Titel: | Frankreichs Versorgung mit Lebensmitteln; vom Grafen v. Gasparin, Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. |
Fundstelle: | Band 105, Jahrgang 1847, Nr. LVII., S. 220 |
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LVII.
Frankreichs Versorgung mit Lebensmitteln; vom Grafen v.
Gasparin,
Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften.
Aus dem Moniteur industriel, 1847 Nr.
1151.
Gasparin, über Frankreichs Versorgung mit
Lebensmitteln.
Nachfolgende Berechnung der Verproviantirung Frankreichs beruht auf einer Menge
Daten. Das erste Berechnungsmittel ist die durchschnittliche Consumtion jedes
Individuums, wobei seine Nahrungsmittel auf eine Einheit reducirt sind; das zweite
die Reduction eines jeden der verschiedenen Nahrungsmittel auf dieselbe Einheit; das
dritte eine Zählung der Bevölkerung, welche die Verhältnisse des Alters und
Geschlechts genau ergibt, wozu noch die Anwendung dieser Daten auf die
Consumtionslisten, wie sie uns die Statistik liefert, gehört. Die Wichtigkeit dieser
Fragen, welche Lavoisier und Lagrange schon zu lösen suchten, brauche ich nicht erst zu erörtern.
Meine Nachforschungen bei einer großen Anzahl von Familien, von welchen ich bisher
nur das Resultat in meinem Cours d'agriculture (Thl. III
S. 51 u. ff.) und in meiner Abhandlung über die kleinen Güter (1820) veröffentlicht
habe, weisen mit ziemlicher Gewißheit nach, daß die Bevölkerung in Frankreich aus
Familien von 5 Personen, Vater, Mutter und drei Kindern von 1 bis 20 Jahren bestehen
muß, wenn das bekannte Sterblichkeitsverhältniß stationär bleiben soll. Auch habe
ich gezeigt daß, die gewöhnliche Arbeit der Volksmasse vorausgesetzt, die Nahrung
der einzelnen Mitglieder dieser Familie in folgendem Verhältnisse steht:
Der Vater
100
Die Mutter
58
Drei Kinder von 1 bis 25 Jahren
165 für ein Kind im Mittel 65
–––––
323
Folglich ist die Nahrung eines Individuums im Mittel 64,6 der Nahrung des Mannes.
Greise über 60 Jahre kommen hinsichtlich ihrer Consumtion in die Kategorie der
Frauen. Nach dem Annuaire du bureau des longitudes kann
man bei einer Gesammtbevölkerung von 35 Millionen Köpfen annehmen:
Consumtion in
Einheiten derjenigen
des
Mannes.
Männer über 20 und unter 60 Jahren
9,051,218
9,051,218
Frauen
9,541,555
5,534,101
Greise über 60 Jahre
2,344,179
1,359,624
Kinder unter 20 Jahren
14,063,049
7,734,677
––––––––––––––––––––––––––––––
35,000,000
23,679,620
Folglich ist die Nahrungsconsumtion eines Individuums für ganz Frankreich nahezu
24/35 oder 0,69 von derjenigen des erwachsenen Mannes.
Bekanntlich ernähren sich die Menschen und die Thiere überhaupt mittelst der
Blutbildung fähiger, stickstoffhaltiger und die Respiration unterhaltender,
kohlenstoffhaltiger Substanzen; die andern Bestandtheile der Nahrungsmittel, die
mineralischen, salzigen etc., sind nur secundäre und in den verschiedenen
Nahrungsmitteln mehr oder weniger vertheilt.
Meine Berechnungen ergaben als Durchschnitt der verschiedenartigsten Verhältnisse,
daß die tägliche Nahrung eines Mannes, welcher den Durchschnitt repräsentirt, aus
einer stickstoffhaltigen Substanz besteht, welche 26 Gramme Stickstoff enthält, und
aus ternären Verbindungen welche 501 Gramme Kohlenstoff enthalten. Alle
vegetabilischen Nahrungsmittel enthalten Kohlenstoff im Ueberschuß; da also der
stickstoffhaltige Theil der in geringerm Maaße vorhandene und theurere ist, mußte
ich natürlich diesen als Einheit annehmen und darnach die Tagesportion berechnen.
