Titel: Ueber die Steuerung der Locomotive; von W. Bender.
Fundstelle: Band 101, Jahrgang 1846, Nr. XXXVIII., S. 171
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XXXVIII. Ueber die Steuerung der Locomotive; von W. Bender. Aus dem Archiv für Eisenbahnen, Nr. 15. Mit Abbildungen auf Tab. III. Bender, über die Steuerung der Locomotive. Zur Verwandlung der hin- und hergehenden Bewegung in eine rotirende bedient man sich bei den Locomotiven, wie bekannt, des Krummzapfens. Ist die Maschine im Lauf, so kann man die Bewegung desselben als eine gleichförmig geschwinde annehmen, indem das Trägheitsvermögen der ganzen Masse jede Ungleichförmigkeit ausgleicht. Ist dieses angenommen, so folgt nach der Theorie des Krummzapfens, daß. dann die hin- und hergehende Bewegung eine ungleichförmig geschwinde seyn muß. Und zwar wird sich der Kolben, welcher diese Bewegung hat, am Anfang seines Laufes langsam, in der Mitte geschwind, und am Ende wieder langsam bewegen. Die Dampfsteuerung der Locomotive wird jetzt allgemein durch Schieber bewirkt, indem diese die Hauptbedingung beim Locomotivbau, nämlich Einfachheit und Haltbarkeit, am besten erfüllen. Für diese Schieber nun, welche abwechselnd für jede Seite des Kolbens den Dampfzutritt, sowie dessen Entweichung gestatten oder verhindern müssen, wird eine hin- und hergehende Bewegung verlangt, welche am einfachsten durch Excentrics von der Hauptachse aus entlehnt wird. Eine gute Dampfsteuerung, von welcher Art sie auch seyn mag, soll sich nun am Anfang des Kolbenlaufs rasch öffnen und am Ende desselben wieder rasch schließen, soll also eine gerade entgegengesetzte ungleichförmige Geschwindigkeit wie der Kolben haben. Hiedurch wird einleuchtend, daß man also zur Bewegung der Steuerung kein Excentricum nehmen darf, welches gleiche Stellung mit dem Hauptkrummzapfen hat, sondern nur ein solches, das rechtwinkelig zu diesem steht. Das Excentricum wird nämlich gerade dann in der Mitte seines Laufes seyn, also die Steuerung rasch bewegen, wenn der Kolben am Anfang oder Ende seines Laufes ist, wo er langsam geht und umkehrt. Somit hätte man also folgenden Hauptsatz der Steuerung: Die Excentrics, welche die Steuerung bewegen, werden am zweckmäßigsten rechtwinkelig zu ihren bezüglichen Hauptkrummzapfen gesetzt. Bei dem außerordentlich schnellen Umdrehen der Kolbenbewegung fand man bald, daß bei den Locomotiven von den Gesetzen der gewöhnlichen Dampfmaschinen abgewichen werden müsse. Man erkannte nämlich erstens, daß es nicht nöthig sey dem Kolben bis dicht vor dem Umkehren seines Laufes neue Impulse mitzutheilen; man sah zweitens ein, daß es vortheilhaft wäre, die Entweichung des Dampfes schon etwas früher eintreten zu lassen, als der Kolben seinen Lauf vollendet hat, und drittens fand man für rathsam, am Boden des Cylinders einen elastischen Körper, am besten Dampf, anzubringen, welcher den Stoß und die Wirkung auf die Kurbelachse mindert und beim Anfang der veränderten Bewegung des Kolbens diesen gleich kräftig vorwärts treibt. Um diese drei Vortheile zu erlangen, stellte man das Excentricum, welches die Steuerung bewegt, so zum Krummzapfen, daß es schon etwas über die Mitte seines Laufes hinaus ist, ehe dieser noch seinen Halbkreis vollendet hat, kurz daß das Excentricum seinem Krummzapfen voreilt. Dieses wurde bewirkt durch die Verwandlung der rechtwinkeligen Stellung des Excentricums in eine spitzwinkelige zum Krummzapfen. Der zweite Hauptsatz der Locomotivsteuerung heißt also: Man verändert die rechtwinkelige Stellung der Excentrics in eine spitzwinkelige zum bezüglichen Krummzapfen, um das für vortheilhaft erkannte Voreilen der Schieber zu bewirken. Diese