Titel: | Ueber Stärkmehl, Arrow-root und Sago; von Guibourt. |
Fundstelle: | Band 101, Jahrgang 1846, Nr. XIV., S. 48 |
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XIV.
Ueber Stärkmehl,
Arrow-root und Sago; von Guibourt.
Aus dem Journal de Pharmacie, März 1846, S. 191.
Guibourt, über Stärkmehl.
Lange Zeit wurde das Stärkmehl (so wie der Zucker, das Gummi
etc.) als eine unorganisirte Substanz oder als ein näherer
Pflanzenbestandtheil betrachtet, welcher im kalten Wasser ganz
unauflöslich ist, sich aber im siedenden Wasser auflöst, mit
welchem er nach dem Erkalten eine gallertartige Masse bilden
kann. Doch fand schon Löwenhöck im
Jahr 1716 mittelst des Mikroskops, daß die Stärke ein
organisirter Körper von kugeliger Gestalt ist, welcher aus einer
äußern Hülle, die dem Wasser und bisweilen der Verdauungskraft
der Thiere Widerstand leistet, und aus einer in Wasser leicht
auflöslichen und sehr leicht zu verdauenden Substanz besteht;
diese Beobachtungen waren jedoch ganz in Vergessenheit gerathen,
als im J. 1825 Raspail neuerdings die
Behauptung aufstellte, daß jedes Stärkmehlkörnchen ein
organisirter Körper sey, der aus einer Hülle oder einem
Tegument, welches von kaltem Wasser nicht angegriffen, durch Jod
aber bleibend gefärbt wird und aus einer innern, in kaltem
Wasser auflöslichen Masse besteht, welche ebenfalls durch Jod
blau gefärbt wird, diese Eigenschaft aber durch die Einwirkung
der Wärme oder Luft leicht verliert; woraus Raspail den Schluß zog, daß die
Eigenschaft der Stärke, durch Jod blau gefärbt zu werden, von
einer flüchtigen Substanz herrühre.
Eine Abhandlung des Hrn. Caventou,
worin derselbe die Raspail'schen
Resultate bezweifelte, veranlaßte mich diesen Gegenstand
ebenfalls vorzunehmen; die Versuche, welche ich anstellte,
bestätigten zwar vollkommen die Organisation der
Stärkmehlkörner, widersprachen aber außerdem fast allen andern
Behauptungen Raspails. So bildet,
während das ganze Kartoffelstärkmehl mit dem Mikroskop unter
Wasser betrachtet, in durchsichtigen, ganz vollendeten dicken
Körnern erscheint, die zerriebene Kartoffelstärke, in Wasser
gebracht, darin Ströme von außerordentlicher Geschwindigkeit,
welche daher rühren, daß die innere auflösliche Substanz der
zerrissenen Körner sich auflöst. Ein Theil dieser Substanz
verschwindet ganz, ein anderer bleibt an den Körnern in Gestalt
von Gallerte hangen und verschwindet in Folge angewendeter Wärme
ebenfalls. Alsdann sind die den Stärkmehlkörnern als Hülle
dienenden Tegumente leicht wahrzunehmen.
Außer diesem Versuche aber, welcher den organisirten Zustand der
Stärkmehlkörner darthut, bewiesen alle andern, daß die drei
beobachteten Theile, nämlich die Hülle, die gallertartige und die
auflösliche Substanz, nur eine und dieselbe Substanz
sind, welche sich gegen Jod, Säuren, Alkalien, Galläpfel und
Metallsalze gleich verhält und daß diese drei Bestandtheile sich
von einander nur durch die Form
unterscheiden, welche die Organisation ihnen gegeben hat.
