Titel: | Ueber den Verkauf giftiger Substanzen. Ein der französischen National-Akademie der Medecin von den HHrn. Orfila, Royer-Collard, Adelon, Robinet und Bussy erstatteter Bericht. |
Fundstelle: | Band 110, Jahrgang 1848, Nr. LXXI., S. 375 |
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LXXI.
Ueber den Verkauf giftiger Substanzen. Ein der
französischen National-Akademie der Medecin von den HHrn. Orfila, Royer-Collard,
Adelon, Robinet und Bussy erstatteter
Bericht.
Aus dem Journal de Pharmacie, Oct. 1848, S.
250.
Bericht von Orfila, Bussy etc., über den Verkauf giftiger
Substanzen.
Die französische Gesetzgebung hat zu jeder Zeit den Handel mit den zu den Giften
gezählten Substanzen, im Interesse der Gesundheit des Publicums gewissen
Beschränkungen unterworfen.
Eine neuere Verordnung vom 29. Oct. 1846 modificirte die frühern Anordnungen des
Gesetzes.
Nachdem nun diese Verordnung sehr lebhafte Einsprüche hervorgerufen hat, glaubte der
Hr. Minister vor ihrer endlichen Bescheidung die medicinische Akademie durch
folgendes Schreiben zu Rathe ziehen zu müssen.
„Bürger! Viele Apotheker und Apothekervereine haben gegen das, der
Verordnung vom 26. Oct. 1846 beigegebene Verzeichniß der Giftsubstanzen
Einsprüche erhoben. Der Minister für Ackerbau und Handel glaubte daher
einerseits die Meinung der École de Pharmacie und
andererseits die des Berathungs-Comités für Gewerbe und Fabriken einholen
zu sollen, aber mit möglichster Geheimhaltung der einzuleitenden Verhandlungen.
Nach Ergründung des Gegenstandes reichte die École de
Pharmacie ein neues Verzeichniß für die Giftstoffe ein, gegen welches
das Berathungscomité nichts zu erinnern hatte. Dieses unten folgende, neue
Verzeichniß enthält nur mehr eine sehr kleine Anzahl derjenigen Substanzen,
welche sich auf der der Verordnung vom 29. Oct. 1846 beigegebenen Liste
befinden. In Anbetracht daß die allgemeinen Bestimmungen der Art. 34 und 35 des
Gesetzes vom 21. Germinal des Jahrs XI, durch das
Gesetz vom 19. Jul. 1845 in Verbindung mit der Verordnung vom 29. Oct. 1846,
aufgehoben wurden, wünsche ich nun zu wissen, ob die medicinische Akademie die
beschränkte Liste, welche ich Ihnen hiemit zusende, zur Gewähr der öffentlichen
Sicherheit ausreichend finde. Belieben Sie daher die Akademie in meinem Namen
einzuladen, mir ihre Ansicht hierüber, mit Beifügung der von ihr etwa zweckmäßig
befundenen Vorschläge, zukommen zu lassen. Die Akademie wird, wie es sich nach
der Natur dieses Gegenstandes von selbst versteht, die vorzeitige
Veröffentlichung der ihr aufgetragenen Untersuchung soviel als möglich zu
verhindern suchen. Brüderlichen Gruß. Der Minister für Ackerbau und Handel: Flocon“.
Um die Motive der Verordnung vom 29. Oct. 1846 und der jetzt beabsichtigten
Abänderung derselben würdigen zu können, muß man berücksichtigen, daß vor jener
Verordnung die ganze Gesetzgebung über Gifte sich auf die Art. 34 und 35 des
Gesetzes vom 21. Germinal beschränkte, welche wie folgt lauten:
Art. 34. „Die Giftsubstanzen, namentlich Arsenik, Realgar und Aetzsublimat,
sind von den Apothekern und Specereikrämern an sicheren und abgesonderten Orten
aufzubewahren, zu welchen nur sie selbst den Schlüssel haben, über den sonst
niemand im Hause zu verfügen hat. Diese giftigen Substanzen dürfen nur an
bekannte und ansässige Personen verkauft werden, welche derselben zu ihrem Gewerbe
oder zu bekanntem Gebrauche bedürfen, bei einer Geldstrafe von 3000 Fr. von
Seite des dawiderhandelnden Verkäufers.“
Art. 35. „Die Apotheker und Krämer haben ein paginirtes und vom Maire oder
dem Polizeicommissär beglaubigtes Register zu führen, in welches die Personen
welche Giftsubstanzen kaufen, in fortlaufender Reihe und ohne eine Zeile leer zu
lassen, ihren Namen, Charakter, ihre Wohnung, die Art und das Quantum der ihnen
verabfolgten Droguen, die damit beabsichtigte Anwendung und das Datum des
Ankaufs einzutragen haben; alles dieß bei einer Geldstrafe von 3000 Fr. gegen
Dawiderhandelnde.“
„Beim Verkauf solcher Waaren an Individuen welche nicht schreiben können,
haben die Apotheker und Krämer das Einschreiben selbst zu besorgen“
Ungeachtet der Strenge dieser Bestimmungen haben sich in den letzten zwanzig Jahren
viele Vergiftungsfälle ereignet, woraus man folgerte daß das Publicum durch die über
den Giftverkauf bestehenden Gesetze nicht hinlänglich geschützt sey.