Der kohlenstoffhaltige Theil läßt sich immer leicht ergänzen; die
Nahrungsmittel-Einheit für das mittlere Individuum ist folglich = 26 ×
0,69 = 18 Gramme Stickstoff. Darnach konnte ich die tägliche und jährliche Ration
jedes Nahrungsmittels berechnen. Mithin hätte es keine Schwierigkeit mehr eine
allgemeine Tabelle der Ernährung Frankreichs zu entwerfen, indem man die
Consumtionsziffern der Statistik annimmt, wenn diese sie uns wirklich vollkommen
lieferte. In dieser Hinsicht müssen wir jedoch folgende Bemerkungen
vorausschicken:
1) Muskelfleisch. – Die Statistik gibt für die
Consumtion in Frankreich 673,389,781 Kilogr. Fleisch an; welche Quantität
Muskelfleisch wird durch eine gegebene Menge Fleisch repräsentirt? Hr. Renault, Director der Schule zu Alfort, ließ einen Monat
lang täglich verschiedene Wägungen, vor und nach dem Kochen, von 100 Kil. Fleisch,
so wie es vom Metzger geliefert wird, vornehmen und darauf achten, daß dieses
Fleisch aus gleichen Theilen des Vordertheils, Hintertheils und der Brust des Thiers
bestand. Die Wägungen geschahen zuerst mit Inbegriff der Knochen, dann ohne dieselben; es
ergab sich daß 1 Kilogr. Rindfleisch aus der Fleischbank 250 Gramme, das Viertheil
seines Gewichts, Knochen enthält. Nach dem Kochen hatten diese Knochen durch das
Mark oder den Marksaft und die Gallerte etwas an Gewicht verloren; doch ist dieser
Verlust sehr unbedeutend. Die nach dem Herausnehmen der Knochen zurückbleibenden 750
Gramme Fletsch wiegen nach dem Kochen im Wasser (als gekochtes Rindfleisch) nur noch
375 Gramme; man kann also sagen daß das Rindfleisch durch das Kochen im Wasser die
Hälfte an Gewicht verliert. Da aber die Fleischbrühe ebenfalls verzehrt wird, so hat
man von der Konsumtion an Fleisch, um es auf Muskelfleisch zu reduciren, nur ein
Viertel abzuziehen, und wir haben sonach 505,042,336 Kilogr. Muskelfleisch, welches
in Frankreich consumirt wird; dasselbe enthält 0,75 Wasser und 3,925 Proc.
Stickstoff.
2) Milch. – Die Quantität der sowohl in Natur als
in verschiedenen Zubereitungen consumirten Milch konnte ich nur auf ganz
hypothetische Weise berechnen. Wir besitzen nämlich nach der Statistik 5,501,825
Kühe; es werden aber nur die Hälfte ihrer Kälber (2,066,849) und 3,014,463 Kühe
aufgezogen, von denen diese Milcherzeugung herrührt. Ich nahm an, daß dieselbe im
Durchschnitt nur 3 Liter per Tag beträgt, wegen des
schlechten Futters, welches viele davon erhalten; somit erhalten wir 3,300,836,985
Liter Milch jährlich von den Kühen.
Wir haben ferner 15,700,000 Mutterschafe und Ziegen, welche 8,300,000 Lämmer geben,
von denen nur 1,300,000 in ihrem Jugendalter verzehrt werden; rechnen wir 1 Liter
tägliche Milcherzeugung für diese Million Mütter, so erhalten wir 474,500,000 Liter
Milch als jährliche Production.
Die Milch enthält 4,5 Procent Albumin, sonach 0,72 Procent Stickstoff.
