Titel: | Bericht über das von Hrn. v. Jouffroy vorgeschlagene Eisenbahnsystem, von Hrn. Cauchy der französischen Akademie der Wissenschaften erstattet. |
Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. LII., S. 244 |
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LII.
Bericht über das von Hrn. v. Jouffroy vorgeschlagene
Eisenbahnsystem, von Hrn. Cauchy der französischen Akademie der Wissenschaften
erstattet.
Aus den Comptes rendus, Nov. 1846, Nr.
30.
Cauchy's Bericht über das von Hrn. v. Jouffroy vorgeschlagene
Eisenbahnsystem.
Die schweren Unglücksfälle, welche nur zu oft das Leben der Reisenden auf Eisenbahnen
in Gefahr setzen, zu verhüten oder doch zu vermindern, war hauptsächlich der Zweck,
den Hr. v. Jouffroy durch sein neues System zu erreichen
suchte. Folgendes sind die Hauptunterschiede zwischen diesem und den gewöhnlichen
Systemen.
Bei den gewöhnlichen Systemen wird jede Locomotive mit dem Dampfkessel von vier bis
sechs Rädern getragen, wovon zwei Triebräder sind, die mit jedem Kolbenstoß eine
ganze Umdrehung machen. Jeder Waggon wird von vier Rädern getragen. Diese
verschiedenen, mit 3 Centimeter hohen Spurkränzen versehenen Räder laufen auf zwei
Schienen mit bogenförmig abgerundeter Oberfläche, indem sie sich mit den Achsen
umdrehen. Die beiden Schienen sind ungefähr 1,50 Meter von einander entfernt; die
Waggons aber und ihre Fußtritte gehen auf jeder Seite darüber hinaus, so daß die
ganze Breite des Geleises ungefähr 3 Meter beträgt. Der Schwerpunkt der beladenen
Waggons liegt oberhalb der Achsen und mehr als 1,50 Meter über dem Boden; die
Gesammthöhe der Waggons ist ungefähr 3 Meter.
Bei dem v. Jouffroy'schen System liegen auf jedem Geleise
drei Schienen. Die beiden Seitenschienen, welche die Waggonräder und die vier
kleinen Locomotivenräder tragen, sind 2,60 Meter von einander entfernt und haben um
12 Centimeter vorstehende innere Ränder. Die beiden Triebräder der Locomotive sind
durch ein einziges Rad von großem Durchmesser und mit breiter Felge ersetzt, welches
auf der dritten Schiene
in der Mitte des Geleises 25 Centimeter über den Seitenschienen rollt. Die Waggons,
wovon jeder auf zwei um ihre Achsenspindeln rollenden Rädern ruht, sind durch ein
verticales Gelenk zwei zu zwei mit einander verbunden. Bei dieser Anordnung drehen
sich die Achsen nicht und bleiben von einander unabhängig. Die Locomotive besteht
aus zwei Haupttheilen (trains), wovon der erste mit dem
Triebrad versehene die Cylinder trägt, der zweite aber den Kessel. Diese beiden
Haupttheile sind durch ein 8 bis 10 Decimeter hohes Gelenk verbunden. Das zwei
Waggons verbindende Gelenk ist noch länger und 1,70 Meter hoch. Die Waggonspaare
sind mit einander und die Locomotive selbst mit dem Tender mittelst doppelter
gegliederter Federn verbunden. Der Durchmesser der Waggonräder, welcher bei den in
Frankreich angenommenen Systemen nicht über 1 Meter beträgt, ist größer und auf
ungefähr 1,50 Meter gebracht. Der Schwerpunkt der belasteten Waggons ist beinahe bis
zum Niveau der Achsen herunterversetzt und ihre Höhe beträgt nur 2 Meter über der
Bahn. Mittelst eines besondern Mechanismus, welcher die Bewegungen der Waggons im
normalen Zustande gar nicht stört, werden, wenn ein Stoß stattfindet, zwischen den
Felgen der Waggonräder Bremsen angelegt und stark angedrückt, damit der Zug, wenn
ein unvorhergesehener Umstand eine Gefahr veranlaßt, sich von selbst Einhalt thut.
Ein anderer Mechanismus und andere Bremsen, welche der Conducteur dirigirt, setzen
denselben überdieß in Stand, nicht nur das Triebrad und den letzten Waggon zu
sperren, sondern auch die Waggons augenblicklich zu trennen und von einander
unabhängig zu machen.
Nachdem Hr. v. Jouffroy der Commission der Akademie ein
kleines Modell übergeben hatte, wonach man sich von dem so eben beschriebenen System
schon eine Vorstellung machen konnte, entschloß er sich, dasselbe im Großen
auszuführen und suchte, um dessen Vorzüge augenfälliger zu machen, bei der
Ausführung desselben alle Schwierigkeiten zu vereinigen, welche in der Praxis
vorkommen können. In einem sehr beschränkten Raum ließ er eine kreisförmige Bahn von
12,50 Meter Halbmesser bauen, auf welcher sich die erwähnten drei Schienen befanden.