Die Verwaltung theilte diese Ansicht und auf Antrag des Ministers für Ackerbau und
Handel wurde am 19. Jul. 1845 ein Gesetz erlassen, welches in zwei Artikeln
sagt:
Art. 1.„Die den königl. Verordnungen zur Regelung des Verkaufes, Kaufes und
der Anwendung giftiger Substanzen Zuwiderhandelnden werden mit einer Geldstrafe
von 100 bis 3000 Fr. und mit Gefängnißstrafe auf 6 Tage bis zu 2 Monaten belegt,
vorbehaltlich des eintretendenfalls anzuwendenden Art. 463 des
Strafgesetzbuchs.“
„In allen Fällen können die Gerichtshöfe über die beim Zuwiderhandeln
ergriffenen Substanzen die Confiscation aussprechen.“
Art. 2. „Die Art. 34 und 35 des Gesetzes vom 21. Germinal des Jahrs XI verlieren mit der Veröffentlichung der den
Verkauf giftiger Substanzen regelnden Verordnung ihre
Gesetzeskraft“.
Wie man sieht, bringt das Gesetz vom 19. Jul. nur eine Abstufung in die durch den
Art. 35 des Gesetzes vom 21. Germinal festgesetzte Strafbestimmung. Während dieses
nämlich das Zuwiderhandeln mit einer fixen Geldstrafe von 3000 Fr. belegt, spricht
das neue Gesetz eine Strafe von 100 bis 3000 Fr. aus; im übrigen beruft es sich auf
die über die weitere Regelung des Giftverkaufs zu erwartende Verordnung. Ueber
diese, im Vollzug des eben erwähnten Gesetzes erschienene Verordnung, welche
gegenwärtig als das wirkliche organische Gesetz in Betreff der Gifte gilt, ist nun die
Akademie berufen, an den Minister für Ackerbau und Handel ein Gutachten
abzugeben.
Die erste Bemerkung, welche wir über diese Verordnung zu machen haben ist, daß in dem
angenommenen System alle Giftsubstanzen in zwei Reihen classificirt sind; nämlich
solche die sich auf der beigegebenen Tabelle verzeichnet befinden und deren Verkauf
den in der Verordnung vorgeschriebenen Beschränkungen unterliegt, und solche die
nicht auf dieser Tabelle stehen und deren Verkauf jedermann freisteht.
Unter letztern Giftsubstanzen, welche keiner Beschränkung unterliegen, befinden sich
Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, Grünspan, Bleizucker, Ammoniak, Bleiweiß,
Javelle'sche Lauge, Aetzkali etc.
Daß dieselben nicht auf das Giftverzeichniß gebracht wurden, beruht keineswegs auf
Vergessenheit, sondern darauf daß wegen ihrer täglichen Anwendung in Künsten und
Gewerben die Ueberwachung ihres Verkaufs unmöglich ist.
Hinsichtlich der (gesetzlich) als giftig angesehenen Substanzen unterscheidet die
Verordnung zweierlei Umstände: 1) ihren Verkauf im Großen, zu anderm als
medicinischem Gebrauch, welcher den eigentlichen Handel mit diesen Artikeln
ausmacht. Dieser Handel kann von jedermann unter gewissen Bedingungen getrieben
werden, welche hauptsächlich in einer zuvor an die Behörde abgegebenen Erklärung und
in der Verbindlichkeit bestehen, die Namen der Personen an welche man Giftsubstanzen
abliefert, in ein authentisches Register einzutragen.
2) In Betreff des Verkaufs derselben Substanzen, jedoch zu medicinischem Gebrauche,
d. h. durch die Apotheker, fügt die Verordnung obigen allgemeinen Vorschriften noch
die Verpflichtung bei, diese Substanzen nur auf die Verordnung eines
Kunstverständigen hin, welche die Dosis und Dispensirweise angibt, zu verabfolgen;
sie verpflichtet den Apotheker, dieselbe Formel in ein dazu bestimmtes Register
einzutragen, welches er auf jedesmaliges Verlangen der Behörde, und zwar innerhalb
eines Zeitraums von zwanzig Jahren, vorzulegen verbindlich ist. Endlich schreibt sie
ihm vor diese Substanzen an einem sichern, mit Schlüssel zu versperrenden Ort zu
verwahren.
