Titel: | Betrachtungen über die Percussionskraft eines Eisenbahnzuges. |
Fundstelle: | Band 100, Jahrgang 1846, Nr. II., S. 3 |
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II.
Betrachtungen über die Percussionskraft eines
Eisenbahnzuges.
(Eine
Skizze.)
Betrachtungen über die Percussionskraft eines
Eisenbahnzuges.
Percussionskraft ist diejenige Kraft, mit der ein Körper sich fortbewegt.
Man wendet diesen Ausdruck gewöhnlich nur bei Projectilen an, die sich im freien Raum
in einer ihnen ertheilten Richtung fortbewegen und ein Ziel zu treffen bestimmt
sind. Indessen kann diese Bezeichnung nicht maßgebend für den Begriff seyn, da beide
Momente, welche die Percussionskraft bedingen, nämlich Gewicht und Geschwindigkeit,
sich auch an jedem andern in der Bewegung begriffenen Körper wahrnehmen lassen. Eben
so ist es auch nicht Bedingung, daß der sich bewegende Körper wirklich einen andern
trifft, sondern Percussionskraft ist in weiterer Erklärung diejenige Kraft, die ein
Körper durch seine Bewegung nach Maaßgabe seines Gewichts und seiner Geschwindigkeit
hat. Letztere aber ist ein Resultat aus der ihr mitgetheilten bewegenden Kraft unter
Einwirkung des Widerstandes der Luft und der Reibung. Wir haben es also lediglich
mit dem Gewicht und der Geschwindigkeit zu thun, mag der Körper sich nun in der Luft oder auf
einer stabilen Unterlage fortbewegen.
Diese Auffassung läßt sich aber vollkommen auch auf einen Eisenbahnzug anwenden, und
es wird daher bei diesem unter Percussionskraft diejenige Kraft zu verstehen seyn,
mit der er sich, die Luft durchdringend, fortbewegt, und die er auf einen Körper
äußern würde, wenn er auf einen solchen träfe.
Fragt es sich zuerst, wie groß die Percussionskraft eines Eisenbahnzuges an und für
sich sey, so ist der allgemeine Ausdruck dafür das Product aus
dem Gewicht des Zuges multiplicirt mit seiner Geschwindigkeit.
Das Gewicht ist eine absolute Größe, die für einen
bestimmten Fall unveränderlich ist, und es könnte nur die Frage entstehen, ob das
aliquote GewichtDen durch die stabile Unterstützung entstehenden und durch das Parallelogramm
der Kräfte zu bestimmenden Gewichtsverlust lassen wir hier und im Folgenden
zur Vereinfachung der Betrachtung außer Acht. des ganzen Zuges in Rechnung gesetzt werden
müsse, da derselbe aus einzelnen Gliedern besteht, von denen das hintere durch das vordere fortgezogen
wird, und die noch dazu unter einander eine bewegliche Verbindung haben, so daß man
in gewissem Sinne sagen kann, der Zug sey nicht ein
Körper, sondern er bestehe aus einem Zusammenhang mehrerer Körper. Dennoch läßt er
sich für diesen Zweck nur als ein Körper betrachten; denn
sobald er während der Bewegung auf ein Hinderniß trifft, wirkt die ganze Masse mit
ihrem Gewicht. Wenn der Zug sich in Bewegung setzt, so bekommt die Locomotive nach
und nach den 1sten, 2ten, 3ten, 4ten.... Wagen zu ziehen bis alle Fahrzeuge in
Bewegung sind. Eben so hört nach und nach beim Aufprellen auf ein Hinderniß die
Bewegung des 1sten, 2ten, 3ten, 4ten.... Wagens auf; allein letzteres geschieht in
ungleich kürzern Zeittheilen als ersteres, so daß man füglich den Druck der Masse
als momentan annehmen kann;
selbst wenn die Geschwindigkeit so gering angenommen wird, daß sie schon in den
Stillstand übergeht, kann noch ohne erheblichen Irrthum ein momentaner Druck, d. i.
eine Wirkung des Gewichts von dem ganzen Zuge, angenommen
werden, obgleich die Zeittheilchen des allmählichen Stillstandes dann schon etwas
größer sind.
Die Geschwindigkeit dagegen kann sehr veränderlich seyn,
und somit die Percussionskraft wesentlich modificiren; jedoch darf sie ebenfalls nur
für sich in Rechnung kommen, nicht aber die sich fortwährend erneuernde Kraft durch
den Dampf, von welcher, sowie von dem Einfluß der Reibung und des Widerstandes der
Luft, die Geschwindigkeit nur das Resultat ist, und die schon als absorbirt
betrachtet werden muß, sobald sie auf die Bewegung gewirkt hat.
Ist nun die Geschwindigkeit = 0, d.h. befindet sich der Zug in der Ruhe, so ist die
Percussionskraft auch = 0; ist die Geschwindigkeit = ∞, so ist die
Percussionskraft auch = ∞.
