Titel: | Ueber die Gefahren, Unglücksfälle und Krankheiten, welchen die Arbeiter in Reibzündhölzchen-Fabriken ausgesetzt sind; von Dr. Roussel. |
Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. LXXVI., S. 375 |
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LXXVI.
Ueber die Gefahren, Unglücksfälle und
Krankheiten, welchen die Arbeiter in Reibzündhölzchen-Fabriken ausgesetzt sind;
von Dr. Roussel.
Aus dem Technologiste, Aug. und Sept.
1846.
Mit einer Abbildung auf Tab. IV.
(Schluß von S. 322 des vorigen
Heftes.)
Roussel, über die Reibzündhölzchen-Fabriken in
sanitäts-polizeilicher Hinsicht.
Verordnungen zur Verhütung von Unglücksfällen und Gefahren
durch die Fabrication und den Verkauf der Zündhölzchen.A. Gegenwärtige
Verordnungen.
Wir wollen nun noch die Unzulänglichkeit der administrativen Verordnungen bezüglich
der Zündhölzchen-Industrie und die Nothwendigkeit einer gänzlichen Reform
derselben nachweisen. Schließlich werden wir die Maaßregeln angeben, wodurch die
Behörde diesen Industriezweig mit dem allgemeinen Wohl und der Gesundheit der Arbeiter
vereinbar machen könnte.
Als im J. 1835 die HHrn. Gaultier de
Claubry und Barruel Mittel angaben, um den Gefahren des Transports mit
knallsaurem Quecksilber bereiteter Pulver zu begegnen, war die Fabrication der
Zündhölzchen in Frankreich erst aufgekommen; sie erhob sich nur nach und nach zu der
bedeutenden Rolle, die sie gegenwärtig spielt und entging den Forschungen durch das
Dunkel, welches sie umgab. In Folge der vielen Unglücksfälle, welche sie veranlaßt,
zog der Gesundheitsrath aber bald die Gefahren des Transports dieses neuen
Handelsartikels in Betrachtung. Zwei Berichte desselben vom 22. Dec. 1837 und 24.
April 1838 veranlaßten eine polizeiliche Ordonnanz, wodurch er gleichen Verordnungen
für den Transport unterworfen wurde, wie die Knallpulver. Diese Ordonnanz vom 21.
Mai 1838 verbot erstens den Transport aller mit detonirenden oder Knallpulvern
bereiteten Gegenstände, nämlich der Zündhütchen, Zündpulver und Zündhölzchen mit den Postwagen und andern Passagiere befördernden
Fuhrwerken. Zweitens verordnete sie, daß der Transport nur durch
Frachtwägen und zu Wasser geschehe; daß ferner der Inhalt der Colli von dem Absender
dem Spediteur declarirt werde und die Colli den Stempel des Polizeicommissärs oder
des Maire vom Orte der Absendung erhalten. Endlich verlangte die Ordonnanz folgende
Vorsichtsmaaßregeln: „Die Zündhütchen, Zündpulver und Zündhölzchen, in
Packets oder Schachteln, werden in gut zusammengefügte Kisten verpackt. Der
Deckel wird durch einen wohlgespannten ledernen Riemen befestigt. Auf den obern
Rand der Kiste wird dünnes Schafleder befestigt, worauf der Deckel aufliegt.
Innen hinein wird ein Schaffell gebracht, welches aber nicht befestigt wird und
so groß seyn muß, daß es, wenn die Kiste voll ist, die Schachteln oder Packete
ganz bedeckt.“
Diese Verordnung hatte lediglich den Zweck, Unglücksfälle beim Transport zu verhüten.
Die Fabrication selbst, obwohl hie und da schon bedeutend, und die Gesundheit der
Arbeiter, wurden noch nicht berücksichtigt. Auch gegenwärtig hat sich hierin die
Gesetzgebung noch nicht ergänzt; es wurde sogar obige Verordnung, so unzulänglich
sie auch ist, niemals strenge in Ausführung gebracht, und da die Speditionshäuser
die Versendung dieser Gegenstände verweigern, hilft man sich auf allerlei Weise und
befolgt nicht einmal die vorgeschriebene Verpackung. Unzulänglich ist die
Verordnung, weil sie den Transport in Packeten gestattet. Doch ist zu hoffen, daß
geeignete gesetzliche Vorschriften für diesen Industriezweig nicht mehr lange
ausbleiben werden. Hr.
Payen hat darüber der
Behörde sehr zweckmäßige Maaßregeln vorgeschlagen, Hr. Chevallier sehr instructive Zusammenstellungen
der Unglücksfälle gemacht.
