Titel: | Neues System der Locomotion mit comprimirter Luft; von O. Pequeur. |
Fundstelle: | Band 99, Jahrgang 1846, Nr. II., S. 11 |
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II.
Neues System der Locomotion mit comprimirter
Luft; von O.
Pequeur.
Aus dem Technologiste, Oct. 1845, S.
40.
Pequeur's System der Locomotion mit comprimirter Luft.
Das Ziel, welches ich bei meinem neuen System vor Augen hatte, ist dasselbe, welches
den Erfindern der atmosphärischen Eisenbahnen vorschwebt; wie sie, wollte auch ich
Feuer und Dampf von den Wagenzügen ausschließen und dadurch die Gefahren für die
Reisenden vermindern. Ich lenkte meine Untersuchungen auf ein prakticables Mittel,
und zwar auf das prakticabelste, das ich ausfindig machen konnte, um die Kraft einer
stationären Betriebsmaschine auf einen Wagenzug während seiner Bewegung zu
übertragen.
Jedermann sieht ein daß, wenn man anstatt comprimirten Dampfs eben so stark
comprimirte Luft auf die Kolben einer gewöhnlichen Locomotive wirken ließe, diese
eben so gut und mit derselben Kraft sich fortbewegen würde. Es handelt sich daher um
die Frage: das Mittel zu finden, die mit Hülfe eines
stationären Motors comprimirte Luft nach den Kolben einer in vollem Laufe
befindlichen Locomotive herzuleiten. Ich glaube diese Frage glücklich
gelöst zu haben und zwar mittelst eines Mechanismus, den ich jetzt in gedrängter
Kürze zu erläutern versuchen werde.
In der Mitte einer gewöhnlichen Eisenbahn befestige ich eine gußeiserne Röhre von
geeignetem Durchmesser. Diese längs der Eisenbahn sich hinziehende Röhre dient der
comprimirten Luft zugleich als Reservoir und als Leitung. An dem oberen Theil der
Röhre befindet sich von 2 zu 2 Metern ein Röhrenansatz, welcher durch ein von außen
nach innen sich öffnendes Ventil geschlossen wird. Hieraus erhellt, daß die in der
Röhrenleitung enthaltene comprimirte Luft die ganze Reihe von Ventilen fortwährend
geschlossen zu halten strebt.
Die Apparate zur Comprimirung der Luft können in größerer oder geringerer Nähe der
Eisenbahn in mehr oder weniger bedeutenden Abständen von einander angeordnet werden;
dieß alles, so wie die Stärke die man den Motoren gibt, sind Dinge, welche sich
willkürlich anordnen lassen; es genügt, daß sämmtliche Motoren auf einer gegebenen
Linie stark genug sind, um die comprimirte Luft zu liefern, welche der Dienst der
Eisenbahn erfordert. Die Motoren können durch Dampf, Wasser oder Wind getrieben
werden, und man kann comprimirte Luft von 2, 3, 4 und mehr Atmosphären anwenden.
Jedes der erwähnten Ventile steht mit einem zur Seite der Röhre angebrachten Hebel in
Verbindung. Ein Druck auf diesen Hebel öffnet das Ventil und läßt die Luft aus der
Röhre entweichen. Ueber der Hauptröhre und auf jedem der Röhrenansätze ist parallel
zur ersteren eine 2 Meter lange Kammer angeordnet, die ich Vertheilungsbüchse (boite distributrice)
nenne, welche eine an beiden Enden geschlossene quadratische Röhre bildet. An der
unteren Seite und in der Mitte dieser Vertheilungsbüchse befindet sich ein
Röhrenansatz, welcher hermetisch auf den Ansatz der Hauptröhre paßt, so daß, wenn
das Ventil sich öffnet, die comprimirte Luft in die Vertheilungsbüchse dringt. Die
obere Seite der Vertheilungsbüchse enthält zwei verticale Ränder, welche ihr die
Gestalt eines Falzes oder einer Nuth geben, und da die Vertheilungsbüchsen mit ihren
Enden zusammenstoßen, so entsteht an der oberen Seite eine fortlaufende Nuth, so
lang wie die Eisenbahn. Der Boden der Nuth enthält eine gewisse Anzahl Löcher,
welche durch Ventile geschlossen werden, die sich wie die oben erwähnten Ventile von
außen nach innen öffnen, jedoch kleiner als diese sind. Jedes der kleineren Ventile
steht mit einem zur Seite der Vertheilungsbüchse angeordneten Hebel in Verbindung,
der zum Oeffnen desselben dient. Das Ganze bildet demnach eine zweite Reihe von
Ventilen und Hebeln.
