Titel: | Ueber das Entleeren der vollgesogenen Blutegel behufs ihres abermaligen Gebrauchs; von Soubeiran und Bouchardat. |
Fundstelle: | Band 106, Jahrgang 1847, Nr. XVI., S. 63 |
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XVI.
Ueber das Entleeren der vollgesogenen Blutegel
behufs ihres abermaligen Gebrauchs; von Soubeiran und Bouchardat.
Im Auszug aus dem Journal de Pharmacie, Mai
1847.
Soubeiran und Bouchardat, über das Entleeren der vollgesogenen
Blutegel behufs ihres abermaligen Gebrauchs.
Man hat über diesen Gegenstand in einer großartigen Anstalt zu Paris, im
Hôtel-Dieu, Versuche angestellt, welche sich später auf die übrigen
ähnlichen Anstalten daselbst ausbreiteten.
Bekanntlich sucht man die Entleerung der Blutegel an vielen Orten dadurch zu
bewerkstelligen, daß man sie längere Zeit fasten läßt, mittelst Asche zum Entleeren
des Bluts bringt und dann in frischem Wasser, welches oft erneuert wird, aufbewahrt.
Dieses Verfahren erheischt aber so viel Vorsicht und Aufmerksamkeit, daß es im
Großen nicht wohl anwendbar ist.
Das Verfahren die Blutegel dem Holzrauch auszusetzen, scheint unter den Reizmitteln
noch das beste zu seyn; allein die Verf. glauben im allgemeinen behaupten zu können,
daß bei Anwendung von Körpern, welche die Blutegel stark reizen, dieselben zwar
beinahe alles Blut wieder von sich geben, jedoch so darunter leiden, daß sie beinahe
alle in kurzer Zeit darauf gehen. Bei gelinden reizenden Mitteln hingegen werden sie
nur theilweise entleert; sie sind bald wiederhergestellt; wenn aber dann die Zeit
ihrer Häutung eintritt, unterliegen sie in Masse einer Seuche, welche äußerlich
durch eine Zusammenziehung an mehreren Stellen des Körpers wahrnehmbar ist. Wollte
man solche Blutegel einige Tage nach der Entleerung anwenden, so würden sie zum
Theil beinahe sogleich wieder abfallen, nachdem sie nur wenig Blut gezogen; die
andern würden sich auf dem Kranken krümmen und von seiner Wärme angeregt, sich
neuerdings entleeren. – Die Entleerung der Blutegel durch Reizmittel ist
sonach zu verwerfen.
Ihre Entleerung durch Pressen zwischen den Fingern ist nach Hrn. Huzard ein gefährliches Mittel; es wäre dazu, sagt er,
eine sehr einsichtsvolle und geschickte Person erforderlich. Er hält es für ein
wenig anwendbares Mittel und bei einigen Blutegeln findet nach ihm die Entleerung
dadurch gar nicht statt; die Schließmuskeln des Magens und des Schlunds lassen das
Blut nicht durch das Saugmaul zurück sich entleeren. Unter gewissen, unten
anzugebenden zweckmäßigen Modificationen läßt sich dieses Verfahren jedoch
anwenden.
Der Gedanke, die schon benutzten Blutegel in ihren gewohnten Zustand zurück zu
versetzen, um ihnen Zeit zu lassen, das verschlungene Blut zu verdauen, liegt
natürlich sehr nahe. Wirklich ist der Zweck, die Blutegel auf diese Weise wieder
brauchbar zu machen, erreichbar; doch stellen sich ihm in der Praxis viele
Schwierigkeiten entgegen, welche zu beseitigen die Verfasser zahlreiche Versuche
anstellten. Wir theilen hier, ohne auf alle Abänderungen derselben einzugehen, das
Verfahren mit, welches sich als das beste erwies, und nach welchem im
Hôtel-Dieu gegenwärtig auch verfahren wird.
