Titel: | Ueber den Einfluß der Alkalien bei verschiedenen in der Natur vorkommenden Erscheinungen, insbesondere über die Rolle welche das Ammoniak bei der Ernährung der Thiere spielt; von Friedr. Kuhlmann. |
Fundstelle: | Band 105, Jahrgang 1847, Nr. XVI., S. 47 |
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XVI.
Ueber den Einfluß der Alkalien bei verschiedenen
in der Natur vorkommenden Erscheinungen, insbesondere über die Rolle welche das Ammoniak
bei der Ernährung der Thiere spielt; von Friedr. Kuhlmann.
Aus den Comptes rendus, Febr. 1847, Nr.
8.
Kuhlmann, über den Einfluß der Alkalien auf die Ernährung der
Thiere.
Bei meinen Untersuchungen über die Natur der Mauer-Auswitterungen im J. 1839
zeigte ich, daß in allen Kalksteinen eine kleine Menge Kali und Natron vorkommt.
Bald darauf fand ich dieselben Alkalien in einer Menge Gebirgsarten. Bei Erforschung
der wahrscheinlichen Bildungsweise dieser letztern kam ich zu dem Schluß, daß die
Alkalien ihnen als Auflösungsmittel gedient haben und sie aus der Zersetzung der
löslichen alkalischen Verbindungen durch deren Berührung mit der Kohlensäure der
Luft entstanden seyn mußten. Zur Unterstützung dieser Ansicht bemerkte ich, daß wenn
man eine Auflösung von kieselsaurem, thonsaurem oder zinnsaurem Kali der Luft
ausseht, die Säuren in gallertartigem Zustand ausgeschieden werden und ihre langsame
und allmähliche Zusammenziehung ihnen bald eine jener des Achats, Corunds und
Zinnsteins vergleichbare Härte ertheilt.
Seitdem suchte ich zu erklären, auf welche Weise sich die die fossilen Muscheln
ausfüllenden kieselhaltigen Infiltrationen bildeten. Es scheinen hier dieselben
Reactionen stattgefunden zu haben; kann aber nicht außerdem noch angenommen werden,
daß das kohlensaure Ammoniak, welches bei der Zersetzung des die Muschel bewohnenden
Thieres entstand, und zwar durch eine ununterbrochene Einwirkung, zur Zersetzung des
kieselsauren Alkalis beitrug, indem das Ammoniak, nachdem es seine Kohlensäure
abgegeben, um die Kieselerde aus ihrer Verbindung mit dem Kali zu verdrängen,
beständig wieder Kohlensäure aus der Luft anzog? Ich theile diese Ansicht hier als
eine bloße Hypothese mit; eine Thatsache aber, welche nichts hypothetisches mehr
hat, geht aus meinen Untersuchungen hervor; daß nämlich Kali und Natron im
Mineralreich allgemein verbreitet sind und daß man sich heutzutage das Vorkommen
dieser Basen in den Pflanzen, gleichviel auf welchem Boden sie gewachsen seyen, zu
erklären vermag.
Ich theilte der (französ.) Akademie von Zeit zu Zeit die Resultate meiner Versuche
über den Einfluß des Ammoniaks auf die Salpeterbildung und die Befruchtung des
Bodens mit und war zuletzt bemüht, den Zusammenhang dieser beiden Erscheinungen aufzuklären
(polytechn. Journal Bd. CIII S. 302).
Endlich hatte ich nur noch den Einfluß des Ammoniaks auf die Entwickelung der Thiere
zu untersuchen.
Ist mit den meisten Physiologen anzunehmen, daß das in der Natur so allgemein
verbreitete Ammoniak, welches das Wachsthum der Pflanzen so sehr befördert, den
Thieren nicht nur nicht nützlich, sondern in den meisten Fällen sogar schädlich seyn
und in den thierischen Functionen große Störungen hervorrufen kann, obgleich gewisse
Thierspecies den Pflanzen so nahe stehen? Mehrere Erscheinungen lassen mich daran
zweifeln.