Um den Uebergang der Geschwindigkeit G von 0 zu ∞
auszudrücken, kann man sich den Raum w denken, den der
Zug während einer Secunde durchlaufen würde, und so erhält man dafür die allgemeinen
Größen 0, w/m, w/n, w, 2w, 3w.... nw.... ∞. Der
Ausdruck für die Percussionskraft P ist, wenn man das
Gewicht des Zuges M nennt, P
= M . G, und setzt man für
G die obigen Größen, so erhält man für die
allmähliche Zunahme der Percussionskraft P = 0, M (w/m), M (w/n), Mw, M2w, M3w.... Mnw...
∞.
Indessen wird die erhaltene Größe sich immer nicht rational ausdrücken lassen, d.h.
kein absolutes Maaß für P geben, sondern nur das Verhältniß in Bezug auf die
Einheit darstellen, weil man noch nicht weiß, für welche Geschwindigkeit das Gewicht
des Zuges die Percussionskraft als Einheit ausdrückt. Denn nehmen wir z.B. das
Gewicht des Zuges zu 1000 Cntr. an, die Geschwindigkeit in einer Secunde = 1 Fuß, so
ist für diese P = 1000, für 2 Fuß = 2000 u.s.f. Man kann
aber nicht sagen, daß P = 1000, 2000, n Centner sey, da die Einheit sich auch in Zollen oder
Ruthen etc. annehmen läßt, mithin für den Zoll als Einheit P auf den Fuß berechnet = 12000 seyn würde, statt vorhin 1000.
Um daher die Percussionskraft in benannten Zahlen darzustellen, würbe erst die
Geschwindigkeit ausgemittelt werden müssen, für welche das einfache Gewicht des
Zuges als Einheit für die Percussionskraft anzunehmen ist, und dann hätte man für
jede andere Geschwindigkeit bei demselben Gewicht ein einfaches
Multiplications-Exempel. Hätte man z.B. gefunden, daß das Gewicht von 1000
Cntrn. die Percussionskraft für die Geschwindigkeit von 1 Fuß in der Secunde
ausdrückte, dann wäre P für 2 Fuß 2000 Cntr. u.s.w.
Hierüber fehlt es aber noch an absoluten Angaben. So würde für dieses Maaß die
Percussionskraft eines 1000 Cntr. schweren Zuges bei der gewöhnlichen
Geschwindigkeit der Personenzüge von einer Meile in 12 Minuten = 2777,77.. Cntr.
betragen, indem die Geschwindigkeit in der Minute 166,666.. Ruthen, und in der
Secunde 2,777.. Fuß beträgt.
Dieß würde die Percussionskraft in wagerechter Richtung seyn; wie sich dieselbe in
der Steigung und im Fall nach Maaßgabe des Neigungswinkels gestalten würde, ließe
sich nach bekannten mechanischen Gesehen bestimmen, doch würde dieß, wie man sieht,
für jetzt kein genügendes Resultat geben.
Betrachten wir nunmehr die Wirkungen der Percussionskraft
beim Zusammentreffen mit andern Körpern, so hängt
diese einmal von der Percussionskraft an sich, dann aber
von der Widerstandsfähigkeit beider zusammentreffender
Körper ab.
Lassen wir die letztere vorläufig außer Acht, so nehmen wir nach dem Obigen wahr, daß
die Zerstörung desto größer seyn muß, je größer die Geschwindigkeit der Bewegung
ist. Wird ein in der Ruhe befindlicher Körper gedacht, welcher dem sich
fortbewegenden Zuge als Hinderniß entgegentreten soll, so hat man es mit der
einfachen Geschwindigkeit des Zuges zu thun.
Bewegt sich jener Körper, z.B. ein anderer Zug, dem Zuge entgegen, so muß zur
Bestimmung der fraglichen Percussionskraft noch die Geschwindigkeit des andern
Zuges, multiplicirt mit seinem Gewicht, nämlich dessen Percussionskraft, zu ersterer hinzu addirt
werden, um das Maaß der Zerstörung zu erhalten. Dieß ergibt sich daraus, daß man den
einen Zug als stillstehend betrachten kann, und die wahre Geschwindigkeit, mit
welcher beide Körper auf einander zueilen, diejenige ist, mit welcher sich die
Entfernung zwischen beiden verkürzt. Je schneller also der entgegenkommende Zug sich
bewegt, desto größer wird präsumtiv die Zerstörung; je langsamer, desto
geringer.
Geht dagegen dem Zuge ein anderer voran, so nimmt die Zerstörung mit der
Geschwindigkeit des letzteren ab, und muß daher diese von dem des nachfolgenden
subtrahirt werden, so daß die Zerstörung = 0 wird, wenn die Geschwindigkeiten beider
Züge gleich sind, indem dann die Entfernung zwischen beiden dieselbe bleibt, und
daher der eine den andern nicht einholt.
