Titel: | Bericht über die Preis-Bewerbung hinsichtlich der Saccharimetrie; der Société d'Encouragement in Paris erstattet von Hrn. Balard. |
Fundstelle: | Band 108, Jahrgang 1848, Nr. LXXXI., S. 375 |
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LXXXI.
Bericht über die Preis-Bewerbung
hinsichtlich der Saccharimetrie; der Société
d'Encouragement in Paris erstattet von Hrn. Balard.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, April 1848, S. 171.
Balard, über Saccharimetrie.
Einer der vorzüglichsten Dienste, welche die Wissenschaft der Industrie leistet, ist,
daß sie ihr einfache und kurze Verfahrungsweisen an die Hand gibt, mittelst welcher
der Fabrikant den Gehalt seiner Rohstoffe und seiner Producte ermitteln kann; unser
Verein mußte daher einem genauen und in Fabriken anwendbaren saccharimetrischen (den
Zuckergehalt bestimmenden) Verfahren seine volle Aufmerksamkeit zuwenden, und setzte
schon vor zehn Jahren den Preis aus, welcher heute zuerkannt werden soll.
Die erste Abhandlung über diesen Gegenstand wurde im J. 1844 von Hrn. Bareswil eingereicht. Das Bareswil'sche Verfahren, eine Verbesserung jenes des Hrn.
Trommer
Polytechn. Journal Bd. LXXXV S.
386., bestund bekanntlich darin, den Gehalt an Traubenzucker (Glucos) durch die
Menge einer alkalisirten Kupferlösung zu bestimmen, welche er reducirt; den Gehalt
an krystallisirbarem Zucker aber durch die Menge Traubenzucker, welche er
vermittelst des Einflusses der Säuren zu bilden vermochte.
Diese Versuche waren jedoch erfolglos und wenn nach diesem Verfahren auch einigemal
das Vorkommen von Traubenzucker in raffinirten Zuckern dargethan wurde, so war das
Problem der Saccharimetrie nach dem Wortlaut und den Anforderungen des Programms
doch noch vollständig zu lösen geblieben.
Gegenwärtig aber ist es vollkommen gelöst und zwar durch
verschiedene Methoden, die, da sie auf ganz verschiedenen Eigenschaften des
krystallisirbaren Zuckers beruhen, sich gegenseitig controliren.
Hr. Péligot
Polytechn. Journal Bd. CI S. 136. suchte den Zucker durch die Menge Kalks zu bestimmen, welche er aufzulösen
vermag, und so die saccharimetrische Probe auf einen alkalimetrischen Versuch zu
reduciren. Dieses Verfahren hat zwar in der Praxis noch keine Geltung erlangt,
scheint aber den Keim einer genauen und einfachen Zuckerprobe in sich zu tragen, so
daß es nur in seinen
Einzelnheiten noch mehr geregelt zu werden braucht, um bei der Untersuchung der
Zucker wesentliche Dienste zu leisten.
Die Dienste, welche das Verfahren des Hrn. Payen
Polytechn. Journal Bd. C S. 127. bereits im Zuckerhandel leistet, werden von allen Fabrikanten anerkannt. Es
besteht bekanntlich (nach dem Princip der Salpeterprobe) im Auswaschen der Rohzucker
mit reinen gesättigten Zuckerlösungen; dieses Verfahren ging in die Praxis über und
wird auch nicht mehr aufgegeben werden. Der Fabrikant bedient sich desselben gerne,
weil er es begreift; er verliert bei demselben den Zucker, so zu sagen, nicht aus
dem Gesichte; er lernt dessen physische Eigenschaften kennen, und ermittelt die
Consistenz der den krystallisirbaren Zucker in der Zuckerlösung begleitenden
fremdartigen Körper. Diese Eigenschaften sind mit dem Verhalten des Zuckers bei
seiner Raffinirung und mit dem wahrscheinlichen Ertrag dieser Operation zu innig
verbunden, als daß her Raffineur sich dieses Verfahrens entschlüge, wenn er es auch
nur als Ergänzung genauerer saccharimetrischen Proben anwendet.
