Titel: | Ueber mehrere chemische Reactionen welche auf den Gesundheitszustand in stark bevölkerten Städten von Einfluß sind; von E. Chevreul. |
Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. XLIX., S. 230 |
Download: | XML |
XLIX.
Ueber mehrere chemische Reactionen welche auf den
Gesundheitszustand in stark bevölkerten Städten von Einfluß sind; von E. Chevreul.
Aus den Comptes rendus, Nov. 1846, Nr.
20.
Chevreul, über das Gesundmachen der Städte.
Ich habe mich durch directe Versuche überzeugt, daß allenthalben wo ein dem
Luftzutritt nicht ausgesetztes Wasser schwefelsaure Alkalien und gewisse organische
Substanzen enthält, ein Sulfurid sich bildet, was den üblen Geruch der Wasser im
Becken von Paris, welche schwefelsauren Kalk enthalten erklärt, sowie denjenigen des
Wassers, welches in
Fässern von Eichenholz (die innen nicht verkohlt wurden) zum Gebrauch der
Schiffsmannschaft aufbewahrt worden ist und des Meerwassers, welches in den unteren
Schiffsraum eindrang.
Die Zersetzung (Fäulniß) der organischen Substanzen und ihre Anhäufung im Boden
bevölkerter Städte ist die Ursache der Ungesundheit und des üblen Geruchs, welchen
dieser Boden und das darin gegrabene Brunnenwasser nach einiger Zeit besitzen,
nämlich wenn das Terrain durchdringlich ist und keine solche Lage hat, daß es
unaufhörlich per descensum ausgewaschen wird. Die
Ueberreste der in die Erde eingegrabenen Thiere, die aus den Abtrittgruben
entweichenden Substanzen, der auf die öffentliche Straße gelassene Urin, die von
unseren Wohnungen in den Boden eindringenden Substanzen, die in flüssiger Form in
den Gasleitungen verdichteten Substanzen sind die Quelle der zersetzbaren
organischen Substanzen, welche nach und nach die Ungesundheit und den Gestank den
Erdschichten mittheilen, in die sie eindringen. Besonders wenn ein Boden, wie
derjenige von Paris, schwefelsauren Kalk enthält, ertheilen ihm die eindringenden
organischen Substanzen eine Ungesundheit und einen üblen Geruch, welche man in
Städten wo der Boden und das Wasser frei von Gyps sind, niemals bemerkt.
Die Mittel, welche man anzuwenden hat, um die Gesundheit der Städte zu sichern, sind
theils vorbeugende, theils solche welche die Ungesundheit verhindern oder aufheben
können.
Die vorbeugenden Mittel bestehen darin, so viel als möglich die Quantität der in den
Boden eindringenden organischen Substanzen zu vermindern: man muß daher die
Grabstätten und Schindanger fern von den Städten errichten und verschlossene
Abtrittgruben herstellen; die Straßen mittelst Brunnen- oder Bachwasser
unausgesetzt waschen und zahlreiche Abzüchte anlegen, worin sich die Wasser-
und Gasleitungen befinden.
Die Mittel um die Ungesundheit zu verhindern und wo sie besteht zu bekämpfen, sind
nicht zahlreich. Das erste besteht darin, den atmosphärischen Sauerstoff und das
Licht allenthalben hinzuführen wo sich organische Substanzen befinden, die durch
eine anfangende Zersetzung der Gesundheit nachtheilig werden können. Diese
Vorschrift gründet sich darauf, daß der Sauerstoff die organische Substanz durch
eine langsame Verbrennung in Wasser, Kohlensäure und Stickstoff zu verwandeln
strebt, Producte welche für die thierische Oekonomie nichts gefährliches haben, und
daß der Einfluß des Lichts diesen Proceß begünstigt. Man muß also breite Straßen
anlegen und die Höfe der Wohnungen groß genug lassen, daß Luft und Licht ungehindert hineindringen.
Ein zweites Mittel ist vorhanden, wenn sehr viele Brunnen und zwar in der Art
bestehen, daß sich das Wasser darin oft erneuert, man mag nun bloß für den
Wasserbedarf pumpen oder um den Boden von den Substanzen zu reinigen welche das
Wasser auflöst. Die Brunnen tragen überhaupt immer zur Reinigung des Wassers bei,
welches sie vom Boden empfingen, weil es in denselben mehr mit dem atmosphärischen
Sauerstoff in Berührung kommt als bei seinem Verweilen in den Schichten des Bodens.
Während man aber den Brunnen diesen Einfluß auf das Gesundmachen des Wassers nicht
absprechen kann, muß man doch gestehen, daß so wie sie gegenwärtig in den
bevölkerten Städten, wo der Boden inficirt ist, bestehen, ihre Wirksamkeit eine
höchst beschränkte ist.
Aus diesem Grunde lege ich eine so große Wichtigkeit auf ein drittes Mittel, welches
gewissermaßen das einzige ist, wodurch wir heute zu Tage auf solchen Boden wirken
können, welcher nicht in der Lage ist unaufhörlich von Wassermassen durchdrungen zu
werden, die sich darin per descensum erneuern oder als
Theil eines großen Flusses hineingelangen, weil der Boden vom Wasser dieses Flusses
durchdringlich ist. Dieses Mittel besteht darin, zahlreiche Baumpflanzungen
innerhalb der Städte anzulegen. Der große Einfluß der Bäume auf die Gesundheit des
Erdreichs ist unbestreitbar, weil sie beim Heranwachsen zersetzbare Materien, die
nahen oder entfernten Ursachen der Infection, aus dem Boden schöpfen. Die
Anpflanzungen müssen natürlich in der Stadt gehörig vertheilt und in genügender
Anzahl so angelegt werden, daß die Wurzeln sich hinreichend ausbreiten können, ohne
daß sie einen bereits inficirten Boden erreichen, in welchen der atmosphärische
Sauerstoff nicht durchzudringen vermag.