuchungen anzustellen, bei
welchem Unfall vier
Menschenleben und ungefähr 10,000 Dollars Eigenthum verloren gingen, und die
Ursachen dieser Katastrophe wo möglich zu ermitteln, begab ich mich am 20. Septbr.
nach Philadelphia und am 21sten nach Reading, um die Stelle in Augenschein zu
nehmen, wo das Ereigniß stattfand und die nöthigen Erkundigungen darüber
einzuziehen.
Die Maschine Richmond wurde nach Contract für die
Reading-Eisenbahn-Gesellschaft gebaut und am 14. August von den HHrn.
Norris auf die Bahn
gebracht. In Form, Construction und Material war sie von gewöhnlicher Art und in
allen wesentlichen Theilen den übrigen Maschinen derselben Bahn ähnlich. Doch war
sie mit zwei Sicherheitsventilen versehen, wovon jedes 2 Zoll im Durchmesser hatte;
das eine war wie gewöhnlich auf dem Dekel des Feuerkastens, dem Maschinenführer
gerade gegenüber, das andere am cylindrischen Theil des Kessels, dem Feuerkasten
gegenüber angebracht und konnte von dem Maschinenführer, wenn er auf seinem
gewöhnlichen Plaze stand, nicht erreicht werden.
Es war zwischen den HHrn. Norris und der Gesellschaft die Uebereinkunft getroffen, daß man die
Maschine sechzig Tage lang unter der Aufsicht eines von den HHrn. Norris bestellten Maschinenführers
auf der Bahn laufen lasse, wonach sie dem Gesellschafts-Ingenieur überlassen
werden sollte; um jedoch leztern auf ihre gehörige Behandlung besser vorzubereiten,
ward angeordnet, daß der Maschinenführer der Gesellschaft, Joseph Ward, unter dessen Aufsicht die Maschine zulezt kommen
mußte, in der Fabrik der HHrn. Norris beim Zusammensezen dieser Locomotive behülflich seyn und den
Maschinenführer der HHrn. Norris begleiten solle, während lezterer sie sechzig Tage lang
dirigirte. Als die Maschine auf die Bahn gebracht wurde, am 14. August, begleitete
Joseph Ward den Maschinenführer der HHrn. Norris; aber nach der zweiten Fahrt
fand man sich durch ihren Gang so befriedigt, daß der Dienst des Ingenieurs der
HHrn. Norris nicht mehr für
nöthig erachtet und die Maschine, ohne weitere Versuche, dem Joseph Ward übergeben
wurde, welcher sie von dieser Zeit an führte, bis zu der Katastrophe, durch welche
sie zertrümmert wurde.
Bis Samstag den 31. August incl. war die Maschine
zwischen Pottsville und dem Richmonder Magazin gefahren. Montag den 2. Septbr. fuhr
die Maschine von dem Kohlenmagazin der Gesellschaft zu Richmond um 11 Uhr Vormittags
mit einem Train von 88 Waggons ab unter der Leitung des Hrn. Jeseph Ward, in Begleitung von Franklin Tye und Peter Mahon als
Heizer, James M'Cabe als Conducteur und Matthew Smith und Patrick Nugent
als Bremser (brakesmen). Zu Norristown, 16 Meilen von Philadelphia,
wurden noch zwei weitere Bremser, Thomas Cowden und John
Webster Powell, aufgenommen. Der Zug kam um 7 1/4 Uhr
Abends zu Reading an. Hier wurde er bis 10 Minuten nach 8 Uhr angehalten, worauf er
nach Pottsville fuhr; ehe er aber diese Stadt verließ, wurde er wieder an-
und etwa 1/4 Stunde aufgehalten und verließ endlich den Querweg der Hauptstraße
Reading genau 25 Minuten nach 8 Uhr.
