Titel: | Ueber die Steuerung der Locomotive; von W. Bender. |
Fundstelle: | Band 101, Jahrgang 1846, Nr. XXXVIII., S. 171 |
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XXXVIII.
Ueber die Steuerung der
Locomotive; von W. Bender.
Aus dem Archiv für Eisenbahnen, Nr. 15.
Mit Abbildungen auf Tab. III.
Bender, über die Steuerung der
Locomotive.
Zur Verwandlung der hin- und hergehenden Bewegung in eine
rotirende bedient man sich bei den Locomotiven, wie bekannt, des
Krummzapfens. Ist die Maschine im Lauf, so kann man die Bewegung
desselben als eine gleichförmig geschwinde annehmen, indem das
Trägheitsvermögen der ganzen Masse jede Ungleichförmigkeit
ausgleicht. Ist dieses angenommen, so folgt nach der Theorie des
Krummzapfens, daß. dann die hin- und hergehende Bewegung
eine ungleichförmig geschwinde seyn muß. Und zwar wird sich der
Kolben, welcher diese Bewegung hat, am Anfang seines Laufes
langsam, in der Mitte geschwind, und am Ende wieder langsam
bewegen. Die Dampfsteuerung der Locomotive wird jetzt allgemein
durch Schieber bewirkt, indem diese die Hauptbedingung beim
Locomotivbau, nämlich Einfachheit und Haltbarkeit, am besten
erfüllen. Für diese Schieber nun, welche abwechselnd für jede
Seite des Kolbens den Dampfzutritt, sowie dessen Entweichung
gestatten oder verhindern müssen, wird eine hin- und
hergehende Bewegung verlangt, welche am einfachsten durch
Excentrics von der Hauptachse aus entlehnt wird. Eine gute
Dampfsteuerung, von welcher Art sie auch seyn mag, soll sich nun
am Anfang des Kolbenlaufs rasch öffnen und am Ende desselben
wieder rasch schließen, soll also eine gerade entgegengesetzte
ungleichförmige Geschwindigkeit wie der Kolben haben. Hiedurch
wird einleuchtend, daß man also zur Bewegung der Steuerung kein
Excentricum nehmen darf, welches gleiche
Stellung mit dem Hauptkrummzapfen hat, sondern nur ein solches,
das rechtwinkelig zu diesem steht. Das Excentricum wird nämlich
gerade dann in der Mitte seines Laufes seyn, also die Steuerung
rasch bewegen, wenn der Kolben am Anfang oder Ende seines Laufes
ist, wo er langsam geht und umkehrt.
Somit hätte man also folgenden Hauptsatz der Steuerung:
Die Excentrics, welche die Steuerung
bewegen, werden am zweckmäßigsten rechtwinkelig zu ihren
bezüglichen Hauptkrummzapfen gesetzt.
Bei dem außerordentlich schnellen Umdrehen der Kolbenbewegung
fand man bald, daß bei den Locomotiven von den Gesetzen der
gewöhnlichen Dampfmaschinen abgewichen werden müsse. Man
erkannte nämlich erstens, daß es nicht nöthig sey dem Kolben bis
dicht vor dem Umkehren seines Laufes neue Impulse mitzutheilen;
man sah zweitens ein, daß es vortheilhaft wäre, die Entweichung
des Dampfes schon etwas früher eintreten zu lassen, als der
Kolben seinen Lauf vollendet hat, und drittens fand man für
rathsam, am Boden des Cylinders einen elastischen Körper, am
besten Dampf, anzubringen, welcher den Stoß und die Wirkung auf
die Kurbelachse mindert und beim Anfang der veränderten Bewegung
des Kolbens diesen gleich kräftig vorwärts treibt.
Um diese drei Vortheile zu erlangen, stellte man das Excentricum,
welches die Steuerung bewegt, so zum Krummzapfen, daß es schon
etwas über die Mitte seines Laufes hinaus ist, ehe dieser noch
seinen Halbkreis vollendet hat, kurz daß das Excentricum seinem
Krummzapfen voreilt. Dieses wurde bewirkt durch die Verwandlung
der rechtwinkeligen Stellung des Excentricums in eine
spitzwinkelige zum Krummzapfen. Der zweite Hauptsatz der
Locomotivsteuerung heißt also:
Man verändert die rechtwinkelige Stellung
der Excentrics in eine spitzwinkelige zum bezüglichen
Krummzapfen, um das für vortheilhaft erkannte Voreilen der
Schieber zu bewirken.