Stellung der Excentrics brachte beträchtlichen Gewinn im Nutzeffect der Locomotive. Durch das frühere Sperren des Dampfzutritts wurde Dampf erspart, welcher wenig Nutzen brachte, dadurch hatte der Kessel auch noch für größere Geschwindigkeiten Dampf genug. Durch das frühere Oeffnen des Dampfentweichungscanals wurde der Gegendruck, welcher bei dem Verändern der Kolbenbewegung durch den nicht rasch genug entweichenden Dampf entstand, gemindert; also an Kraft gewonnen. Durch etwas Gegendampf endlich wurde der Stoß des Kolbens aufgefangen, und beim Verändern der Bewegung konnte der Dampf gleich kräftig wirken, wodurch mithin wieder eine Erleichterung im Gang der Maschine, nämlich besseres Umwerfen der Kolbenbewegung, erhalten wurde. Der ursprüngliche Dampfschieber hat bei seinem Schlusse, so wie Fig. 39 zeigt, an jeder Seite einen Ueberhang bei g, h, m und u von ungefähr einer Linie, welches eben zum dampfdichten Schließen hinreicht. Die Dampfcanäle sind gleich groß ab = cd; die Zwischenräume bf und ec sind so groß, daß der Schieber gerade darauf Platz hat; also bf = gh und ec = mn. Ein Zwischenraum ist mithin um den Ueberhang des Schiebers, hier nämlich zwei Linien größer als eine Dampföffnung. Der Ausströmungscanal f, e wird etwas größer gemacht als eine Dampföffnung, um das rasche Entweichen des Dampfs zu begünstigen. Es sey Fig. 40 die Stellung eines voreilenden Schiebers beim Wechsel des Kolbenlaufs. Hier findet man den Dampfzutritt schon um ag offen, man hat also schon um ag Gegendampf während des eben vollendeten Kolbenlaufs. Ferner ist die Dampfentweichung schon um cm geöffnet, welche Oeffnung der Größe des frühern Entweichens entspricht, und endlich ist der Dampfzutritt, durch welchen so eben der Lauf des Kolbens bewirkt wurde, schon um nd geschlossen, mithin wurde um die Größe nd der Dampf früher abgesperrt. Betrachtet man nun diese Construction näher, so findet sich, daß der Gegendampf an Größe stets dem frühern Entweichen gleich seyn muß ag = cm, und daß das frühere Absperren des Dampfs nur um den doppelten Ueberhang des Schiebers, hier also zwei Linien größer ist, indem nämlich eine Linie schon beim vollständigen Schluß des Schiebers früher absperrt und noch eine Linie hinzukommt, damit sich der Schieber auf der andern Seite eben öffnen kann. Hieraus folgt, daß wenn der Gegendampf um eine bestimmte Größe wächst, zugleich auch die frühere Entweichung und das frühere Absperren um dieselbe Größe wachsen muß; daß also bei dieser Construction des Schiebers die besagten drei Punkte von einander ganz abhängig sind. Nun erkannte man aber bald, daß die Wichtigkeit der drei Vortheile des Voreilens von einander sehr verschieden sind, daß nämlich der Gegendampf über eine gewisse Gränze vergrößert, Schaden bringt, indem er den Lauf des Kolbens zu frühe hemmt, daß ferner das frühere Entweichen, über eine andere Gränze hinaus vermehrt, ebenfalls seinen Vortheil verliert, indem es den noch wirkenden Dampf verschwächt, und daß endlich das frühere Absperren des Dampfs bei einiger Vergrößerung zur Expansionssteuerung wird, welche, wie schon bei den stabilen Dampfmaschinen bekannt, große Vortheile gewährt. Kurz, man erkannte, daß es gut wäre die drei Vortheile des Voreilens von einander unabhängig zu machen. Zu diesem Zweck veränderte man die Schieberüberhänge und den Hub, wodurch folgende Hauptsätze der Dampfsteuerung entstanden. Man nenne den zu gebenden Gegendampf = G, das frühere Entweichen = E, das frühere Absperren = A und die Größe eines Dampfcanals = O, so ist: 1) Der Schieberüberhang nach Außen = (A – G)/2; 2) der Schieberüberhang nach Innen = (A – G)/2 + G – E; 3) das Voreilen des