Zur Zeit des Sonnenuntergangs hatte ein starker Gewittersturm begonnen und mit
ungewöhnlicher Heftigkeit bis spät in die Nacht fortgewüthet. Die Blize waren
zahlreich und lebhaft, sogenannte Zikzakblize; die Donnerschläge stark und folgten
dem Bliz unmittelbar. Die Gefahr wurde für so groß gehalten, daß an das Klima
gewohnte Individuen sich nicht hinauswagten. Mitten in diesem Gewitter ging der Zug
von Reading ab. Bei der Ankunft an einer Stelle der Bahn auf einem niedern Damm,
zwei Meilen von Reading, wurde von der Spize des Zuges her eine furchtbare Explosion
vernommen. Die Wägen wurden Plözlich angehalten und die Bremser fanden, als sie sich
zur Maschine hin begaben, die arbeitenden Theile derselben in Stüken auf der Bahn
und dem Abhang des Damms zerstreut; der Tender war über die Räder und auf das
zerbrochene Gestell der Locomotive geschleudert und der Kessel sammt allem, was dazu
gehört, völlig verschwunden. Die Körper der Heizer Franklin Tye und Peter Mahon wurden, durch Brüche an
Kopf und Leib getödtet, unter den Waggons gefunden, so wie nach weiterm Suchen der
entseelte Körper des Ingenieurs in einem angränzenden Felde, ungefähr 29 Yards
rechts von der Stelle des Tenders, mit gespaltener Stirne und zertrümmerten Beinen
gefunden wurde. Der Körper des Conducteurs Cabe wurde
ebenfalls leblos 330 Fuß über den Tender hinaus auf dem Damm gefunden und der Kessel
mit dem Feuerkasten, dem Rauchkasten, dem Kamin und den beiden Cylindern und Kolben
wurden auf einem Feld links von der Bahn, 250 Fuß von der Stelle entfernt, wo die
Räder und das Gestell der Locomotive lagen, vorgefunden. An einer Stelle im Felde,
etwa 30 Fuß näher zur Maschine, war eine tiefe Höhlung zurükgeblieben von dem dort
aufgefallenen Ende des Kessels hervorgebracht, welcher von da auf die Stelle weiter
geschleudert wurde, wo man ihn vorfand. Die so auf 250 Fuß von der Stelle, wo die
Explosion statt fand, fortgeschleuderte Masse wog ungefähr 10 Tonnen.
Der Dampfdom und der Rauchkasten waren unbeschädigt. Die trichterförmige Röhre des
Dampfdoms lag neben und zum Theil unter dem Kessel. Das runde Ende des Rauchkastens
nächst dem Standplaz des
Maschinenführers war flach- und ganz eingedrükt und der Feuerkastenplatte
nahegebracht; das Kronenstük oder der Dekel des Feuerkastens war von den
Seitenwänden desselben abgerissen; der Riß befand sich in der Regel über dem Rand,
an einigen Stellen aber auf dem Rand selbst, wo er die aufrechten Wände des
Feuerkastens verbindet. Das Kronenstük wurde in dem Feuerkasten zwischen dem
eingeschlagenen Theil und der Röhrenplatte eingezwängt gesunden. Die Roststangen und
der Aschenkasten waren mit solcher Gewalt auf die Bahn niedergeschleudert, daß
lezterer von der hölzernen Querschwelle, worauf er fiel, einen sehr deutlichen
Eindruk annahm. Die Form des Kronenstüks ist etwas concav auf der obern Fläche und
durch eine Reihe starker gußeiserner Stäbe, welche an die obere Fläche genietet
sind, befestigt, damit es dem Dampfdruk desto besser widerstehen kann. Nach der
Katastrophe aber war es an drei seiner vier Seiten oben, an der vierten aber unten
concav, und der Rand bedeutend abwärts gebogen. In dem den Feuerkasten umgebenden
Dampfgehäuse fanden sich drei Löcher von 3 Zoll Durchmesser, deren Ränder einwärts,
d.h. gegen den Dampf gebogen waren.
Die arbeitenden Theile des Kessels, die Dampfcylinder und Kolben ausgenommen, welche
mit ihm verbunden blieben, waren in eine außerordentliche Anzahl kleiner Stüke
zerbrochen. Die Schubstangen und andere Theile von einiger Länge waren höchst
unregelmäßig und wunderlich verdreht und nach jeder Richtung von der Stelle aus, wo
das Ereigniß statt fand, umhergeschleudert.
Die Schienen des Geleises, auf welchen sich die Locomotive bewegte, waren nach Auswärts verschoben und jene des zweiten Geleises (wie
mit einem Meißel) durchschnitten. Doch waren diese Schienen keine von denjenigen,
welche die Gesellschaft aufbewahrte und ich konnte sie daher nicht zur nähern
Untersuchung erhalten.