Der Boden der Nuth ist glatt gearbeitet, weil der Theil, welcher dazu bestimmt ist
die comprimirte Luft aufzunehmen und den Kolben der Locomotive zuzuführen, auf
diesem Boden unter hermetischem Schlusse gleiten muß. Diesen Theil nenne ich Gleitschiene (glissière). Die
Nuth ist durch ein Dach gegen Staub, Regen und Schnee geschützt; dieses Dach besteht
auf der einen Seite aus Leder und auf der andern aus Eisenblech und läßt sich bei
Annäherung der Gleitschiene leicht öffnen und hinter derselben wieder schließen. Die
Gleitschiene ist ein unten hohles Metallstück, welches eine umgekehrte Büchse
bildet. Sie ist schmal genug, um frei in der Nuth zu gleiten und lang genug, um zwei
oder drei Ventile der Nuth zu bedecken. Ihr hohler Theil steht durch eine biegsame
Röhre mit dem Kolben der Locomotive in Verbindung, so daß die aus den kleinen
Ventilen entweichende comprimirte Luft auf die Kolben ihre Wirkung äußern kann.
Eine kleine horizontale an ihren Enden mit Erhöhungen versehene Stange ist an der
Seite der Gleitschiene befestigt und zwar in der geeigneten Höhe, um auf die Hebel
der kleinen Ventile drücken zu können, so daß diejenigen Ventile, welche sich unter
der Gleitschiene befinden, immer geöffnet sind.
Die Gleitschiene ist mittelst biegsamer Stahlschienen und eines Systems von Federn an
die Locomotive befestigt, so daß sie gleichförmig in der Nuth fortgezogen wird, ohne
irgend eine Quantität der aufgenommenen comprimirten Luft entweichen zu lassen; und
dieses findet statt, ungeachtet des Wechsels der Bewegung von der Rechten zur Linken
und des Oscillirens der Locomotive. Da die kleinen durch die Gleitschiene bedeckten
Ventile beständig offen sind, so brauchen nur eine oder zwei der größeren Ventile,
welche den kleinen Oeffnungen entsprechen, geöffnet zu werden, um die comprimirte
Luft aus der Röhre in die Vertheilungsbüchsen und von da in die Cylinder der
Locomotive dringen zu lassen, auf deren Kolben sie einen ihrer Compression
entsprechenden Druck ausüben wird.
Um die großen Ventile zu öffnen, ist eine horizontale Schiene, welche lang genug ist,
um einen und zwei Hebel abwechselnd niederdrücken zu können, und deren Enden wie bei
der erwähnten kleineren Schiene mit Erhöhungen versehen sind, unter der Locomotive
angeordnet und zwar in der Höhe der zu den großen Ventilen gehörigen Hebel. Die
Einrichtung ist so getroffen, daß der Conducteur mit Hülfe eines in seinem Bereich
befindlichen Hebels diese Schiene niederlassen oder in die Höhe heben kann, je
nachdem er die Hebel niederdrücken oder sie unberührt lassen will. Diese größere
Schiene ist so lang, daß sie während der Vor- oder Rückwärtsbewegung der
Locomotive den Hebel niederdrückt und das zugehörige große Ventil öffnet, um die
Vertheilungsbüchse ein wenig vor der Ankunft der Gleitschiene bei derselben zu
speisen. Dadurch entsteht ein ununterbrochenes Einströmen der comprimirten Luft in
den Cylinder. Der Conducteur hat es übrigens in seiner Gewalt, diese Zuströmung zu
unterbrechen und somit der Locomotive nur die vorher erlangte Quantität der Bewegung
zu lassen.
Ein anderer gleichfalls im Bereich des Conducteurs befindlicher Hebel dient dazu, die
Richtung der unmittelbar auf die Maschine wirkenden elastischen Kraft zu verändern.
