Titel: | Ueber die durch Einathmung von Aether erzeugte Schmerzlosigkeit chirurgischer Operationen. |
Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. LXV., S. 294 |
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LXV.
Ueber die durch Einathmung von Aether erzeugte
Schmerzlosigkeit chirurgischer Operationen.
Mit einer Abbildung auf Tab. VI.
Ueber die durch Einathmung von Aether erzeugte Schmerzlosigkeit
chirurgischer Operationen.
Es ist eine längst bekannte Thatsache, daß der Aether
(uneigentlich „Schwefeläther“ genannt, weil er durch
Destillation von Alkohol mit Schwefelsäure dargestellt wird, welche letztere die
Bestandtheile des Alkohols in Aether und Wasser umsetzt) wenn er durch die
Ernährungswege in den menschlichen Organismus aufgenommen wird, eine
schmerzstillende und nervenberuhigende Wirkung hat; man stand aber von seiner
Anwendung allmählich ab, weil er in seiner Wirkung bei verschiedenen Individuen sich
durchaus nicht constant blieb. Im October 1846 veröffentlichte Hr. Jackson,Hr. Jackson sagt in einem Schreiben an die franz.
Akademie der Wissenschaften dd. 13. Nov. 1846
(mitgetheilt in den Comptes rendus, Jan. 1847
Nr. 3) über seine Entdeckung und deren erste Anwendung folgendes:
„Vor fünf bis sechs Jahren beobachtete ich zum erstenmal den
eigenthümlichen Zustand von Unempfindlichkeit, in welchen das
Nervensystem durch Einathmen des Dampfes von reinem Schwefeläther
versetzt wird; ich habe den Aetherdampf in großer Menge eingeathmet,
anfangs bloß um seine Wirkung kennen zu lernen, und später in einem
Augenblick, wo ich mir durch Einathmen von Chlorgas einen sehr starken
Schnupfen zugezogen hatte. Unlängst machte ich von dieser Beobachtung
eine nützliche Anwendung, indem ich einen Zahnarzt in Boston veranlaßte
die Personen, welchen er Zähne auszuziehen hatte, Aetherdampf einathmen
zu lassen; dieselben erlitten bei der Operation keinen Schmerz und der
Aetherdampf hatte auch keine nachtheiligen Folgen. Ich bewog dann die
Aerzte im allgemeinen Krankenhaus zu Massachusetts den Aetherdampf bei
einem Kranken anzuwenden, mit welchem eine schmerzhafte chirurgische
Operation vorgenommen werden sollte: das Resultat war, daß der Kranke
während der Operation nicht den geringsten Schmerz spürte und sich
darauf wohl befand. Es wurden dann zahlreiche Operationen,
Bein-Ampulationen, Oeffnung von Abscessen etc. mit gleich
günstigem Erfolg vorgenommen; die Reconvalescenz erfolgte immer
auffallend leicht, weil die Kranken keine Nervenerschütterung erlitten
hatten.... Man kann den Aetherdampf sehr bequem einathmen, indem man
einen großen Schwamm mit Aether tränkt, ihn in eine kurze kegelförmige
Röhre oder in einen Trichter legt und die atmosphärische Luft in die
Lungen durch den mit Aether gesättigten Schwamm ansaugt. Die Luft kann
hierauf durch die Nasenlöcher ausgestoßen werden oder man kann auch
Ventile an der Röhre oder dem Trichter anbringen, so daß der Athem nicht
durch den Schwamm hindurch austritt, wo er den Aether durch den
Wasserdampf, welchen er enthält, abschwächen würde. Nach einigen Minuten
verfällt der Kranke in einen eigenthümlichen Schlaf und es kann mit ihm
jede chirurgische Operation vorgenommen werden, ohne daß er einen
Schmerz fühlt; sein Puls wird gewöhnlich etwas schneller und seine Augen
glänzend; wenn er nach einigen Minuten wieder zu sich gekommen ist, sagt
er daß er geschlafen oder geträumt habe. Wenn der Aether schwach ist,
bringt er seine eigenthümliche Wirkung nicht hervor; der Kranke wird
dann bloß betrunken und klagt nachher über starkes Kopfweh; man muß
folglich nur höchst rectificirten Aether anwenden. Wenn ein Zahnarzt
des
Abends Zähne ausziehen will, muß er das Licht in einer Davy'schen Sicherheitslampe einschließen,
damit durch den Aetherdampf keine Explosion entstehen kann; derselbe
würde sich nämlich entzünden, wenn eine freie Flamme dem Mund genähert
würde. Bei der Anwendung des Aetherdampfs ist es wichtig ein großes
Volum davon zu haben, damit man ihn frei einathmen und er schnell seine
Wirkung äußern kann, weil man so jede unangenehme Empfindung vermeidet;
man hat aber von einem länger fortgesetzten Einathmen des Aetherdampfs
durchaus nichts zu befürchten, wenn mit ihm auch genug atmosphärische
Luft in die Lungen gelangen kann. Bei Operationen von einiger Dauer kann
man den Aetherdampf mehrmals in geeigneten Zwischenräumen lassen um den
Kranken im Schlaf zu erhalten.“
ein Chemiker in Boston (Nordamerika) die merkwürdige Beobachtung, daß der Aether, wenn er in
Dunstform mit atmosphärischer Luft vermischt eingeathmet wird, einen Zustand der
Betäubung hervorruft, während dessen chirurgische Operationen vorgenommen werden
können, ohne daß die Kranken Schmerz fühlen. Er theilte seine Entdeckung zuerst dem
Zahnarzt Morton in Boston mit, welcher davon beim
Ausziehen von Zähnen Gebrauch machte; durch letztern erhielten Dr. Booth und Dr. Robinson in London
Kenntniß davon; die Versuche der letzten: veranlaßten bald ähnliche zu Paris und in
mehreren Städten Deutschlands; Oeffnung von Abscessen, Bein-Ampulationen,
Stein- und Blasen-Operationen, der Kaiserschnitt etc. wurden bereits
mit dem besten Erfolg vorgenommen, ohne daß die Kranken während der Operation
Schmerzen verspürten, und Jackson's Entdeckung erweist
sich daher als eine der fruchtbarsten und segensreichsten für die Menschheit.