3) Eier und Geflügel. – Die Statistiker, welche
sich nach der Anzahl der producirten Eier erkundigten, wurden so lächerlich gemacht,
daß man sich nicht getraute in der officiellen Statistik die Ziffer dieses wichtigen
Erzeugnisses anzugeben. Ich war also gezwungen eine willkürliche Schätzung davon zu
machen. Der Hühnerhof ist in der Regel die Civilliste der Frau des Landwirths; er
ist aber den Hülfsquellen des Guts, dem vom Vieh verzehrten Hafer etc. proportional,
und obwohl diese Hülfsmittel unendlich verschieden sind, so fand ich dennoch, daß in
den meisten Gegenden zwölf Hühner auf ein Stück Arbeitsvieh kommen; nun haben wir in
Frankreich 4,357,699 Pferde, Stuten und Ochsen, was ungefähr 48 Millionen Hühner
gäbe, welche durchschnittlich zu 40 Eier im Jahr gerechnet, 1,920,000,000 Eier geben, welche
à 20 Eier per
Kilogr., 95 Millionen Kilogr. Eier ausmachen, wovon ungefähr 5 Millionen Kilogr.
ausgeführt werden, also 90 Millionen übrig bleiben.
Nach Payen's Analysen enthalten die Eier 74,64 Proc.
Wasser und 2,18 Proc. Stickstoff.
Das Muskelfleisch des consumirten Geflügels und Wildprets
nahm ich nach einer Menge annähernden Bewegungen zu 12 Millionen Kilogr. an.
4) Fische. – Die Zollbehörde gibt wohl den Eingang
von Seefischen an, wir haben aber keine sichere Angabe über die Consumtion von
Süßwasserfischen. Erstere betragen 21 Millionen Kilogr. Fische, wovon drei
Viertheile frische, was sich auf 9 Millionen Kilogr. trockne Fische reducirt, welche
3,73 Proc. Stickstoff enthalten. Ferner erhalten wir 20 Millionen Kilogr.
Stockfisch, von welchen 18 Millionen im Lande bleiben. Wenn wir nun, um die
Süßwasserfische ebenfalls in Rechnung zu ziehen, 30 Millionen Fische rechnen, so
werden wir die Wahrheit wohl nicht überschreiten.
Nach diesen Grundlagen wurde folgende Tabelle entworfen; die dritte Columne enthält
die volle Nahrungsration eines Individuums, in der Voraussetzung, daß der respective
Artikel dessen einzige Nahrung ausmacht; und die vierte die Anzahl der in
Frankreichs Consumtion enthaltenen vollen Nahrungsrationen.
Verproviantirung Frankreichs.
Arten
derNahrungsmittel
Gesammt-Gewicht.
Kil.
Jährlichevolle Ration.
Kil.
Anzahlder
Rationen.
Weizen
4,494,454,614
335,20
13,407,681
Dinkel
6,215,827
367,00
16,936
Mangkorn
819,462,596
413,21
1,983,162
Roggen
1,556,740,220
469,26
3,517,436
Gerste
768,951,342
373,28
2,059,985
Türkischkorn
451,518,776
400,61
1,127,093
Buchweizen
405,939,622
312,86
12,975,512
Kartoffeln
6,420,105,456
1825,00
3,517,865
Trockne Hülsenfrüchte
233,603,925
157,17
1,486,303
Kastanien
333,409,100
1314,00
253,736
Muskelfleisch
505,042,336
167,39
3,017,156
Milch
3,755,336,985
912,50
4,115,437
Eier
90,000,000
301,37
298,636
Fische
30,000,000
176,14
170,816
Eingeführter Käse
4,782,784
50,09
95,522
–––––––––––
36,155,278
Berücksichtigt man noch die in dieser Tabelle fehlenden Artikel, z.B. das Obst,
welches ein bedeutendes Nahrungsmittel ausmacht, so findet man, daß Frankreich,
sogar abgesehen von dem, was bei einer so ungeheuren Konsumtion verzettelt wird, in
einem Mittlern Jahrgang durch seine eigene Production vollkommen verproviantirt
wird.