Die Mittelschiene, von parallelepipedischer Form, deren Querdurchschnitt ein Viereck
von 13 Centimeter Seitenlänge bildet, ist mit Riefen von ungefähr 5 Millimeter Tiefe
versehen. Uebrigens bietet die kreisförmige Bahn eine Rampe dar von 30 Millimeter
Steigung per Meter. Um endlich der Centrifugalkraft
entgegenzuwirken, wurde die äußere Schiene 6 Centimeter über das Niveau der innern
erhöht.
Das große Triebrad hat einen Durchmesser von 2,20 Meter; seine hölzerne Felge besteht
aus 36 Stücken, die in der Richtung des Hirnholzes gestellt und zwischen zwei
Metallbacken geklemmt sind, welche um 10 Centimeter darüber hinausgehend, die
Mittelschiene umfassen: von den beiden Haupttheilen, in welche die Locomotive
zerfällt, wiegt jeder 6000 Kilogr. Es ist noch zu bemerken, daß die durch den Kolben
in Bewegung gesetzten Schiebstangen ihre rotirende Bewegung dem Triebrad nicht
unmittelbar, wie bei den gewöhnlichen Locomotiven mittheilen, sondern indirect durch
Vermittlung einer horizontalen Welle und zweier Getriebe die niemals gleichzeitig
functioniren; in Folge hievon kann das Triebrad, da die Geschwindigkeit des Kolbens
dieselbe bleibt, zwei von einander sehr verschiedene Geschwindigkeiten erhalten. Bei
der Locomotive, die wir vor Augen hatten, würden von den einem Kolbenlauf in der
Secunde entsprechenden zwei Geschwindigkeiten die kleinere 20 Kilometer, die größere
40 Kilometer per Stunde betragen.
Die Commission der Akademie sah das v. Jouffroy'sche
System mehrmals im Gang und unterzog es verschiedenen Proben. Folgendes ist nun das
Resultat ihrer Untersuchung.
Dieses neue System scheint im Vergleich mit den gewöhnlichen viel größere Sicherheit
zu gewähren. Die Ränder der Seitenschienen verhindern sehr wirksam das Austreten aus
den Schienen. Erhöht wird diese Sicherheit durch die Festigkeit dieses Systems, zu
welcher die tiefere Lage des Schwerpunkts der Waggons beiträgt. Endlich trägt zu
dieser Sicherheit noch die Abtheilung der Locomotive in zwei Theile (Züge) bei,
sowie die zwei Mechanismen, wovon der eine, wenn ein Stoß stattfindet, eine
selbstthätige Bremsung bewirkt, während der andere den Conducteur in Stand setzt die
Waggons zu trennen und von einander unabhängig zu machen.
Der in unserer Gegenwart angestellte Versuch beweist, daß mittelst des neuen Systems
Steigungen von 30 Millimeter per Meter und größere
befahren werden können, ferner daß man, wenn man die Geschwindigkeit mäßigt, mit
weniger Schwierigkeiten als bisher Curven von kleinem Radius befahren kann. Diese
Vortheile werden hauptsächlich dadurch erzielt, daß die Räder von einander weniger
abhängig und daher in ihren Bewegungen nicht mehr gehemmt sind. Die von der
Centrifugalkraft herrührenden Gefahren werden übrigens, wie erwähnt, durch die
tiefere Lage des Schwerpunkts der Waggons vermindert.
Die Möglichkeit, bedeutendere Steigungen hinanzufahren und Krümmungen von geringem
Radius zu befahren, berechtigt zu der Hoffnung solche Eisenbahnen in Gebirgsgegenden anlegen zu
können, ohne daß man zu den kostspieligen Tunnels und Viaducten seine Zuflucht zu
nehmen braucht.
Die Construction der Locomotive ist einfach und sinnreich. Man möchte auf den ersten
Blick glauben, daß die Adhäsion des großen Triebrades an der Mittelschiene, indem
sie die Reibung vermehrt, die Geschwindigkeit vermindere; aber gerade diese Adhäsion
liefert dem System den erforderlichen Stützpunkt. Um diese Adhäsion zu bewirken,
gibt man den Locomotiven gewöhnlich ein ungeheures Gewicht, welches aber ein großer
Uebelstand ist, der bei dem neuen System bedeutend vermindert ist. Ist diese
Adhäsion nicht hinreichend, so gleiten die Locomotiven auf den Schienen; die Trains
bleiben alsdann stehen und eine beträchtliche Menge Dampf wird rein umsonst
verbraucht. Uebrigens muß die Vergrößerung des Durchmessers der Räder die Locomotion
erleichtern.
Die erwähnten Vortheile machen es wünschenswert!), daß der Erfinder in den Stand
geseht wird, sein System auf einer hinlänglich großen Strecke auszuführen, damit die
Erfahrung darüber entscheidet, ob sich neben der größeren Sicherheit nicht auch
unvorhergesehene Uebelstände zeigen.