Titel: | Ueber ein Mittel zur Messung äußerst kurzer Zeiträume, wie der Dauer des Stoßes elastischer Körper, der Auslösung von Springfedern, der Entzündung von Schießpulver u.s.w., und über ein neues Mittel, die Intensität elektrischer Ströme, permanenter wie instantaner, zu messen; von Hrn. Pouillet. |
Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. XLIV., S. 196 |
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XLIV.
Ueber ein Mittel zur Messung aͤußerst
kurzer Zeitraͤume, wie der Dauer des Stoßes elastischer Koͤrper, der
Ausloͤsung von Springfedern, der Entzuͤndung von Schießpulver u.s.w., und
uͤber ein neues Mittel, die Intensitaͤt elektrischer Stroͤme,
permanenter wie instantaner, zu messen; von Hrn. Pouillet.
Aus den Comptes rendus, Bd. XIX S. 1384 durch
Poggend. Annalen 1845 Nr.
3.
Pouillet, über ein Mittel zur Messung äußerst kurzer
Zeiträume.
Man hat über die Schnelligkeit, mit welcher elektrische und magnetische Wirkungen vor
sich gehen, interessante Untersuchungen angestellt; allein man hat im Allgemeinen
nicht unterschieden, was den Imponderabilien selbst angehört, und was der wägbaren
Substanz, der sie Bewegung einprägen. Diese Unterscheidung ist jedoch um so
nöthiger, als die eigene Wirkung der Imponderabilien auf einander primitiv und
direct ist, und mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit geschieht, während die
Wirkung, welche sie auf die wägbaren Körper ausüben, secundär und indirect ist, und
vermöge der Natur der Sache sich nur durch Bewegungen von unvergleichlich geringerer
Geschwindigkeit äußern kann.
Wenn so z.B. eine Magnetnadel unter dem Einfluß des Erdmagnetismus in Ruhe ist, und
man sieht sie abweichen durch eine fremde Ursache, z.B. eine elektrische Entladung,
einen Blizschlag oder ein Nordlicht, so muß man wohl unterscheiden den raschen
Moment, wo die magnetischen Fluida afficirt werden, von dem trägen Moment, wo wir
mit den Augen eine merkliche Bewegung an der wägbaren Stahlmasse der Nadel
wahrnehmen können. Es könnte wohl seyn, daß zwischen diesen beiden Momenten eine
Zeit verflösse, die tausend- oder zehntausendmal so groß wäre wie die kurze,
während welcher die eigene Wirkung der Fluida stattfindet. Die Erscheinungen, die
unter diesen Umständen auf einander folgen, können einigermaßen verglichen werden
mit denen beim ballistischen Pendel, wo das Geschoß, als von relativ kleiner Masse,
eine sehr große Geschwindigkeit besizt. Alsdann kann das Pendel so eingerichtet
seyn, daß seine Bewegung, in Bezug auf die kurze Dauer des Stoßes, erst nach einer
beträchtlichen Zeit recht wahrnehmbar wird. Auch hat man nicht versucht, durch das
Pendel die Zeit, während das Geschoß wirkt, zu ermitteln, obwohl hier die Wirkung
zwischen zwei wägbaren Körpern vor sich geht, die als Massen von endlicher und unter
sich vergleichbarer Größe ohne Zweifel eine sehr große Dauer hat in Bezug auf die
Dauer der Wirkung, welche die elektrischen Flüssigkeiten direct auf einander oder indirect auf die
wägbare Substanz ausüben.
Was man mittelst des ballistischen Pendels bestimmen kann, ist die Geschwindigkeit
des Geschosses, sobald man dessen Masse kennt, so wie die Beschaffenheit des Pendels
und die Amplitude der Ablenkung, die es durch den Stoß erfahren hat. Man hat dann
vier Größen, die durch einfache, aus den Gesezen der Mechanik hervorgehende
Relationen verknüpft sind, und wenn man drei dieser Größen kennt, kann die vierte
mit mehr oder weniger Genauigkeit bestimmt werden.
