Titel: | Skizzen über einzelne Zweige der brittischen Industrie; gesammelt von Dr. F. Knapp. |
Autor: | F. Knapp |
Fundstelle: | Band 102, Jahrgang 1846, Nr. LXXXIX., S. 440 |
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LXXXIX.
Skizzen über einzelne Zweige der brittischen
Industrie; gesammelt von Dr. F.
Knapp.
Knapp, über die Salinen von Chester.
B. Die Salinen von
Chester.
Mitten im Gebiet des neuen rothen Sandsteins im Nordwesten von England tritt die
steinsalzführende Formation in einer inselartigen Abgränzung zu Tag. Der schmalere
Zweig dieses salzführenden Mergels erstreckt sich dem Thal des Weaverflusses entlang
bis nahe zu dessen Mündung in den Mersey, und hat folglich die Richtung mit dem
Grand Junction Railway gemein, von dem er seiner ganzen Länge nach mitten
durchschnitten wird. Eine engl. Meile westwärts der Bahn, bei dem kleinen Orte Windsford, gewahrt man schon von weitem die Schlote
unzähliger Salzkother, die in dem ganzen Thal zerstreut oder vielmehr so
zusammengedrängt sind, daß man eine ausgedehnte Fabrikstadt zu sehen glaubt. Das
Steinsalz dieser Gegend ist durch seine seltene Reinheit und Schönheit berühmt; ganz
nahe bei dem erwähnten Orte ist eine Grube – dieselbe, worin vor einigen
Jahren die Versammlung der brittischen Naturforscher bei unterirdischer
Gasbeleuchtung bewirthet wurde, wie den Lesern des polytechn. Journals erinnerlich
seyn wird – eine Grube, woselbst das Salzlager bergmännisch bebaut und in
klaren, farblosen glasartigen Massen gefördert wird, welche eben so frei von rothen
Infusorien als von thonigen und ähnlichen Beimischungen sind.
Der Bergbau auf Salz bildet übrigens die seltenere Ausnahme, während der bequemere
Betrieb der Salzkothen, d.h. die Gewinnung und Verarbeitung des Salzes als Soole die
allgemeine Regel ist. Die Salinen der Grafschaft Chester,
worin jener District gelegen ist, versorgen nicht bloß die Haushaltungen der weiten
Umgegend, sondern auch die ungeheure Soda-Industrie zwischen Liverpool und
Manchester, in der benachbarten Grafschaft Lancashire mit Salz. Die Grand
Junction-, die Liverpool-Manchester- und deren Zweigbahnen,
sowie der Trent und Mersey mit dem Duke of Bridgewater Canal und den anschließenden
Zweigen sind treffliche Verbindungen, beides für raschen und für wohlfeilen
Transport.
Zur Zeit meiner Anwesenheit bezahlte die große Sodafabrik von Mußpratt und Leus bei Newton – welche
beiläufig 18 englische Meilen von der ihr zugehörigen Saline in Chester liegt
– das Salz in die Fabrik geliefert, also incl.
Canal-Fracht, mit 12 1/2 Shilling, ein Preis der zuweilen auf 10 Shilling sinkt. Wenn man
bedenkt, daß die Canal-Fracht von Newton nach Liverpool (in gerader Linie 15
engl. Meilen, auf dem Canal um die Hälfte weiter) nur 2 1/2 ShillingDer Eigner des flat's (Canalboots), welche bis 70
Tonnen laden, erhält davon 1 1/2, der Bootführer (flat-captain) 1 Shilling.
per Tonne (= 20 Cntr. à 112 Pfd. a. d. p.) beträgt, so möchte
man sich versucht fühlen, diesen wohlfeilen Preis (er ist 75mal niedriger als z.B.
in Hessen-DarmstadtWoran freilich zum Theil das Monopol schuld ist. einer so hohen Entwickelung und Vollendung in der Kunst des Fabricirens
zuzuschreiben, wie man sie bei den Engländern in vielen Fächern, besonders
mechanischen, bewundert.
Von dieser groben Täuschung wird man aber sogleich bei dem Besuche der Salinen in
Chester, wohin ich die Leser des polytechn. Journals mich nunmehr zu begleiten
bitte, aufs gründlichste geheilt.