Hienach haben wir also drei verschiedene Fälle, wie die Percussionskraft bestimmt
werden muß:
1) bei feststehendem Hinderniß durch Multiplication der Geschwindigkeit des Zuges mit
seinem Gewicht;
2) bei entgegenkommendem Hinderniß, indem die Geschwindigkeit jedes der beiden Züge
mit seinem Gewicht multiplicirt wird, und dann die Addition beider Producte
erfolgt;
3) bei vorangehendem Hinderniß, indem die Geschwindigkeit desselben von der des
nachfolgenden Zuges subtrahirt und der Rest mit dem Gewicht des letzteren
multiplicirt wird.
Das Maaß der Zerstörung hängt demnächst aber von der Widerstandsfähigkeit beider auf einander treffender Körper ab, welche
nicht allein von der Festigkeit der Masse bedingt wird,
sondern auch einen momentanen Zuwachs durch die Geschwindigkeit erhält, und zwar im quadratischen Verhältnisse mit
derselben wächst. Recht anschaulich wird dieß durch die Bewegung eines Körpers im
Wasser. So kann z.B. Wasser bei langsamer Bewegung durch den Arm eines Menschen
leicht durchdrungen werden, während man durch einen heftigen Schlag mit dem Arm auf
die Oberfläche des Wassers sich letzteren zersprengen könnte.
Um diese Betrachtung zu vereinfachen (denn wirtliche Rechnungen sind bis jetzt
unmöglich), nehmen wir, wie es auch in der That der Fall ist, die Festigkeit des
sich bewegenden Zuges als unveränderlich an, und denken uns ein feststehendes Hinderniß von verschiedenen Graden der
Widerstandsfähigkeit.
Ist die Widerstandsfähigkeit geringer als die des Zuges,
so wird sie von diesem beim Zusammentreffen sofort überwunden, und das Hinderniß nach Umständen
entweder durchdrungen oder fortgeschleudert, wobei der Grad der Zerstörung von der
größern oder geringern Widerstandsfähigkeit des Hindernisses abhängt, sich aber
größtentheils auf das Hinderniß erstrecken wird. Doch auch der Zug kann hiebei nicht
unerschüttert bleiben, da die Widerstandsfähigkeit des Hindernisses, wenn auch
geringer angenommen, immerhin einen Widerstand abgibt, und dieser noch dazu, wie
oben erwähnt, mit der Geschwindigkeit in einem quadratischen Verhältnisse wächst.
Ganz aufhören könnte die Rückwirkung auf den Zug nur dann, wenn der Widerstand des
Hindernisses gleich Null würde, dasselbe also auch aufhörte ein Hinderniß zu
seyn.
Ist die Widerstandsfähigkeit bei beiden gleich, so hängt
die Zerstörung allein von der Geschwindigkeit ab. Ist nämlich letztere sehr gering,
so erfolgt ein bloßes Zusammenprellen, und der Zug bleibt stehen. Dieß wird auch
noch bei größerer Geschwindigkeit der Fall seyn, insofern nur die
Widerstandsfähigkeit damit im Verhältniß steht. Hört aber dieses Verhältniß auf,
d.h. die Erschütterung vermag der Percussionskraft nicht zu widerstehen, so muß ein
Zertrümmern beider Gegenstände, sowohl des Zuges als des Hindernisses, erfolgen, und
die Zerstörung wächst mit der Geschwindigkeit.
Ist endlich die Widerstandsfähigkeit des Hindernisses größer als die des Zuges, so
wird bei langsamer Bewegung letzterer wiederum nur anprellen und stehen bleiben, bei
schneller aber allein zertrümmert werden, während das Hinderniß nach Maaßgabe seiner
Widerstandsfähigkeit eine mehr oder minder große Erschütterung erleidet.
In ähnlicher Art läßt sich die Wirkung der Percussionskraft betrachten, wenn man sich
das Hinderniß beweglich denkt, und zwar einmal dem Zuge
entgegenkommend unter verschiedenen
Geschwindigkeiten, und dann demselben bei langsamerer Bewegung vorangehend (denn bei gleich schneller oder gar schnellerer Bewegung kann
ein Zusammentreffen natürlich nicht erfolgen); in beiden Fällen aber, indem man sich
den Widerstand des Hindernisses geringer als bei dem Zuge, dann bei beiden gleich,
drittens bei dem Hindernisse größer als bei dem Zuge vorstellt, endlich aber die
Modalitäten aller dieser Fälle, die durch eine Bewegung bergan oder bergab eintreten
würden, in Erwägung zieht.
Indessen mögen diese allgemeinen Andeutungen über die Art und Weise, wie der
vorliegende Gegenstand zu betrachten seyn dürfte, hiemit genügen; um so mehr, als an
eine wirkliche Ausführung von Rechnungen für jetzt gar nicht zu denken ist. Selbst
dann, wenn man Maaße für alle hiebei einwirkenden Verhältnisse hätte, würde diesen immer nur insofern ein
Werth beizulegen seyn, als sie als eine Annäherung an die Wirklichkeit angenommen
werden könnten.
v. M. I.