Hr. Guèrin-Varry
indessen, nachdem er, so wie ich, im Stärkmehl dreierlei
Bestandtheile unterschieden hatte, betrachtete dieselben als
drei verschiedene Substanzen von abweichender
Elementarzusammensetzung; seine Resultate wurden aber wieder von
Payen und Persoz widersprochen, welche, nachdem sie früher in
der auflöslichen Substanz drei verschiedene Stoffe unterschieden
hatten, später annahmen, daß außer einer höchst dünnen, durch
Jod nicht färbbaren Hülle, alles Uebrige aus dem gleichen Stoff
bestehe, welchen sie Amydon (amydone) nannten. Endlich stellte
Payen in einer Abhandlung, welche
im Jahr 1838 in den Annales des sciences
naturelles, botaniques etc. Bd. X, S. 5, 65 und 161
erschien, die Ansicht der Chemiker über die Constitution der
Stärke definitiv fest, indem er sie als eine organisirte
Substanz, jedoch von gleichartiger Natur und constanter
Zusammensetzung betrachtete, deren Formel C¹² H²⁰ O¹⁰ ist, so daß sie also der Zellensubstanz,
dem arabischen Gummi und wasserfreien Zucker proportional
zusammengesetzt ist. Dieser Schluß ist bis auf die
Elementarzusammensetzung, womit ich mich nicht befaßt hatte,
derselbe, welchen ich im Jahr 1829 aussprach; doch besteht ein
wesentlicher Unterschied zwischen unsern Resultaten. Ich hatte
angenommen, daß die Kartoffelstärke aus einer unauflöslichen
Hüllensubstanz und aus einer innern auflöslichen Substanz
bestehe, welche beide durch Jod gefärbt werden; Hr. Payen ist jetzt noch der Meinung, daß
diese Stärke bis in die Mitte organisirt und fest sey, und
keinen in der Kälte auflöslichen Bestandtheil enthalte. Ich
stützte meine Ansicht darauf, daß die Stärke sowohl wenn sie
trocken, als auch wenn sie unter Wasser (um die Erhitzung in
Folge der Reibung zu vermeiden) gerieben wird, sich zum Theil im
Wasser auflöst und diese Thatsache kann nicht in Zweifel gezogen
werden; Hr. Payen aber, von der
Ansicht ausgehend, daß die Stärke durch die Reibung eine
Molecularveränderung erleiden könne, beschränkt sich darauf, sie
durch Pressen zwischen zwei Glasplatten zu zerdrücken, wobei er,
wie gesagt fand, daß die Stärke bis in die Mitte fest und
organisirt sey und an kaltes Wasser keinen auflöslichen
Bestandtheil abgibt, welcher durch Jod gefärbt wird. Ich habe
mich nun ebenfalls von der Richtigkeit dieser Thatsache
überzeugt, daß nämlich das Reiben unter Wasser die Constitution
der Stärke so weit verändern kann, daß ein Theil
derselben auflöslich wird. Ich glaube nun auch, wie Hr. Payen, daß die Stärke bis in die
Mitte organisirt ist, behaupte aber noch immer, daß bei der
Kartoffelstärke ein großer Unterschied besteht zwischen der
starken und compacten Organisation des äußern Theils, den ich
oft in Form eines zum Theil zerrissenen und innen leeren
Schlauchs sah, und der Organisation des mittlern Antheils,
welcher sich vom erstern absondert und im Wasser in Form von
Flocken zertheilt, die durch Jod gefärbt werden.
In der Organisation des Stärkmehls vom Roggen (blé) und der Gerste fand ich
einen Unterschieb, der mir es erklärlich macht, daß Proust im Gerstenmehl 55 Proc. eines
der Holzfaser ähnlichen Stoffes annehmen konnte, welchen er Hordeïn nannte, der aber gar
nicht existirt.
Das von den Engländern indisches
Arrow-root genannte Stärkmehl wurde vor 10
Jahren noch ausschließlich aus Jamaica bezogen, wo es aus einer
Varietät der Maranta arundinacea
bereitet wird, die Hr. Tussac für in
Indien heimisch hielt, und deßhalb M.
indica benannte. Allein diese Pflanze ist wirklich auf
Jamaica zu Hause, ihr Stärkmehl unterscheidet sich aber gar
nicht von demjenigen der auf den andern Antillen cultivirten M. arundinacea. Nach Indien wurde
sie erst verpflanzt, wo man sie anbaut, um daraus Stärkmehl zu
fabriciren, so daß sie den von den Engländern ihr gegebenen
Namen jetzt besser verdient, als vorher. Das alte indische Arrow-root, welches
nach Ainslie zu Travancore aus der
Wurzel von Curcuma angustifolia
gewonnen wird, ist durch seine bald ei- oder kreiselförmige, bald längliche, an
einem Ende ziemlich dicke und abgerundete, am andern spitzig
zulaufende, oft einem Reiskorn ähnliche Gestalt leicht zu
erkennen.
Seit mehreren Jahren beziehen die Engländer aus Taïti und
den andern Südseeinseln ein unter dem Namen Taïtisches Arrowroot bekanntes
Stärkmehl. Es ist in der Regel kugelförmig, ziemlich oft aber
auch eiförmig, elliptisch oder abgerundet, mit einer
Verlängerung in Form eines Halses, welcher plötzlich mit einer
Fläche endigt. Viele andere Körnchen hören in der Mitte oder 2/5
ihrer Länge mit einer auf ihre Achse senkrechten Fläche, oder
mit 2 oder 3 gegeneinander geneigten Flächen auf, was einem
durch die Berührung mit andern Kügelchen veranlaßten Aufhalten
des weitern Anwachsens zuzuschreiben ist. Was diese Stärke
vorzüglich auszeichnet, ist ein sehr großer runder Nabel, der
oft mit Spalten oder schwarzen, strahlenförmigen Strichen
versehen ist. Durch längeres Kochen in Wasser verschwindet
dieses Stärkmehl beinahe ganz, indem es einen unbedeutenden flockigen
Rückstand hinterläßt, welcher in der Flüssigkeit schwebend
bleibt.