Diese Stellung der Excentrics brachte beträchtlichen Gewinn im
Nutzeffect der Locomotive. Durch das frühere Sperren des
Dampfzutritts wurde Dampf erspart, welcher wenig Nutzen brachte,
dadurch hatte der Kessel auch noch für größere Geschwindigkeiten
Dampf genug. Durch das frühere Oeffnen des
Dampfentweichungscanals wurde der Gegendruck, welcher bei dem
Verändern der Kolbenbewegung durch den nicht rasch genug
entweichenden Dampf entstand, gemindert; also an Kraft gewonnen. Durch etwas Gegendampf endlich wurde der Stoß des
Kolbens aufgefangen, und beim Verändern der Bewegung konnte der
Dampf gleich kräftig wirken, wodurch mithin wieder eine
Erleichterung im Gang der Maschine, nämlich besseres Umwerfen
der Kolbenbewegung, erhalten wurde.
Der ursprüngliche Dampfschieber hat bei seinem Schlusse, so wie
Fig.
39 zeigt, an jeder Seite einen Ueberhang bei g, h, m und u von ungefähr einer Linie, welches eben zum
dampfdichten Schließen hinreicht. Die Dampfcanäle sind gleich
groß ab = cd; die Zwischenräume bf und ec sind so groß, daß der Schieber gerade darauf Platz
hat; also bf = gh und ec = mn. Ein Zwischenraum ist mithin
um den Ueberhang des Schiebers, hier nämlich zwei Linien größer
als eine Dampföffnung. Der Ausströmungscanal f, e wird etwas größer gemacht als
eine Dampföffnung, um das rasche Entweichen des Dampfs zu
begünstigen.
Es sey Fig.
40 die Stellung eines voreilenden Schiebers beim
Wechsel des Kolbenlaufs. Hier findet man den Dampfzutritt schon
um ag offen, man hat also schon um
ag Gegendampf während des eben
vollendeten Kolbenlaufs. Ferner ist die Dampfentweichung schon
um cm geöffnet, welche Oeffnung der
Größe des frühern Entweichens entspricht, und endlich ist der
Dampfzutritt, durch welchen so eben der Lauf des Kolbens bewirkt
wurde, schon um nd geschlossen,
mithin wurde um die Größe nd der
Dampf früher abgesperrt. Betrachtet man nun diese Construction
näher, so findet sich, daß der Gegendampf an Größe stets dem
frühern Entweichen gleich seyn muß ag =
cm, und daß das frühere Absperren des Dampfs nur um den
doppelten Ueberhang des Schiebers, hier also zwei Linien größer
ist, indem nämlich eine Linie schon beim vollständigen Schluß
des Schiebers früher absperrt und noch eine Linie hinzukommt,
damit sich der Schieber auf der andern Seite eben öffnen kann.
Hieraus folgt, daß wenn der Gegendampf um eine bestimmte Größe
wächst, zugleich auch die frühere Entweichung und das frühere
Absperren um dieselbe Größe wachsen muß; daß also bei dieser
Construction des Schiebers die besagten drei Punkte von einander
ganz abhängig sind.
Nun erkannte man aber bald, daß die Wichtigkeit der drei
Vortheile des Voreilens von einander sehr verschieden sind, daß
nämlich der Gegendampf über eine gewisse Gränze vergrößert,
Schaden bringt, indem er den Lauf des Kolbens zu frühe hemmt,
daß ferner das frühere Entweichen, über eine andere Gränze
hinaus vermehrt, ebenfalls seinen Vortheil verliert, indem es
den noch wirkenden Dampf verschwächt, und daß
endlich das frühere Absperren des Dampfs bei einiger
Vergrößerung zur Expansionssteuerung wird, welche, wie schon bei
den stabilen Dampfmaschinen bekannt, große Vortheile gewährt.
Kurz, man erkannte, daß es gut wäre die drei Vortheile des
Voreilens von einander unabhängig zu machen.
Zu diesem Zweck veränderte man die Schieberüberhänge und den Hub,
wodurch folgende Hauptsätze der Dampfsteuerung entstanden.
Man nenne den zu gebenden Gegendampf = G, das frühere Entweichen = E, das frühere Absperren = A und die Größe eines Dampfcanals = O, so ist:
1) Der Schieberüberhang nach Außen =
(A – G)/2;
2) der Schieberüberhang nach Innen =
(A – G)/2 + G – E;
3) das Voreilen des Schiebers = (A – G)/2 + G;
4) der Schieberhub = 20 + A – E.