Sicher ist die Analogie zwischen dem ballistischen Pendel und der Magnetnadel sehr
unvollkommen, da die auf jenes und diese wirkenden Kräfte ganz verschiedener Natur
sind; allein sie ist nicht ohne Nuzen, um einzusehen, welchen Vortheil man aus der
Magnetnadel für eine Menge von Untersuchungen ziehen kann, auf welche sie bis jezt
noch nicht angewandt ist.
In der That begreift man, daß wenn eine Magnetnadel in Ruhe ist, und ein elektrischer
Strom beginnt während einer sehr kurzen Zeit, z.B. während 0,1, oder 0,01 oder 0,001
Secunde lebhaft auf sie zu wirken, aus diesem einzigen und fast plözlichen Impuls
eine langsame und regelmäßige Bewegung von bestimmter und vollkommen wahrnehmbarer
Amplitude erfolgen könne. Diese Ablenkungsbewegung wird zwar in ihrer Ursache von
der des ballistischen Pendels verschieden, aber in ihren Wirkungen sehr analog seyn,
denn sie wird, wie diese, in mehr oder weniger rasche Schwingungen übergehen. Im
lezteren Fall hängt die anfängliche Ablenkung von der Beschaffenheit des Pendels ab,
d.h. von seiner Masse, seiner Länge, seinem Trägheitsmoment etc., dann von der
Geschwindigkeit und Masse des Geschosses; und die Schwingungen, die eine Folge
derselben sind und durch die Wirkung der Schwerkraft erzeugt werden, hängen
ihrerseits von diesem ersten Impulse ab. Bei der Magnetnadel hängt der erste
Ausschlag auch von der Beschaffenheit der Nadel ab, d.h. von ihrer wägbaren Masse,
ihrer Länge, ihrem Trägheitsmoment, von der Menge und Vertheilung ihres freien
Magnetismus, ferner auch von der Intensität des elektrischen Stroms und der Zeit,
während welcher er seine Wirkung ausübt; die Oscillationen endlich, die daraus
erfolgen und von der erdmagnetischen Kraft erzeugt werden, hängen wieder von diesem
ersten Impuls ab. Mithin sind Masse und Geschwindigkeit des Geschosses hier ersezt
durch die Intensität des Stroms und die Zeit seiner Wirkung, so wie die Dauer seiner
Wirkung aus seiner Intensität abgeleitet werden kann, sobald die relativen Zustände
der Nadel vollständig bekannt sind.
Wenn demnach ein elektrischer Strom während einer sehr kurzen Zeit, z.B. während
0,001 oder 0,0001 Secunde, auf eine regelmäßige und mit sich identische Weise
wirken, und zugleich durch diese so rasche Wirkung einem paßlichen Magnetstrom einen
ersten Impuls, einen etwas langsamen Ausschlag von einer etwas ausgedehnten
Amplitude einprägen kann, so wird nichts leichter seyn als Zwischenzeiten mit
Genauigkeit zu bestimmen, die nach Tausend- oder Zehntausendtheilen der
Secunde zählen. Um solche Messungen mittelst der Magnetnadel auszuführen, kommt
demnach Alles auf zwei wesentliche Fragen zurük: welche Zeitgränze hat ein Strom zur
Durchlaufung einer gegebenen Kette nöthig? und welche Gränze hat die Weite der
Schwingungen, die er dem empfindlichsten magnetischen System einprägen kann?
Die erstere Aufgabe ist in einer von mir im Jahr 1837 der Akademie überreichten
Abhandlung, über die Geseze der Intensität elektrischer Ströme, bereits untersucht.
Ich habe nachgewiesen, daß der Strom eine Kette von mehreren tausend Metern Länge
innerhalb eines Zeitraums von noch nicht 1/7000 Secunde durchläuft, und innerhalb
dieses so raschen Augenbliks war es nicht bloß ein Theil der Elektricität, die sich
in der Kette äußerte, sondern der gesammte Strom ging mit seiner vollen Intensität
durch. Ich weiß nicht, daß seitdem diese Art von Untersuchungen weiter getrieben
worden wäre. Ich werde demnach dieß Resultat als Gränze des Bewiesenen ansehen,
nicht als Gränze des Möglichen; vielmehr bin ich geneigt zu glauben, daß die
Elektricität in einer kürzeren Zeit eine noch bedeutend ausgedehntere Kette
durchlaufen kann. Es würde interessant seyn dergleichen Versuche mit Ketten von 3
bis 400,000 Metern, wie man sie zu elektrischen Telegraphen gebraucht, anzustellen.
