Titel: | Boutigny's Untersuchungen über Dampfbildung und eine Ursache der Dampfkessel-Explosionen. |
Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. XLVIII., S. 209 |
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XLVIII.
Boutigny's Untersuchungen uͤber
Dampfbildung und eine Ursache der Dampfkessel-Explosionen.
Aus den Comptes rendus, März 1845, Nr.
10.
Boutigny's Untersuchungen über Dampfbildung und eine Ursache der
Dampfkessel-Explosionen.
Die Commission der französischen Akademie der Wissenschaften (aus den HHrn. Dumas, Pelouze, Rayer, Thenard und Payen bestehend), welche über die neuen Erfindungen und Entdekungen zu
berichten hatte, wodurch einzelne Industriezweige weniger schädlich und gefährlich
gemacht werden, votirte Hrn. Boutigny von den Montyon'schen Preisen tausend Franken als Aufmunterung
für seine
Untersuchungen über eine Ursache der Dampfkessel-Explosionen; sie erstattete
darüber folgenden Bericht:
„Hr. Boutigny beschäftigt sich seit mehr als
sieben Jahren mit experimentellen Untersuchungen über die merkwürdigen
Erscheinungen, welche verschiedene verdampfbare und selbst brennbare
Flüssigkeiten darbieten, wenn man sie auf ein überhiztes Metall schüttet. Bei
gewissen hohen Temperaturen, welche er sorgfältig bestimmt hat, bleiben Wasser,
schweflige Säure, Alkohol, Aether, Oehle etc. in einer merklichen Entfernung
über dem Boden des Gefäßes schwebend, von welchem sie durch ihren eigenen Dampf
getrennt sind. Alle diese Flüssigkeiten nehmen dann so wenig Wärme auf, daß
diejenige, welche ihre langsame Verdampfung erfordert, kaum compensirt wird, und
daß ihre Temperatur um mehrere Grade unter dem Siedepunkt bleibt, während sich
das metallene Gefäß so wie der Dampf selbst bis zum Rothglühen erhizen kann.
Sobald aber irgend eine Ursache das Metall abkühlt und die Flüssigkeit mit ihm
in Berührung bringt, stellt sich ein lebhaftes Sieden ein und es wird in sehr
kurzer Zeit eine große Menge Dampf (oder wenn man in geschlossenen Gefäßen
operirt, ein entsprechender Druk) erzeugt.
Hr. Boutigny kam natürlich auf den Gedanken, daß diese
plözliche Erzeugung einer beträchtlichen Expansivkraft in den Dampfkesseln
stattfinden und eine Hauptursache ihres Berstens und ihm Explosionen seyn
dürfte. Schon Klaproth hatte beobachtet, daß
überhiztes Eisen und Kupfer das Wasser und den Alkohol abstoßen; er hatte
gefunden, daß unter diesen Umständen die Flüssigkeiten verdampfen, ohne sich bis
zum Siedepunkt zu erhizen, und daß ihre Verdampfung verzögert wird. Im Jahr 1830
lenkte der Artillerie-Hauptmann Lechevallier
die Aufmerksamkeit der Akademie aus diese Erscheinungen und ihre praktische
Wichtigkeit; seine Beobachtungen wurden aber zum Theil bestritten, als Hr. Boutigny es unternahm diesen interessanten Gegenstand
gründlich zu erforschen.Man vergl. polytechnisches Journal Bd.
LXXXIII S. 457.
Er bestimmte genauer als seine Vorgänger die Temperaturen des Gefäßes, welche die
Abstoßung (oder den sphäroidischen Zustand Verschiedener Flüssigkeiten)
bewirken; er bewies, daß der eigenthümliche fragliche Zustand sich auch in einem
geschlossenen Gefäße erzeugen kann, dessen Wände sämmtlich bis zum Rothglühen
überhizt sind; daß durch Zusaz von Sand oder anderen gepulverten Körpern die
Erscheinung nicht verhindert wird, denn diese Körper bleiben im abgestoßenen
Wasser schwebend; daß ihn auch ein mehr oder weniger rostiger oder oxydirter
Zustand der Gefäßoberflächen nicht verhindern kann; alle diese neuen
Thatsachen waren hinsichtlich der Dampfkessel-Explosionen schäzbar.