Auswahl der Blutegel. – Geliefert werden sie von
der Centralapotheke, welche sie in folgender Beschaffenheit erhält. Sie müssen von
der officinellen Species seyn und dürfen nicht unter 1 Gramm und nicht über 4 Gramme
wiegen. Ein Kilogr. Blutegel muß nahezu 500 Stück enthalten. Vollgesogene werden so
gut als möglich ausgeschieden; am besten werden diese dadurch erkannt, daß man sie
am Hintertheil faßt und mit mäßigem Druck durch die Finger zieht; das in ihnen
enthaltene Blut wird dadurch gegen das Maul gedrückt, wo es sich zu einem
ringförmigen Wulst ansammelt, aus welchem man seine Gegenwart und Menge erkennt.
Ansetzen der Blutegel. – Das Verfahren dabei ist
von großem Belang für die Anzahl der anbeißenden. Im Hôtel-Dieu ist
zum Blutegelsetzen im Saal für männliche Kranke ein besonderer Mann, und in dem für
weibliche Kranke eine besondere Frau bestellt. Dabei wird dieser Dienst besser
verrichtet, als in den Anstalten, wo er den gewöhnlichen Krankenwärtern anvertraut
und auf viele Personen vertheilt ist.
Zusendung der Blutegel. – Die verordneten Blutegel
werden aus der Apotheke an das Bett jedes Kranken in
einem irdenen Topf geschickt, der mit einem Leinentuch verbunden ist, in dessen
Mitte sich ein rundes Loch befindet, von welchem aus ein kleiner leinener, an beiden
Enden offener Schlauch nicht ganz bis auf den Boden des Topfs hinabgeht. Aus diesem
Topf, welchen der Oberapotheker
Lecomte in Reims erfand, werden die Blutegel genommen,
sogleich angesetzt, und sobald sie wieder abfallen, durch den Schlauch in den wieder
verbundenen Topf geworfen. Auf diese Weise geht keiner verloren und wird keiner in
schmutzige Gefäße gebracht, die oft Substanzen enthalten, durch welche sie umkommen.
In denselben Töpfen werden sie dann in die Apotheke zurückgebracht, wo sie gezählt
und entleert werden.
Entleeren der Blutegel. – Am Nachmittag desselben
Tags werden die Blutegel entleert. Zu diesem Behuf wirft man ein Duzend derselben in
Salzwasser, aus 16 Theilen Kochsalz und 100 Theilen Wasser bereitet. Hierauf wird
einer nach dem andern herausgenommen, hinten gefaßt und in Wasser getaucht, das der
Hand sehr heiß, aber doch nicht so heiß erscheint, daß sie es darin nicht ausdauern
könnte; dann der Blutegel leicht durch die Finger gezogen, wo er dann ohne
Schwierigkeit und Anstrengung alles verschluckte Blut von sich gibt.
Die entleerten Blutegel werden in Töpfe gebracht mit frischem Wasser, welches man
alle 24 Stunden erneuert. Nach Verlauf von 8 bis 10 Tagen können sie recht gut
wieder gebraucht werden; sie beißen ebenso schnell an wie die besten Blutegel, die
man zu kaufen bekömmt und ziehen ebenso viel Blut aus.
Zweite Entleerung. – Die Blutegel, welche so ein
zweitesmal angebissen haben, werden noch einmal entleert; befinden sie sich in gutem
Zustand, so bedient man sich ihrer abermals; wenn sie aber ermüdet scheinen, so
werden sie in kleine Sümpfe gebracht.
Ausruhen der Blutegel in den Sümpfen. – Folgendes
ist die Beschreibung des im Hôtel-Dieu angewandten künstlichen
Sumpfes. Auf eine Grundmauer von Mühlsteinen wurde eine Schicht römischer Cement
gebracht; die Seitenmauern wurden ebenfalls damit überzogen; hierauf wurden die
Bassins mit Wasser angefüllt, welches man erneuert, sobald es eine Spur von
Alkalinität zeigt. Dieß ist eine sehr wichtige Bedingung, denn sicherlich ist ihnen
nichts so schädlich als die alkalischen Substanzen. Ein einziges Bassin ist für den
Gebrauch von 50,000 Blutegeln im Jahr ausreichend. Dieses Bassin ist in drei Theile
abgetheilt und 12 Meter lang, 1 7/10 Meter breit und 66 Centimeter hoch.