Die Locomotive ging 25 Minuten nach 8 Uhr von der Hauptstraße (nach dem Zeugniß des
Bremsers P. Nugent) ab und die Uhr des Conducteurs James
M'Cabe war durch den Stoß 20 Minuten vor 9 Uhr stehen
geblieben. Zwischen dem Abgang der Maschine von Reading und der Explosion des
Kessels waren also 15 Minuten verstrichen.
Dieß ist der allgemeine Umriß der Geschichte dieses Unglüksfalls; es fragt sich nun,
auf welch verschiedene Weisen er erklärt werden kann; mir scheint, daß außer durch
eine des folgenden Annahmen keine einleuchtende Erklärung möglich ist.
Erste Annahme.
Daß das Feuer den Dampf schneller erzeugte, als er durch die Cylinder oder Ventile
austreten konnte und dadurch eine Anhäufung von elastischem Dampf in dem Kessel
herbeigeführt wurde, dessen Druk sich im Verhältniß seiner Anhäufung vermehrte, bis
zulezt dieser Druk größer wurde als die Widerstandskraft des Kronenstüks, welches
abwärts berstend die Katastrophe veranlaßte.
Zweite Annahme.
Daß dem Kessel nicht so schnell Wasser nachgeschafft wurde, als es durch die
Verdampfung consumirt wurde und dadurch das Kronenstük und die obern Röhren entblößt
wurden; daß in Folge davon nothwendig an diesen Theilen Ueberhizung eintrat, und sie
möglicherweise sogar ins Glühen kamen; daß ferner, wenn in diesem Falle Wasser über
sie gegossen wurde, es plözlich in Dampf von ungeheurem Druk überging und die
Katastrophe veranlaßte.
Dritte Annahme.
Daß die Maschine vom Bliz getroffen wurde, welcher sie zertrümmerte, das Kronenstük
von den Seiten des Feuerkastens wegriß und so die Katastrophe verursachte.
Vierte Annahme.
Daß der Bliz über den Kessel hingehend, einen Theil desselben auf eine hohe
Temperatur steigerte; daß das Wasser die Wärme aufnehmend sich schnell in Dampf
verwandelte, wie dieß auch bei dessen Berührung mit stark erhiztem oder glühendem
Metall der Fall gewesen wäre, daß auf diese Weise ein großes Volum Dampf von
ungeheurem Druk plözlich erzeugt wurde, der Kessel der Gewalt unterlag und somit die
Katastrophe eintrat.
Da diese Fälle meiner Meinung nach jede mögliche Ursache der beobachteten
Erscheinungen in sich fassen, richtete ich meine Untersuchungen auf die Entdekung
solcher Thatsachen, welche die Mittel darzubieten schienen, sie entweder zu
bestätigen oder zu widerlegen. Ich werde sie nun nach einander prüfen und die
Umstände und Betrachtungen angeben, welche mich zur Verwerfung oder Annahme
derselben bestimmten.
Erste Frage.
Explodirte der Kessel durch übergroße Anhäufung von Dampf in seinem Innern, weil das
Feuer die Verdampfung rascher bewirkte, als die Cylinder den Dampf abführen
konnten?
Aus der Aussage des Thomas Yeager, Ingenieur des dem
Richmond unmittelbar nachfolgenden Trains, geht hervor, daß gerade vor der Abfahrt
von Reading beide Sicherheitsventile Dampf ausließen. Auch geht aus der Aussage des
Bremsers Thomas Cowden hervor, daß gerade vor dem
Ereigniß beide Ventile Dampf ausließen. Daraus ergibt sich offenbar, daß beide
Ventile frei waren. Nach der Last, welche die Locomotive fortschaffte, würde der
durch den Cylinder gegangene Dampf in der Minute beiläufig einen Kubikfuß Wasser
consumirt haben. Um die Möglichkeit einer großen Dampfanhäufung zulassen zu können,
müßte man also annehmen, daß die Dampfbildung in einem weit größern Maaße vor sich
ging, als er durch die Cylinder und die zwei Sicherheitsventile entweichen konnte.
Hr. Kirk, der Factor der
Gesellschaft, erklärte aber, daß während die Maschine 50 Minuten lang zu Reading
stand, die Ventile keinen Dampf ausließen, woraus hervorgeht, daß damals keine
Anhäufung statt fand.