Der erste Umstand, welcher meine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt lenkte, war, daß ich
einmal in meiner Fabrik die Erzeugung einer großen Menge von Süßwassermuscheln in
einem Graben bemerkte, in den sich das Waschwasser der Knochenkohle ergoß. Bei
Untersuchung dieses Wassers fand ich es schwach alkalisch und vermöge des
doppeltkohlensauren Ammoniaks eine beträchtliche Menge kohlensauren Kalks
enthaltend. Ob wohl die Entwickelung und Vervielfältigung dieser Muscheln einerseits
durch den kohlensauren Kalk, aus welchem sie beinahe ausschließlich bestehen,
anderseits durch das Ammoniak, dessen Stickstoff zur Ernährung des Thieres beitragen
konnte, befördert wurden? Es ist dieß eine Ansicht, welche durch entscheidende
Thatsachen bestättigt, viel Licht über die Entstehung einer Unzahl von
Kalkconcrementen, die von im Wasser lebenden Thieren erzeugt werden, verbreiten
würde. Von einer bloßen Hypothese aber ist noch weit zu einer erwiesenen Thatsache.
Ich verfolgte diesen Gegenstand weiter, überzeugt daß den Physiologen sehr viel
daran liegen muß, daß er auf irgend eine Weise erledigt werde.
Es genügt nicht, zu behaupten, daß eine Unzahl von Insecten sich nur unter
ammoniakalischem Einflüsse entwickeln; sondern es muß auch durch das Experiment
nachgewiesen werden, daß das Ammoniak zur Ernährung gewisser Thiere direct beitragen
kann; was aber für Thiere einer niederem Ordnung als wahrscheinlich angenommen
würde, ist es deßwegen bei weitem nicht hinsichtlich solcher Thiere, deren Organe
sich mehr denjenigen des Menschen nähern. Soviel weiß man, daß manche
fleischfressende Thiere größtentheils von verdorbenem Fleische leben; auch habe ich
nachgewiesen, daß viele unserer Nahrungsmittel, und namentlich die Braten,
auffallend ammoniakalisch reagiren.
Zuerst war ich bemüht zu untersuchen, ob das Ammoniak in Verbindung mit Kohlensäure,
wie es sich bei Zersetzung stickstoffhaltiger Substanzen vorzüglich erzeugt und
allgemein verbreitet ist, die Verdauungsverrichtungen bei Thieren zu stören vermag;
oder ob im Gegentheil angenommen werden darf, daß es durch Umsetzung seiner Bestandtheile zu einer
organischen Materie in die Circulation einzutreten vermag. In dieser Absicht habe
ich eine Reihe von Versuchen begonnen, deren erste Resultate ich hiemit vorlege.
Um die Störung zu beurtheilen, welche durch den Nahrungsmitteln zugesetztes
kohlensaures Ammoniak in den thierischen Functionen veranlaßt werden könnte, glaubte
ich mit erwachsenen Thieren, bei welchen im Wachsthum und im Fettansatz bei der
Mästung schon ein gewisser Stillstand eingetreten ist, Versuche anstellen zu müssen.
Ich stellte sie mit kleinen Schweinen von der sogenannten
englisch-chinesischen Abart an. Zwei derselben, gleich an Größe und Alter und
von beinahe gleichem Gewicht, wurden in vollkommen gleichen Zustand der Ernährung
versetzt, mit dem einzigen Unterschiede, daß ich dem Futter des einen täglich die
Auflösung von 100 Grammen kohlensauren Ammoniaks zusetzen ließ.
Ich beobachtete Folgendes. Das Schwein mit ammoniakalischem Futter erhielt dasselbe
über zwei Monate fort, ohne daß bis jetzt irgend eine Veränderung in seinem
Gesundheitszustand bemerklich ist. Wöchentlich angestellte Wägungen ergaben, daß
durch das Ammoniaksalz keine merkliche Gewichtsabnahme des Thiers verursacht wurde,
ungeachtet des starken und widerlichen Geruchs und Geschmacks dieses Salzes.