Es leuchtet aber ein, daß dieses Verfahren, welches eigentlich bloß eine Raffinirung
im Kleinen ist, nicht zum Probiren der Syrupe und Zuckerlösungen anwendbar ist,
deren Gehalt so oft vom Fabrikant und der Verwaltung zu ermitteln ist.
Hrn. Clerget's Methode hingegen
ist eine allgemeine; sie ist gleich anwendbar zum Probiren des Rohzuckers wie des
Syrups, der Melasse, des Runkelrüben- und Rohrsaftes. Da sie sich auf die
optischen Eigenschaften des Zuckers gründet, so führt sie überdieß ein neues
Probir-Element in die Praxis ein, aus welchem auch andere Industriezweige in
der Folge Nutzen ziehen können.
Der berühmte Physiker, welchem die Wissenschaft das Studium der
Circular-Polarisation verdankt, legte den Grund zu der optischen Zuckerprobe,
indem er das Rotationsvermögen des krystallisirbaren Zuckers und die Veränderungen
welche derselbe durch Einwirkung der Säuren in seinen Eigenschaften erleidet,
ermittelte; um diese Probe aber praktisch und für Techniker brauchbar zu machen,
bedurfte es eines besondern Studiums, welchem sich Hr. Clerget, von Hr. Biot unterstützt, schon seit dem J. 1843 in
seinen Nebenstunden widmete.
Zuerst bediente sich derselbe des gewöhnlichen
Circular-Polarisations-Apparats. Wenn man nämlich die Versuche nur mit
ungefärbten Flüssigkeiten und bei Lampenlicht anstellt, wo die Resultate
vergleichbarer sind als
bei Tageslicht, so kann man mit dem Biot'schen und dem
von Mitscherlich angegebenen Apparate genaue Angaben
erhalten, jedoch nicht ohne einige Schwierigkeiten, die aber durch den Soleil'schen Apparat verschwinden. Erst mittelst dieses
letztern ließ sich das Clerget'sche Verfahren leicht
ausführen, ein neuer Beweis, in welcher innigen Verbindung die reine Wissenschaft
mit der Industrie und dem Leben steht. Den von Clerget
erdachten Methoden und dem Soleil'schen Apparat ist also
der für die Saccharimetrie ausgesetzte Preis von 2000 Fr. zuzuerkennen.
Das Instrument des Hrn. Soleil
Polytechn. Journal Bd. CIV S.
276. und die Apparate für das Clerget'sche
VerfahrenPolytechn. Journal Bd. CIV S.
344. wurden bereits beschrieben; wenn ich letzteres noch einmal durchgehe, so
geschieht dieß, umdarzuthun, daß in den Einzelnheiten dieses Verfahrens kein Punkt
ist, welchem Clerget nicht mit Glück seine Aufmerksamkeit
zugewendet hätte.
Bei einem Verfahren, wo es sich um den Durchgang des Lichts und die Bestimmung der
Farbentöne handelt, ist die erste Bedingung, daß man es mit wasserhellen und
farblosen Flüssigkeiten zu thun habe. Nun sind aber die bei solchen Untersuchungen
vorkommenden Zuckerlösungen von verschiedener Beschaffenheit; Hr. Clerget ermittelte aber für jede ein
zweckmäßiges Reinigungsverfahren. Sollen Rohzucker entfärbt werden, so erreicht man
diesen Zweck vollkommen durch eine kleine Menge basisch essigsauren Bleies. Hat man
zwar ungefärbten, aber trüben und schwer zu läuternden Rohrzuckersaft, so gelingt
dieß vollkommen durch Fischleim (Hausenblase) und Alkohol, welcher diesen zum
Gerinnen bringt. Mehr Zeit ist bei der Melasse erforderlich; doch erhält man
mittelst aufeinanderfolgender Anwendung von gekörnter Thierkohle, Bleiessig, dann
wieder Thierkohle, aus sehr gefärbten Proben zuletzt eine farblose, beinahe
wasserhelle Flüssigkeit. Hr. Clerget machte die Beobachtung, daß die Kohle, außer der färbenden
Substanz, auch Zucker mitreißt und so den Zuckergehalt der Flüssigkeit verringert;
er bestimmte die Gränzen dieser Einwirkung und zeigte, daß wenn man einen Theil der
ersten Flüssigkeit verloren gehen läßt, eine Fehlerquelle vermieden werden kann,
welche, ehe er sie entdeckte, wohl manches Resultat fehlerhaft machte.
