Titel: | Ueber die Fabrication gekörnten Klebers durch die Gebrüder Véron; von Hrn. Payen. |
Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. XXVI., S. 118 |
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XXVI.
Ueber die Fabrication gekoͤrnten Klebers
durch die Gebruͤder Véron; von Hrn. Payen.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, Jan. 1845, S. 18.
Payen, über die Fabrication gekörnten Klebers.
Vor einigen Jahren gelang es bekanntlich Hrn. Martin von
Vervins nach langen und beharrlichen Bemühungen die Reinigung der stärkmehlartigen
Körper dadurch zu verbessern, daß man zuerst den Kleber in der Kälte auszieht; es
wurde dadurch dieser Industriezweig für die Gesundheit unschädlich gemacht, der
Ertrag vermehrt und der nahrhafteste Bestandtheil des Weizens, welcher bisher durch
Fäulniß ausgeschieden wurde, als Nahrungsmittel gewonnen.Polytechnisches Journal Bd. LXIV S.
128.
Der Kleber wurde anfangs bloß als Nahrungsmittel für Thiere verwendet; bald aber
verschaffte ihm die bessere Würdigung seiner nährenden Eigenschaften die Aufnahme
zur Bereitung des schönsten Brodes in den Pariser Bäkereien; Hr. Robine verfertigte leichtes Brod für Reconvalescenten
daraus.Polytechnisches Journal Bd. LXXXVI S.
239.
Eine bessere Verwendung konnte ihm nicht leicht verschafft werden; mehrere neue
Stärkefabriken und auch die Gebrüder Véron wandten
nun das Martin'sche Verfahren im Großen an.
Die Schwierigkeit indessen, allen Kleber im frischen Zustand, in dem Maaße als er
gewonnen wurde, vollends zu reinigen und zu troknen, hielt die Arbeit sehr auf; man
suchte dieses wichtige Product durch Austroknen und nachheriges Pulvern zu
conserviren, allein, nachdem auch dieser Zwek auf ökonomische Weise erreicht war,
hatte man erst eine Art Mehl, welches sich zur Brodbereitung eignete.
Ein glüklicher Gedanke der HHrn. Véron beseitigte
endlich alle Schwierigkeiten, indem dadurch die Operation vereinfacht, die Kosten
vermindert und statt eines Rohstoffs ein Product von größerem Werth gewonnen wird,
welches unmittelbar an die Consumenten verkäuflich ist.
Die Erfindung besteht:
1) im Körnen und Austroknen des Klebers, wodurch das Pulvern überflüssig wird;
2) darin, die Körner nach ihrer Größe in drei bis vier Sorten zu trennen;
3) endlich den so zubereiteten Kleber zur Verwendung, vorzüglich zu Suppen,
abzuliefern.
Dieses neue Product vereinigt die vorzüglichsten Eigenschaften in sich, um eines der
besten Nahrungsmittel abzugeben; in der That enthält es mehr Kleber als die besten
italienischen Nudelteige.
Die ausgezeichnet nahrhaften Eigenschaften des Klebers sind aber schon längst von
Chemikern, Agronomen und Physiologen anerkannt. Seinem Vorhandenseyn in größerm
Verhältniß wird der größere Werth des Weizens im Vergleich mit andern Getreidearten
und die bessere Qualität der aus den harten Getreidearten, wie man sie in den
südlichen Gegenden erntet, bereiteten Nahrungsmittel allgemein zugeschrieben.
Diese wichtigen Eigenschaften des Klebers wurden durch entscheidende Versuche an
Thieren außer Zweifel gestellt und selbst die in der Wahl ihres Futters heikelsten
Thiere fressen ihn begierig, indem ihnen wahrscheinlich der Instinct der
Selbsterhaltung dessen Nahrhaftigkeit schon anzeigt.
Hunde, Ochsen, Schweine konnten ausschließlich mit Kleber gefüttert werden. Die HHrn.