Daß das Material des Kessels einem gewöhnlichen Druk nicht nachgibt, wurde zur
Evidenz erwiesen. Ich ließ Blechstüke des Kronenstüks unter dem Hammer biegen und
doppelt umbiegen, sowohl heiß als kalt, und sie zeigten alle Merkmale gesunden
Eisens. Auch ließ ich Stüke zerbrechen, welche auf dem Bruche die gewöhnliche, gutes
Eisen charakterisirende, faserige Structur zeigten. Ich ließ das Kronenstük auch von
dem Ingenieur James J. Rush
von Philadelphia und Hrn. Simpson, Maschinenmeister der Eisenbahncompagnie, untersuchen, deren
Ansichten mit meiner eigenen übereinstimmen und welche erklärten, daß die Explosion
des Kessels durch die bloße Anhäufung von Dampf in demselben vermöge der
gewöhnlichen Wirkung des Feuers nicht hätte eintreten können.
Hätte der Kessel den Dampf schneller erzeugen können, als er durch die Cylinder
austrat, so würde eine erhöhte Geschwindigkeit des Trains die Folge davon gewesen
seyn. Es geht aber im Gegentheil aus der Aussage zweier Bremser hervor, daß die
Geschwindigkeit zur Zeit der Explosion nicht zugenommen hatte und 10 Meilen in der
Stunde nicht überstieg.
Ich glaube, daß wenn der Ingenieur diese Explosion durch größtmögliche Steigerung des
Feuers hätte hervorbringen wollen, dieß ihm nicht möglich gewesen wäre, weil der Cylinder und die
Ventile ihr freies Spiel hatten.
Die Frage muß sonach verneinend beantwortet und die erste der vier Annahmen, als
physikalisch unmögliche Folgerungen einschließend und Voraussezungen erheischend,
verworfen werden.
Zweite Frage.
Wurde die Explosion durch vernachlässigte oder mangelhafte Speisung des Kessels
verursacht?
Um diese Frage gehörig zu beantworten, müssen wir die Geübtheit und den Charakter des
Führers der fraglichen Locomotive sowie hie Aussagen der Zeugen berüksichtigen.
Der Kessel einer Locomotive wird durch zwei Drukpumpen mit Wasser gespeist, welche
durch die Maschine selbst in Bewegung gesezt werden und das Wasser aus dem Reservoir
oder dem Tender in den Kessel treiben. Diese Pumpen kann der Maschinenführer nach
Belieben in- oder außer Bewegung sezen. Da die Pumpen aus verschiedenen
Ursachen in Unordnung gerathen können, so daß sie dann ungeachtet ihres Spiels den
Kessel doch nicht mit Wasser versehen, so ist an der Speiseröhre ein sogenannter
Probirhahn angebracht, durch welchen sich der Maschinenführer überzeugen kann, ob
die in Gang befindlichen Pumpen ihre Schuldigkeit thun. Auch in verschiedenen Höhen
des Kessels befinden sich sogenannte „Wasserstandshähne“, durch
deren Oeffnen der Maschinenführer sich jeden Augenblik versichern kann, wie hoch das
Wasser im Kessel steht und ob derselbe gespeist werden muß.