Das Saccharimeter ist, wie man sich erinnern wird, so eingetheilt, daß man mittelst
eines Nonius das Rotationsvermögen messen kann, welches eine 1/100 Millimeter dicke
Quarzplatte zur Rechten oder Linken ausüben würde. Indem man nun das von Biot bestimmte Rotationsvermögen des Zuckers mit demjenigen des Quarzes
vergleicht, kommt man zu dem Schluß, daß eine 20 Centimeter dicke Schicht einer
Flüssigkeit, welche 16,471 Gramme reinen Zuckers enthält und ein Volum von 100
Kubik-Centimetern einnimmt, jene Identität des Farbentons hervorbringen muß,
die man im Soleil'schen Apparat zu erhalten bestrebt ist,
wenn man die Null des beweglichen, graduirten Lineals sich um 100 Abtheilungen
desselben gegen die Rechte des Nonius bewegen läßt. Der Apparat muß, ehe man sich
desselben als Saccharimeter bedient, sogar dieser Probe unterzogen werden, um sicher
zu seyn, daß seine Scala richtig ist. Verändert man nun das Verhältniß des Zuckers,
so wird sich die Anzahl der vom Instrument angegebenen Grade immer proportional
verhalten zur Menge des aufgelösten Zuckers, und folglich den Gehalt der neuen
Lösung angeben. Daraus geht hervor, daß, wenn Rohzucker oder zuckerhaltige
Flüssigkeiten nur solche Substanzen (als Nebenbestandtheile) enthalten, die gar kein
Rotationsvermögen besitzen, eine einfache Beobachtung, für welche 7–8 Minuten
hinreichen, direct den Gehalt des Products angibt. Es ist dieß beim inländischen
(französischen) Zucker oft der Fall; der direct gefundene Gehalt desselben weicht so
wenig von dem wirklichen ab, daß die Fabrikanten, welche das Clerget'sche Verfahren anwenden, sich in der Regel mit dieser einzigen
Beobachtung am Saccharimeter begnügen.
Die den Zucker begleitenden Substanzen können aber ein Rotationsvermögen zur Rechten
oder Linken besitzen und folglich den Gehalt der zu untersuchenden Probe erhöhen
oder vermindern. So enthält z.B. der Runkelrübensaft nach Clerget's zahlreichen Versuchen eine kleine Menge einer Substanz, welche
von dem Zucker selbst verschieden ist und zur Rechten dreht; während der
Colonialzucker zuweilen eine kleine Menge unkrystallisirbaren und zur Linken
drehenden Traubenzuckers enthält, welcher durch eine anfangende Gährung erzeugt
wird.
Um in einem solchen Falle zu einer genauen Bestimmung des Gehalts an wirklichem
Zucker zu gelangen, bedient man sich der s. g. Umsetzung des krystallisirbaren
Zuckers – einer Veränderung seiner Richtung und Rotationsvermögens, welche
zuerst Hr. Biot mittelst
Säuren bewerkstelligte. Aber in der Kälte geht die Einwirkung derselben nur langsam
vor sich und wenn man sie durch Erhöhung der Temperatur zu beschleunigen sucht, so
läuft man Gefahr die Lösung durch Zerstörung von Zucker zu färben und folglich die
neue Beobachtung des Rotationsvermögens zu erschweren. Hr. Clerget zeigte daß diesen Uebelständen durch
allmähliche Erwärmung der Flüssigkeit auf 68° C. (54 1/2° R.)
abzuhelfen ist, welche
Temperatur zur Erreichung dieses Zweckes sowohl hinreicht, als auch erforderlich
ist.