Tag des Versuchs.
Schwein mit
demammoniakalischen
Futter
Nr. 1
Schwein mit
demFutter ohne
Ammoniak
Nr. 2.
Kilogr.
Kilogr.
Gewicht am 24. December 1846
76,00
78,00
deßgl. 31.
„
„
75,00
76,00
deßgl. 7. Januar
1847
77,50
79,70
deßgl. 15.
„
„
74,30
78,00
deßgl. 21.
„
„
72,00
79,00
deßgl. 28.
„
„
73,00
77,00
deßgl. 4.
Februar „
73,50
78,50
deßgl. 11.
„
„
75,00
79,50
deßgl. 18.
„
„
77,00
81,50
Demnach waren die Gewichte auf 2 bis 3 Kilogr. nahezu in ihrem ursprünglichen
Verhältniß geblieben, und zwar zwei Monate lang, während welcher das eine Schwein
mehr als 6 Kilogr. kohlensauren Ammoniaks mit dem Futter zu sich genommen hatte.
Sehr merkwürdig ist, daß
der Harn und die Excremente des Schweins mit dem ammoniakalischen Futter, wie die
des andern mit dem gewöhnlichen Futter, während der ganzen Zeit des Versuchs neutral
blieben, eher noch etwas sauer reagirten.
Ein bedeutender Unterschied fand sich in der Beschaffenheit des Harns, indem
derjenige des Schweins mit ammoniakalischem Futter viel mehr Harnstoff zu enthalten
schien, wie aus folgendem Versuch erhellt. Der Harn beider Schweine wurde nach
30tägiger Dauer des Versuchs zu gleicher Zeit aufgesammelt; er war ziemlich sauer.
Nachdem er durch einmonatliches Stehenlassen in verschlossenen Flaschen in Fäulniß
übergegangen war, hatte derjenige des Schweins mit ammoniakalischem Futter Weinfarbe
angenommen, während der andere fahlgelb geblieben war. Der Harn von Nr. 1 war
bedeutend alkalischer als der von Nr. 2; durch Sättigung der alkalischen Flüssigkeit
mittelst Schwefelsäure von bekanntem Gehalte fand ich, daß Nr. 1 ungefähr 1/5 mehr
kohlensaures Ammoniak enthielt als Nr. 2. Zur Sättigung eines Liter von Nr. 1 waren
beinahe 6 Gramme Schwefelsäure mit 1 Atom Wasser erforderlich, während ein Liter vom
andern nur 4,84 Gram. erheischte.
Wenn das kohlensaure Ammoniak durch den Akt der Verdauung Harnstoff liefern könnte,
so könnte man füglich annehmen, daß es auch zur Bildung anderer stickstoffhaltiger
organischer Substanzen beizutragen vermag; um mich aber über die erste Frage
bestimmt aussprechen zu können, muß ich erst neue Versuche anstellen, wobei ich
jungen Schweinen das ammoniakalische Futter gebe, um den Einfluß dieses Salzes auf
ihren Wachsthum zu beobachten. Ich werde bei Fortsetzung meiner Versuche auch die
möglichen Einwürfe zu beleuchten suchen, nämlich daß ein Theil des Ammoniaks durch
die Transpiration entweichen, und ein anderer, welcher von den organischen Säuren
gesättigt wird, durch die Fäulniß wieder kohlensaures Ammoniak bilden kann.
Jedenfalls geht aus obigen Thatsachen hervor, daß durch den Zusatz einer sehr
bedeutenden Menge kohlensauren Ammoniaks zum Futter der Gesundheitszustand des
Schweins nicht merklich gestört wird. Die Chemiker werden mit Interesse die Frage
verfolgen, unter welchen Umständen die Verdauungs-Organe die Umsetzung des
kohlensauren Ammoniaks in Harnstoff geschehen lassen können, der umgekehrte Proceß
von demjenigen, wodurch der Harnstoff in kohlensaures Ammoniak verwandelt wird.