Schiebers = (A – G)/2 + G; 4) der Schieberhub = 20 + A – E. Wenn nämlich das Voreilen bei der ersten Construction vermehrt wird, so hat man die Größe des Absperrens A gleich dem doppelten Ueberhang nach Außen, welcher in zwei Linien besteht, mehr der Größe des Gegendampfs, also wenn man den Schieberüberhang nach Außen mit U bezeichnet A = 2 U + G, woraus mithin U = (A – G)/2 folgt. Das Voreilen des Schiebers ist nun, wie leicht ersichtlich, gleich dem Ueberhang von Außen, um welchen sich der Schieber bis zur Oeffnung bewegen muß, mehr dem Gegendampf, also = (A – G)/2 + G. Ferner hat man die Größe des frühern Entweichens gleich dem Voreilen weniger dem innern Ueberhang, welches früher bei gleichen Ueberhängen dem Gegendampf gleich war. Nennt man nun J den innern Ueberhang, so wird demnach das frühere Entweichen E = (A – G)/2 + GJ seyn, woraus folgt J = (A – G)/2 + G – E. Der Schieberhub, das heißt die Länge seines Laufes bis zum Wechsel der Bewegung, endlich muß so groß seyn, daß jeder Dampfcanal einmal vollständig offen ist. In Fig. 41 hat also der Punkt g bis b zu gehen, welche Länge gleich der Größe zweier Dampföffnungen mehr dem innern und äußern Ueberhange ist; also = 20 + (A – G)/2 + G – E + (A – G)/2 = 20 + A – E. Es sey nun z.B. eine Dampfsteuerung zu construiren, welche um 10 Linien des Schieberlaufs früher absperrt, expandirt, dabei den Dampf um 3 Linien früher entweichen läßt und um 2 Linien Gegendampf liefert, so erhält man nach obigen Formeln folgende Daten: 1) Der Ueberhang nach Außen = (A – G)/2 = (10 – 2)/2 = 4 Linien. 2) Der Ueberhang nach Innen = (A – G)/2 + G – E = (10 – 2)/2 + 2 – 3 = 2 Linien. 3) Das Voreilen des Schiebers = (A – G)/2 + G = (10 – 2)/2 + 2 = 6 Linien. 4) Der Schieberhub, wenn die Oeffnung O eines Canals 18 Linien beträgt = 2 O + AE = 36 + 10 – 3 = 43''' Fig. 42 stelle den Schieber beim Wechsel der Kolbenbewegung, also mit dem Voreilen dar, er ist bereits von m bis r vorgerückt; das sind 4 Linien Ueberhang nach Außen = ma mehr 2 Linien Gegendampf = ar, also 6 Linien Voreilen. Ferner ist zugleich h bis i gegangen, also auch 6''', wovon aber bloß ci als früheres Entweichen bleiben = 3 Linien, indem hc der innere Ueberhang von 3 Linien abgezogen werden muß. Endlich finden wir die Absperrung schon von dg, welche gleich dn dem äußern Ueberhang von 4 Linien mehr dem Voreilen ng von 6 Linien, also gleich 10 Linien ist, wie es verlangt wurde. Der Schieberhub ist = 43 Linien, nämlich 2mal der Dampföffnung = 36''' + dem äußern Ueberhang von 4''' mehr dem innern Ueberhang von 3''' = 43'''. Wenn nun die Größe der Absperrung = 10 Linien ist, und die des Schieberlaufs 43 beträgt, so findet man das Verhältniß des Wegs nach der Absperrung zum Ganzen wie 10/43 zu 1. Wir haben also hier ungefähr 1/4 des Schieberlaufes Expansion und 3/4 desselben vollen Dampf. Im Allgemeinen wäre das Verhältniß der frühern Absperrung zum ganzen Schieberlauf = A/(2 O + A – E). So einfach nun diese constante Expansion und so zweckmäßig sie bei kleinern Verhältnissen ist, so findet man doch bei näherer Untersuchung, daß sich bedeutende Unzukömmlichkeiten einstellen, so wie man etwas stärker expandiren will. Betrachtet man Fig. 43, so findet man beim frühern Absperren des Dampfzutritts dg zugleich auch ein früheres Absperren der Dampfentweichung, nämlich be, welches bei einiger Größe bedeutenden Schaden bringen muß. Die Größe des frühern Schlusses der Dampfentweichung ist allgemein ausgedrückt = A + G – E. Denn man erkennt leicht, daß bc gleich ist dem Voreilen mehr dem innern Ueberhang also = (A – G)/2 + G + (A – G)/2 + G – E oder verkürzt = A + GE. Weil nun der Nachtheil gerade darin beruht, daß