Der krystallisirbare Zucker allein, von den in den Rohzuckern enthaltenen Substanzen,
besitzt die Eigenschaft, von den Säuren umgesetzt zu werden. Es leuchtet folglich
ein, daß wenn man den Grad der neuen Flüssigkeit mißt, die Differenz der Summen
beider Rotationen, falls die zweite entgegengesetzten Zeichens ist (welcher Fall am
öftesten eintritt), die stattgefundene Umsetzung anzeigt, und da man diejenige des
reinen Zuckers kennt, so kann man also auf die Menge desselben schließen, welche in
einem zusammengesetzten Gemenge mit Rotationsvermögen versehener Körper vorhanden
war.
Hr. Mitscherlich machte die
Beobachtung, daß dieses Rotationsvermögen des umgesetzten Zuckers zur Linken, je
nach der Temperatur verschieden ist. Hr. Clerget, welcher zu denselben Resultaten gelangt war, mußte die
Gesetze dieser Umsetzung studiren, um eine TabellePolytechn. Journal Bd. CIV S.
356. entwerfen zu können, woraus, wenn die hervorgerufene Umsetzung und die
Temperatur, wobei sie beobachtet wurde, gegeben sind, der Zuckergehalt des zu
untersuchenden Products entnommen werden kann. Das Rotationsvermögen einer Lösung,
die vorher 100° zeigt und dann umgesetzt wird, vermindert sich für jede
Erhöhung der Temperatur um 1 Centesimalgrad nahezu um eine halbe Abtheilung der
Scala, wie dieß durch die höchst sorgfältigen Versuche des Hrn. Clerget nachgewiesen wurde.
Die Richtigkeit dieser Tabellen hatte das Comité unseres Vereins mehr als
einmal Gelegenheit zu bestätigen, nicht nur durch Prüfung der Hauptziffern auf
directem Wege, sondern auch durch Analysiren bekannter Zuckergemenge, welche
Prüfungsart das Instrument, das Verfahren und die Tabellen mit einander zu
beurtheilen gestattet.
Wir versetzten Rohzucker von bekannter Zusammensetzung in verschiedenem Verhältniß
mit reinem Zucker und konnten jederzeit ohne allen Anstand die in dem untersuchten
Gemenge enthaltene Quantität wirklichen Zuckers nahezu bis auf ein Procent
bestimmen. Wir analysirten künstliche Gemenge von Zucker mit Dextrin, Fruchtzucker
etc. und jederzeit lieferten uns diese complicirten Gemenge die übereinstimmendsten
Angaben. Das in Rede stehende Verfahren ist daher vorwurfsfrei und hinreichend
empfindlich.
Soviel über die Genauigkeit dieses Verfahrens. Was aber seine Anwendbarkeit in Fabriken
betrifft, so involvirt diese die weitern Fragen, ob es mit Verläßlichkeit schnell
und leicht ausführbar ist, und ob eine gewisse Fertigkeit in subtilen Operationen
Vorbedingung einer Probirmethode ist, welche außer einer Abwägung und dem Ablesen
zweier Thermometer, auch die Beurtheilung der Gleichheit des Farbentons und das
Ablesen eines Nonius erheischt.
Die Dauer der Probe anbelangend, haben wir schon gesagt, daß der Versuch ohne
Umsetzung des Zuckers 7–8 Minuten dauert; mit der Umsetzung aber sind 25
nöthig. Doch versteht sich, daß wenn man mehrere Proben mit einander macht, diese
Zeit bedeutend verkürzt wird. In Betreff der Melasse sind, trotz des von Hrn.
