Titel: | Ueber Zinnsalzfabrication; von C. Nöllner. |
Fundstelle: | Band 106, Jahrgang 1847, Nr. XXX., S. 131 |
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XXX.
Ueber Zinnsalzfabrication; von C. Nöllner.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Juliheft 1847,
S. 120.
Nöllner, über Zinnsalzfabrication.
Je mehr die wissenschaftliche Sonne das Gebiet der Naturwissenschaften beleuchtet und
der Mensch dadurch sich selbst und alles, was ihn umgibt, näher kennen lernt, desto
mehr erkennt man, wie selbst der scheinbar geringfügigste Gegenstand dem
menschlichen Geist ein großes Feld der Forschung eröffnet und zugleich auch immer
eine rein praktische Anwendung fürs gesellschaftliche Leben zuläßt, weßhalb
wenigstens eine allgemeine Kenntniß aller Erscheinungen der uns umgebenden Natur für
jeden Menschen, sowohl den nach rein wissenschaftlicher Ausbildung ringenden, als
auch den Geschäftsmann, mit jedem Tag unentbehrlicher wird.
In dem Folgenden will ich nur zeigen, wie ich durch die Eigenschaft mehrerer Metalle,
insbesondere des Zinns, in Auflösungen desselben Metalls von verschiedener
Concentration befindlich, verschiedene elektrische Zustände anzunehmen, die
schönsten Metallkrystallisationen erhielt und ein neues Verfahren das Zinnsalz
(Zinnchlorür) im Großen möglichst vortheilhaft darzustellen, darauf gründete.
Schon Zamboni erwähnt einer zweielementigen Säule auf die
Weise construirt, daß er mehrere Zinnplättchen so schneidet, daß jedes in eine feine
Spitze ausläuft und sie in mit Wasser gefüllte Uhrgläser stellt, so daß jedes
Plättchen auf zwei neben einanderstehenden Gläsern gleichsam reitet, und hat dabei
an den beiden Polen der äußersten Plättchen eine mehrere Tage anhaltende Spannung
bemerkt, ohne daß eine Veränderung an den Zinnplättchen wahrzunehmen war; dann hat
aber u.a. namentlich Buchholz eine Reihe belehrender
Versuche über die Reduction eines Metalls durch ein ihm gleichnamiges Metall bekannt
gemacht, denen ich noch Folgendes anreihen will.
Füllt man einen langen Kolben mit granulirtem Zinn ganz an, bringt dann etwas
concentrirte Zinnsalzlösung (Zinnchlorür) hinein und hält diese beständig im Kochen,
so entwickeln sich aus der Lösung unaufhörlich große Gasblasen von Salzsäure, welche
das über der Flüssigkeit befindliche Zinn nach und nach auflösen, und in dem Maße,
als diese Auflösung von Zinn geschieht, scheidet sich solches aus der Zinnlösung
zunächst der Oberfläche der Flüssigkeit als eine nicht krystallinische Rinde wieder
ab, so daß, wenn das Kochen etwa vierzehn Tage lang fortgesetzt wurde, ebenso viel von dem über der
Flüssigkeit befindlichen Zinn aufgelöst wurde, als die Zinnlösung selbst vorher
enthielt. Eine Entwickelung von Wasserstoffgas, wofür man die aus der sauren
Salzlösung sich immerwährend entwickelnden Gasblasen halten könnte, findet dabei
durchaus nicht statt, denn ein oben am Kolben angebrachtes pneumatisches Rohr ließ
nur zu Anfang des Versuchs, so lange noch atmosphärische Luft im Kolben war und
diese durch die Wärme ausgedehnt wurde, Luftblasen ausströmen, so daß also hiebei
eine unaufhörliche Trennung und Wiedervereinigung der Elemente des Zinnsalzes
stattfindet, indem die elektronegativen Bestandtheile der Zinnsalzlösung, die
Salzsäure und der Sauerstoff des Wassers, sich mit dem oberhalb der Flüssigkeit
befindlichen Zinn, welches daselbst positiv auftritt, vereinigen, es auflösen und
das Zinnoxydul und der Wasserstoff des zerlegten Wassers, als die positiven
Bestandtheile der Zinnlösung, zunächst unter der Oberfläche der Flüssigkeit an das
daselbst negativ auftretende Zinn strömen, der Wasserstoff das Zinnoxydul reducirt
und somit Zinn als eine rein metallisch glänzende Schicht sich abscheidet.