Mit Hülfe dieses Hebels kann jener die Maschine anhalten, langsamer und schneller
oder rückwärts gehen lassen. Um geneigte Ebenen hinaufzufahren, kann man die Kraft
auf zweierlei Weise vermehren, erstens, indem man den Druck der Luft in der Röhre
vermehrt, zweitens, indem man die Anzahl der Locomotiven an solchen Stellen
verdoppelt oder verdreifacht.
Da bei diesem System die ganze Maschine mit der kalten Luft in Berührung steht, so
gehen hieraus große Vortheile hervor. Die gewöhnlichen durch Hochdruckdampf in
Bewegung gesetzten Locomotiven erlangen eine Temperatur, welche die Cohäsion der
Metalltheilchen bedeutend vermindert und zu ihrer baldigen Zerstörung sowie zur
Zerstörung des der Verminderung der Reibung wegen angewandten Oels oder Fetts
bedeutend beiträgt. Es läßt sich daher mit Gewißheit voraussetzen, daß man bei
Anwendung des vorliegenden Systems die Abnützung vermindern und eine weit größere
Dauerhaftigkeit erlangen wird.
Ein großer Vortheil des in Rede stehenden Systems in Vergleich mit dem Dampfsystem
liegt in dem Umstand, daß die Locomotiven mit comprimirter Luft drei- oder
viermal leichter als Dampfwagen gemacht werden können, ohne deßwegen eine geringere
Adhäsion an den Schienen zu äußern. Dampfwagen und Tender ruhen nämlich auf 4 oder 5
Räderpaaren; in der Regel wirkt die Maschine nur auf eines dieser Räderpaare, und die Adhäsion dieses Rades allein muß nicht
nur die productiven Waggons fortziehen, sondern auch den Widerstand von 3 oder 4
unproductiven Räderpaaren überwinden, indem letztere nur dazu dienen, einerseits
mindestens die Hälfte des Dampfwagengewichts, andererseits den ganzen Tender mit
seinem Inhalt zu tragen. Die Locomotive mit comprimirter Luft dagegen braucht keinen
Tender; außerdem ist sie von Dampfkessel und Feuerkasten befreit. Dennoch bietet sie
den nöthigen Platz dar, um an jedem Räderpaar einen Motor anzubringen. Da aber durch
dieses Mittel alle Räder der Luftlocomotive direct beherrscht sind, dient die
Adhäsion eines jeden der Zugkraft als Stützpunkt, und die Adhäsion des Totalgewichts
dieser Locomotive trägt dazu bei, das Gleiten der Räder auf den Schienen zu
verhindern, während bei dem Dampfsystem nur der dritte oder vierte Theil der
Adhäsion des Totalgewichts dazu beiträgt, dasselbe Gleiten auf den Schienen zu
verhindern. Man kann daher die Luftlocomotive unbeschadet ihrer Zugkraft
drei- oder viermal leichter als Dampflocomotiven machen.
Diese Gewichtsverminderung allein ist schon ein großer Vortheil, weil sie gestattet
12 oder 15 Tonnen Waaren zu transportiren, welche ein dem Tarif proportionales
Product liefern, während bei dem Dampfsystem 16–18 Tonnen auf eine durchaus
unproductive Weise nothgedrungen transportirt werden müssen.
Ein anderer gleichfalls sehr beachtenswerther Vortheil meines Systems beruht auf dem
Umstand, daß die Leichtigkeit der Locomotive eine bedeutende Reduction des Gewichts
der Schienen gestattet, woraus eine große Ersparniß in den Anlagekosten einer
Eisenbahn hervorgeht. Andere Quellen der Ersparniß sind noch folgende. Die Brücken
und Viaducte brauchen
bei meinem System nicht so stark zu seyn; rechnet man hiezu noch die Fähigkeit
starke Rampen hinanzufahren und durch Curven von kleinen Halbmessern zu fahren, so
wird man einsehen, daß mein System nicht so kostspielig ist, als es im ersten
Augenblick erscheint, und schließen können daß das, was es hinsichtlich der
Anlagekosten mehr als eine gewöhnliche Dampfeisenbahn kosten dürfte, durch die
tägliche Ersparniß mindestens ausgeglichen würde.