Clerget ermittelten
Verfahrens das Filtriren durch Kohle zu erleichtern, da man zweimal mittelst Kohle
entfärben und mittelst Bleiessig klären muß, etwa 1 1/2 Stunden Zeit erforderlich)
die Proben von Melassen kommen aber auch viel seltener vor.
Soviel hinsichtlich der Zeit; die Sicherheit der Beobachtungen betreffend bemerke ich
nur, daß verschiedene Beobachter nach einer Stunde Lehrzeit sehr nahe dieselben
Ziffern ablasen.
Von der leichten Behandlung des Instruments überzeugten wir uns, indem wir es
Personen, welche mit Meßinstrumenten nicht umzugehen gewohnt waren, in die Hände
gaben und dieselben erhielten ganz richtige Resultate. Wir können dasselbe sonach
den Zollbehörden für Zuckerproben in jeder Hinsicht empfehlen.
Der ausgesetzte Preis ist also gemeinschaftlich Hrn. Clerget für sein Verfahren und Hrn. Soleil wegen seines die Operation
erleichternden Instruments zuzuerkennen.
Mittelst des besprochenen saccharimetrischen Verfahrens wird nun der Fabrikant genau
erfahren, was er kauft; eine andere Frage aber ist für ihn noch wichtiger –
nämlich was er aus dem Rohstoff erzielen kann.
Bei den Fabrik-Operationen erhält der Raffineur immer viel weniger reinen
Zucker, als in dem von ihm verarbeiteten Rohstoff enthalten ist. Es leuchtet
folglich ein, daß die genauesten Prüfungsmethoden eben dadurch, daß sie den
vollständigen Zuckerstoffgehalt eines Rohzuckers angeben, höhere und folglich von
dem wahrscheinlichen Ertrag entferntere Zahlen liefern, als minder vollkommene
Probirmethoden, welche die Raffinirung selbst nachahmen und bei denen stets eine
kleine Menge Zuckers der Nachforschung entgeht. Deßhalb wird die von Payen vorgeschlagene Auswaschungsmethode, obgleich sie
minder genau als das Clerget'sche Verfahren ist, bei
vielen Fabrikanten im Gebrauch bleiben, denn da sie in der Regel weniger Zucker angibt als in der
untersuchten Waare enthalten ist, so stimmen ihre Resultate nothwendig mit dem
Erträgniß bei der Fabrication besser überein.
Hr. Clerget suchte aus seinen
saccharimetrischen Proben mit Melasse eine Berechnung des Ertrags der Zuckersorten
beim Raffiniren abzuleiten, welche hier kurz erwähnt werden soll. Das Mittel
mehrerer Analysen ergibt für die Zusammensetzung der Melasse 20 Proc. Wasser, 40
Proc. unkrystallisirbare Substanz und Salze und 40 Proc. krystallisirbaren Zucker
mit unverändertem Rotationsvermögen. Sonach kann für jedes Procent im Rohzucker
enthaltener fremdartiger fester Substanz wenigstens ein Procent Zucker in
krystallinischen Zustand übergeführt werden; daher man, um den wahrscheinlichen
Ertrag desselben beim Raffinnen zu berechnen, von seinem Zuckergehalt ebenso viel
Procente abziehen muß, als er außer dem Wasser an fremdartigen Körpern enthält.