Wir glauben jedoch keineswegs mit Hrn. Boutigny
annehmen zu können, daß der eigenthümliche Zustand des Wassers, wobei es ohne
ins Kochen zu kommen, die Wände der Kessel sich überhizen läßt, eine von den
Hauptursachen der Explosionen sey; denn so rasch auch das Wasser in einem Tiegel
oder in einem Kessel erhizt werden mag, so kann es doch nicht eher aufhören zu
sieden und die Wände zu befeuchten, als nachdem die Flüssigkeitsmenge so gering
geworden ist, daß sie in Tropfen weggeschleudert werden und auf das bloßgelegte
Metall zurükfallen kann. Eine so kleine Menge könnte aber in einem großen Raum,
wie ihn die Dampfkessel enthalten, keine Spannung hervorbringen, welche deren
Wände zu zerreißen vermag.
Die Gefahr beschränkt sich also auf den Fall, wo der Boden des Kessels oder der
Siederöhren ganz oder theilweise troken gelegt ist. Dieser Fall ist zwar selten,
er kann aber unter zwei Umständen eintreten: nämlich 1) wenn die Speisepumpen zu
wenig Wasser liefern und 2) wenn die Communicationen zwischen den Siederöhren
und dem Kessel durch abgelagerten Wasserstein zu eng geworden sind, so daß der
durch diese engen Oeffnungen austretende Dampf sich dem Eintritt der Flüssigkeit
widersezt. Man begreift, daß nun bald, ohne daß der Wasserspiegel im Kessel
sinkt, die Siederöhren kein Wasser mehr enthalten werden und ihre Temperatur
sich dann auf die Rothglühhize steigern kann, gerade so als wenn das Wasser im
ganzen Kessel fehlen würde.
In jedem dieser Fälle könnte durch den Wiedereintritt von Wasser, welches sich
augenbliklich durch heftiges Kochen in Dampf verwandelt, eine Explosion
verursacht werden, vorausgesezt daß die eingetretene und verdampfte
Flüssigkeitsmenge groß genug ist. Die uns beschäftigende Erscheinung kommt aber
allerdings in Betracht, wenn man annimmt, was wirklich der Fall seyn kann, daß
das Wasser nur in kleiner Menge hineingelangt, denn da es dann den Kessel nicht
befeuchtet, so kann schon, weil weder Adhärenz noch Sieden stattfindet, nach
dieser Hypothese die Flüssigkeit sich in solcher Menge anhäufen, daß sie eine
Spannung erzeugt, welcher der Kessel nicht zu widerstehen vermag. Unter diesen
Umständen könnte die Explosion erfolgen, sobald das Speisewasser auf einer
Stelle die Kesselwand allmählich unter 150° C. (120° R.) abgekühlt
hätte; die plözlich vergrößerte Berührung würde nämlich augenbliklich in der
ganzen Masse ein lebhaftes Sieden veranlassen, welches den Dampfraum sättigen
und sogleich einen der erlangten Temperatur (welche durch die in den Ofenmauern
angesammelte Wärme unterhalten wird) entsprechenden Druk erzeugen würde.
Hr. Boutigny empfiehlt die Dampfkessel an den Seiten
und nicht unter dem Boden zu erhizen, ekige Stüke von Metallblechen in die
Kessel zu bringen etc.; dadurch ist das Problem, eine plözliche Dampfbildung zu
vermeiden, keineswegs ganz gelöst; offenbar sind aber seine Beobachtungen für
die Praxis wichtig, denn es genügt unseren Maschinenfabrikanten gezeigt zu
haben, wie wichtig es ist zu vermeiden daß die Siederöhren und Kessel selbst nur
theilweise von Wasser entblößt werden können, um sie zu neuen und wichtigen
Verbesserungen in dieser Richtung anzuspornen.
Uebrigens ist durch Boutigny's Abhandlung die
Wissenschaft mit wichtigen Thatsachen bereichert worden; Niemand wird ohne
Erstaunen das Experiment wiederholen sehen, wobei in der Mitte einer bis zum
Rothglühen erhizten Muffel die schweflige Säure flüssig bleibt und das Wasser,
welches man ihr zusezt, so abkühlt, daß es augenbliklich gefriert.“