Titel: | Ueber die Mittel, die Bäume durch krankhafte Einwirkungen zur Fruchtbildung zu zwingen; von Heinrich Braconnot. |
Fundstelle: | Band 96, Jahrgang 1845, Nr. CXV., S. 484 |
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CXV.
Ueber die Mittel, die Baͤume durch
krankhafte Einwirkungen zur Fruchtbildung zu zwingen; von Heinrich Braconnot.
Aus den Annales de Chimie et de Physique, Mai 1845, S.
114.
Braconnot, über die Mittel, die Bäume durch krankhafte Einwirkungen
zur Fruchtbildung zu zwingen.
Betrachtet man die verschiedenen Verfahrungsweisen, welche der Mensch in Anwendung zu
bringen wußte, um die Production von Früchten bei den von ihm cultivirten Bäumen zu
vermehren, so muß man zugeben, daß der Zwek nur dadurch zu erreichen ist, daß man im
Baum eine Entartung, oder vielmehr eine wahrhafte Krankheit hervorruft, welche auf
seine ursprüngliche Kraft schwächend einwirkt. Um dieß zu erweisen und klar zu
machen, werde ich die im Gartenbau gebräuchlichen Methoden kurz angeben und man wird
sehen, daß sie alle darauf hinauslaufen, eine krankhafte Affection
hervorzurufen.
Der Schnitt. – Diese Operation wird offenbar in
der besondern Absicht vorgenommen, die Kraft der jungen Bäume zu vermindern, indem
man durch die Amputation der Zweige und die dadurch hervorgebrachten Wunden einen
krankhaften Zustand hervorruft, welcher sie zum baldigen und reichlichen Ansezen von
Früchten disponirt.
Verwandlung eines zu guten Bodens in einen schlechten.
– Man sieht manchmal in Gärten sehr kräftige Obstbäume, welche, obgleich sie
beschnitten wurden, doch nichts als eine große Menge Zweige und Blätter
hervorbringen. Um dieselben zur Fructification zu bringen, wurde vorgeschlagen, die
ihre Wurzeln umgebende Erde wegzuschaffen und durch Kiessand zu ersezen. Dieses
Verfahren hat, wie man sieht, keinen andern Zwek, als den Baum zu schwächen, indem
man ihn einer zu kräftigen Nahrung entwöhnt. Hie und da begnügt man sich auch,
einige starke Wurzeln zu entblößen und abzuschneiden. Uebrigens blühen bekanntlich
die Culturgewächse im
Allgemeinen um so lieber, je weniger gut sie genährt werden.
Verminderte Begießung. – Eine fortgesezte
Verminderung der Begießung, etwas unterhalb der natürlichen Gränze, ruft bei einem
zu kräftigen jungen Bäumchen eine beginnende Atrophie (Darrsucht) hervor, die ein
reichliches Blühen zur Folge haben kann. Ein merkwürdiges Beispiel hievon ist
folgendes: ich zog mehrere Jahre lang einen japanischen wilden Quittenbaum im Topf
und war besorgt es ihm nie an Wasser fehlen zu lassen. Er trieb kräftig eine große
Menge Blätter, aber wenig oder gar keine Blüthen, was mich bestimmte, ihn sich
selbst zu überlassen, ohne ihm eine andere Begießung zukommen zu lassen, als
diejenige welche ihm der Regen geben konnte; er schien unter diesem Regime zu leiden
und ich stellte ihn, nachdem er die ersten Winterfröste ausgehalten hatte, ins
Treibhaus, wo er die sorgfältigste Pflege genoß. Mit Verwunderung bemerkte ich gegen
das Ende des Winters, daß die habituelle Phyllomanie (Blättersucht) dieses Bäumchens
verschwunden war, um einem sehr reichlichen Blüthenstand Plaz zu machen.
Stokschläge. – Um die Bäume zum Früchtetragen zu
zwingen, wurde vorgeschlagen, ihnen die Bastonnade (Stokschläge) zu geben. Dieser
Kunstgriff bringt manchmal eine schwere Krankheit hervor, welche von der
Entblätterung, von Contusionen und Wunden herrührt; da diese aber Geschwüre oder
Holzfäule erzeugen können, so ist wohl ein solches Verfahren bei einer guten Cultur
nicht zulässig.
Salz. – Ich habe noch eines ganz neuerlich von
einem preußischen Baumzüchter empfohlenen Verfahrens zu erwähnen; wenn den
Berichterstattern der Berliner Gartenbaugesellschaft Glauben zu schenken ist,
liefert es bei den Obstbäumen wahrhaft staunenswürdige Resultate. Es besteht darin,
gegen Anfang Oktobers auf dem ganzen Erdreich, so weit es von den Zweigen geschüzt
ist, Kochsalz in der Art auszustreuen, daß dasselbe ganz damit bedekt wird. Doch
glaube ich, muß die Quantität ziemlich groß seyn, wenn es im Baum eine hinlängliche
Störung hervorbringen soll, um seine Kraft zu schwächen, und folglich die
Fruchtbildung hervorzurufen; denn nur so verstehe ich die Wirkung des Salzes, nicht
aber in einer speciellen Kraft, die ihm mehrere Agronomen zuschreiben wollen.Man vergl. S. 130. u. 134 in diesem Bande des polytechnischen Journals.
Ich darf übrigens nicht verschweigen, daß ein obigem ähnliches Mittel von dem
berühmtesten Akerbauverständigen des Alterthums hochgepriesen wurde. Schon Columella sagt, daß die mit Harn begossenen Bäume mehr und
schmakhaftere Früchte tragen; dasselbe sagt Palladius vom
Weinstok und Mortimer versichert daß die Kent'schen
Reinetten-Aepfel ausarteten, wenn man die Bäume nicht mit Harn begoß. In
jedem Fall scheint mir dieser den Vorzug vor dem Salze zu verdienen, nicht nur, weil
er nichts kostet, sondern wegen seines Säureüberschusses, welcher, wenn er auch
jungen krautartigen Gewächsen schädlich ist, doch zugleich mit den im Harn
enthaltenen Salzen viel beiträgt, um die Kraft der Bäume zu vermindern und die
Hervorbringung von Früchten zu vermehren.
Gifte. – Gifte wurden bisher noch nicht
vorgeschlagen, um die Bäume zur Fructification anzuregen. Allein dem Vorhergehenden
zufolge müßten sie, vorsichtig angewandt, von nüzlicher Wirkung seyn. Vorzüglich
wären sie bei jenen großen kräftigen Bäumen zu versuchen, welche umgehauen werden
müssen, wenn sie nach einer langen Reihe von Jahren Früchte zu tragen aufhören.
Schließlich kann ich nicht umhin zu bemerken, daß dieser krankhafte Zustand, welchen
man in den Bäumen erzeugt, um sie fruchttragend zu machen, sich im Normalzustand
auch bei den Blüthen aller Pflanzen zu zeigen scheint, sobald der Fruchtansaz
(Rudiment) sich zu bilden beginnt, und nicht ohne Grund betrachten die neuern
Botaniker die Blüthendekblätter und die Blumenkrone für ausgeartete Blätter. Auch
hat der geistreiche Naturforscher Lamark schon vor langer
Zeit in den Blüthen von ihrer Entstehung an einen krankhaften Zustand angenommen,
welchen er mit der herbstlichen Färbung der Blätter gegen das Ende ihres Lebens hin
vergleicht. (Flore française 3
e
édit. I
er
vol. pag. 198.)