der Dampf nicht vollständig entweichen kann, so hat man also auch nicht mehr nöthig, noch extra Gegendampf wirken zu lassen; dieser bleibt also bei Expansionssteuerungen am besten ganz weg, indem ja dem Vergrößern der Expansion nur das Zustarkwerden des Gegendrucks von dem nicht ganz aus dem Cylinder entweichenden Dampfe feindlich entgegensteht. Es folgen also, wenn G = O wird, für die constante Expansionssteuerung folgende Formeln: 1) der Ueberhang des Schiebers nach Außen = A/2; 2) der Ueberhang nach Innen = A/2 – E; 3) das Voreilen = dem Ueberhang nach Außen = A/2; 4) der Schieberhub, wie schon früher = 2 O + A – E. Der Nachtheil der frühern Absperrung der Dampfentweichung ist aber dann = AE, mithin zwar kleiner wie vorher, da aber E nicht über eine gewisse Gränze vergrößert werden darf, dennoch mit A, also mit dem Nutzen wachsend. Die Gränze der nützlichen Vergrößerung der Expansion liegt demnach da, wo die frühere Absperrung der Dampfentweichung gerade dem richtigen Gegendampf gleich kommt, welches wie man leicht einsieht, bald der Fall seyn wird. Um nun die Expansion über diese Gränze zu vergrößern, müßte man die weniger einfachen Vorrichtungen der stabilen Dampfmaschinen anbringen; da aber Einfachheit die Hauptbedingung beim Locomotivbau ist, und das Außerachtlassen derselben gehörig gerechtfertigt seyn muß, so betrachten wir deßhalb den Nutzen und die Wirkung der Expansion etwas näher. Wenn eine Maschine in Thätigkeit gesetzt werden soll, so muß der Dampf die Summe aller Widerstände, welche sich auf den Kolben concentriren, überwältigen; er muß also durch seine Spannung einen um ein Geringes größern Druck auf den Kolben ausüben, als die gesammten Widerstände Gegendruck darbieten. Dabei wird die Geschwindigkeit der Bewegung von der Quantität des Dampfes abhängen, welches sich im Kessel bei gleicher Spannung neu erzeugt; denn füllt sich ein Cylinder in einer Secunde um 3 Fuß seiner Länge mit neuem gleich starkem Dampf, so muß auch der Kolben um 3 Fuß in der Secunde vorwärts gehen. Hat man aber im Kessel einen viel größern Dampfdruck, als der Kolben zu einer Bewegung bedarf, so wird dieser durch den Ueberschuß an Kraft so lange in beschleunigter Bewegung erhalten, bis entweder 1) durch die vergrößerte Geschwindigkeit die Widerstände sich so mehren, daß sie endlich dem Dampfdruck im Kessel das Gleichgewicht halten, oder 2) der Dampf im Kessel sich nicht mehr schnell genug erneuern kann, und deßhalb seinen Druck so weit erniedrigen muß, bis er dem Kolbenwiderstand gleich wird, oder 3) die Beschleunigung des Kolbens so groß wird, daß der Dampf nicht mehr mit derselben Dichtigkeit und Spannung durch die Einströmungsöffnungen nachkommen kann und sich deßhalb im Cylinder so lange Expandiren muß, bis abermals sein Druck gleich dem Widerstande wird, während er im Kessel derselbe bleibt. Nachdem einer dieser drei Fälle eingetreten ist, wird die Kolbenbewegung gleichförmig werden, weil der Ueberschuß an Kraft durch das Gleichwerden des Dampfdrucks mit dem Widerstand wegfällt. Bei den stabilen Dampfmaschinen ist in der Regel bei gleichförmiger Bewegung der Dampfdruck im Cylinder nur wenig von dem im Kessel verschieden. Bei Locomotiven hingegen findet wegen der verlangten schnellen Kolbenbewegung zuweilen ein großer Unterschied statt. Um uns nun die Arbeit des Dampfs recht klar zu machen, nehmen wir einen Kolben, der z.B. mit 60 Pf. auf den Quadratzoll seiner Oberfläche belastet ist, und lassen ihn durch einen Dampf mit einem Minimum mehr als 60 Pfd. Spannung bewegen; es wird alsdann, wenn man den Dampfzutritt absperrt, der Kolben natürlich stehen bleiben, und der Dampf, wenn er entlassen