Titel: Hallette's atmosphärische Eisenbahn.
Fundstelle: Band 96, Jahrgang 1845, Nr. CVI., S. 423
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CVI. Hallette's atmosphaͤrische Eisenbahn. Aus dem Civil Engineer and Architects' Journal, Mai 1845, S. 148. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Hallette's atmosphärische Eisenbahn. In Paris erschien eine Flugschrift, welche über das von Hrn. Hallette erfundene atmosphärische Eisenbahnsystem Auskunft ertheilt. Diese Schrift beginnt mit einer Geschichte der atmosphärischen Eisenbahnen und enthält mehrere Auszüge aus dem Moniteur industriel, welche die Erfindung Hallette's erklären, und mit derjenigen von Clegg und Samuda vergleichen. Wir theilen im folgenden Auszüge aus dieser nur in wenigen Exemplaren verbreiteten Flugschrift mit. Die Erfindungsgeschichte der atmosphärischen Eisenbahn ist in dem gewöhnlichen eigenliebigen Styl geschrieben, welcher französische Abhandlungen über praktische Wissenschaften dem englischen Leser so lächerlich macht: „Die Idee durch einen luftverdünnten Raum in einem Cylinder eine Bewegung hervorzubringen, ist keineswegs neu. Sie stammt aus Frankreich; wir verdanken sie Papin; dieß ist so gewiß, daß diese Ehre nicht einmal von Ausländern streitig gemacht wird. In einer Vorlesung des Engländers Vignolles in der Cornwall Polytechnic Society, welche im Mining Journal, Nov. 1842 mitgetheilt wurde, heißt es: es ist nun fast zwei Jahrhunderte, daß der geniale Physiker Papin auf die Idee kam, durch den Druk der Atmosphäre eine Bewegung hervorzubringen. Die erste Nuzanwendung dieser Idee scheint von dem dänischen Ingenieur Medhurst ausgegangen zu seyn, welcher im Jahr 1810 den Vorschlag machte, Briefe und Waaren in einem Tunnel, worin sich eine Eisen- oder Steinbahn befände, zu transportiren. Ein anderes Project war von London nach Brighton in einer Röhre zu reisen. Spott und Gelächter war der Lohn für diese Idee. Medhurst, welcher den ernstlichen Einwurf, Reisende in eine Luftpumpe zu bringen fühlte, machte nun den ersten Schritt zur Lösung der Aufgabe. „Es muß angenehmer seyn, sagt er sehr naiv, in freier Luft zu reisen, als in einer dunkeln Röhre, abgesehen von dem Vergnügen was daraus hervorgeht, daß man die Gegend sieht, durch welche man reist.“ Medhurst schlug deßhalb vor, die Wirkung des Kolbens in einer Röhre auf Wagen überzutragen, welche sich oberhalb derselben befänden, und zwar durch einen Schliz in der Röhre, welcher durch einen sinnreichen Apparat, den er Wasserklappe nannte, wieder verschlossen würde. Da dieser Apparat aber erheischt, daß die Röhre eben so wie die Eisenbahn genau horizontal liegt, so ging man wieder davon ab. Der amerikanische Ingenieur Pinkus nahm im Jahr 1834 ein Patent auf eine Seilklappe, welche aber keinen besseren Erfolg als die Wasserklappe hatte. Zulezt schlugen die HHrn. Clegg und Samuda eine neue Klappe vor, womit im Jahr 1838 in Chaillot Versuche angestellt wurden, die zwei Jahre später zu Wormwood Scrubbs bei London mit mehr Erfolg wiederholt wurden, und welche in der lezten Zeit bei der ungefähr zwei Meilen langen Eisenbahn von Kingston nach Dalkey in Irland angewandt wurde. Um nun die Geschichte der Erfindung von atmosphärischen Eisenbahnen kurz zusammenzufassen, so gehört die erste Idee Papin an; Medhurst öffnete den Weg zur völligen Lösung des Problems; die HHrn. Clegg und Samuda bewiesen die Ausführbarkeit der Erfindung, obgleich sie französischen Ursprungs ist. Wir selbst (Hallette) aber dürfen die Ehre in Anspruch nehmen, die Erfindung vollendet, die Idee Papins realisirt und dieselbe nuzbringend gemacht zu haben.