Wenn nämlich das Voreilen bei der ersten Construction vermehrt
wird, so hat man die Größe des Absperrens A gleich dem doppelten Ueberhang nach Außen, welcher
in zwei Linien besteht, mehr der Größe des Gegendampfs, also
wenn man den Schieberüberhang nach Außen mit U bezeichnet A = 2 U + G, woraus mithin
U = (A
– G)/2 folgt.
Das Voreilen des Schiebers ist nun, wie leicht ersichtlich,
gleich dem Ueberhang von Außen, um welchen sich der Schieber bis
zur Oeffnung bewegen muß, mehr dem Gegendampf, also = (A – G)/2 + G.
Ferner hat man die Größe des frühern Entweichens gleich dem
Voreilen weniger dem innern Ueberhang, welches früher bei
gleichen Ueberhängen dem Gegendampf gleich war. Nennt man nun
J den innern Ueberhang, so wird
demnach das frühere Entweichen
E = (A
– G)/2 + G –
J seyn, woraus folgt J = (A
– G)/2 + G –
E.
Der Schieberhub, das heißt die Länge seines Laufes bis zum
Wechsel der Bewegung, endlich muß so groß seyn, daß jeder
Dampfcanal einmal vollständig offen ist. In Fig.
41 hat also der Punkt g
bis b zu gehen, welche Länge gleich
der Größe zweier Dampföffnungen mehr dem innern und äußern
Ueberhange ist;
also = 20 + (A
– G)/2 + G –
E + (A – G)/2 = 20 +
A – E.
Es sey nun z.B. eine Dampfsteuerung zu construiren, welche um 10
Linien des Schieberlaufs früher absperrt, expandirt, dabei den
Dampf um 3 Linien früher entweichen läßt und um 2 Linien
Gegendampf liefert, so erhält man nach obigen Formeln folgende
Daten:
1) Der Ueberhang nach Außen
= (A –
G)/2 = (10 – 2)/2 = 4 Linien.
2) Der Ueberhang nach Innen
= (A –
G)/2 + G – E = (10
– 2)/2 + 2 – 3 = 2 Linien.
3) Das Voreilen des Schiebers
= (A –
G)/2 + G = (10 – 2)/2 +
2 = 6 Linien.
4) Der Schieberhub, wenn die Oeffnung O eines Canals 18 Linien beträgt
= 2 O + A – E = 36 + 10 – 3 = 43'''
Fig. 42 stelle den Schieber beim Wechsel der
Kolbenbewegung, also mit dem Voreilen dar, er ist bereits von
m bis r vorgerückt; das sind 4 Linien Ueberhang nach Außen =
ma mehr 2 Linien
Gegendampf = ar, also 6 Linien
Voreilen. Ferner ist zugleich h bis
i gegangen, also auch 6''',
wovon aber bloß ci als
früheres Entweichen bleiben = 3 Linien, indem hc der innere Ueberhang von 3
Linien abgezogen werden muß. Endlich finden wir die Absperrung
schon von dg, welche gleich
dn dem äußern Ueberhang
von 4 Linien mehr dem Voreilen ng von 6 Linien, also gleich 10 Linien ist, wie es
verlangt wurde. Der Schieberhub ist = 43 Linien, nämlich 2mal
der Dampföffnung = 36''' + dem äußern Ueberhang von 4''' mehr
dem innern Ueberhang von 3''' = 43'''.
Wenn nun die Größe der Absperrung = 10 Linien ist, und die des
Schieberlaufs 43 beträgt, so findet man das Verhältniß des Wegs
nach der Absperrung zum Ganzen wie 10/43 zu 1. Wir haben also
hier ungefähr 1/4 des Schieberlaufes Expansion und 3/4 desselben
vollen Dampf. Im Allgemeinen wäre das Verhältniß der frühern
Absperrung zum ganzen Schieberlauf = A/(2 O + A – E).
So einfach nun diese constante Expansion und so zweckmäßig sie
bei kleinern Verhältnissen ist, so findet man doch bei näherer
Untersuchung, daß sich bedeutende Unzukömmlichkeiten einstellen,
so wie man etwas stärker expandiren will.
Betrachtet man Fig.
43, so findet man beim frühern Absperren des
Dampfzutritts dg zugleich auch
ein früheres Absperren der Dampfentweichung, nämlich be, welches bei einiger Größe
bedeutenden Schaden bringen muß. Die Größe des frühern Schlusses
der Dampfentweichung ist allgemein ausgedrückt = A + G – E. Denn man erkennt
leicht, daß bc gleich ist dem
Voreilen mehr dem innern Ueberhang also
= (A –
G)/2 + G + (A – G)/2 + G – E
oder verkürzt = A + G – E.