Gehörige Aufmerksamkeit auf die Speisung des Kessels ist die erste und wichtigste
Pflicht des Locomotivenführers. Die Vernachlässigung derselben hat, wie er wohl
weiß, nothwendig eine Explosion zur Folge, deren Wirkungen die Personen im Train
möglicherweise entgehen können, die ihm aber das Leben kosten muß. Es ist dieß daher
auch ein selbst von den schlechtesten Locomotivenführern beinahe niemals
vernachlässigtes Geschäft. Der Locomotivenführer untersucht von Zeit zu Zeit den
Zustand des Kessels mittelst der Wasserstandshähne und öffnet die Speisepumpen, um
das Wasser auf geeigneter Höhe zu erhalten. Es gibt besondere Fälle, wo es eine
unerläßliche Regel ist, den Kessel anzufüllen. Bei der Annäherung an jede
Hauptstation, wo einiger Aufenthalt vorauszusezen ist, hört der Maschinenführer auf
das Feuer im Ofen zu schüren, er öffnet die Ofenthür um die Verbrennung zu mäßigen
und besorgt die Speisung. Hiedurch kömmt er mit vollem Kessel und schwachem Feuer
an; die Dampfbildung hört während des Aufenthalts auf und die Abfahrt findet wieder bei
vollem Kessel statt nach Wiederherstellung der Lebhaftigkeit des Feuers vor der
Abfahrt. Wenn aber die Verdampfung während des Stillstands der Locomotive das Wasser
vermindern sollte, so überzeugt er sich hievon durch die Wasserstandshähne, trennt
die Locomotive und den Tender von dem Train und fährt eine kurze Streke mit
arbeitenden Speisepumpen auf der Bahn, so daß der Kessel angefüllt wird. Auch beim
Annähern an eine Steigung, wo wegen des vergrößerten Widerstands volle Dampfkraft
erforderlich wird, pflegt man den Kessel gerate vor der Ankunft am Fuß der Rampe zu
füllen, so daß während der Berganfahrt die Pumpen abgesperrt werden können und die
ungehinderte Dampfbildung während des Berganfahrens benuzt werden kann. Dieß sind
den Maschinenführern wohl bekannte Regeln und sie werden, wie mit Sicherheit
angenommen werden kann, von ordentlichen bewährten Männern niemals
vernachlässigt.
Nach den Aussagen und Zeugnissen aller mit der Reading-Eisenbahn Vertrauten
war Joseph Ward einer der besten und verlässigsten
Maschinenführer; er war fünf Jahre zur vollen Zufriedenheit in Diensten der
Gesellschaft und die fünf vorhergehenden Jahre bei der Baltimore-,
Ohio- und andern Eisenbahnen angestellt. Hr. Kirk, der Factor der Reading-Compagnie
und der Maschinenmeister Simpson zu Richmond, erklärten
beide, daß sie es nicht für möglich halten, daß Ward die
Speisepumpen vernachlässigt haben könne. Auch war er erwiesenermaßen von nüchternem
Lebenswandel und bei dem fraglichen Ereigniß vollkommen nüchtern. Ueberdieß sah ihn
Powell, einer der Bremser, vor der Ankunft zu Reading
den Wasserstandshahn fleißig probiren, bemerkte daß der Kessel mit Wasser wohl
gefüllt war und zweifelt nicht, daß er es auch bei der Ankunft zu Reading war.
– Der Bremser Cowden ging an der Maschine vorbei,
ehe sie von Reading abfuhr und sah Ward ebenfalls die
Wasserstandshähne probiren und Wasser aus ihnen laufen. Bei der Abfahrt von Reading
war sonach der Kessel offenbar voll. Die Explosion fand am Fuß der Steigung von 15
Fuß per Meile statt. Ward
wollte daher natürlich seinen Kessel bis zur Ankunft an diesem Punkt gefüllt halten,
indem es nothwendig war, beim Hinanfahren der Steigung die Speisung abzusperren.
Alle diese Umstände und Beweise können keinen vernünftigen Zweifel übrig lassen, daß
im Moment der Explosion der Kessel mit Wasser gehörig gefüllt war.
Man könnte jedoch einwenden, daß obwohl die Pumpen in Gang waren, sie doch hätten
verstopft seyn können, so daß sie den Kessel nicht speisten; dagegen muß ich
bemerken, daß der Maschinenführer das gewöhnliche Probirmittel, den Probirhahn, zur
Hand hatte, zu welchem
er jedenfalls seine Zuflucht nehmen mußte. Der Zeuge Simpson sagt aus „daß bei der Annäherung an Reading Ward den Kessel gespeist und sich von dem Zustand der
Pumpen durch den Probirhahn überzeugt habe, auch von Reading gewiß nicht weiter
gefahren wäre, wenn er seine Pumpen nicht in gutem Zustand gesunden
hätte.“
Die Zwekmäßigkeit des Speiseapparats des Richmond überhaupt anbelangend, ist
Simpson's Aussage ganz
klar und entschieden. Er sagt, Ward sey sein Zögling
gewesen, und unter ihm schon als Heizer gestanden – daß er ihn ferner seit
zehn Jahren gekannt habe, daß Ward sowohl in Folge dieses
langen vertraulichen Verhältnisses, als aus Dienstpflicht, ihm jeden Fehler des
Richmond oder jede Schwierigkeit bei dessen Benüzung hätte mittheilen müssen
– daß derselbe aber während der ganzen Zeit, wo er diese Locomotive
dirigirte, nie eine solche Klage geführt, auch keinen Fall erwähnt habe, wo die
Pumpen Wasser zu liefern versagten. Auch hatte Simpson
sich, wie gewöhnlich am Sonntag (1. Sept.) vor dem Ereigniß in das Magazin begeben,
um die Reparaturen in Augenschein zu nehmen, welche an den für den Montag bestimmten
Locomotiven erforderlich waren; er überzeugte sich dabei, daß der Richmond keiner
Ergänzung weiter bedürfe, als eines Stifts, welchen Ward
selbst ersezte. Ward bemerkte ihm auch, daß diese
Locomotive den Samstag-Train (118 beladene Waggons) leicht zog und stark
genug sey, noch 50 Waggons mehr ohne Anstrengung zu ziehen.
