Titel: | Ueber die Zusammensetzung der Luft aus verschiedenen Höhen in einem verschlossenen Saal, worin viele Personen athmeten, nebst Betrachtungen über die Theorie der Ventilation; von J. L. Lassaigne. |
Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. XVI., S. 59 |
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XVI.
Ueber die Zusammensetzung der Luft aus
verschiedenen Höhen in einem verschlossenen Saal, worin viele Personen athmeten, nebst
Betrachtungen über die Theorie der Ventilation; von J. L. Lassaigne.Die Hauptresultate der Versuche des Verf. wurden bereits im polyt. Journal Bd. CI S. 404 mitgetheilt.A. d. R.
Aus dem Journal de Chimie médicale, Aug. 1846, S.
477.
Lassaigne, über die Zusammensetzung der Luft in geschlossenen
Sälen.
Die Veränderungen, welche die Luft durch die Respiration der Menschen und Hausthiere
erleidet, machte schon seit langer Zeit gewisse Gesundheitsregeln geltend, welche
namentlich in Sälen, wo sich viele Menschen versammeln, zu beobachten sind. Diese
Regeln, welche heutzutage bei der Construction neuer Apparate zum Ventiliren und
Heizen großer Gebäude etc. beobachtet werden, scheinen auf dem, vielleicht ohne
nähere Untersuchung angenommenen Grundsatz zu beruhen, daß die durch das Athmen verdorbene Luft die untern Theile des geschlossenen Raums
einnimmt und daher durch eine sie hinausführende Zugvorrichtung unausgesetzt
erneuert werden muß.
Diese Ansicht wurde jedoch, so viel ich weiß, durch die Erfahrung nicht bestätigt,
und dennoch ohne nähere Prüfung von den Schriftstellern über die neuesten
Heiz- und Ventilir-Apparate angenommen.
Die in dieser Hinsicht aufgestellte Behauptung schien mir immer in Widerspruch zu
stehen mit dem physikalischen Gesetz über die Vermischung
elastischer Flüssigkeiten unter sich und mit Dämpfen. Es steht nämlich im
Gegensatz zu den Gesetzen der Vermischung von Flüssigkeiten fest, daß die verschiedenen einfachen oder zusammengesetzten
elastischen Flüssigkeiten, welche keine chemische Einwirkung aufeinander haben,
sich gleichmäßig in der ganzen Ausdehnung eines begränzten Raumes und unabhängig
von ihrer respectiven Dichtigkeit verbreiten. Bekanntlich wurde dieser
Fundamentalsatz am Anfange unseres Jahrhunderts von Berthollet außer Zweifel gesetzt und später durch Gay-Lussac's schöne Versuche bestätigt und erweitert.
Im J. 1842 wurde von Hrn. F. Leblanc in seiner Abhandlung:
Recherches sur la Composition de l'air confiné
Im Auszug im polytechn. Journal Bd. LXXXV
S. 286. durch eine von ihm angestellte Analyse der in dem Saal der Opéra comique am Ende der Vorstellung, welcher
ungefähr 1000 Menschen beigewohnt hatten, gesammelten Luft dargethan, daß diese
Flüssigkeit (die Luft) in den obern sowohl als untern Regionen Kohlensäure enthalte;
daß das Mengenverhältniß derselben in den erstem 43/10,000, in der im Parterre
gesammelten Luft 23/10,000 betrage. Dieses Resultat ist demnach ein Beweis, daß die
verdorbenste, oder am meisten Kohlensäure enthaltende Luft nicht bloß in den untern
Regionen zu suchen sey, wie vielleicht nur willkürlich bisher angenommen wurde.
Obschon nun der erwähnte Fall nicht ganz das darstellt, was in einem großen
ventilirten Saale vorgeht, wo lediglich Athmung stattfindet, ohne mit den
Verbrennungsproducten der Lichter (einer beständigen Quelle von Kohlensäure)
vergesellschaftet zu seyn, mußte ich mich hier doch auf sie berufen, um eine so
allgemein angenommene Ansicht zu bekämpfen.
Bei Gelegenheit eines über einen Heiz- und Ventilir-Apparat für ein
öffentliches Amphitheater abzugebenden Gutachtens war ich veranlaßt verschiedene
Schriften nachzulesen, auf welche sich der eingegebene Plan gründete. Ich war
erstaunt, in diesen Schriften die Ansicht herrschend zu finden, daß gerade in den untern, kalten Schichten, unmittelbar über
dem Fußboden, die durch die Respiration erzeugte Kohlensäure so wie die andern
zu entfernenden miasmatischen Substanzen sich ansammeln.
Um mich zu überzeugen, ob diese Behauptung richtig sey, stellte ich folgende Versuche
mit Luft an, die in einem kleinen Amphitheater von 280 Kubikmeter Inhalt gesammelt
war, worin die eingesperrte Luft während einer 1 1/2 Stunden dauernden Vorlesung
nicht erneuert werden konnte. Die erhaltenen Resultate bestätigen mehrere von Hrn.
Leblanc beobachtete Thatsachen.