Véron mästeten Ochsen mit Kleber, wovon sie
täglich jedem 12 Kilogr., unter ungefähr 16 Kilogr. grober Kleie vertheilt, gaben;
das Fettgewebe dieser Thiere zeigte die Färbung und mehrere andere Eigenschaften der
Fettbestandtheile des Getreides.
Sind diese Thatsachen etwa in Widerspruch mit den zahlreichen Versuchen, woraus
hervorgeht, daß keine organische Substanz für sich allein im Stande ist, das
thierische Leben zu unterhalten? Keineswegs; denn man darf nicht übersehen, daß der
sogenannte Kleber außer den meisten nähern stikstoffhaltigen Bestandtheilen des
Weizens (Leim, Eiweiß, Käsestoff, Fibrin) auch noch fette Stoffe und zwar wenigstens
zweimal so viel als das weiße Mehl enthält, ferner Stärkmehl, phosphorsaure Salze
etc.
Auf diese Weise wird die Natur dieses wahrhaft vollständigen Nahrungsmittels durch
den Vergleich mit Fleisch in Verbindung mit Brod am besten definirt.
Bereitung des gekörnten Klebers.
Der Kleber wird zuvörderst nach Martin's Verfahren
extrahirt; man strekt denselben in seinem gleichen Gewichte Mehl aus und benüzt
dabei seine Dehnbarkeit, um ihn in dünne Schnüre zu zertheilen, welche durch das
dazwischenliegende Mehl von einander getrennt erhalten werden: man bringt hierauf
das Ganze in eine Art Baktrog, worin die Zertheilung durch eine mechanische
Vorrichtung, Wischen zwei concentrischen Walzen bewerkstelligt wird, die sich in
gleicher Richtung, aber mit sehr verschiedener Geschwindigkeit umdrehen und wovon die kleinere, welche
sich rasch dreht, mit einer großen Anzahl vorstehender Pflöke versehen ist.
Das Product dieser Zerreibung hat die Gestalt länglicher Körnchen, die aus Kleber
bestehen, welcher dazwischen gelagertes Mehl einschließt; man troknet ihn in einer
Trokenkammer mit heißem Luftstrom (35° R.) und zwar in Schiebladen.
Das Sieben durch Drahtgewebe mit stufenweise größern Oeffnungen liefert unmittelbar
Körner von vier verschiedenen Größen, jedoch gleicher Qualität. Auf folgende Weise
berechnet sich deren Zusammensezung:
100 Kilogr. frischen Klebers, welche 38 troknen Klebers enthalten, werden zertheilt
durch
200 Kilogr. Mehl, welches 24 Kleber enthält; die sämmtlichen 300 Kilogr. reduciren
sich durch das Austroknen auf 228, welche 62 Kilogr. Kleber enthalten.
100 Kilogr. des gekörnten Products enthalten also 72,2 troknen Klebers, über zweimal
so viel als das angewandte Mehl.
Dieser bedeutende Gehalt an nährender Substanz ist aber nicht der einzige Vorzug des
neuen Products im Vergleich mit den sogenannten Fadennudeln, Körnernudeln
(Teigkörnern, Nudelmehl) etc. Bei diesen hat sich in Folge ihrer Bereitungsweise,
welche im Kneten mit siedendem Wasser und Ausstreken in warmem Zustand besteht, der
Kleber coagulirt und die Stärkmehlkörner sind zusammengebaken. Die so gewonnenen
troknen Nudeln haben eine solche Cohäsion und sind so hart, daß mehr oder weniger
langes Sieden erfordert wird, um sie für Suppen gehörig mit Wasser zu verbinden,
während der kalt gekörnte und bei mäßiger Wärme getroknete Kleber durchdringlich
bleibt und in einer Flüssigkeit von 80° R. in zwei Minuten sich mit Wasser
verbindet, so daß die Fleischbrühe ihr ganzes Arom behalten kann; 4 Loth davon sind
für 100 Loth Wasser hinreichend. Es versteht sich daß, da der Kleber auf diese Weise
immer gleichmäßig hydratisirt wird, ohne daß ein längeres Sieden nöthig ist, die
erhaltene Suppe angenehmer, nahrhafter und leichter wird.