Hätte man das Wasser so weit verdampfen lassen, daß das Kronenstük und die obern
Röhren bloß gelegt worden wären, so hätten diese Theile wenigstens beinahe zum
Rothglühen kommen müssen. Kupferrohren, welche rothglühend waren, sind aber leicht
zu erkennen; diejenigen des Kessels zeigten keineswegs die Merkmale einer
Ueberhizung. Das Kupfer war weder geröthet, noch schuppig, noch spröde geworden; es
hat vielmehr ganz das Ansehen von solchem, welches unter Wasser war. Keine Röhre war
aus ihrer Form gebracht. Das Kronenstük des Feuerraums zeigt keine Merkmale glühend
gewesen zu seyn. Unter andern dagegen sprechenden Erscheinungen scheint eine
vollkommen entscheidend zu seyn – der Nuß blieb an der Unterseite des
Kronenstüks dik zurük. In der That, ich kann mein Urtheil mit Zuversicht dahin
abgeben, daß weder der Feuerkasten noch die Röhren überhizt worden waren.
Ich ließ diese Theile des Kessels auch von den HHrn. J. J. Rush und Simpson untersuchen, welche beide im Allgemeinen
mit meinen Ansichten übereinstimmen.
Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die Explosion durch den unvollkommenen Gang
der Speisepumpen veranlaßt worden sey; ich ermittelte einen der Bremser als den
Verbreiter dieses Gerüchts, und zog ihn darüber zu Verhör; dabei ergab sich aber,
daß derselbe mit dem Bau einer Locomotive so wenig bekannt war, daß er die Stelle
der Speisepumpe an einer solchen gar nicht zeigen konnte.
Ich bin folglich der Ansicht, daß obige Frage verneinend zu entscheiden sey und daß
es sich hinlänglich klar und entschieden herausstellt, daß die zweite Annahme als
unstichhaltig zu verwerfen sey.
Dritte Frage.
Wurde der Unglüksfall durch die bloße mechanische Wirkung des Blizes
hervorgebracht?
Ich glaube daß mit diesem Unglüksfall Umstände verknüpft waren, welche auf eine so
starke Wirkung von Dampf oder einer andern elastischen Flüssigkeit hindeuten, daß
diese Frage ebenfalls verneinend beantwortet werden muß. Der Zustand des Kronenstüks
des Feuerraums, die laute Explosion, die Richtung, in welcher der Kessel
geschleudert wurde und andere hier nicht einzeln anzuführende Umstände bilden kaum
zu verkennende Anzeichen.
Vierte Frage.
Wurde der Unglüksfall durch die vereinigte Wirkung der atmosphärischen Elektricität
und des Dampfes veranlaßt?