Außer dem Eisenhütten-Betrieb in Schottland (am obern Clyde) und in den
übrigen eisenführenden Kohlendistricten gibt es schwerlich einen Industriezweig, der
mit deutschen Verhältnissen in Parallele gezogen, den oft verkannten Werth unserer
National-Industrie auf der einen Seite und die stiefmütterliche Vertheilung
natürlicher Gegebenheiten und Vortheile auf der andern Seite schlagender in die
Augen springen läßt. Kurz wo die Natur Steinkohle, Thoneisenstein, Thon, Sandstein
in das nämliche Becken, ja in das Bereich der nämlichen Grube aufgehäuft hat, wie
bei den Britten, da ist die Concurrenz der deutschen Eisenproducenten gegen die
brittischen ein Kampf gegen die Natur, nicht gegen höhere oder gleiche
Kunstfertigkeit. So ähnlich verhält es sich mit dem Salinenwesen. Wenn man weiß,
welchen Aufwand an Arbeit, an Kenntniß, Sorgfalt, an unermüdlicher Beobachtung es
kostet, welches Studium der chemischen, geologischen, physikalischen Gesetze im
deutschen Salinenwesen entwickelt wird; wenn man bedenkt, mit welcher gründlichen
Wissenschaftlichkeit man hier zu Lande die zahlreichen Schwierigkeiten besiegt, und
das reine Salz in einer Reihe höchst sinnreicher Processe den begleitenden fremden
Stoffen und einem Ueberfluß von Wasser entwindet, so muß man erstaunen, wie aus den
rohen Händen der gänzlich unwissenden Salzsieder in Chester ein so wohlfeiles und
ausgezeichnetes Product hervorgehen kann. Die Natur hat es für gut befunden, den
bevorzugten Britten aller jener Schwierigkeiten und der Ungunst der Verhältnisse,
gegen welche sie den deutschen Salinenmann in die Schranken ruft, von vornherein zu
überheben. Dieß ist die einfache Lösung der Frage.
Das von mir besuchte Salzwerk bei Windsford steht, wie die meisten andern, unter der
Leitung eines Aufsehers, der an Intelligenz und Kenntnissen kaum den Rang eines (foreman) Werkmeisters der gewöhnlichen Fabriken
einnimmt. Er hatte nicht den leisesten Begriff von der chemischen Natur der
Salzsoole, noch von den Substanzen, die das Kochsalz darin zu begleiten Pflegen; er
hatte nie in seinem Leben davon gehört, daß es Gradirhäuser gibt, und die Löthigkeit
der Soole, die er verarbeitet, ist ihm eine unbekannte Größe.
Den Ausgangspunkt für den gesammten Betrieb bildet der sogenannte well, oder die Soolförderung. Sie ist ein 4 oder 5 Fuß
weiter Schacht, in welchen ein durch eine Dampfmaschine bewegter Pumpensatz
niedergeht. Jede Saline in dem beschriebenen Thal teuft einen solchen Schacht ab, je
nach der Oertlichkeit aus 100 bis 200 Yards (à 3
Fuß). Diese Schächte füllen sich von selbst, ohne daß man entfernt daran denkt,
frisches Wasser einzuleiten, mit Horizontalwasser, welches stark mit Kochsalz
gesättigt ist. Dieß ist die Soole, brine, die man
verarbeitet; sie steigt so hoch, daß man in dem Well von Tag aus sogleich den
Wasserspiegel sieht. Wenn die Salinen um Windsford in voller Thätigkeit sind und die
Pumpen Tag und Nacht spielen, so sinkt der Soolspiegel in den einzelnen Wells um
4–5 Yards, und die Stärke der Soole nimmt um ein weniges ab. Der Betrieb ist
aber so ausgedehnt und die Preise so niedrig, daß das Geschäft in Folge periodischer
Ueberproduction ewigen Fluctuationen unterworfen ist. In den Stillstandsperioden,
die 4–6 Wochen dauern, ergänzt sich der Stand und die Grädigkeit der Soole
sogleich wieder. Bei diesen Oscillationen hat es aber auch sein Bewenden, und die
Gefahr, die Soolschächte trocken zu arbeiten, liegt bei dem gegebenen Verhältniß
zwischen Soolverbrauch und Zufluß weit jenseits der Möglichkeit.