Wir theilen im folgenden das Resultat der zahlreichen Versuche mit, welche in der
chirurgischen Klinik zu Erlangen unter Leitung des Hrn. Prof. Dr. Heyfelder angestellt wurden, womit die
Ergebnisse in den Spitälern zu München und anderen Städten Deutschlands, zu Paris,
London etc. vollkommen übereinstimmen. Alle Personen verfielen durch Einathmung des
Aethers in einen Zustand, nach dessen Verschwinden sie nicht das Geringste von
irgend einem erlittenen Schmerz wußten. Die Dauer der bis zur Wirkung nöthigen
Einathmung ist verschieden und schwankt zwischen 2 bis 15 Minuten, sehr selten
darüber; die Dauer der nachweisbaren Wirkung hingegen ist nicht länger als einige
Minuten. Sehr verschiedener Natur ist der eigentliche Zustand in den die Kranken
versetzt werden. Die einen werden, wenn sie einige Minuten eingeathmet haben,
schlaftrunken, schlafen ein, erwachen später wie aus einem wirklichen Schlafe und
ermuntern sich ohne zu wissen was mit ihnen vorgegangen und daß sie operirt worden
sind. Andere werden schon vor dem Einschlafen sehr heiter, lachen, oder wollen sich
erheben, springen zuweilen auf, doch zurückgehalten werden sie ruhiger und gleichgültig; man
nimmt nun die Operation vor und später wissen sie weder von dieser noch von einem
erlittenen Schmerze. – Andere wieder schlafen gar nicht ein, sondern behalten
stets einen gewissen Grad des Bewußtseyns, aber nachher befragt, erklären sie keinen
Schmerz bei der Operation gefühlt zu haben. Ueberhaupt schwindet die Reaction auf
äußere Eindrücke selten ganz. Selbst Schlafende hören auf ihren Namen, öffnen den
Mund, wenn man es ihnen befiehlt u. dergl.; dennoch wissen dieselben nach dem
Erwachen nichts davon, noch von Schmerz, während andere sich nur einzelner Acte, wie
des Anlegens des Zahnschlüssels und ähnlicher Umstände erinnern. Die einen
erinnerten sich gar keiner Träume, andere bezeichneten sie als sehr angenehm, einige
wenige als beängstigend. In seltenen Fällen erhielt sich das Bewußtseyn vollkommen,
ohne daß jedoch im geringsten Schmerz gefühlt wurde. Mit Einem Worte, die Zustände
welche die Einathmung hervorruft, sind die verschiedenartigsten, aber darin stimmen
alle Operirten überein: daß sie keinen Schmerz gefühlt hätten, wenn sie auch in den
Momenten der Operation einen noch so lauten Schrei ausstießen.
Ueble Folgen, bedenkliche Zufälle haben sich nach der Anwendung des Aethers nie eingestellt, selten etwas Eingenommenheit des Kopfes
oder leichte Müdigkeit während einiger Stunden; das gewöhnliche Befinden kehrt sehr
rasch zurück und im Durchschnitt ist es ein besseres als sonst unter gleichen
Verhältnissen.
Apparate zum Einathmen des Aethers. In der Regel genügt
hiezu ein sehr einfacher Apparat. Der bekannte Chemiker William Herapath zu Bristol beschreibt einen solchen
folgendermaßen: „eine gewöhnliche, aber sehr große Blase wird mit einem
Hals versehen, an welchem sich ein elfenbeinernes Mundstück mit großer Oeffnung
anschrauben läßt; ein Hahn ist nicht nöthig. Man gieße in die Blase eine Unze
guten gewöhnlichen Schwefeläthers und blase dieselbe mit dem Mund aufSollte heißen mittelst eines Blasebalgs, damit
so wenig Kohlensäure als möglich gleich anfangs in die Blase kommt. bis sie beinahe voll ist. Man drücke den Daumen an das Mundstück und
schüttle die Blase, so daß sich die darin enthaltene Luft mit dem Dunste
sättigt. Sobald der Kranke zur Operation bereit ist, halte man ihm die Nase zu
und bringe ihm das Mundstück zwischen die Lippen, welche man rings mit den
Fingern andrückt. Jetzt muß er mittelst der Blase ein- und ausathmen, und
nach einer oder zwei Minuten werden seine Lippen ihre Schließkraft
verlieren.
