Titel: | Ueber Vincent's Probe um zu erkennen, ob ein Hanf- oder Leinengewebe Fäden von Phormium tenax enthält; von Boussingault. |
Fundstelle: | Band 104, Jahrgang 1847, Nr. LXXX., S. 357 |
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LXXX.
Ueber Vincent's Probe um zu erkennen, ob ein Hanf-
oder Leinengewebe Fäden von Phormium tenax enthält; von
Boussingault.
Aus den Comptes rendus, März 1847, Nr.
13.
Verfahren neuseeländischen Flachs in Leinwand zu
erkennen.
Hr. Vincent, Oberapotheker der
Marine, übergab der franz. Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung, welche das
in der Ueberschrift erwähnte Verfahren zum Gegenstand hat.
Ungeachtet der bedeutenden Ausdehnung, welche der Hanf- und Flachsbau seit dem
Anfang dieses Jahrhunderts gewann, kommen doch noch große Quantitäten
fremdländischer spinnbarer Faserstoffe nach Frankreich. Die eingeführten Substanzen
sind aber nicht lauter Flachs und Hanf; so wird seit einigen Jahren zu gewissen
Geweben die Faser des Phormium tenax,
neuseeländischen Flachses, verwendet. Das ohne Wissen der
Marine-Administration geschehende Einweben derselben in das Segeltuch und in
die Equipir-Leinwand ist ein wahrhafter Betrug. Nicht daß der neuseeländische
Flachs viel wohlfeiler wäre als der Hanf; aber seine Güte als Gespinnst ist offenbar
viel geringer. Die Erfahrung vernichtete die Hoffnungen, welche man vom
neuseeländischen Flachs hegte; die aus ihm verfertigten Gewebe verderben sehr bald
durch das Laugen; ihre Fäden brechen unter der geringsten Kraftäußerung, wenn sie
der gleichzeitigen Einwirkung der Wärme und Feuchtigkeit ausgesetzt werden.
Die Wichtigkeit einer Probe um fremdartige Faserstoffe in Lein- und
Flachsgeweben zu erkennen, wird daher einleuchten. Durch vergleichende Untersuchung
des Verhaltens dieser verschiedenen Stoffe gegen verschiedene chemische Agentien,
fand Hr. Vincent, daß das Phormium mittelst Salpetersäure von den beiden andern
unterschieden werden kann. Bei Wiederholung seiner Versuche überzeugte sich die
Commission der Akademie von folgenden Thatsachen.
Hanffäden, welche man einige Secunden in gewöhnliche Salpetersäure taucht, werden
blaßgelb gefärbt; Leinenfäden färben sich gar nicht; die Fäden des Phormium aber nehmen, nachdem die Säure kaum eingesogen
ist, sogleich eine sehr auffallende blutrothe Farbe an. Hr. Vincent schreibt diese Färbung einer
stickstoffhaltigen Substanz zu, die nach ihm in der spinnbaren Substanz des
neuseeländischen Flachses enthalten, in dem gerösteten Flachs und Hanf aber nicht zu
finden ist. Bekanntlich
röstet man auch das Phormium nicht, um seine Fasern rein
zu erhalten; man bedient sich dazu eines mechanischen Verfahrens, einer Art Kämmung. Jedenfalls benehmen das Bleichen und Appretiren
den Fäden des Phormium die Eigenschaft nicht, sich
(durch Salpetersäure) zu färben. So wurde eine grobe Leinwand, aus welcher Hemden
für Galeerensclaven verfertigt werden und von der man wußte, daß sie Phormium enthält, in Salpetersäure getaucht; man sah,
daß alle Einschlagfäden blutroth wurden, während die Kettenfäden sich gar nicht
veränderten. Als man sie aus der Säure nahm, hatte die Leinwand das Ansehen eines
Schachbretts mit rothen und weißen Feldern.
Um zu ermitteln, ob ein vollkommneres Bleichen dieser Leinwand ihr jene
Eigenthümlichkeit nicht benehme, wurde eine Probe davon in einer alkalischen
Flüssigkeit mit 3 Proc. Aetznatron wiederholt behandelt; die ersten Laugen wurden
sehr stark braun gefärbt. Nach zweitägigem warmen Laugen hatte die Leinwand aber die
Eigenschaft nicht verloren, daß ihre Einschlagfäden sich roth färbten.
Die Commission suchte sich zu überzeugen, ob nicht auch andere Faserstoffe diese
Eigenschaft mit dem Phormium theilen. Sie untersuchte in
dieser Hinsicht die Holz- und Rindenfasern von Cocos
nucifera und aurora, mehrere Species von Pandanus und Cordyline, die
Mauritia flexuosa, mehrere Agave-Arten, das Phellandrium
aquaticum, mehrere Cissus-Arten, den Raphanus sativus, die Abaca
von Manilla, zwei Postras aus Brasilien etc. Alle diese
Fasern nahmen in der Salpetersäure eine röthliche Nüance an und zwar wurde der
Pitto-Hanf (aus der Agave) blaß rosenroth, die Abaca etwas dunkler; doch war die Färbung dieser in ihrer Heimath sehr
geschätzten Gespinnstsubstanzen hinsichtlich ihrer Intensität mit derjenigen des
neuseeländischen Hanfs nicht zu vergleichen.
Ist demnach das von Hrn. Vincent angegebene Mittel auch kein absolutes, indem auch andere
Pflanzenfasern mehr oder weniger von Salpetersäure geröthet werden, so erfüllt es
doch seinen Zweck, weil man sich durch dasselbe überzeugen kann, ob Lein oder Hanf
andere Faserstoffe enthalten.