Zu einer Gesetzgebung für diesen Industriezweig, welche die Pariser Fabrikanten
selbst zu wünschen scheinen, ist folgendes ein Entwurf.
Entwurf einer sanitäts-polizeilichen Gesetzgebung
hinsichtlich der Fabrication und des Verkaufs der Zündhölzchen.
In den Bewilligungs-Decreten für die in der neuesten Zeit errichteten
Zündhölzchenfabriken wurden dieselben in die Reihe der ungesunden Fabriken erster Classe gesetzt, deren Nachbarschaft nämlich
gefährlich ist und die daher von Privatwohnungen entfernt angelegt werden sollen. Da
jedoch mehrere Fabriken schon existirten, als jene Bewilligungen nachgesucht wurden
und die Artikel 11 und 12 des Decrets vom 15. Octbr. 1810 sagen, daß die
Bestimmungen dieses Decrets nicht rückwirken können, wenn nicht große Uebelstände
für das allgemeine Wohl eintreten, so entsprechen nur sehr wenige
Zündhölzchenfabriken den Vorschriften des Decrets. Durch die Maaßregeln, welche wir
vorschlagen, dürften die Nachtheile und Gefahren solcher Fabriken bedeutend
vermindert werden, so daß die Zündhölzchenfabriken in die zweite Classe der schädlichen Etablissements eingereiht werden können, bei
denen „die Entfernung von den Wohnungen nicht streng
erforderlich, welchen aber die Errichtung nicht eher zu gestatten ist,
als bis man sich überzeugt hat, daß die darin vorzunehmenden Verrichtungen auf
solche Weise geschehen, daß die Häuser in der Nachbarschaft nicht belästigt
werden und ihnen kein Schaden zugefügt
wird.“
Die deßhalb zu ergreifenden Maaßregeln beziehen sich 1) auf die Fabrication, 2) den
Transport und Verkauf der Reibzündhölzchen und erzielen 3) auch die Gesunderhaltung
der Werkstätten.
A. Fabrication.
1) Zubereitung der Masse. Ungeachtet der Fortschritte,
welche die Fabrikanten in der Zubereitung der Masse gemacht haben, sind doch
zwei Hauptvorsichtsmaaßregeln nothwendig, auf welche Hr. Payen beim Handelsminister antrug. Die erste
ist, den Schwefel gänzlich von den in die Masse
eingehenden Substanzen auszuschließen. Die zweite besteht darin, den Phosphor stets für sich allein zu zertheilen, und ihn
erst dann den andern Ingredienzien zuzusetzen, wenn diese schon vollkommen
zerrieben und die Gemenge gehörig erkaltet sind.
Was die besondern Vorsichtsmaaßregeln betrifft, welche jede einzelne Operation
erheischt, verweisen wir auf das oben in dieser Abhandlung Gesagte. Nur das
hätten wir noch hinzuzufügen, daß die Frage noch wohl untersucht werden sollte,
ob nicht, wie in Deutschland, das chlorsaure Kali bei der Bereitung der
Zündhölzchen gänzlich verbannt werden könnte. Wenn wir dieß vorschlagen, haben
wir weniger die Explosionen im Auge, welche in Fabriken vorkommen können, als
die Unfälle, welche täglich beim häuslichen Gebrauch der Zündhölzchen
stattfinden.
Nachdem man diese Maaßregeln gegen die zu große Explodirbarkeit der Masse getroffen, wäre es auch zweckmäßig, ihrer zu
großen Empfindlichkeit zu begegnen. Hr. Malbec, welcher die Wichtigkeit
dieses Punktes einsah, ersann einen sehr einfachen Apparat, um den Grad der
Empfindlichkeit der Masse auf das genaueste zu bestimmen. Dieser Apparat besteht
aus einem Gefäße, welches Quecksilber enthält und im Wasserbad auf 64 bis
72° R. erhitzt wird. Bei dieser Temperatur wird die Masse (der Teig)
probirt; entzündet sie sich, so ist sie zu empfindlich und man muß ihr von den
die Phosphortheilchen trennenden (auseinanderhaltenden) Substanzen also mehr
zusetzen.
2) Eintauchen in die Masse. Man verbiete die Anwendung
von Marmortafeln hiebei und schreibe vor, die Operation in kupfernen Trögen mit
flachem Boden vorzunehmen, die auf Steinplatten ruhen, wie dieß bei Hrn.
Malbec geschieht.