Hinsichtlich des Sago ist man noch
sehr unsicher über seinen Ursprung; man bezeichnet als ihn
liefernd Cicas circinalis und revoluta. Arenga saccharifera, Phoenix
farinifera, Sagus genuina und farinifera und noch andere Pflanzen; es ist aber
schwer zu entscheiden, welche von diesen Bäumen die im Handel
vorkommenden Sagos – denn es gibt davon mehrere Sorten
– wirklich liefern. Planche
beschreibt in seiner schätzbaren Abhandlung über den Sago sechs
Varietäten desselben, hauptsächlich nach ihrem Ursprungsort. Da
ich die Eintheilung derselben nach ihrer Beschaffenheit
vorziehe, unterscheide ich nur drei Gattungen.
Erste Gattung. – Alter oder erster
Sago. Ich kann diese Gattung nicht wohl anders
bezeichnen; sie kömmt von sehr verschiedenen Orten her und unter
sehr verschiedenen Farben vor. Sie umfaßt:
1) Sago von den Maldiven nach Planche, in sphärischen Kügelchen von
2–3 Millimeter Durchmesser, durchscheinend, von
ungleicher in Rosenroth stechender weißer Farbe, sehr hart und
ohne Geschmack.
2) Sago von Neu-Guinea nach Planche, etwas kleinere Körner, auf
einer Seite lebhaft roth, auf der andern weiß.
3) Grauer Sago von den Molukken oder
brauner Sago der Engländer; Kügelchen von verschiedener
Größe von 1–3 Millimeter Durchmesser, undurchsichtig, von
einerseits mattgraulicher, andererseits weißlicher Farbe. Ich
halte diese grauliche Farbe nicht für natürlich, sondern für
eine Veränderung der ursprünglichen rosenrothen, welche
Veränderung durch die Zeit und Feuchtigkeit verursacht wird.
4) Großer grauer Sago von den
Molukken. Dem vorigen ganz ähnlich, aber von 4–8
Millimeter Durchmesser.
5) Aechter weißer Sago von den
Molukken. Dem Nr. 3 ganz ähnlich; nur ist dieser
vollkommen weiß, in Folge des vollkommenen Auswaschens des zu
seiner Fabrication dienenden Stärkmehls.Man darf diesen zuweilen aus Indien oder von den Molukken
kommenden weißen Sago, so wie auch den rothen von
Neu-Guinea oder den grauen molukkischen nicht
verwechseln mit dem Kartoffelstärke-Sago, welcher
nach Belieben weiß, roth oder grau gemacht wird und den
ächten vollkommen nachahmt. Der
Kartoffelstärke-Sago ist an seinem Kartoffelstärke-Geschmack immer leicht
zu erkennen.
Welchen Ursprungs und von welcher Farbe auch diese Sagosorten
seyn mögen, so haben sie folgende Eigenschaften:
Abgerundete Kügelchen, in der Regel sphärisch, alle abgesondert, sehr hart,
elastisch, schwer zu zerreiben und zu pulvern.
In Wasser gelegt verdoppeln sie in der Regel ihr Volum, kleben
aber durchaus nicht zusammen.
Die Körnchen, aus welchen sie bestehen, durch das Umrühren der
Flüssigkeit von einander getrennt und durch Jod gefärbt,
erscheinen unter dem Mikroskop in eiförmiger, elliptischer oder
länglich elliptischer Gestalt. Die elliptischen Körner verengen
sich an einem Ende oft halsartig, und dieser Hals neigt sich
zuweilen gegen die Achse um. Die Körnchen erscheinen oft in
einer auf die Achse senkrechten Ebene durchschnitten oder in 2
bis 3 unter sich geneigten Ebenen.
Diese Anordnung ist derjenigen des Stärkemehls der Tacca pinnatifida ähnlich; doch ist
letztere in der Regel sphärisch, während die Sagostärke beinahe
immer länglich ist. Der Nabel ist ausgedehnt.