Da sich der Kleber in den Producten der HHrn. Véron
in demselben Zustande wie im Weizen befindet, so kann sich jeder Consument von
seiner Qualität und dem Verhältniß seiner Bestandtheile leicht überzeugen; man
braucht nämlich nur eine kleine Quantität davon zwischen den Zähnen zu befeuchten,
um die elastische Substanz herausziehen zu können; auch kann man ein gewisses
Gewicht desselben im Wasser kalt durchkneten, den erhaltenen frischen Kleber wägen,
ihn auf dem Ofen, oder besser noch, Boland'schen
Aleurometer (Mehlmesser)Polytechn. Journal Bd. XCV S.
478. sich aufblähen lassen und so das Verhältniß seiner Bestandtheile und seine
Qualität kennen lernen; dieß sind schäzbare Garantien gegen spätere, zufällige oder
betrügerische Veränderungen desselben, welche die gewöhnlichen käuflichen Nudelteige
nicht darbieten.
Obige Thatsachen sowohl als das einstimmige sehr günstige Urtheil aller Personen,
welchen wir Proben vom gekörnten Kleber mitgetheilt haben, berechtigen uns das neue
Fabricat aus einem höhern Gesichtspunkt zu betrachten. Wir sind durch dasselbe in
Stand gesezt der Armee, Marine, den Gefängnissen etc. recht nahrhafte Nahrungsmittel
zu liefern, die ein gewisses Volum nicht überschreiten, leicht aufzubewahren, zu
transportiren und anzuwenden sind. Vergleicht man den gekörnten Kleber mit dem Mehl,
Getreide, Reis, Schiffszwiebak, so zeigt sich seine ernährende Kraft in vielen
Fällen bei gleichem Volum zweimal so groß.
Man kann annehmen, daß er in Fäßchen oder andere gut verschließbare Gefäße sogleich
nach dem Austroknen verpakt, sich in jede Entfernung, bei jeder Temperatur ohne die
geringste Veränderung versenden läßt, wie sich dieß in Amerika schon längst bei gut
ausgetroknetem Mehl aus hartem Getreide bewährte.
Wer die mit dem Zwiebak verbundenen Uebelstände kennt, dürfte nicht bezweifeln, daß
die Schiffsmannschaft das neue Nahrungsmittel vorziehen wird. Diese Uebelstände
werden erst beim Zusammenstoßen des Zwiebaks behufs des Einweichens recht
auffallend, wobei man findet, daß zuerst, wenigstens zum Theil, die Würmer entfernt
werden mußten, welche das Beste vornweg verzehrt haben und die ekelhaften Rükstände
ihrer Verdauung dafür hinterließen.
Da der gekörnte Kleber sehr nahrhaft ist, und einen verhältnißmäßig geringen Raum
einnimmt, folglich leicht transportirt werden kann, so läßt er sich auch benuzen um
andere Mehlsorten, Kartoffeln etc., die man auf der Reise antrifft, zu verbessern.
Es wäre hiemit eine Hauptursache vieler Krankheiten beseitigt, die Ernährung der
Truppen verbessert und die Kosten ihres Unterhalts vermindert.
In dem Etablissement der HHrn. Véron genügten
bisher zwei Entmischungsmaschinen und die Trokenkammern zur täglichen Erzeugung von
wenigstens 1000 Kilogr. gekörnten Klebers. Allerdings würde der Preis von 1 Frc. per Kilogr. die Anwendung dieses Klebers für die Armee
etc. noch nicht zulassen; für Lieferungen im Großen sind die HHrn. Véron aber jezt schon erbötig, ihn auf 70 Centimens zu ermäßigen; auch
wären noch Ersparungen bei der Fabrication möglich.