Es wurde bei diesen Versuchen alle Vorsicht getroffen, daß die Zusammensetzung der
Luft durch nichts anderes als die Respiration verändert werden konnte. Um das
wirkliche Volum der Luft in dem Amphitheater nach dem Eintritt von 55 gegenwärtigen
Personen möglichst genau zu bestimmen, wurde von dem leeren Raum das
durchschnittliche Volum
dieser Anzahl Menschen abgezogen, nachdem das Volum eines Menschen von mittlerer
Statur mittelst des Wassers, welches er aus einer Badwanne verdrängt, zu 69,240
Liter oder 0,6424 Kubikmeter ermittelt worden war. Nimmt man an, daß die Kleidung
eines Menschen eine 3–4 Millimeter dicke Schicht ausmacht, so beträgt das
Volum des angekleideten Menschen 0,6464 Kubikmeter, wonach das Gesammtvolum der 55
Personen 3520 Liter beträgt, welche von den 280000 Litern des Raums abzuziehen sind.
Es bleiben dann noch 276480 Liter Luft übrig, welche Zahl mit 55 dividirt, die
Quantität Luft gibt, die auf jeden Zuhörer in 1 1/2 Stunden kömmt; es sind dieß
5026,1 Liter.
Am 8. Mai 1846, 11 1/2 Uhr Vormittags nach beendigter Vorlesung, wurde mittelst
zweier mit trockenem Quecksilber gefüllter Flaschen Luft aufgefangen, und zwar in
der einen Flasche unten am Boden, in der andern oben am 3,80 Meter hohen Plafond.
Thüren und Fenster wurden während der ganzen Vorlesung genau verschlossen gehalten,
so wie auch der Kamin mit einer Eisenblechplatte, damit sich die Luft nicht erneuern
könnte.
Die Analyse dieser beiden Proben geschah über der Quecksilberwanne, indem man die in
ihnen enthaltene Kohlensäure durch eine concentrirte Aetzkalilösung absorbiren ließ
und den Sauerstoffgehalt alsdann mittelst Phosphor bestimmte.
Folgende Resultate gaben 100 Theile Luft von jeder Probe (Temperatur + 19° C.;
Barom. = 0,764 Meter).
Luft vom Plafond.
Luft der unterst. Schichte.
Sauerstoff
19,80
20,10
Stickstoff
79,58
79,35
Kohlensäure
0,62
0,55
–––––––
–––––––
100,00
100,00
Wie man sieht, differirte der Kohlensäuregehalt der obern Region unbedeutend von
demjenigen der Luft im übrigen Raum. Nimmt man das Mittel an, so hat man 0,58
Kohlensäure auf 10,000 Theile Luft, in welcher 55 Menschen athmeten; da nun die Luft
im Normalzustand nur 5/10,000 Kohlensäure enthält, so hatte sich hier ihr Gehalt an
solcher um das 11- bis 12fache vermehrt. Der Kohlensäuregehalt des ganzen
Raums nach der Vorlesung betrug demnach 1603,78 Liter; zieht man hievon den
natürlichen Kohlensäuregehalt dieses Luftvolums = 138,2 ab, so erhält man 1465,6
Liter. Diese Zahl gibt mit 55 dividirt die von jedem Individuum ausgeathmete Kohlensäure, welche in 1
1/2 Stunden 26,64, oder in der Stunde 17,76 Liter beträgt, und da das mittlere Volum
eines Mannes ungefähr 64 Liter ist, so ist die von ihm ausgeathmete Luft 18/64, oder
0,281 seines eigenen Volums. Das Gewicht dieser Quantität Kohlensäure auf 0°
Temperat. und 0,760 Meter Druck reducirt, ist = 32,85 Gram. und repräsentirt 8,96
Gr. in der Stunde verbrannten Kohlenstoffs, welche Resultate mit den Dumas'schen sehr nahe übereinstimmen.
Ein zweiter Versuch, welcher in derselben Art angestellt wurde, gab ähnliche
Resultate; nur war der Kohlensäuregehalt der Luft etwas geringer, weil der Raum
weniger sorgfältig verschlossen gehalten wurde; er betrug nämlich in der Höhe
49/10,000, unten 43/10,000.
Als Resultat dieser Untersuchung ergibt sich Folgendes:
Wo die Luft eine Zeit lang eingesperrt war und zur Respiration diente, befindet sich
die ausgeathmete Kohlensäure keineswegs ausschließlich in den
untern Räumen, wie einige behaupten, sondern sie ist, den Gesetzen der
Physik entsprechend, ziemlich gleichmäßig in der ganzen Luftmasse vertheilt; eher
scheint noch ein geringer Mehrbetrag gegen oben statt zu finden. Gewisse Theorien
über Ventilation sind daher falsch und es muß, wo viele Menschen athmeten, um die
verdorbene Luft zu verjagen, die ganze Luftmasse erneuert werden. Das Unbehagen,
welches man beim Einathmen der Luft in den obern Räumen der Schauplätze und anderer
Säle empfindet, ist hauptsächlich eine Folge der großen Verdünnung der Luft durch
die Wärme. Die Athmungsbewegungen werden in Folge davon viel schneller und
ausgedehnter und die dabei eintretenden physiologischen Erscheinungen sind von den
gewöhnlichen verschieden.