Aber auch nach dieser Berichtigung ist die Zahl, welche man erhält, nur ein Maximum,
welches der Fabrikant nicht erreichen kann und von dem er manchmal sogar weit
entfernt bleibt. Außer dem krystallisirbaren Zucker enthält der Rohzucker nicht bloß
Wasser und unkrystallisirbaren Zucker, sondern auch salzige Körper, welche durch
Mitwirkung der Wärme und des Wassers während des Kochens des Syrups auf letztern
einwirken und einen Theil des krystallisirbaren Zuckers in unkrystallisirbaren
verwandeln; da nun letzterer ungefähr sein gleiches Gewicht unveränderten Zuckers in
der Melasse zurückhält, so folgt, daß sich die berechnete Maximumszahl in der
Wirklichkeit um das Doppelte des modificirten Zuckers vermindert. Es ist mit Grund
anzunehmen, daß der modificirte Zucker in desto rascherm Verhältniß zunimmt, je
größer der Salzgehalt des Syrups ist, und obige Berechnung des Ertrags, auf
geringhaltigen Zucker angewandt, folglich den wirklichen Ertrag weit übersteigende
Resultate liefern muß. Wäre dieser wirkliche Ertrag durch genaue Versuche
hergestellt, so könnten, wie dieß Hr. Clerget vorschlägt, daraus die zwischen dem saccharimetrischen
Gehalt und dem wahrscheinlichen Ertrag bestehenden Verhältnisse abgeleitet werden
– eine noch zu lösende wichtige Aufgabe. Wer soll aber diese Versuche
anstellen? In unsern Laboratorien ausgeführt, würden sie durchaus nicht die im
Großen zu gewinnenden Resultate darstellen. Andererseits wäre, wenn sie der
Fabrikant ausführte, zu befürchten, daß es nicht mit der erforderlichen Ruhe,
Umsicht und Genauigkeit geschieht. Der Gegenstand könnte dadurch seine Erledigung
finden, daß der Staat an einigen Orten Muster-Zuckersiedereien errichtet, worin alles was die
Zuckerfabrication betrifft, und zwar im Großen, genau durchprobirt würde. Wir würden
dann nicht mehr sehen, daß viele Fabrikanten die einfachsten Vorrichtungen
verlassen, um nach den vollkommensten zu greifen, dann, wenn auch nur auf kurze
Zeit, wieder zu erstern zurückkehren und durch dieses Wechseln und diese
Unentschiedenheit an den Tag legen, wie wenig sie sich selbst genaue Rechenschaft
über ihr Verfahren zu geben vermögen.
Bekanntlich sind nach dem jetzigen Zuckergesetz (in Frankreich) die Abgaben abgestuft
nach der Farbe und nach zwei Gehalten festgesetzt, wodurch drei Classen gebildet
werden; die erste enthält alle Zuckerarten, deren Farbe von der schlechtesten bis
inclusive derjenigen des ersten Typus variirt; die zweite enthält die bessern Sorten
bis hinauf zum zweiten Typus inclusive; in die dritte gehören die den zweiten Typus
übertreffenden Sorten. Einige Zucker, die inländischen größtentheils, nähern sich
sehr der Nüance des ersten Typus; sie enthalten dann 94 Proc. Zucker, und da sie im
Mittel auch 3 Proc. Wasser enthalten, so folgt, da die fremdartigen festen
Substanzen 3 Proc. betragen, nach unserer Berechnungsweise, daß 95 – 3 = 92
den Maximums-Ertrag ausdrückt. Aber viele Zucker, beinahe alle aus den
Colonien, haben diese Nüance bei weitem nicht; auch ist ihr saccharimetrischer
Gehalt beträchtlich geringer. Von 45 Zuckersorten, die Hr. Clerget ohne Auswahl im Handel sammelte und
probirte, übersteigen nur 8 den ersten Gehalt und es sind dieß Sorten, welche bloß
ausnahmsweise im Handel vorkommen. Von diesen gefärbten Zuckern haben einige, welche
von den französischen Colonien kommen, 81 saccharimetrische Grade. Wenden wir auf
diese Zucker die von Clerget vorgeschlagene
Ertrags-Berechnung an, so ergibt sich, angenommen sie enthalten ebenfalls 3
Proc. Wasser, daß von dem Gehalt von 84 abzuziehen ist 16 – 3, also 13, und
das Maximum des Ertrags eines solchen Zuckers sich höchstens auf 69 Proc. beläuft.
