Titel: | Ueber die Krankheiten der Arbeiter in Zündhölzchenfabriken und die Mittel denselben vorzubeugen; von Dr. Th. Roussel. |
Fundstelle: | Band 100, Jahrgang 1846, Nr. XIV., S. 69 |
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XIV.
Ueber die Krankheiten der Arbeiter in
Zündhölzchenfabriken und die Mittel denselben vorzubeugen; von Dr. Th. Roussel.
Aus den Comptes rendus, Februar 1846, Nr.
7.
Roussel, über die Krankheiten der Arbeiter in
Zündhölzchenfabriken.
Durchgeht man die verschiedenen Operationen bei der Reibzündhölzchenfabrication, so
findet man, daß die schädliche Einwirkung auf die Gesundheit nur einigen derselben
zuzuschreiben ist, und durch eine zweckmäßige Trennung der Arbeitslocalitäten,
wodurch der regelmäßige Verlauf der Arbeit nicht beeinträchtigt wird, wenigstens das
Resultat erreicht würde, daß die Anzahl derjenigen Arbeiter, welche den Phosphordämpfen ausgesetzt sind, auf höchstens ein Fünftheil der gesammten Anzahl vermindert
würde.
Bei den Arbeitern, welche den Phosphordämpfen ausgesetzt sind, stellen sich nicht nur
mehr oder minder starke Affectionen der Respirationsorgane
ein, sondern auch solche des Zahnfleisches und der
Kinnbackenknochen, welche letztere in Nekrose (Knochenbrand) übergehen und
manchmal mit dem Tobe der Kranken endigen.
Krankheiten der Respirationsorgane. – In den
Fabriken, wo alle Operationen gemeinschaftlich verrichtet werden, sind sämmtliche
Arbeiter ohne Ausnahme dem Husten unterworfen; nur
belästigt dieser trockene und wenig schmerzhafte Husten in den meisten Fällen nicht
sehr und zeigt sich nur von Zeit zu Zeit, bei nasser Witterung, oder wenn der Mangel
an Ventilation den Phosphordämpfen gestattet sich in den Werkstätten
anzusammeln.
In jenen Fabriken, wo die Werkstätten getrennt sind, zeigt sich nur unter denjenigen
Arbeitern Husten und Bronchitis (Entzündung der Luftröhrenäste), welche die Hölzchen in die
chemische Masse eintauchen, sowie unter den Frauenspersonen, welche die Rahmen mit
den eingetauchten Zündhölzchen auseinandernehmen, oder die Packetchen verfertigen
und Schächtelchen anfüllen. Bei einigen Frauen wird der Reiz der Bronchien
chronisch; bei keiner aber trafen wir jene schlimmen Symptome an, die Hr. Gendrin beobachtete; freilich sind die Arbeiter, wenn die
Krankheit diesen Grad erreicht hat, nicht mehr in der Werkstätte, sondern im Spital.
Aus einigen Thatsachen scheint hervorzugehen, daß die lange fortgesetzte Einwirkung
der Phosphordämpfe die Entwickelung von Tuberkeln (Eiterknötchen) bei dazu prädisponirten Individuen
veranlaßt. Die Phosphorausdünstungen scheinen lediglich als reizender Körper,
keineswegs aber vermöge specieller Eigenschaften zu wirken.
Die Krankheit der Kinnbackenknochen ist viel bedenklicher
als die vorhergehenden.
Es hat sich herausgestellt, daß in der Regel Syphilis und Scropheln auf die
Entwickelung der Krankheit keinen Einfluß üben, daß dieselbe erst nach wenigstens
zweijährigem Aufenthalte der Arbeiter in den Fabriken sich einstellt, und daß alle
von ihr befallenen Individuen den Phosphordämpfen für gewöhnlich ausgesetzt
waren.
Auffallend ist die Erscheinung, daß bei allen von der Krankheit befallenen Arbeitern,
ziemlich lange vor derselben, oder sogar vor dem Eintritt des Kranken in die Fabrik,
ein oder auch mehrere Zähne derselben verdorben waren. Andererseits überzeugten wir
uns, daß die mit ganz gesunden Zähnen in die Fabrik eingetretenen Arbeiter solche
unversehrt behielten und an ihren Kinnbacken nichts zu leiden hatten. Wir müssen
demnach widersprechen, was von der Wirkung der Phosphorsäuredämpfe auf die Zähne
gesagt wurde und von der Rolle, die man ihnen bei der Erzeugung der
Kinnbackenkrankheiten zuschrieb. Vielmehr glauben wir, daß die Caries (der
Knochenfraß) der Zähne eine unerwartete krankheitsbestimmende Hauptrolle dabei
spielt.