wird, seine Arbeit vollendet haben. Nichtsdestoweniger hat dieser aber noch Kraft; man nehme nur, anstatt ihn zu entlassen, dem Kolben etwas Widerstand weg, und der Dampf wird so lange fortarbeiten, bis ihm sein letzter Gegendruck abgenommen ist, wobei beständig seine Spannung, indem er sich ausdehnt, expandirt, nach und nach abnimmt und so z.B. hier von 60 Pfd. für den Quadratzoll auf den gewöhnlichen Atmosphärendruck herunter kommt. Die ganze Arbeit nach der Absperrung ist nun bloß durch Expansion verrichtet, deren Nutzen demnach klar vor Augen liegt. Weil aber bei den Maschinen der Kolbenwiderstand nicht leicht vermindert werden kann, so macht man zur Benutzung der Expansion den Cylinder größer, z.B. um das Doppelte, und sperrt den Dampf ab, wenn ein gleich großes Quantum wie vorher im Cylinder ist, also hier bei der Hälfte des Kolbenlaufs. Es wird dadurch für den Anfang der Bewegung ein Kraftüberschuß erzeugt, indem ja der Dampf für den Quadratzoll bei der doppelt so großen Fläche des Kolbens nur die Hälfte Gegendruck erleidet, wie vorher. Dieser Kraftüberschuß sucht nun eine Beschleunigung zu erzeugen, und müßte eigentlich die Last doppelt so geschwind halb so hoch bewegen, was mit dem vorher angewandten Dampfquantum natürlich gleiche Wirkung gibt; weil aber die Mittheilung der schnellern Bewegung auf die Masse einer Maschine Zeit erfordert, so wird die Beschleunigung nicht augenblicklich eintreten. Sperrt man daher in der Mitte des Laufs ab, und läßt den Dampf entweichen, so wird in der zweiten Hälfte des Kolbenlaufs, wo gar kein Dampf wirkt, die in der ersten Hälfte von der Masse absorbirte Beschleunigung nachwirken, im Gang aber keine Beschleunigung erzeugen, weil sich der doppelte Kraftüberschuß am Anfang des Laufes, nämlich für den Quadratzoll halb so viel Last wie vorher, mit dem Nichtwirken des Dampfs in der letzten Hälfte ausgleicht. Es wird also die Wirkung dieses Dampfs ohne Expansion der vorigen gleich seyn. Sperrt man aber in der Mitte des Laufs ab, ohne den Dampf zu entlassen, so wird sich derselbe ausdehnen, expandiren. Weil aber bis jetzt noch keine Beschleunigung und mithin auch noch keine Veränderung der Spannung erfolgt ist, so wird der Dampf für den Quadratzoll auch noch denselben Kraftüberschuß, nämlich halb so viel Last als vorher haben; und deßhalb, wenn er um das Doppelte ausgedehnt, seine Spannung nach dem Gesetze der Expansion des Dampfs um ungefähr die Hälfte verloren hat, am Ende des Laufs gerade noch so viel Kraft haben, als er für den Quadratzoll der Last entgegensehen muß. Mithin hat der Dampf während seiner Expansion beständig gearbeitet, und zwar gerade so viel, wie vorher mit Expansion, nur daß jetzt eine Abnahme des Kraftüberschusses, also der Beschleunigung statt fand, wogegen früher eine Abnahme der Last selbst. Durch diese Mehrleistung mittelst Expansion muß nun natürlich die Bewegung des Kolbens wirklich schneller, also der Effect dadurch vergrößert werden. Der Dampfdruck soll nun, wie wir schon gesehen haben, bei gleichförmiger Bewegung im Cylinder gleich dem Kolbenwiderstand seyn, weil bei dieser Bewegung kein Kraftüberschuß mehr statt haben kann. Dieses Gleichseyn braucht aber nur in der Summe der Leistungen eines Kolbenlaufs statt zu finden, während eines Theils desselben kann aber recht gut ein Kraftüberschuß bestehen, denn dieses wird, wie wir gesehen haben, durch das Zeiterforderniß zur Mittheilung der Bewegung einer Masse erlaubt. Will man nun noch den größern Nutzen einer vermehrten Expansion erkennen, so denke man sich z.B. bei 1/5 des Hubs expandirend, den Kolben auch fünfmal so groß, als er ohne Expansion werden würde, damit bei 