Weil nun der Nachtheil gerade darin beruht, daß der Dampf nicht
vollständig entweichen kann, so hat man also auch nicht mehr
nöthig, noch extra Gegendampf wirken zu lassen; dieser bleibt
also bei Expansionssteuerungen am besten ganz weg, indem ja dem
Vergrößern der Expansion nur das Zustarkwerden des Gegendrucks
von dem nicht ganz aus dem Cylinder entweichenden Dampfe
feindlich entgegensteht.
Es folgen also, wenn G = O wird, für
die constante Expansionssteuerung folgende Formeln:
1) der Ueberhang des Schiebers nach
Außen = A/2;
2) der Ueberhang nach Innen = A/2 – E;
3) das Voreilen = dem Ueberhang nach
Außen = A/2;
4) der Schieberhub, wie schon früher =
2 O + A
– E.
Der Nachtheil der frühern Absperrung der Dampfentweichung ist
aber dann = A – E, mithin zwar kleiner wie vorher,
da aber E nicht über eine gewisse
Gränze vergrößert werden darf, dennoch mit A, also mit dem Nutzen wachsend. Die
Gränze der nützlichen Vergrößerung der Expansion liegt demnach
da, wo die frühere Absperrung der Dampfentweichung gerade dem
richtigen Gegendampf gleich kommt, welches wie man leicht
einsieht, bald der Fall seyn wird.
Um nun die Expansion über diese Gränze zu vergrößern, müßte man
die weniger einfachen Vorrichtungen der stabilen Dampfmaschinen
anbringen; da aber Einfachheit die Hauptbedingung beim
Locomotivbau ist, und das Außerachtlassen derselben gehörig
gerechtfertigt seyn muß, so betrachten wir deßhalb den Nutzen
und die Wirkung der Expansion etwas näher.
Wenn eine Maschine in Thätigkeit gesetzt werden soll, so muß der
Dampf die Summe aller Widerstände, welche sich auf den Kolben
concentriren, überwältigen; er muß also durch seine
Spannung einen um ein Geringes größern Druck auf den Kolben
ausüben, als die gesammten Widerstände Gegendruck darbieten.
Dabei wird die Geschwindigkeit der Bewegung von der Quantität
des Dampfes abhängen, welches sich im Kessel bei gleicher
Spannung neu erzeugt; denn füllt sich ein Cylinder in einer
Secunde um 3 Fuß seiner Länge mit neuem gleich starkem Dampf, so
muß auch der Kolben um 3 Fuß in der Secunde vorwärts gehen.
Hat man aber im Kessel einen viel größern Dampfdruck, als der
Kolben zu einer Bewegung bedarf, so wird dieser durch den
Ueberschuß an Kraft so lange in beschleunigter Bewegung
erhalten, bis entweder
1) durch die vergrößerte Geschwindigkeit
die Widerstände sich so mehren, daß sie endlich dem Dampfdruck
im Kessel das Gleichgewicht halten, oder
2) der Dampf im Kessel sich nicht mehr
schnell genug erneuern kann, und deßhalb seinen Druck so weit
erniedrigen muß, bis er dem Kolbenwiderstand gleich wird,
oder
3) die Beschleunigung des Kolbens so groß
wird, daß der Dampf nicht mehr mit derselben Dichtigkeit und
Spannung durch die Einströmungsöffnungen nachkommen kann und
sich deßhalb im Cylinder so lange Expandiren muß, bis abermals
sein Druck gleich dem Widerstande wird, während er im Kessel
derselbe bleibt.
Nachdem einer dieser drei Fälle eingetreten ist, wird die
Kolbenbewegung gleichförmig werden, weil der Ueberschuß an Kraft
durch das Gleichwerden des Dampfdrucks mit dem Widerstand
wegfällt. Bei den stabilen Dampfmaschinen ist in der Regel bei
gleichförmiger Bewegung der Dampfdruck im Cylinder nur wenig von
dem im Kessel verschieden. Bei Locomotiven hingegen findet wegen
der verlangten schnellen Kolbenbewegung zuweilen ein großer
Unterschied statt.