Die Krankheit beginnt mit Zahnschmerzen und Flüssen. Nach
einiger Zeit werden die Zähne wackelnd und fallen entweder von selbst aus, oder der
Schmerz zwingt die Arbeiter sie ausziehen zu lassen. Der Fluß macht bald solche Fortschritte, daß sich Abscesse bilden, die sich
entweder im Munde durch das Gewebe des Zahnfleisches hindurch, oder im Gesicht, oder
am Halse öffnen, je nachdem das Uebel an der obern oder untern Kinnbacke seinen Sitz
hat.
In manchen Fällen bildet sich kein Absceß; dagegen bleibt, wenn die Zähne ausgenommen
oder ausgefallen sind, die Oeffnung im Zahnfleisch, statt sich zu vernarben, offen
und bald fließt ein graulicher, stinkender Eiter aus demselben, welcher einen
beständigen Speichelfluß herbeiführt. Die Eiterung wird alle Tage stärker, das
Zahnfleischgewebe wird zerstört und der mehr oder weniger abgestorbene
Kinnbackenknochen zeigt sich im Munde ganz entblößt.
Wenn die Kranken eine zweckmäßige Diät beobachten, so kann Heilung stattfinden;
häufiger aber entkräftet die durch beständigen Speichelfluß, und vorzüglich durch
eine unversiegbare stinkende Eiterung herbeigeführte Erschöpfung die Kranken; die
Verdauung wird gestört, es kömmt Fieber dazu, und bald unterliegen die armen
Kranken.
Jedenfalls ist nicht zu bezweifeln, daß die Krankheit durch die Phosphordämpfe
verursacht wird, welche die Atmosphäre erfüllen. In Deutschland schrieb man sie den
arsenikalischen Ausdünstungen zu, welche sich in
gewissen Fabriken den Phosphordämpfen beigesellen; allein die von arsenikalischen
Dämpfen hervorgebrachten Zufälle haben nicht die geringste Aehnlichkeit mit den eben
beschriebenen und andererseits trafen wir Kinnbackenknochen-Krankheiten in
Fabriken, die weder direct Arsenik, noch arsenikhaltigen Phosphor anwenden.
Ob nun Phosphorsäuredünste oder Phosphor im gasartigen Zustande die Atmosphäre der
Arbeitslose so schädlich machen, getrauen wir uns noch nicht zu beantworten.
Die Maaßregeln, welche wir anrathen, um die Zündhölzchenfabrication minder ungesund
zu machen, bestehen
1) in der völligen Trennung der Arbeitslocale, um die bedeutendsten derselben von den
Phosphordünsten frei zu erhalten; 2) in zweckmäßigen Ventilationsvorrichtungen in
den Localen, welche von diesen Dünsten nicht ganz frei gehalten werden können.
Zusatz.
Bei der Naturforscherversammlung zu Nürnberg im J. 1845 kam in der medicinischen
Section dieser Gegenstand ebenfalls zur Sprache. Hr. Dr.
Lorinser, Primärwundarzt von Wien, dann Hr. Prof. Dr. Diez in Nürnberg, Hr. Dr. Sicherer von Heilbronn a.
N., Hr. Dr. Blumhardt von
Stuttgart hatten alle Gelegenheit, in solchen Fabriken Nekrose der Kieferknochen zu
beobachten. Bemerkenswerth ist, daß in Nürnberg immer nur Arbeiterinnen einer und
derselben Fabrik von dieser KrankheitKrankeit befallen wurden. Buchner (dessen Repert. f. d.
Pharm. 2te Reihe Bd. XLI S. 102) bezweifelt, wie der Verfasser obigen Artikels, daß
ein Arsenikgehalt des verarbeiteten Phosphors daran Schuld sey, dieser Gehalt ist
nämlich sehr gering; auch verflüchtigt sich der Arsenik nicht bei gewöhnlicher
Temperatur und man hat in Fabriken und auf Hüttenwerken, wo sehr viel Arsenik
verarbeitet und zum Theil verflüchtigt wird, diese Krankheit noch nie beobachtet.
Eben so wenig liegt es in der Natur des in diesen Fabriken in beträchtlichen
Quantitäten verarbeiteten chlorsauren Kalis, solche Krankheiten herbeizuführen. Von
Zugluft und zu leichter Kleidung, wie einige vermutheten, kann sie ebenfalls nicht
herrühren, weil diese wohl Katarrh und Rheumatismus, aber keine Knochenkrankheiten
verursachen können. Da der Phosphor sich in warmer Luft leicht verflüchtigt und
phosphorige Säure bildet, die sich gerne mit dem Kalk verbindet, welcher in den
Knochen zum Theil an Kohlensäure gebunden ist, und, so wie die Phosphorsäure, wohl
auch vorzügliche Neigung hat organische Verbindungen einzugehen, so ist nach Buchner nicht daran zu zweifeln, daß der Phosphordampf,
wenn er in die Mundhöhle gelangt, die Fähigkeit besitzt die normale Mischung der
Säfte und Knochenmasse so abzuändern, daß bei gewisser individueller Disposition
endlich eine Knochenkrankheit entsteht.
M–x.