“ Auszug aus dem in der französischen Akademie der Wissenschaften erstatteten Berichte. Hr. Arago legte der Akademie ein kleines Modell der neuen von Hrn. Hallette erfundenen Klappe für die pneumatische Röhre vor, welche den Hauptbestandtheil des atmosphärischen Eisenbahnsystems bildet. Hr. Hallette bringt auf der Triebröhre der Länge nach zwei Halbcylinder oder vielmehr Nuthen an, welche mit ihren entgegengesezten Concavitäten längs des Schlizes oder der Oeffnung in der Röhre hinlaufen. Jede dieser Nuthen enthält eine elastische Röhre, welche mit Wasser oder Luft gefüllt ist; sind diese Röhren durch die darin enthaltene Luft gehörig ausgedehnt, so berühren sie sich mit ihren Oberflächen, wirken wie die Lippen an einem menschlichen Munde, und stellen dadurch einen vollkommen luftdichten Verschluß für die Röhre her. Wenn der Kolben in Bewegung ist, so geht der Arm, welcher denselben mit den Wagen verbindet, zwischen den beiden elastischen Röhren hindurch und diese schließen sich unmittelbar hinter ihm wieder; da dieser Arm keilförmig gestaltet ist, so geht er mit sehr wenig Reibung zwischen den beiden Röhren durch; dessenungeachtet bedekt Hr. Hallette der Dauerhaftigkeit wegen diejenigen Theile der Röhre, welche mit dem Arm in Berührung kommen, mit Leder. Hr. Arago bemerkte, daß ein System von pneumatischen Röhren, welche längs des Seine-Ufers gelegt würden, viel weniger kosten würde, als die Herstellung eines Leinepfads, und daß die Anwendung von Dampfkraft zum Ziehen von Schiffen große Vortheile vor der Pferdekraft hätte. Beschreibung des Apparats. Die Triebröhre liegt, wie gewöhnlich, auf der Erde und zwar genau zwischen den beiden Schienen; jedoch unterscheidet sie sich von derjenigen der HHrn. Clegg und Samuda durch die Form, ihre Dimensionen, die Art, wie sie auf dem Boden befestigt ist und hauptsächlich durch die Art, wie der Längenschliz verschlossen wird; 1) die Form der Röhre ist aus dem Querschnitt in der Zeichnung ersichtlich; 2) ihr Durchmesser beträgt 0,30 Meter (11 Zoll Pariser Maaß) um allen Bedürfnissen zu entsprechen; 3) statt daß die Röhre auf den Querschwellen, welche die Schienen tragen, und folglich der Zerstörung ausgesezt sind, befestigt ist, ist sie isolirt und unabhängig von denselben. Sie ist, wie man aus der Zeichnung ersieht, auf einer Reihe von eingerammten Pfählen befestigt, deren Länge und Dike durch die Natur des Bodens bedingt ist. In den Obertheil eines jeden Pfahls ist eine Nuth eingeschnitten, in welche eine vorspringende Rippe an der Röhre zu liegen kommt. Es ist deßhalb sehr leicht, den Parallelismus der Röhre zu rectificiren, die Pfähle nach Bedürfniß entweder nach der einen oder anderen Seite hin durch Einstampfen von Erde zu treiben. Ein Paar Schläge oben auf den Pfahl werden ihn tiefer stellen und ein Keil unter die verticale Rippe an der Röhre gelegt, wird diese höher legen; 4) die Art die Röhre zu schließen, ist der Natur abgesehen, anstatt bloß mechanisch zu seyn. Die Menschen sind in Stand gesezt die Luft einzuathmen, sie zurükzuhalten oder auszuhauchen; die Respirationsöffnungen werden durch die Nasenlöcher und Lippen nach ihrem Belieben geöffnet oder geschlossen; ein Bleistift oder ein Federkiel kann zwischen die Lippen gebracht werden, ohne daß Luft daneben durchdringen kann. Um nun diesem Modell zu folgen, war es nöthig Lippen an der Längenöffnung der Röhre anzubringen. An den Rändern der Oeffnung in der Triebröhre sind zwei andere kleine Röhren angebracht, deren innere Flächen einander berühren würden, wenn dieselben ganz wären; ein Theil des Cylinders, welchen sie bilden, ist jedoch der Länge nach weggenommen. In diese halben Röhren oder Rinnen sind zwei hohle Schläuche von einer elastischen Substanz eingelegt, welche luft- und wasserdicht und im Stande ist comprimirte Luft zurükzuhalten. Werden diese Schläuche mit einem dieser Elemente oder mit beiden zugleich gefüllt, so dehnen sie sich aus, berühren einander an ihrer Oberfläche und üben einen gegenseitigen Druk auf einander aus, welcher von dem inneren Druk abhängig ist, und den man immer nach Bedürfniß reguliren kann. Diese Schläuche wirken wie Lippen; sie sind durch Kunst hervorgebracht, aber wirkliche Lippen, welche ohne Schwierigkeit und fast ohne Reibung gestatten, daß der Kolbenarm mit der größten Schnelligkeit zwischen ihnen durchgleiten kann, ohne