3) Trockenkammer. Hr. Payen trug auch auf mehrere Verbesserungen
der gewöhnlichen Trockenkammern für Zündhölzchen an. Er verlangt, daß der Boden
der Kammer beständig mit einer etwa 3 1/2 Zoll hohen Schicht feinen Sands belegt
sey; daß ein Ventilir-Apparat in der Trockenkammer angebracht werde; daß
durchaus keine andere entzündliche Substanz in dieselbe gebracht werde, als die
zu trocknenden Zündhölzchen. Man verbiete also, daß vom Holz daselbst aufbewahrt
werde, wie dieß bei den kleinen Fabrikanten der Fall ist; ferner, daß die
Kästen, in welche die Zündhölzchen zum Trocknen gelegt werden, von Holz gemacht
werden, sondern verordne ihre Anfertigung von Eisen. Die in mehrere Räume
abgetheilten Trockenkammern des Hrn. Malbec erfüllen die meisten dieser Bedingungen.
4) Das Uebertragen von der Trockenkammer in die
Werkstätten. Hr. Payen verlangte auch, daß der Transport der in der Trockenkammer
getrockneten Zündhölzchen in die Werkstätten, wo die Rahmen auseinander genommen
werden, in geschlossenen Büchsen von galvanisirtem Eisenblech geschehe.
5) Das Abfassen in Packets. Die hiemit verbundenen
Gefahren sind durch Thatsachen in Ueberfluß dargethan. Diese Gefahren betreffen
eben so gut die Aufbewahrung des Vorraths, als den Transport und Verkauf. Die
erste hiegegen zu ergreifende Maaßregel wäre das gänzliche Verbot, die
Zündhölzchen in Packeten aus den Fabriken abgeben zu lassen und vorzuschreiben,
daß das Product jeden Tags, so wie es aus der Trockenkammer kömmt, sogleich in
Schachteln gebracht werde.
6) Vorsichtsmaaßregeln gegen Feuersbrünste. Man
verlange, daß jeder Zündhölzchenfabrikant eine Feuerspritze in gutem Zustande
besitze.
B. Transport und
Verkauf.
1) Transporte in Packetchen und Päcken. Die Verordnung
vom 21. Mai 1838 schreibt den Transport durch Frachtwägen oder zu Wasser vor, so
wie sie auch gewisse Anordnungen für das Verpacken in Kisten gibt; allein sie
verbietet nicht, diese Kisten mit Zündhölzchen in Packeten anzufüllen. Aber
gerade dieses ist der Hauptpunkt und die Erfahrung lehrte, daß beinahe alle auf
dem Transport vorgefallenen Unfälle durch Zündhölzchen in Packeten veranlaßt
wurden. Es gibt gegenwärtig in Paris Fabriken, wo alle Zündhölzchen in Packete
und diese in größere Päcke vereinigt werden, welche man in einen Bogen grauen
Fließpapiers wickelt, und so bringt man die Zündhölzchen in die Mitte der Stadt.
Die meisten Fabriken sehen die Gefahr hiebei wohl ein; sie wünschen ein Verbot
des Transports in solchen Päcken, weil dadurch die Spediteurs von ihrer
Besorgtheit zurückkämen und den Transport der Zündhölzchen wieder zu übernehmen
sich entschlössen.
2) Transport der Zündhölzchen-Schächtelchen.
Die Verfertigung der Schächtelchen verdient Beachtung hinsichtlich ihres
Transports und Verkaufs. Die Schächtelchen, welcher man sich in Frankreich
bedient, haben mehr als einen Uebelstand; die einen sind zu groß, enthalten eine
bedeutende Anzahl Zündhölzchen und können leicht eine Feuersbrunst veranlassen;
andere sind oft schlecht gemacht; der Deckel paßt schlecht und die Wände sind zu
schwach. Man müßte daher nicht nur die Schachteln mit 1000 bis 1200 Zündhölzchen
verbieten, von welchen wir in mehreren Fabriken Muster sahen, sondern jede
Schachtel die mehr enthielte als 100. In Deutschland werden viele Schächtelchen
zu 40–50 Zündhölzchen verfertigt und mehrere Fabrikanten haben
zweckmäßige Büchschen zu 100 Zündhölzchen eingeführt. Es sind dieß nämlich
faßförmige Büchschen von Tannenholz, die auf der Drehbank aus einem Stück ausgehöhlt
und mit einem Deckel vom selben Holze genau verschlossen werden. Sollten
dergleichen in Frankreich auch nicht so billig hergestellt werden können, so
müssen sie doch dauerhafter verfertigt werden.
C. Anlage der Fabrik und
Gesunderhaltung der Werkstätten.
1) Anlage der Fabrik. Die vollkommene Trennung der
Werkstätten ist der Hauptpunkt bei der Anlage einer Zündhölzchenfabrik. Es ist
dieß nicht nur unerläßliche Bedingung, um die Localitäten gesund zu erhalten,
sondern auch das beste Mittel gegen Feuersbrünste und Explosionen. Die HHrn.