Dieß ist der Augenblick zum ersten Einschnitt. Nach zwei oder drei Minuten wird die
Wirkung des Aethers zu verschwinden anfangen; nun muß das Mundstück wieder
eingebracht und dieß so oft als nöthig wiederholt werden.
Um seinem Zweck vollkommen zu entsprechen, muß der Apparat so eingerichtet seyn, daß
bei seinem Gebrauch Aetherdampf mit reiner atmosphärischer Luft gemischt eingeathmet
wird und die ausgeathmete Luft ohne Hinderniß entfernt werden kann. Diesen
Bedingungen genügt der Einsaugapparat, dessen sich die Aerzte Boot und Robinson zu London bedienten und den
wir nach der „Londoner illustrirten Zeitung“ mittheilen. In
Fig. 34
ist mit 1 das Mundkissen bezeichnet, welches der Operateur festhält; mit 2 ein
horizontales Ventil zur Entfernung der ausgeathmeten Luft; mit 3 ein verticales
Klappenventil; mit 4 ein Sperrhahn; mit 5 eine Nasenfeder, durch welche der
gleichzeitige Eintritt der atmosphärischen Luft in die Mundhöhle verhindert wird;
mit 6 eine elastische Röhre; mit 7 ein gläsernes Gefäß mit Glaskugel, in welchem
sich mit Aether gesättigte Schwämmchen befinden; mit 8 der Durchschnitt des Kissens
mit dem Mundstück. Beim Gebrauch des Apparats wird der durchbohrte Stöpsel am
Glasgefäß (7) geöffnet; will man dagegen den Kranken frische Luft schöpfen lassen,
so muß man diesen Stöpsel zudrehen, die Nasenfeder wegnehmen und das Klappenventil
öffnen, was besonders bei längeren Operationen erforderlich ist.
Wenn man eine biegsame Röhre und das beschriebene Mundstück besitzt, kann man mit
einem gewöhnlichen Stöpselglas oder auch einer großen Schweinsblase (an welchen sich
leicht ein verschließbares Luftröhrchen anbringen läßt) allenthalben einen eben so
brauchbaren Apparat zusammensetzen.
In Paris verfertigen jetzt Luer und Charrière die elegantesten Taschenapparate zum Einathmen von
Aetherdampf mit Luft, welche sogar die Gefahr der Entzündung und Explosion des
Gasgemisches beseitigen, indem ihre Röhren stellenweise im Innern mit ringförmigen
feinen Metallgeweben versehen sind, entsprechend dem Davy'schen Gesetze für die
Lampen der Grubenarbeiter.
Die neuesten Apparate der Engländer zeichnen sich durch die Eigenthümlichkeit aus,
die Verflüchtigung des Aethers zu beschleunigen und in einer gegebenen Zeit eine
möglichst große Quantität desselben in die Luftwege zu bringen. Dieses erreichen sie
einfach dadurch, daß sie den Apparat in zwei Kammern theilen, deren untere mit
heißem Wasser gefüllt ist, während in der oberen sich der Aether befindet. Sie gehen
indeß noch weiter
und können sogar die Dosis des einzuathmenden Aethers bestimmen und mit der
einzuathmenden Quantität nach Belieben steigen und fallen, was für die
Individualität mancher Kranken gewiß von großem Vortheil ist. Sie theilen nämlich
die obere Kammer, welche für die Aufnahme des Aethers und der atmosphärischen Luft
bestimmt ist, durch Zwischenwände in vier Unterabtheilungen, die unter sich
communiciren und welche alle die von außen eintretende reine Luft der Reihe nach
passiren muß, um von den Patienten eingeathmet werden zu können. Dabei versteht sich
von selbst, daß dieselbe, weil sie längere Zeit mit dem Aether in Berührung bleibt,
auch mit Aether gesättigter eingeathmet werden muß, welcher Sättigungsgrad aber
dadurch sehr einfach und zweckmäßig verändert werden kann, daß am oberen Ende jeder
dieser vier Abtheilungen Oeffnungen angebracht sind, durch welche man neue
atmosphärische Luft nach Belieben eintreten läßt. Je nachdem nun keine dieser
Oeffnungen, oder eine, zwei oder endlich alle offen stehen, muß natürlich der Grad
der Sättigung der Luft mit Aetherdampf ein verschiedener, bald größerer, bald
geringerer seyn, und kann so vom Operateur der Individualität der Kranken auf die
einfachste und leichteste Weise angepaßt werden.
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