1/5 seines Laufs der zu verarbeitende Dampf vollständig hineingehe. Es wird dann auch ein fünfmal größerer Kraftüberschuß am Anfang stattfinden und der Dampf, indem er sich um das Fünffache expandirt, wieder am Ende gerade noch so viel Spannung besitzen, als der Kolben bedarf, wobei also die Expansion während 4/5 des Kolbenlaufs, also während einer längern Zeit wie vorher gearbeitet hat, woraus der Schluß folgt, daß bei einer größern Expansion auch ein größerer Nutzen stattfindet. Dieß nun berücksichtigt, zeigt deutlich, mit welch gutem Recht man die vermehrte Expansion bei Locomotiven anzuwenden und selbst auf Kosten der Einfachheit seinen Zweck zu erreichen suchte. Bei der Construction einer Locomotive mit Expansion hat man erst zu erfahren, ob die Maschine durch die Expansion bei derselben Dampferzeugung, also bei demselben Brennmaterialaufwand, kräftiger gemacht werden soll, oder ob man bei derselben Leistung Dampf und also auch Brennmaterial zu ersparen wünscht. In den meisten Fällen genügt die Kraft und man will nur an den Betriebskosten ersparen. Dann darf natürlich der Kolben nur für ein solches Quantum Dampf eingerichtet werden, welches, wenn man die Mehrleistung hinzu addirt, die verlangte Arbeit erzeugt. Die Betriebskosten zu vermindern, ist eine Hauptaufgabe der Ingenieure, deßhalb erkannten diese auch bald, daß sehr viel Dampfkraft, also auch sehr viel Geld für Brennmaterial verschwendet wird, wenn bei ungünstiger Witterung oder bei schlechtem Verkehr kleine Trains fahren müssen. Die Locomotive ist eine Maschine von constanter Kraft und der mit einer bestimmten Geschwindigkeit zu ziehende Train eine variable Last; wenn also die Kraft stets mit der Last im Verhältniß bleiben soll, so muß sie auch variabel werden. Denn hat die Locomotive einen kleinern Train zu ziehen, als ihr der Kraft nach zukommt, so wird sie schneller laufen, weil aber die Geschwindigkeit eine polizeilich bestimmte ist, so muß die Dampfeinströmung verkleinert werden, und der überschüssige Dampf wird nutzlos durch die Ventile entweichen. Man hätte also die Aufgabe, die Dampferzeugung variabel einzurichten, so daß die verlangte Dampfmenge dem Train nach Belieben angepaßt werden könnte. Dieses hat man nun sehr einfach dadurch gelöst, daß man die Mündung des Dampfentweichungsrohrs verstellbar eingerichtet hat, so daß man sie bald eng, bald weiter machen kann; denn ist die Mündung eng, so hat man einen starken Zug im Schornstein, weil der ausströmende Dampf, durch den geringen Querschnitt der Mündung aufgehalten, noch mit einer gewissen Spannung in den Schornstein kommt, und so die heiße Luft mit sich reißt; macht man die Mündung aber weiter, so wird der Dampf ohne Spannung oder doch mit weniger in den Schornstein treten, weil ihn nichts zurückhält; er wird alsdann auch weniger rasch die Mündung verlassen und mithin einen weniger starken Zug erzeugen. Hieraus sieht man also, daß man den Zug nach Belieben stark oder schwach machen kann, wodurch wieder eine beliebig zu ändernde Dampferzeugung entsteht. Wir haben nun eine Locomotive mit variabler Dampferzeugung und constanter Expansion. Bedenkt man aber, daß bei einer vermehrten Expansion in Bezug auf die Leistung eines Dampfquantums oder des Brennmaterials auch ein vermehrter Nutzen erwächst, so kommt man bald zu der Einsicht, daß eine variable Expansion bei einer variablen Dampferzeugung die Ersparniß an Brennmaterial noch vergrößern muß. Deßhalb finden wir auch die neuesten Locomotiven, selbst auf Kosten der Einfachheit, mit vollem Recht zur variablen Dampferzeugung und zur variablen Expansion eingerichtet.

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