Das wirkliche Ergebniß beim Raffiniren wird wohl noch viel geringer seyn; denn wenn
der Gehalt an fremdartigen Stoffen so bedeutend ist, kann man annehmen, daß während
der Arbeit krystallisirbarer Zucker zerstört wird. Demnach hat von diesen beiden
Zuckern der eine 92, der andere 68 krystallisirten Zuckers in die Consumtion
gebracht und dennoch haben sie gleiche Abgaben entrichtet. Wenn wir statt der
Extreme nur die Mittelzahlen vergleichen, so wird die Differenz zwar geringer,
beträgt aber doch noch 16–20 Proc. Man ersieht daraus, daß die Gleichheit der
Auflage nur eine scheinbare ist. Sie wird erst dann eine wirkliche werden, wenn man
mittelst der saccharimetrischen Probe die Abgabe auf Rohzucker nicht nur nach seinem
Gehalt, sondern auch nach seinem Ertrag an raffinirtem Zucker bestimmt.
Wollte man die Anwendung der Saccharimetrie nicht auf jede Partie Zucker ausdehnen,
so könnten doch mehr Typen vermittelst der Nüancen aufgestellt werden. In Java
stellte das holländische Gouvernement, welches mit den Fabrikanten wegen Gewinnung
des Zuckers aus dem auf der Staatsdomäne erzeugten Rohr Verträge in Bausch und Bogen
abschließt, 20 verschiedene Nüancen auf. Ohne bis auf diese Zahl zu gehen, könnte
man dieselbe in Frankreich doch vermehren und über den Gehalt der Zucker aus ihrer
Farbe Wahrscheinlichkeiten ableiten, welche durch die Saccharimetrie zu rectificiren
sind.
Wenn solche Colonialzucker von geringem Gehalt bei ihrem niedrigen Preise bloß nach
ihrem Zuckerstoffgehalt besteuert wären, so würde diese Waare, welche wegen ihres
reinsüßen Geschmacks unmittelbar angewandt werden kann, von minderbemittelten
Consumenten mehr gesucht.
Während eine solche Berechnungsart bei Festsetzung des Zuckerzolls sich
wünschenswerth zeigt, ist sie bei Säften, Melassen und Syrupen ganz unentbehrlich.
Obgleich es unzweckmäßig wäre, nach Europa Producte zu transportiren, welche eine
beträchtliche Menge Wasser enthalten, so ist doch zu berücksichtigen, daß die
Colonien ihr Interesse darin erblicken können, zuckerhaltige Producte in einem mehr
oder weniger flüssigen Zustand auf unsere Märkte zu schicken. Der gegenwärtige Tarif
theilt diese Zuckerarten in zwei Kategorien; die wenig gefärbten Flüssigkeiten,
welche er Syrupe nennt, belegt er mit derselben Auflage wie die Rohzucker; die unter
dem Gattungsnamen Melasse begriffenen dunkler gefärbten Producte zahlen nur eine
Auflage von 12 Francs per 100 Kil. Aber trotz der Aehnlichkeit der Farbe ist der
Zuckergehalt derselben oft sehr verschieden. Was müssen erst zwischen den Extremen
dieser Colonialproducte, welche bei der Unvollkommenheit der Verfahrungsweisen und
Apparate so mangelhaft sind, für Zwischenstufen liegen!