Um uns nun die Arbeit des Dampfs recht klar zu machen, nehmen wir
einen Kolben, der z.B. mit 60 Pf. auf den Quadratzoll seiner
Oberfläche belastet ist, und lassen ihn durch einen Dampf mit
einem Minimum mehr als 60 Pfd. Spannung bewegen; es wird
alsdann, wenn man den Dampfzutritt absperrt, der Kolben
natürlich stehen bleiben, und der Dampf, wenn er entlassen wird,
seine Arbeit vollendet haben.
Nichtsdestoweniger hat dieser aber noch Kraft; man nehme nur,
anstatt ihn zu entlassen, dem Kolben etwas Widerstand weg, und
der Dampf wird so lange fortarbeiten, bis ihm sein letzter
Gegendruck abgenommen ist, wobei beständig seine Spannung, indem
er sich ausdehnt, expandirt, nach und nach abnimmt und
so z.B. hier von 60 Pfd. für den Quadratzoll auf den
gewöhnlichen Atmosphärendruck herunter kommt.
Die ganze Arbeit nach der Absperrung ist nun bloß durch Expansion
verrichtet, deren Nutzen demnach klar vor Augen liegt. Weil aber
bei den Maschinen der Kolbenwiderstand nicht leicht vermindert
werden kann, so macht man zur Benutzung der Expansion den
Cylinder größer, z.B. um das Doppelte, und sperrt den Dampf ab,
wenn ein gleich großes Quantum wie vorher im Cylinder ist, also
hier bei der Hälfte des Kolbenlaufs. Es wird dadurch für den
Anfang der Bewegung ein Kraftüberschuß erzeugt, indem ja der
Dampf für den Quadratzoll bei der doppelt so großen Fläche des
Kolbens nur die Hälfte Gegendruck erleidet, wie vorher. Dieser
Kraftüberschuß sucht nun eine Beschleunigung zu erzeugen, und
müßte eigentlich die Last doppelt so geschwind halb so hoch
bewegen, was mit dem vorher angewandten Dampfquantum natürlich
gleiche Wirkung gibt; weil aber die Mittheilung der schnellern
Bewegung auf die Masse einer Maschine Zeit erfordert, so wird
die Beschleunigung nicht augenblicklich eintreten. Sperrt man
daher in der Mitte des Laufs ab, und läßt den Dampf entweichen,
so wird in der zweiten Hälfte des Kolbenlaufs, wo gar kein Dampf
wirkt, die in der ersten Hälfte von der Masse absorbirte
Beschleunigung nachwirken, im Gang aber keine Beschleunigung
erzeugen, weil sich der doppelte Kraftüberschuß am Anfang des
Laufes, nämlich für den Quadratzoll halb so viel Last wie
vorher, mit dem Nichtwirken des Dampfs in der letzten Hälfte
ausgleicht. Es wird also die Wirkung dieses Dampfs ohne
Expansion der vorigen gleich seyn. Sperrt man aber in der Mitte
des Laufs ab, ohne den Dampf zu entlassen, so wird sich derselbe
ausdehnen, expandiren. Weil aber bis jetzt noch keine
Beschleunigung und mithin auch noch keine Veränderung der
Spannung erfolgt ist, so wird der Dampf für den Quadratzoll auch
noch denselben Kraftüberschuß, nämlich halb so viel Last als
vorher haben; und deßhalb, wenn er um das Doppelte ausgedehnt,
seine Spannung nach dem Gesetze der Expansion des Dampfs um
ungefähr die Hälfte verloren hat, am Ende des Laufs gerade noch
so viel Kraft haben, als er für den Quadratzoll der Last
entgegensehen muß.
Mithin hat der Dampf während seiner Expansion beständig
gearbeitet, und zwar gerade so viel, wie vorher mit Expansion,
nur daß jetzt eine Abnahme des Kraftüberschusses, also der
Beschleunigung statt fand, wogegen früher eine Abnahme der Last
selbst.
Durch diese Mehrleistung mittelst Expansion muß nun natürlich die
Bewegung des Kolbens wirklich schneller, also der Effect dadurch
vergrößert werden.
Der Dampfdruck soll nun, wie wir schon gesehen haben, bei
gleichförmiger Bewegung im Cylinder gleich dem Kolbenwiderstand
seyn, weil bei dieser Bewegung kein Kraftüberschuß mehr statt
haben kann. Dieses Gleichseyn braucht aber nur in der Summe der
Leistungen eines Kolbenlaufs statt zu finden, während eines
Theils desselben kann aber recht gut ein Kraftüberschuß
bestehen, denn dieses wird, wie wir gesehen haben, durch das
Zeiterforderniß zur Mittheilung der Bewegung einer Masse
erlaubt.