Das Wasser, in welchem man ächten Sago weichen ließ, wird,
nachdem es filtrirt worden ist, durch Jod nicht gefärbt. Nach
mehr als einstündigem Kochen in einer großen Menge Wassers
hinterläßt die Sagostärke einen beträchtlichen dichten
Rückstand, welcher leicht von der Flüssigkeit getrennt werden
kann; durch Jod gefärbt und unter dem Mikroskop besehen,
erscheint dieser Rückstand aus sehr dichten, fast ganzen oder
zerrissenen, weißen oder violetten Tegumenten, und ebenfalls
sehr dichten, violett gefärbten, fleischigen (parenchymartigen)
Trümmern gebildet.
Zweite Gattung. – Zweiter
Sago. Diese Gattung entspricht dem rosenrothen molukkischen Sago nach Planche; er bildet sehr kleine minder
regelmäßige Körnchen, als diejenigen des ersten Sago, wovon
zuweilen 2 oder 3 zusammenhängen; in Wasser gelegt, nimmt er um
mehr als das Doppelte an Volum zu und macht das Wasser etwas
schleimig; doch wird er durch Jod nicht stark gefärbt. Die
einzelnen Stärkekörnchen haben genau dieselbe Form wie
diejenigen vom Sago Nr. 1, wiederstehen aber weniger dem Kochen
in Wasser. Nach einstündigem Kochen befinden sich in der
Flüssigkeit Theilchen stärkeartigen Parenchyms suspendirt,
welche durch Jod röthlichviolett gefärbt werden und in der Mitte
oft einen undurchsichtigen, stärker gefärbten Punkt haben. In
der Ruhe bildet sich auf dem Boden der Flüssigkeit ein dichterer
Bodensatz, welcher außerdem Bruchstücke von Tegumenten und
Membranen enthält, die in Falten liegen, dicht und violett
gefärbt sind, und andere weniger veränderte Tegumente, welche
in Gestalt hohler, an manchen Punkten ihrer Oberfläche
zerrissener Schläuche von violettblauer Farbe erscheinen.
Dritte Gattung. –
Tapioka-Sago. Ich nenne diese gegenwärtig im
Handel sehr verbreitete Sagosorte so, weil sie sich zur
ursprünglichen Sagostärke und sogar zu den vorstehenden
Sagosorten genau so verhält, wie die Tapioka zur Moussage, dem (gröbern) Satzmehl des
Manihots, d.h. während die beiden vorhergehenden Sagosorten
Weber geröstet noch gekocht wurden,
was das Ganzseyn beinahe aller Satzmehlkörner beweist, ist der
Tapioka-Sago im Zustand eines feuchten Teigs der
Einwirkung der Hitze ausgesetzt worden, wodurch sich alle seine
Eigenschaften erklären.
Dieser Sago besteht nicht aus sphärischen Kügelchen, wie die
beiden vorhergehenden, oder es befinden sich deren doch nur sehr
wenige in ihm; er besteht vielmehr aus sehr kleinen,
unregelmäßigen, höckerigen Massen, welche durch das
Zusammenbacken einer Anzahl der ersten Kügelchen gebildet
werden. In Wasser eingeweicht, schwillt er sehr auf und gesteht
zu einer weißen und undurchsichtigen teigigen Masse; setzt man
mehr Wasser zu, so vertheilt er sich mehr und löst sich großen
Theils auf. Die filtrirte Flüssigkeit wird durch Jod stark
gebläut. Die nicht filtrirte Flüssigkeit zeigt unter dem
Mikroskop ganze Stärkmehlkörner, ähnlich jenen des ächten Sago,
ferner eine große Menge geplatzter und zerrissener Hüllen. Ein
wenig von diesem Stärkmehl in einer großen Menge Wassers eine
Stunde lang gekocht, verhält sich wie dasjenige vom Sago Nr.
2.
Die Leichtigkeit, mit welcher der Tapioka-Sago im Wasser
anschwillt und sich zertheilt, verschafft ihm heutzutage den
Vorzug vor dem alten Sago. Er wurde von Planche unter dem Namen weißer
molukkischer Sago beschrieben und von Pereira unter dem Namen Perlsago. Hr. Joubert, Kaufmann zu Sidney, sandte mir ein Muster
davon mit der Versicherung, daß er von Taïti stamme.
Deßhalb war ich eine Zeit lang der Meinung, daß dieser Sago die
Tapioka des Satzmehls der Tacca
pinnatifida sey; dem ist aber gewiß nicht so und das
Stärkmehl der dritten Sagogattung, von dem der Tacca pinnatifida sehr verschieden,
nähert sich vielmehr dem der beiden ersten Sagogattungen.