Malbec und de la Courcelle trennten bereits
die Arbeit, welche Phosphordünsten aussetzt, von den übrigen; allein es ist dieß
nicht genug, sondern es muß auch jene erstere Arbeit so viel als möglich
unschädlich gemacht werden. Zu diesem Behufe muß nicht nur das Local für jede
Operation getrennt, sondern auch in der Lage und Construction eines jeden
mehreres beobachtet werden. Fig. 47 wird dieß
anschaulicher machen.
1) Das Zerreiben der Substanzen und die Zubereitung der Masse haben in einem kleinen Pavillon
F zu geschehen, der in einem einzigen Zimmer zu
ebener Erde, das von allen Seiten isolirt ist, besteht.
2) Das Schwefeln und Eintauchen
in die Masse geschehen beide in dem Pavillon G, der ebenfalls von allen Seiten isolirt, geräumiger ist als der
vorige, und auch in einem einzigen Gemach zu ebener Erde besteht. Das Dach
dieses Pavillons ist sehr hoch und zum Theil mit einer aus beweglichen Fenstern
bestehenden Verglasung gedeckt, welche Fenster offen gelassen werden, damit die
Dämpfe entweichen können. In diesem nur für den Schwefler und Eintaucher
bestimmten Locale können noch besondere Vorrichtungen behufs einer beständigen
Erneuerung der Luft angebracht werden.
3) Die Trockenkammer nimmt ein größeres Gebäude D ein als die vorigen; auch sie ist von allen Seiten
isolirt und besteht aus einem einzigen Stockwerk zu ebener Erde. In der
Trockenkammer werden nur eiserne Geräthschaften angewandt. Es läßt sich eine
sehr einfache Ventilation darin anbringen, wie dieß bei Hrn. Malbec geschah.
4) Zurichten und Auseinandernehmen der Siebe; Abfassen in
Schachteln. Die hiezu erforderlichen Locale sind die wichtigsten, wegen
der vielen Personen, die man dazu braucht. Das Zurichten der Siebe setzt keiner
Ausdünstung aus, und es ist daher nur darauf zu sehen, daß es getrennt von
andern Operationen geschehe. Das Auseinandernehmen hingegen und das Fassen in
Schachteln sind sehr ungesund; die Locale dazu müssen daher möglichst
vortheilhaft eingerichtet seyn. Andererseits aber ist der Preis des Bodens
(vorzüglich um Paris) ein Hinderniß, daß ein bedeutendes Etablissement ganz zu
ebener Erde errichtet werde. Wir mußten daher suchen, die Anforderungen der
Industrie mit jenen des körperlichen Wohls dadurch in Einklang zu bringen, daß
wir die beiden wichtigsten Operationen der Zündhölzchen-Fabrication in
einem Gebäude vereinigten, welches wie folgt angelegt ist.
Das Gebäude E besteht aus zwei Stockwerken und ist
von allen Seiten isolirt. Zu ebener Erde werden die Pressen zum Schneiden der
Hölzchen aufgestellt. Diese Werkstätte nimmt die ganze Länge des Gebäudes ein
und hat auf den beiden Längenseiten des Gebäudes eine Reihe Fenster. –
Das obere Stockwerk steht in gar keiner directen Verbindung mit dem Erdgeschoß
und man gelangt durch eine äußere Treppe zu demselben. Es besteht ebenfalls aus
einer einzigen Werkstätte mit einer doppelten Reihe Fenster, und außerdem werden
durch das Dach mehrere Fenster gebrochen, deren Scheiben so angebracht sind, daß
die Dünste beständig aus- und die äußere Luft beständig zutreten kann.
Hiedurch wäre für die Arbeiterinnen, welche die Siebe auseinandernehmen und die
Zündhölzchen in Schachteln fassen, ein geräumiges, gegen Feuchtigkeit
geschütztes und gehörig gelüftetes Local gewonnen. – Für die Magazine und die Wohnung des
Fabrikanten und Fabrikaufsehers müßte ein fünftes, ebenfalls getrennt
stehendes Gebäude von beliebiger Größe und Einrichtung aufgeführt werden (H). – Umgibt man diese Gebäude noch mit einer
Umfangsmauer (B) von wenigstens 2 Meter Höhe, die
allenthalben ungefähr 1 Meter von den Gebäuden absteht, so können die
Zündhölzchen-Fabriken ohne Anstand in einem nicht größern Abstand von der
öffentlichen Straße (A) und bewohnten Häusern
errichtet werden, als welchen die Umfangsmauer beschreibt.