Die vorangegangene Beschreibung bezieht sich auf das in meinem Hof versuchsweise
ausgeführte System, welches indessen noch einer großen Vereinfachung fähig ist, die
ich noch bezeichnen will. Vorher muß ich aber bemerken, daß es bei dem Zustand
unserer Kenntnisse von der Reibung der Luft schwer seyn würde, den für eine gegebene
Bahnlinie und einen bestimmten Verkehr geeignetsten Durchmesser der Hauptröhre zu
bestimmen. Um jedoch nichts im Ungewissen zu lassen, haben wir, HHrn. Bontemps, Zembaux und ich, uns
entschlossen, Versuche in hinreichend großem Maaßstab über die Reibung der Luft in
Röhren anzustellen. Die Resultate dieser Versuche habe ich in einer dem Institute
kürzlich überreichten Abhandlung niedergelegt. Sie beweisen, daß die Reibung der
Luft sehr gering ist, und daß man viel engere Röhren, und also viel billigere Röhren
anwenden kann, als man anzunehmen geneigt war. Diese Versuche stellen z. B. heraus,
daß man mit einer nur 15 Centimeter im Durchmesser haltenden, 24 Kilometer langen
Röhre die Kraft einer stationären Maschine auf eine Locomotive von 16 Pferdekräften
fortpflanzen könnte, und dabei nur ¼ Atmosphäre durch die Reibung verlöre,
und daß man, um dieselbe Kraft auf die vierfache Entfernung fortzupflanzen, den
Durchmesser der Röhre nur zu verdoppeln brauchte.
Erwägt man endlich, daß seit 13 Monaten, wo die Versuchseisenbahn in meinem Hofe
aufgestellt ist, ungeachtet der zahlreichen Versuche, die mit derselben angestellt
wurden, kein einziges Ventil in Unordnung gerathen ist, so wird man einsehen, daß
man ohne Gefahr die Vertheilungsbüchsen mit ihren Ventilen weglassen kann. Der auf
diese Weise vereinfachte zwischen den Bahnschienen angeordnete Apparat bestände
alsdann nur aus der Hauptröhre, der erwähnten Nuth, und einer einzigen Reihe von
Ventilen und Hebeln. Man könnte diese Ventile in Abständen von 60–80
Centimetern von einander anbringen, was 1666 oder 1250 per Kilometer ausmachte, während für dieselbe Distanz 5500 Ventile
nothwendig seyn würden, wenn man die Construction dem ersten Modell gemäß ausführen
wollte. Der Apparat würde ungefähr 80 Kilogr. per Meter wiegen
und in vollendetem Zustande, mit Einschluß des Wetterdachs, 40–45 Fr. per Meter, oder 40–45,000 Fr. per Kilometer kosten. Aber von dieser Summe ist in
Vergleich mit den Dampfeisenbahnen abzuziehen: die Materialersparniß an Schienen und
Bauconstructionen wegen der größeren Leichtigkeit unserer Locomotiven, ferner die
Ersparniß hinsichtlich der Anzahl und Kosten der Locomotiveu und der Hinweglassung
der Tender, Pumpen, Wasserreservoirs u. s. w. Alle diese summirten Ersparnisse
werden den größten Theil der erwähnten Kosten aufwiegen. Kurz, die Aufstellung des
Eisenbahnsystems mit comprimirter Luft wird schwerlich kostspieliger kommen, als die
der Dampfeisenbahn, und es werden zu Gunsten des ersteren Systems noch folgende
Vortheile bleiben:
1) beachtenswerthe Ersparnisse an Brennmaterial, Personal und Unterhaltung von
Locomotiven und Schienen, wodurch sich die Betriebskosten um mehr als ⅓
vermindern würden;
2) die Gefahren einer Explosion oder Entzündung werden gänzlich verschwinden,
Störungen werden beinahe unmöglich seyn und die Reisenden nicht mehr durch Rauch und
Asche belästigt werden;
3) zur Erzeugung beliebiger Geschwindigkeiten wird man die von der Natur dargebotenen
Kräfte benützen können, so daß da, wo diese ausreichen, die ganze Consumtion an
Brennmaterial wegfällt.