Die Beobachtungen der Meteorologen haben uns durch zahlreiche Erfahrungen über die
verschiedenen mechanischen, chemischen und physischen Wirkungen der atmosphärischen
Elektricität auf Gegenstände belehrt. Unter die hervorstechendsten dieser Wirkungen
gehört die Temperaturerhöhung der Körper; daß der Bliz Metalle durch Erhöhung ihrer
Temperatur schmilzt, ist durch die Thatsache erwiesen, daß durch den Bliz
geschmolzenes Metall in Tropfen auf einen hölzernen Fußboden und auf das Verdek von
Schiffen fiel, in welche es Löcher brannte. Diese Wirkungen beschränkten sich aber
nicht auf Metallmassen von geringen Dimensionen, auch nicht bloß auf die Oberfläche
derselben, sondern es wurden in mehreren Fällen bedeutende Massen geschmolzen. Wo
der Bliz keine Schmelzung bewirkte, wurde doch das Eisen glühend und weich und auf
die zu seiner Schweißung erforderliche Temperatur gebracht; kurz, die Metalle werden
durch atmosphärische Elektricität plözlich auf alle Temperaturgrade bis zu ihrem
Schmelzpunkte erhizt. Beispiele hiefür gibt es eine Menge. Im April 1807 fuhr der
Bliz in Lancashire (England) durch eine große eiserne Kette und erweichte ihre Ringe
in dem Grab, daß sie
sich vermöge ihres eigenen Gewichts zusammenschweißten und die Kette in eine eiserne
Stange verwandelt wurde. Im März 1772 wurde eine 4 Zoll lange und 1/2 Zoll dike, mit
einer Wasserröhre an der Kuppel der St. Pauls-Kirche in Verbindung stehende
Eisenstange zum Rothglühen erhizt.
Die mechanischen Wirkungen des Blizes bestehen darin, daß er durch feste Körper
Löcher bohrt, sie in Stüke zersplittert, sie in verschiedene, wunderliche Formen
biegt und ihre Bruchstüke, von manchmal ungeheurem Gewicht, weit fortschleudert. Vom
Bliz getroffene Gebäude brachten Stöße hervor, welche in der Nachbarschaft wie die
eines Erdbebens empfunden wurden; die schwersten Blöke, aus welchen ihre Mauern
bestanden, wurden nach allen Richtungen zerstreut, und auf 200 Fuß Entfernung
geschleudert. In Cornwall wurde eine Kirche vom Bliz getroffen, von deren Dach ein
beinahe 200 Pfd. schwerer Stein 60 Yards weit fortgeschleudert ward; ein anderes
Bruchstük wurde 400 Yards weit geworfen. Ein andermal wurde in Schottland eine 28
Fuß lange, 7 Fuß breite und 5 Fuß dike Felsmasse in die Luft gehoben und über eine
Erhöhung 50 Yards weit geschleudert. Solcher Beispiele lassen sich eine Menge
anführen.
Große Eisenmassen können bekanntlich den Bliz anziehen und zwar steht die
Anziehungskraft im Verhältniß zu ihrem Gewichte. So wurde einmal der außerhalb eines
Gebäudes vorüberfahrende Bliz von einem innerhalb desselben befindlichen Dampfkessel
durch die Mauer hindurch angezogen. Vor einigen Jahren wurde in England eine
Kettenbrüke während eines heftigen Sturms zerstört, und obgleich sie mit der Erde
communicirte, in Stüke zerbrochen, ihre schwersten Theile verbogen, über einander
gebogen, verdreht und in wunderliche Formen verschlungen, ohne daß ein Merkmal der
Schmelzung an ihr sichtbar ward.
Ich theile diese Einzelnheiten mit, um mit meteorologischen Forschungen nicht
vertraute Personen über die durch atmosphärische Elektricität thatsächlich
hervorgebrachten Wirkungen zu belehren; nun entsteht die Frage, ob in dem uns
vorliegenden Fall dieser Einfluß wirksam war.
Es geht sowohl aus der Aussage der Bevölkerung in der Umgebung der Stelle, wo das
Unglük vorfiel, als auch aus jenen der speciell vernommenen Personen auf dem Train
hervor, daß zur Zeit des Ereignisses ein heftiger Gewittersturm andauerte; zwei der
überlebenden Bediensteten auf dem Train versichern, daß das Blizen sowohl vor als
nach der Explosion unaufhörlich statt fand und daß die Blize sogenannte Zikzakblize
waren. Von solchen werden gerade irdische Gegenstände gewöhnlich getroffen.