Die Dampfmaschine hebt die Soole mittelst der Pumpen in einen offenen, ausgemauerten
Sammelteich auf den Gipfel eines kleinen Hügels nebenan; dieser Teich dient als
Vorrathsbehälter, von wo aus die Siedhäuser mit der geförderten Soole gespeist
werden. Da alle übrigen Theile der Saline viel unter dem Niveau des Sammelteichs
liegen, so geschieht diese Speisung einfach durch den natürlichen Fall.
Die genaueste Untersuchung der Pumpen und des Sammelteichs belehrte mich, daß sich
auch keine Spur von einem ockrigen oder kalkigen Absatz bildet. Die Existenz solcher
Absätze war dem Hüttenmeister gänzlich unbekannt. Die offene Leitung, welche die
Soole von den Pumpen nach dem Sammelteich führt, die steinbekleideten Ufer desselben
sowie die Außenfläche der Schleiche und Röhren zum Abfluß waren vollkommen frei davon. Man wird den
streng analytischen Beweis nicht verkennen, welchen dieser Umstand in Bezug auf die
Abwesenheit von kohlensaurem Kalke, Bittererde, Manganoxydul, Eisenoxydul, kurz von
allen kohlensauren Salzen enthält, die sonst vermittelst freier Kohlensäure in allen
Soolen gelöst sind.
Auf meine Erkundigung über die Grädigkeit der Soole – die sich schon durch den
Geschmack als eine sehr reiche zu erkennen gab – gestand mir der Sudmeister
seine Unwissenheit über diesen Punkt, erzählte mir jedoch auf meine weitere
Nachfrage nach Aräometern oder Soolwagen (die er aber dem Namen nach nicht kannte),
daß ein derartiges Instrument vorhanden sey, welches sogleich requirirt wurde. Es
war ein altes, aus Elfenbein gedrehtes Aräometer mit einer empirischen, in 12
gleiche Theile getheilten Scale auf der Spindel. Da die Außenfläche unrein und fett,
folglich nur schwer benetzbar war, so blieb das Instrument auf einem beliebigen
Punkt in der Soole stehen, behauptete jedoch nach vorgenommener Reinigung und unter
passenden Vorsichtsmaaßregeln den Standpunkt = 8°. Da nun der Nullpunkt der
Theilung einer 25löthigen Soole entspricht, so muß die von Windsford ungefähr
15löthig seyn.
Das Siedehaus umfaßt eine Batterie von acht langen rechteckigen Pfannen von
Eisenblech. Einige werden mit dem von der Maschine abfallenden Dampf geheizt, die
Mehrzahl durch eine mit Steinkohlen gespeiste Feuerung, die jedesmal an einer der
schmalen Seiten angebracht ist. An dieser Seite, also zunächst der Feuerung, sieht
man die Soole langsam sieden, während sie nach dem entgegengesetzten Ende hin in
ruhigem Soggen begriffen ist. Dort sammelt sich eine Kleinigkeit von weißem Rahm
(Gyps) an der Oberfläche, der durch die aufwallende Bewegung in dem hinteren Ende
der Pfanne zusammengeschoben wird; seine Menge übersteigt per Pfanne schwerlich ein Pfund, und es ist folglich nicht der Rede werth.
Die Natur der Soole und die bei der Sonderung angestellten Beobachtungen ließen
keine Ausscheidung von Ocker oder Kalk etc. in der Pfanne erwarten, aber zu meinem
Erstaunen fand ich eben so wenig eine Spur von dem bekannten erdharzigen Schlamm,
der sich beim Versieden unserer meisten Soolen, und zwar im Verlauf des Störens
ausscheidet. Eine scharfe Trennung des Siedeprocesses in Soggen und Stören existirt nicht in dieser
Saline. Beides findet vielmehr gleichzeitig, aber an verschiedenen Enden der Pfanne
statt, welche alle 24 Stunden zweimal aufgefüllt wird. Da das Salz am meisten in der
Nacht auskrystallisirt, wo die Feuer langsam gehen, so zieht man das Salz einmal
täglich in der Frühe. Zwischen je zwei Pfannen der Länge nach befindet sich ein
Bretterboden, der zugleich zum Abtropfen und zugleich zum Hin- und Hergehen
der Arbeiter dient. Sie leeren das gezogene Salz auf diesen Boden aus, wo es so
lange liegen bleibt, bis die anhängende Soole nach unten abgezogen und bis es
gehörig trocken geworden ist, worauf es ins Magazin gefahren wird. Das Salz ist von
der allerbesten Beschaffenheit, von tadelloser Weiße und gleichmäßigem Korn.