Der Boden desselben ist mit einer 40 Centimeter dicken Schicht aufgeweichten Thons
(Lettens) bedeckt. In diesen Thon sind mehrere Sumpfpflanzen eingesetzt, wozu wir
vorzugsweise die Wasserschwertlilie (Iris
pseudo-acarus), ganz vorzüglich aber den Rohrkolben (Typha) wählten, dessen Wurzeln sich im Thonboden
ausnehmend gut entwickeln. Die Armleuchter (chara), das Federkraut (myriophyllum) und einige Wassergräser bilden die übrige
Vegetation.
Die Blutegel verschlüpfen sich in den feuchten Thon und kommen, wenn sie vollkommen
wiederhergestellt sind, wieder daraus hervor. Eine ununterbrochene, sehr langsame
Wasserströmung geht durch das Bassin.
Die Sterblichkeit in diesem Sumpfe ist nicht groß, weil die Blutegel, von fremdem
Blut völlig entleert hineingebracht, sich nicht in ihm entleeren können; dadurch
sind sie der am meisten zu fürchtenden Ursache ihrer Zerstörung, nämlich der Fäulniß
des von ihnen selbst verbreiteten Bluts, entzogen. Von Zeit zu Zeit fischt man; man
rührt das Wasser um, um die Blutegel herbeizutreiben, und fängt sie mit der Hand
oder mittelst eines Seihers. Die noch müden bleiben im Thon. Soll alles
herausgefangen werden, so wird aller Thon im Wasser zerrührt und alles auf ein Sieb
geschüttet, auf welchem die Blutegel zurückbleiben. Die gefischten Blutegel sind von
vorzüglicher Güte; sie werden wie neue zum Dienst verwendet.
Die Bassins können auch anders gebaut werden; in der Salpetrière wurden
Werkstücke dazu genommen; im Hospital du Midi begnügte man sich mit der Ausfütterung
mit Zink. Jedenfalls möchten wir anrathen, eine kleine mit Gras bedeckte Insel in
der Mitte des Bassins anzulegen.
Die Kosten dieses Verfahrens sind unbedeutend; die die Entleerung vornehmende Person
erhält für den wieder diensttauglich gemachten Blutegel, welcher seine Wirkung thut,
2 Centimes, und ist also durch ihr Privatinteresse dabei betheiligt.
Vom 1. Jan. bis zum 29. Dec. 1843 erhielt das Hôtel-Dieu von der
Centralapotheke 28,350 Blutegel und verwendete 23,825 Blutegel, welche schon einmal
Dienst gethan hatten; im Ganzen gibt dieß 52,175 Blutegelwunden. Die todten sind
hier nicht gerechnet, eben so wenig diejenigen, welche nicht anbissen, und
zurückgeschlagen werden.
Man kann ohne Anstand annehmen, daß 1/10 der käuflichen Blutegel nicht anbeißt, also
um 52,175 Wunden zu erhalten, 57,860 Blutegel erforderlich wären, welche zu 17 7/10
Cent., was sie im Handel gekostet hätten, auf 10,241 Frcs. zu stehen gekommen wären,
während der Ankauf von 28,350 frischer Blutegel nur 5018 Frcs. kostete, was für das
Jahr 1843 eine Ersparung von 5223 Frcs. ausmachte.
Der gute Erfolg dieses Unternehmens veranlaßte die Verf., auch die andern Spitäler zu
Paris anzuhalten, auf diese Weise zu verfahren, was jetzt auch geschieht.
In Folge der größern Verbreitung, welche die Entleerung der Blutegel in den letzten
drei Jahren erhielt, wurden in dieser Zeit bei der Administration an Kosten für
Blutegel 61,690 Frcs. erspart. Bei Ausführung dieser Maaßregel hatte man außer der
Besiegung der Schwierigkeiten der Sache selbst, noch mit dem Vorurtheil zu kämpfen,
welches die ganze Bevölkerung der Spitäler, die Kranken, die Bediensteten, die
Nonnen und die Aerzte, dagegen hatte.
Die Befürchtung, daß durch den Gebrauch schon benutzter Blutegel Krankheiten
übertragen werden könnten, widerlegt sich nicht nur durch die Vollkommenheit der
Entleerung, sondern vollends dadurch, daß seit ihrer Einführung noch kein einziger
solcher Fall vorgekommen ist.