Will man nun noch den größern Nutzen einer vermehrten Expansion
erkennen, so denke man sich z.B. bei 1/5 des Hubs expandirend,
den Kolben auch fünfmal so groß, als er ohne Expansion werden
würde, damit bei 1/5 seines Laufs der zu verarbeitende Dampf
vollständig hineingehe. Es wird dann auch ein fünfmal größerer
Kraftüberschuß am Anfang stattfinden und der Dampf, indem er
sich um das Fünffache expandirt, wieder am Ende gerade noch so
viel Spannung besitzen, als der Kolben bedarf, wobei also die
Expansion während 4/5 des Kolbenlaufs, also während einer
längern Zeit wie vorher gearbeitet hat, woraus der Schluß folgt,
daß bei einer größern Expansion auch ein größerer Nutzen
stattfindet.
Dieß nun berücksichtigt, zeigt deutlich, mit welch gutem Recht
man die vermehrte Expansion bei Locomotiven anzuwenden und
selbst auf Kosten der Einfachheit seinen Zweck zu erreichen
suchte.
Bei der Construction einer Locomotive mit Expansion hat man erst
zu erfahren, ob die Maschine durch die Expansion bei derselben
Dampferzeugung, also bei demselben Brennmaterialaufwand,
kräftiger gemacht werden soll, oder ob man bei derselben
Leistung Dampf und also auch Brennmaterial zu ersparen
wünscht.
In den meisten Fällen genügt die Kraft und man will nur an den
Betriebskosten ersparen. Dann darf natürlich der Kolben nur für
ein solches Quantum Dampf eingerichtet werden, welches, wenn man
die Mehrleistung hinzu addirt, die verlangte Arbeit erzeugt.
Die Betriebskosten zu vermindern, ist eine Hauptaufgabe der
Ingenieure, deßhalb erkannten diese auch bald, daß sehr viel
Dampfkraft, also auch sehr viel Geld für Brennmaterial
verschwendet wird, wenn bei ungünstiger Witterung oder bei
schlechtem Verkehr kleine Trains fahren müssen. Die Locomotive
ist eine Maschine von constanter Kraft und der mit
einer bestimmten Geschwindigkeit zu ziehende Train eine variable
Last; wenn also die Kraft stets mit der Last im Verhältniß
bleiben soll, so muß sie auch variabel werden. Denn hat die
Locomotive einen kleinern Train zu ziehen, als ihr der Kraft
nach zukommt, so wird sie schneller laufen, weil aber die
Geschwindigkeit eine polizeilich bestimmte ist, so muß die
Dampfeinströmung verkleinert werden, und der überschüssige Dampf
wird nutzlos durch die Ventile entweichen.
Man hätte also die Aufgabe, die Dampferzeugung variabel
einzurichten, so daß die verlangte Dampfmenge dem Train nach
Belieben angepaßt werden könnte.
Dieses hat man nun sehr einfach dadurch gelöst, daß man die
Mündung des Dampfentweichungsrohrs verstellbar eingerichtet hat,
so daß man sie bald eng, bald weiter machen kann; denn ist die
Mündung eng, so hat man einen starken Zug im Schornstein, weil
der ausströmende Dampf, durch den geringen Querschnitt der
Mündung aufgehalten, noch mit einer gewissen Spannung in den
Schornstein kommt, und so die heiße Luft mit sich reißt; macht
man die Mündung aber weiter, so wird der Dampf ohne Spannung
oder doch mit weniger in den Schornstein treten, weil ihn nichts
zurückhält; er wird alsdann auch weniger rasch die Mündung
verlassen und mithin einen weniger starken Zug erzeugen. Hieraus
sieht man also, daß man den Zug nach Belieben stark oder schwach
machen kann, wodurch wieder eine beliebig zu ändernde
Dampferzeugung entsteht.
Wir haben nun eine Locomotive mit variabler Dampferzeugung und
constanter Expansion. Bedenkt man aber, daß bei einer vermehrten
Expansion in Bezug auf die Leistung eines Dampfquantums oder des
Brennmaterials auch ein vermehrter Nutzen erwächst, so kommt man
bald zu der Einsicht, daß eine variable Expansion bei einer
variablen Dampferzeugung die Ersparniß an Brennmaterial noch
vergrößern muß. Deßhalb finden wir auch die neuesten
Locomotiven, selbst auf Kosten der Einfachheit, mit vollem Recht
zur variablen Dampferzeugung und zur variablen Expansion
eingerichtet.