Bei solchen Längen würde man die Gränze der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Elektricität mit viel größerer Leichtigkeit finden, und auch ermitteln, ob diese
Gränze von der absoluten Länge der Kette oder dem Grade ihrer Leitungsfähigkeit
abhänge.
Die zweite Aufgabe ist nicht durch die erstere gelöst. Daraus daß ein Strom gänzlich
innerhalb 1/7000 Secunde durchgeht, und vermöge seiner Wiederkehr in kurzen
Intervallen die Magnetnadel der Intensitätsbussole im Gleichgewicht erhält, folgt
keineswegs, daß eine einzige dieser Actionen der Nadel eine merkliche und
beobachtbare Ablenkung einprägen müsse. Man muß daher einen dieser Stöße isoliren,
um dessen Effect kennen zu lernen. Das ist mir folgendermaßen gelungen.
Auf eine Glasscheibe von 84 Centim. Durchmesser ist ein Streifen Zinnfolie von einem
Millimeter Breite geklebt, so daß er sich als Radius vom Umfang zum Mittelpunkt erstrekt; hier steht er
in Verbindung mit einem kreisrunden, breiteren Streifen, welcher die Rotationsachse
umgibt. Gesezt nun, die Scheibe drehe sich einmal in der Secunde, und die Enden
einer elektrischen Kette drüken mittelst einer Feder, das eine in fortwährender
Berührung auf den centralen Streifen, das andere auf die Glasscheibe nahe am Umfang.
Im Moment, da der Millimeterbreite Streifen unter lezteres tritt, findet Schließung
der Kette statt, und die Dauer des Stroms wird genau gleich seyn der Durchgangsdauer
des Streifens, d.h. gleich 1/2250 Secunde, wenn man nahe am Umfang berührt, 1/1260
Secunde, wenn es in der Hälfte des Radius geschieht u.s.w.
Macht die Scheibe zwei, drei, vier Umgänge in der Secunde, so erhält man Durchgänge
von zwei, drei, viermal geringerer Dauer.
Als ich nun den Versuch machte, fand ich, daß eine gewöhnliche Daniell'sche Batterie von sechs Elementen, in die etwa 40 Meter
Kupferdraht von 1 Millimeter eingeschaltet waren, einen so starken Strom gab, daß
die von ihm während 1/5000 Secunde ausgeübte Wirkung die Nadel eines wenig
empfindlichen Galvanometers um 12° ablenkte. Die Nadel gebrauchte zur
Durchlaufung dieses Bozens etwa 10 Secunden; also war die rasche Wirkung zwischen
den elektrischen und magnetischen Fluidis, die während 1/5000 Secunde geschah, hier
in eine 50,000mal langsamere Bewegung verwandelt worden, sobald sie in die wägbare
Substanz der Nadel überging.
Das Galvanometer des Hrn. Melloni besizt eine gegenwärtig
allen Physikern bekannte Empfindlichkeit; sie ist verschieden nach den Instrumenten,
kann indeß als Vergleichspunkt dienen, sobald es sich nur darum handelt, eine
angenäherte Idee von den elektrischen Wirkungen zu geben. Eines dieser Instrumente
gab 15° Ablenkung, als man den Strom eines einzigen Daniell'schen Elements, in welches ungefähr 20 Meter Kupferdraht von 1
Millimeter Dike eingeschaltet war, während 1/5000 Secunde auf dasselbe wirken ließ.
Mit diesem Instrument kann man also ohne Mühe ein Zehntausendstel einer Secunde
wahrnehmen.
Begreiflich hat man hier zu bestimmen, nach welchen Gesezen die Ausschlagsweite in
demselben Instrument mit der Stromstärke und der Berührungsdauer variire; diese
Geseze lassen sich aus verschiedenen theoretischen Betrachtungen herleiten; jedoch
ist es nöthig sie durch genaue Versuche zu prüfen. Unterdeß habe ich mich begnügt,
das von mir angewandte Instrument empirisch zu graduiren, d.h. eine Tafel zu
entwerfen, die die Ausschläge desselben unter Einfluß eines bekannten Stroms von
bestimmter Dauer angibt. Ist diese Graduirung einmal gemacht, so wird das
Galvanometer gleichsam ein ballistisches Pendel, welches die Zeit angibt, während der derselbe Strom
seine Wirkung ausübt.