Alle bei der Perception der Auflage auf diese zweifelhaften Producte sich ergebenden
Schwierigkeiten wären offenbar beseitigt, wenn man bei Festsetzung des Zolles
einerseits die saccharimetrische Analyse und andererseits ihre Beurtheilung nach der
Dichtigkeit zu Hülfe nähme. Letztere allein ergibt wohl den Gehalt an fester
Substanz in der Zuckerflüssigkeit an, ist aber durchaus unzureichend, um darnach den
Gehalt an Zucker selbst zu beurtheilen; und doch ist es nur diese Probe, wonach der
Fabrikant seine Inventarien herstellt und die Behörde den Zuckergehalt der Säfte unserer inländischen
Zuckerfabriken beurtheilt. Das Gesetz will, daß jeder Dichtigkeitsgrad über dem
specifischen Gewicht des Wassers als 1,400 Grammen reinen Zuckers per Hektoliter
entsprechend betrachtet werde, welche Quantität der Fabrikant auch übernimmt und
wonach er seine Waare darstellen soll; es erhöhen aber nicht nur Substanzen, welche
kein Zucker sind, sondern auch Salze, welche bei der Fabrication einen Theil des
Zuckers in Melasse umsetzen, die Dichtigkeit der Flüssigkeit und zählen also hiebei
für wirklichen Zucker. Obwohl diese empirische Berechnungsweise wirklich das Mittel
des Erträgnisses während einer langen Fabrication auszudrücken scheint, ist es doch
gewiß, daß, da die Beschaffenheit des Safts nach Herkunft und Jahrgängen sehr
verschieden ist, der Fabrikant und die Verwaltung öfters in die Lage kommen, jener
mehr Zucker zu liefern als er hat, und somit die Auflage für ein Product zu
entrichten, welches er nicht bezog, diese, mehr Zucker zu überlassen, als ihr
versteuert wird. Alle diese Besteuerungen könnten mit vollkommener Billigkeit
festgesetzt werden durch Berechnung des wahrscheinlichen Ertrags nach Clerget's Vorschlag, indem man gleichzeitig die
Dichtigkeit des Safts und seinen saccharimetrischen Grad berücksichtigt.
Heutzutage unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß die Zuckerfabrication darnach zu
streben hat, daß sie auf den ersten Guß einerseits weißen, raffinirten Zucker, und
andererseits unkrystallisirbaren Zucker erhalte. Aber, wird man sagen, dieses Ziel
sollten vorzüglich die Colonien anstreben, deren Producte auf dem Transport durch
das Auslaufen an Gewicht verlieren und durch Gährung eine Veränderung erleiden, und
es sey daher zu befürchten, daß die Vermehrung der Typen gerade diesem Zweck und der
Einführung von Verbesserungen auf den Colonien entgegenarbeite und daß die
übermäßige Besteuerung der schlechten Producte für sie ein nothwendiges Reizmittel
sey, ihre Verfahrungsarten zu verbessern. Hiebei vergißt man jedoch, daß nicht alles
von dem Willen der Pflanzer abhängt und legt zu wenig Gewicht auf das dortige
Hypothekenwesen, den Mangel an Capitalien, das schnelle Verderben des Safts in
diesen heißen Ländern etc.
Man lasse sich daher von dem schönen Ziel, welches die Zucker-Fabrication
anzustreben hat, durch die entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht abschrecken und
übertreibe die Anwendung eines Reizmittels nicht, dessen Uebermaaß tödlich wirken
könnte. Suchen wir lieber schleunig den Augenblick herbeizuführen, wo jeder nach
Belieben mehr oder weniger geläuterte, oder auch ganz reine Zucker zu produciren in
Stand gesetzt ist, und dabei die Auflage nach Verhältniß des wirklichen
Zuckergehalts, oder
besser, des wahrscheinlichen Ertrags an raffinirtem Zucker bezahlt. Der
Verkaufspreis und die Transportkosten werden jeden bald überzeugen, daß es sein
Vortheil ist dahin zu streben, einerseits möglichst reinen Zucker und andererseits
möglichst geringhaltige Melasse zu produciren. Hinsichtlich der oben empfohlenen
Besteuerungsart der Zuckerstoffe führe ich noch die von unserm Präsidenten (Prof.
Dumas) unlängst geäußerten
Worte an: „Eine auf solchen Grundlagen erhobene Auflage wird die Industrie
anregen, Fortschritte belohnen, der Nachlässigkeit entgegenwirken und ganz dem
Consumenten zu gute kommen.“