Geschieht dieser Proceß in der Kälte, indem man einen Zinnstab in eine concentrirte
Auflösung von Zinnsalz stellt und diese vorsichtig mit Wasser schichtet, in der Art
daß der Zinnstab in beiden Flüssigkeiten sich befindet, so sieht man alsbald an der
Gränze, wo beide Flüssigkeiten sich berühren, das Zinn in großen, oft 4 bis 5 Zoll
langen Spießen sich abscheiden. Bisweilen erhält man auch ganz dünne quadratische
Blättchen, die sehr leicht vom Mittelpunkt aus in vier rechtwinkelige Dreiecke
zerreißen und bei näherer mikroskopischer Untersuchung ganz so gebildet sind, wie
die aus unzähligen Würfeln zusammengesetzten treppenförmigen Pyramiden des
Chlorkaliums, Chlornatriums etc.; ebenso sind die obigen Spieße nichts als solche
nach einer Seite hin verlängerte treppenförmige Pyramiden, auf denen dann gewöhnlich
wieder einzelne kleine, sehr regelmäßig ausgebildete Würfel sitzen. Geschieht die
Abscheidung langsamer aus minder concentrirten Flüssigkeiten, so erhält man,
besonders wenn man in großen Quantitäten in Fabriken arbeitet, sehr regelmäßige
quadratische Säulen. Wird dagegen eine Zinnlösung mit verdünnter Salzsäure, oder
Zinnlösung mit Salzsäure, und diese mit Wasser oder concentrirter Salzsäure mit
Wasser geschichtet und ein Zinnstab vorsichtig hineingestellt, so bilden sich
momentan Krystalle, die aber wegen der Schnelligkeit ihres Entstehens mehr den
Salmiakblumen gleichen, ebenso wie der Salmiak bei langsamer Krystallisation Würfel,
bei schneller die bekannten moosartigen Gebilde (sogenannte Blumen) liefert.
Ober- und unterhalb der Stelle, wo die Zinnkrystalle sich abscheiden, bildet
sich eine Schicht schwarzen Anfluges, der aus feinzertheiltem Kupfer mit etwas Zinn
besteht, sobald man käufliches Zinn anwendet, welches stets Kupfer und etwas Eisen
enthält.
Verbindet man mehrere solcher Stäbe auf ähnliche Weise, wie Zamboni, in nebeneinander stehenden Gläsern, worin Zinnlösung mit Wasser
geschichtet sich befindet, so bilden sich in jedem der Gläser Krystalle, aber der
schwarze Anflug erscheint anfangs immer in einer gewissen Richtung, so daß er auf
der einen Seite des Zinnstabs oberhalb, auf der anderen Seite unterhalb der Gränze,
wo beide Flüssigkeiten sich berühren, erscheint. Später jedoch bildet sich sowohl im
Wasser als in der Zinnlösung eines jeden Glases dieser Anflug.
Aehnlich dem Zinn verhält sich auch Kupfer, nur erhält man erst nach 8 bis 14 Tagen
regelmäßige Octaëder.
Wendet man dieses elektrische Verhalten auf die Darstellung des Zinnsalzes im Großen
an, so wird das gewöhnliche Verfahren gänzlich umgestaltet. Man löst nicht das Zinn
in verdünnter Salzsäure auf und sucht die Sättigung durch öfteres Umgießen der Lauge
auf granulirtes Zinn zu befördern, sondern man legt sogleich an die Retorten, woraus
sich die Salzsäure entwickelt, Vorlagen von Steingut mit granulirtem Zinn gefüllt an
und erhält dadurch vorerst schon eine möglichst concentrirte Auflösung, und hat
außerdem noch den Vortheil, daß die aus den Retorten sich entwickelnde Salzsäure in
jedem Augenblick von dem Zinn absorbirt wird, wodurch Verluste an Salzsäure und die
zerstörende Wirkung der Salzsäure auf Gebäude und Vegetation vermieden werden, und
der Arbeiter nicht durch die Salzsäuredämpfe incommodirt wird. Die erhaltene
concentrirte Zinnlösung wird dann nicht in Steingut- oder Kupfergefäßen
eingedampft, sondern in einer Pfanne von Zinn, welche
sich jeder Fabrikant leicht selbst anfertigen kann, und zwar muß das Eindampfen wie
in einer Kupferpfanne immer mit einem großen Ueberschuß von granulirtem Zinn
geschehen, denn enthält auch die Lösung noch etwas freie Salzsäure, so wird doch nur
das granulirte Zinn und nicht die Pfanne selbst angegriffen, indem auch hiebei das
Zinn der Pfanne negativ elektrisch, das granulirte Zinn in der Pfanne positiv
elektrisch wird. Alles in der Flüssigkeit enthaltene Kupfer schlägt sich dabei auf
dem granulirten Zinn in der Pfanne als schwarzes Pulver nieder, und an der
Zinnpfanne setzt sich immer da, wo die Oberfläche der einzudampfenden Zinnlösung
steht, Zinn in rein metallisch glänzenden Schichten ab, so daß, wenn eine solche
Zinnpfanne bei täglichem Gebrauch nach Jahren einmal ein Loch bekömmt, solches leicht auf die Weise
wieder ausgebessert werden kann, indem man dasselbe vorerst mit einem Zinnnage
vernietet und dann die Oberfläche der einzudampfenden Zinnflüssigkeit längere Zeit
während des Eindampfens an jener Stelle zu erhalten sucht, wodurch es nach und nach
ganz zuwächst, gewissermaßen auf nassem Wege gelöthet
wird.
Da es nicht in meiner Absicht liegt, eine ausführliche Beschreibung der Darstellung
des Zinnsalzes zu geben, sondern nur die theoretische Seite dieser
Fabricationsmethode aufzufassen, so verweise ich auf die betreffenden Lehrbücher und
spreche nur noch die Ansicht aus, daß gewiß in vielen Fällen solche einfache
galvanisch-elektrische Processe die Bildung natürlich vorkommender
regelmäßiger Krystalle aus amorphen gediegenen Metallen in der Natur veranlaßt haben
mögen, und solche noch täglich unter so einfachen Verhältnissen sich bilden
werden.