Unter den Anwendungen, die ich bisher habe machen können, will ich nur eine anführen:
die in Betreff der Geschwindigkeit der Entzündung des Schießpulvers.
Der Versuch wird folgendermaßen eingerichtet. Von den beiden Enden einer Kette, in
welcher ein Galvanometer und ein Daniell'sches Element
enthalten, ist das eine an der auf die Pfanne gestekten Zündkapsel, und das andere
an dem Hahn befestigt, beide wohl isolirt vom Lauf; ein Theil des Schließdrahts geht
in einiger Entfernung vor dem Lauf des Geschüzes vorüber, so daß er von der Kugel,
im Moment ihres Herausfliegens, zerrissen wird. Dieß ist der ganze Apparat. Schießt
man ab, so erfolgt ein Strom, von der Zeit an, wo der Hahn auf die Kapsel schlägt,
bis zu der wo die Kugel den Draht zerreißt. Bei verschiedenen Versuchen mit
derselben Pulverladung sind die Ausschläge vollkommen übereinstimmend. Die
Beobachtungen machen sich mit größter Leichtigkeit und mit der angewandten Ladung
sind die äußersten Werthe 1/140 bis 1/150 Secunde für die Zeit, die zwischen dem
Aufschlagen des Hahns und dem Zerreißen des Drahts durch die Kugel verstreicht.
Verändert man die Ladung, indem man Pulver von verschiedener Beschaffenheit und
Geschüze mit gewöhnlichem oder gezogenem Laufe nimmt, so wird man leicht in allen
Fällen die erwähnte Zeit bestimmen können.
Um dasselbe Princip auf die Untersuchung der Geschwindigkeit eines Geschosses in
verschiedenen Punkten seiner Bahn anzuwenden, brauchte man nur in dieser Bahn ein
System von Seidenfäden und weiterhin ein System von Leitdrähten anzubringen, so daß,
wenn das Geschoß den Seidenfaden zerreißt, dasselbe die Kette schließt, und wenn es
den Leitdraht zerreißt, dieselbe öffnet; der beobachtete Ausschlag wird die Zeit
zwischen beiden Momenten angeben. Nur die nöthige Zeit zum Abspannen der Feder,
welche im Moment des Zerreißens der Seidenfäden die Kette schließt, ist noch in
Rechnung zu nehmen. Diese Zeit bestimmt sich aber sehr leicht, wie man auch die Zeit
des Stoßes elastischer Körper bestimmen kann. Dieselbe ist sehr kurz. Bei Versuchen,
die ich anstellte, schwankte sie zwischen 1/1500 oder 1/2000 Secunde.
Das Princip, von dem ich hier eine Idee gegeben, um die Physiker darauf aufmerksam zu
machen, ist nicht bloß zur Messung der Dauer der schnellsten mechanischen Wirkungen
geeignet, sondern kann, ich hoffe, als Mittel zur Messung der Intensität
elektrischer Ströme selbst von großem Nuzen seyn, vor allem bei den sogenannten
instantanen Strömen, d.h. denen, die durch gemeine
Elektricität und durch Induction erzeugt werden.
Die genaue Graduirung des Galvanometers erfordert sehr gleichförmige
Rotationsgeschwindigkeiten. Ohne Zweifel kann man diese Gleichförmigkeit durch ein
Uhrwerk erreichen; allein ich bin zu glauben geneigt, daß man sie leichter mittelst
einer zwekmäßig eingerichteten elektromagnetischen Maschine erlangen wird, und das
ist vielleicht der unmittelbarste Dienst, den man von diesen Maschinen erwarten
darf.Hr. Professor Poggendorff bemerkt, daß ein dem Pouillet'schen sehr analoges Verfahren zu Berlin
bereits im vorigen Sommer von Hrn. Hauptmann Hartmann zur Messung der Geschwindigkeit von Geschossen angewandt
worden ist.