Nun scheinen hier alle Bedingungen zur Hervorbringung einer solchen Erscheinung
vorhanden gewesen zu seyn; das Blizen ging unausgesezt fort; es war von der Art, wie
es eine solche Wirkung erfordert; 18 Tonnen Metall in Form des Dampfkessels und der
Maschinerie waren vorhanden, um den Bliz anzuziehen; es waren in dieser Maschinerie
so viele Unterbrechungen des Zusammenhangs vorhanden, daß die Leitung (wie zwischen
den Ringen einer schweren Kette) hinlänglich unterbrochen wurde, um der Wärme
erregenden Kraft der Elektricität volle Wirkung zu gestatten; auch wurde jene Masse
in Stüke zerbrochen, die Theile in allen Richtungen umher gestreut, zerbrochen,
verbogen und verdreht, und in beträchtlichen Massen weit fortgeschleudert. Allein
zugegeben auch, daß der Bliz den Kessel traf, wie ist dann, kann man fragen, die
Explosion zu erklären? – denn daß eine solche statt fand, ist höchst
wahrscheinlich, wo nicht gewiß. Der Charakter und das Getöse des Knalls, so wie das
Aussehen der zurükgebliebenen Theile des Feuerkastens sprechen hiefür deutlich
genug. Ich antworte, daß in dem vorliegenden Falle, mit den Cylindern in voller
Thätigkeit und zwei freien Sicherheitsventilen, eine Explosion nur durch eine
beinahe plözliche Entwikelung eines großen Volums höchst gespannten Dampfes im
Kessel entstehen konnte – eines so großen Volums, daß der durch den Cylinder
und die Ventile entweichende Dampf im Vergleich damit verschwindet. Eine solche
Wirkung würde unbezweifelt hervorgebracht durch einen plözlichen Zutritt von Wärme,
welche sich einem mit Wasser in Berührung befindlichen Theile des Kessels, oder
unmittelbar dem Wasser selbst mittheilte. Wenn nun die Elektricität den Kessel oder
einen Theil desselben so erhizte, und das Wasser, wie es der Fall gewesen seyn kann,
dem Metall die Wärme so schnell entzog, daß lezteres nicht schmelzen oder glühend
werden konnte, so wäre hiemit der ganze Vorfall mit allen ihn begleitenden Umständen
erklärt. Das Nichtvorhandenseyn von Merkmalen des Schmelzens oder der Gluth, die
furchtbare Heftigkeit der Explosion, das Fortschleudern einer 10 Tonnen schweren
Masse auf eine Entfernung von 80 Yards, das Zerbrechen und Umherschleudern aller
arbeitenden Theile, das Verbogen- und Verdrehtwerden derselben in die
verschiedensten Formen, wären lauter natürliche und gewöhnliche Folgen einer solchen
Wirkung. Daß die Körper der Getödteten frei waren von den Wirkungen des Blizes,
würde sich aus der größeren Leitungsfähigkeit des Materials des Kessels erklären,
welches der Bliz, seinen Eigenschaften gemäß, vorzugsweise ergreift.
Ich übergehe absichtlich eine Vermuthung, welche hinsichtlich des Ereignisses
aufgestellt werden könnte, daß nämlich das Wasser im Kessel zersezt und die
Explosion durch dessen gasförmige Bestandtheile veranlaßt worden sey. Die von mir
gegebene Erklärung macht es überflüssig, zu dieser Muthmaßung die Zuflucht zu
nehmen, welche sicherlich durch keine Gründe unterstüzt werden könnte, die sie
einigermaßen zu einer vertrauensvollen Annahme berechtigten, wenn sie überhaupt
einige Haltbarkeit hat.
Nach allen bei dem vorliegenden Falle vorhandenen Umständen bin ich folglich der
Ansicht, daß die lezte Voraussezung allein als diejenige anzunehmen ist, welche die
vollkommene Erklärung der Katastrophe zuläßt. Ich weiß wohl, daß man einwenden
könnte, der Kessel nebst seinem Zubehör war in metallischer Verbindung mit der Erde
und während starken Regens sey der Boden selbst im günstigsten Zustande, um die
Elektricität abzuleiten; aber bei der Construction des Kessels und seines Zubehörs
waren auch größere Unterbrechungen des metallischen Zusammenhangs vorhanden, als
zwischen den Ringen einer Kette und in andern Fällen, wobei es erwiesen ist, daß
Eisenmassen durch den Bliz glühend wurden.
Wenn mein Gutachten verlangt würde in einem Falle, wo die Rechte oder Beschuldigungen
von Individuen eine positive Entscheidung unerläßlich machten, so würde ich keinen
Augenblik anstehen zu behaupten, daß die Entscheidung nach der lezten obiger
Annahmen erfolgen müsse.