daß Luft vor ihm oder hinter ihm in die Triebröhre eindringen könnte. Auf den Stationen ist die Triebröhre unterbrochen und Seitenröhren sind daselbst angebracht. Ungefähr alle fünf Meilen befindet sich eine stationäre Dampfmaschine. Erklärung der Abbildungen. Fig. 13 ist eine Längenansicht und Fig. 14 eine Endansicht, woraus man die Verbindung des Kolbens mit dem Wagen und die Röhre ersieht, welche zur Luftpumpe führt. Fig. 15 ist ein Grundriß der Triebröhre, wovon jedoch eine Hälfte abgenommen ist, damit man die Eintrittsklappe und den Kolben bei seinem Vorwärtsschreiten sehen kann; die Mündung der Röhre ist trichterförmig gestaltet, um das Eindringen des Kolbens zu erleichtern. Fig. 16 ist eine Seitenansicht der Triebröhre, wovon ebenfalls ein Theil im Durchschnitt dargestellt ist, so daß man den Durchschnitt des Kolbens mit seinem Regulirhahn sehen kann. Fig. 17 ist ein Durchschnitt der Röhre und des Kolbens in größerem Maaßstab. A sind die Pfähle, worauf die Triebröhre befestigt; ist; B die Querschwellen, welche die Schienen tragen; C die Luftpumpenröhre, welche mit einer Klappe versehen ist. F eine Klappe, um die Verbindung mit der Triebröhre zu unterbrechen oder herzustellen. D Triebröhre. E Eintrittsklappe. G Kolben. H der Verbindungsarm. I Regulirhahn. J Schlüssel zu diesem Hahn, welcher von dem Wagenführer, der auf dem vorderen Siz des Wagens K sizt, gehandhabt wird. Ehe der Wagenzug zum Eintritt in die Triebröhre gelangt, ist die Klappe T an der Luftpumpenröhre geöffnet. Die Maschinen werden nun in Bewegung gesezt, um die Luft in der Triebröhre auf den erforderlichen Grad zu verdünnen. Ist dieß geschehen, so wird der Zug in Bewegung gesezt, indem man den Kolben in die Triebröhre eintreten läßt, der dann bei seiner Bewegung die Eintrittsklappe öffnet und hierauf die Luftpumpenklappe F ohne menschliche Beihülfe schließt. Sollte es nothwendig seyn den Wagenzug anzuhalten, wenn man sich einer Station nähert oder aus irgend einem anderen Grund, so öffnet der Wagenführer, welcher vorn auf dem Wagen sizt, den Regulirhahn I in dem Kolben G und läßt dadurch Luft vor den Kolben treten, wodurch dessen Weiterbewegung gehemmt wird; zu gleicher Zeit macht er auch Anwendung von der Bremse. Auf ähnliche Weise ist der Wagenführer in den Stand gesezt, die Geschwindigkeit eines Zugs zu reguliren, wenn derselbe eine schiefe Ebene hinabfährt. Ist der Zug nicht in Bewegung, so sind die Luftpumpenklappen an beiden Enden geschlossen; deßgleichen die Eintrittsklappen. Der Kolben wird so auf der einen Seite durch die Luft, welche zwischen ihm und der Eintrittsklappe bleibt, und auf der anderen Seite durch den natürlichen Luftdruk im Gleichgewicht erhalten, während dabei noch die Bremsen angezogen bleiben. Soll der Zug wieder abfahren, so wird die Luftpumpen-Klappe vor dem Kolben geöffnet und eben so die vor ihm liegende Eintrittsklappe; ist dann die Luft in der Röhre gehörig verdünnt und werden die Bremsen nachgelassen, so geht der Zug mit der verlangten Geschwindigkeit vorwärts. Der Wagenführer ist jedoch durch den Hahn I beständig in Stand gesezt, die Geschwindigkeit des Zugs zu reguliren; auch ist ein Barometer L vor ihm angebracht, mit einer Scala, woran er die Verdünnung der Luft in der Triebröhre ablesen kann. (Bemerkung der Herausgeber des Civil engineers' and Architecs Journal: Die Vertheidiger des atmosphärischen Systems vergleichen gewöhnlich die Kosten einer einfachen atmosphärischen Bahn mit einer doppelten des gewöhnlichen Systems. Dieß ist aber eine falsche Annahme, denn das atmosphärische System erfordert, wenn Sicherheit im Betrieb stattfinden soll, eben so gut eine doppelte Bahnlinie mit zwei Maschinen an jeder Station etc.; in diesem Fall fällt alle Ersparniß beim neuen System weg. In der That werden die relativen Herstellungskosten von Eisenbahnen nach dem atmosphärischen und dem Locomotivenprincip größtentheils gegen ersteres ausfallen.)

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