Körbe zum Abtropfen sind nicht im Gebrauch, eben so wenig existiren besondere
Trockenräume. Die übrige Einrichtung der Siedehäuser ist in hohem Grade roh, von Brodenfängen oder etwas der Art keine Rede. Alle Pfannen
stehen frei unter demselben Dach und der Raum zwischen beiden ist mit dicken
Dampfwolken erfüllt, die nur durch einige Oeffnungen zwischen den Sparren einen
mühsamen Abzug finden. Bei der Wohlfeilheit des Brennstoffs und der hohen Löthigkeit
der Soole, welche diese Indolenz hinreichend erklären, würde die Anlage von
Gradirhäusern eben so ungereimt seyn als in Wimpfen und ähnlichen Orten.
Bekanntlich ist die Beschaffenheit und Verarbeitung der Soolrückstände ein Gegenstand
von hohem Interesse für unsere deutschen Salinen. Ich habe aber in Windsford
vergeblich nach einer Mutterlauge oder einem dem ähnlichen Rückstand geforscht; es
ergab sich aus meinen Schritt vor Schritt, von Proceß zu Proceß vorgenommenen
Untersuchungen und eingezogenen Erkundigungen, daß etwas der Art den Salzsiedern
daselbst niemals vorgekommen und in beneidenswerther Unbefangenheit auch nicht
bekannt ist. Mit einem Worte, es entsteht keine Mutterlauge und die Soole geht im
Verlauf des Siedens Null für Null in krystallisirtes Salz auf. Diese Erscheinung zu
erklären, sind zwei Möglichkeiten vorhanden: entweder werden die löslicheren
Chlorüre (Chlormagnesium, Chlorcalcium, Chlorkalium etc.), sowie die schwefelsauren
Salze des Natrons und der Bittererde, welche gewöhnlich nach der Abscheidung des
Kochsalzes in Lösung als Mutterlauge verbleiben, gewaltsam durch fortgesetztes
Eindampfen mit dem Kochsalz in festes Salz verwandelt, oder sie sind nur in Spuren
oder gar nicht vorhanden.
Im erstem Fall müßten jene Salze, welche in Folge ihrer vermehrten Löslichkeit in der
Wärme sich stets viel später abscheiden als das Kochsalz, und folglich gegen Ende
jedes Werkes anhäufen, zuletzt mehr und mehr die Oberhand bekommen. Es würde alsdann
der Inhalt der Pfannen durch das gewöhnliche Sieden keine Krystalle mehr liefern und
zur Trockne verdampft werden müssen etc., was in keiner Weise geschieht. Auch ist
das erhaltene Kochsalz in Bezug auf sein hygroskopisches Verhalten ganz und gar
normal, so daß es keinesfalls eine größere Menge Chlor-Magnesium und -Calcium
enthalten kann, als bei käuflichem Kochsalz gewöhnlich vorkommt.
Das Nichtaustreten der Mutterlauge kann mithin nur in der Abwesenheit der erwähnten
Salze beruhen, wie denn aus dem Ganzen mit Evidenz hervorgeht, daß die Saline von
Windsford den fast unerhörten Fall repräsentirt, wo die natürliche Soole gleich rein
ist von den durch freie Kohlensäure gelösten Salzen, den leichtlöslichen Chlorüren,
welche die Mutterlauge bilden und organischen Materien. Nur unbedeutende Spuren von
Gyps sind vorhanden.
Die Soole von Windsford wird gegenwärtig im Laboratorium des R. Chemical College in London analysirt und ist der Bekanntmachung der
Resultate demnächst entgegen zu sehen.
Man hat beobachtet, daß die Hügelwand, welche das Thal von Windsford im Osten
begränzt, sich im Verlauf des dortigen Salinenbetriebs merklich (durch
Unterwaschung) gesenkt hat.