Die Substanzen, auf welche diese Bestimmungen Anwendung finden, bilden das der
Verordnung vom 29. Oct. beigegebene Verzeichniß. In demselben sind 66 Substanzen
benannt, welche mit den unmittelbar daraus verfertigten Compositis
(zusammengesetzten Arzneimitteln) im ganzen wenigstens 200 Arzneimittel darstellen,
worunter sich mehrere befinden, welche die häufigste Anwendung finden, wie Opium,
Laudanum, Brechweinstein, Quecksilbersalze, Kermes, Jodkalium etc.
Wenn man nun die in diesem Verzeichniß enthaltenen Giftsubstanzen mit den nicht
darauf befindlichen vergleicht, wird man zu der Frage geführt, ob es denn wirklich
nothwendig ist den Verkauf so vieler, mitunter wenig oder gar nicht giftiger Körper,
so strengen Bedingungen zu unterwerfen, während man andererseits die gefährlichsten
Giftsubstanzen von jeder Ueberwachung ausnimmt. So ist nicht zu begreifen, wie das
Rabel'sche Wasser (Aqua s.
Spiritus Rabelii) des Codex, eine Mischung von Alkohol und Schwefelsäure,
unter die Giftsubstanzen gereiht werden kann, während die Schwefelsäure selbst sich
nicht unter ihnen befindet. Wie kömmt das kohlensaure Kupfer Ammoniak, ein
ungebräuchliches, dem Publicum unbekanntes Präparat, auf diese Liste, während
Grünspan, Kupfervitriol, Zinkvitriol frei verkauft werden können?
Was haben Kermes, Jodkalium, Goldschwefel und mehrere andere Körper, deren man sich
niemals zu Vergiftungen bedienen könnte, unter den Giftsubstanzen zu thun? Es
leuchtet hienach ein, daß es zweckmäßig wäre eine Anzahl Substanzen von dem
Verzeichnisse der Giftsubstanzen zu streichen.
Wir wollen nun untersuchen, ob die in der Verordnung vorgeschriebenen
Vorsichtsmaßregeln auch die volle, von ihnen erwartete Wirksamkeit besitzen und ob
die Hemmungen welche sie der Ausübung der Pharmacie in den Weg legen, von den
angeblichen Vortheilen, die sie für die Gesellschaft haben sollen, aufgewogen
werden.
Offenbar müssen die Apotheker in Folge der Verbindlichkeit ungefähr 200 Medicamente
an einem abgesonderten, mit Schloß versperrten Orte aufzubewahren, so zu sagen eine
zweite Apotheke in ihrer Officin haben und zwar kommt auf diese zweite Apotheke,
welche das Laudanum, den Brechweinstein, den Kermes etc. enthält, keine geringere
Zahl von Arzneikörpern, noch wird sie minder oft heimgesucht, als diejenige welche
die nicht giftigen Arzneikörper enthält.
Daraus ergeben sich aber mehrere Uebelstände. Die Gewohnheit, beständig etwas aus der
Giftapotheke zu holen, muß nothwendig der Vorsicht des Apothekers Eintrag thun und
seine Aufmerksamkeit schwächen; ja die große Anzahl der unter Verdacht stehenden
Körper könnte sogar die Fehlgriffe veranlassen, welche vermieden werden sollen.
Kurz, die Uebelstände sind ziemlich dieselben, als wenn die fraglichen Arzneikörper
in ihrer gewöhnlichen Ordnung in den Apotheken aufgestellt blieben.
Andererseits wird die Aufmerksamkeit der Kunden durch das Vorhandenseyn dieses
Giftschranks rege gemacht; es muß sie beunruhigen, wenn sie aus demselben die
Arzneikörper holen sehen, aus welchen die zu bereitende Arznei zusammengesetzt wird.
Den Aerzten ist aus Erfahrung wohl bekannt, wie groß der Widerwille gewisser Kranken
gegen kräftig wirkende Arzneimittel ist, so daß man die Mercurial- und
Arsenik-, sowie die Opium-Präparate und viele andere beinahe immer mit
dem Publicum weniger bekannten Namen bezeichnen oder durch übereingekommene Zeichen
ausdrücken muß.
Endlich wird man, wenn man die Verpflichtung so viele Arzneimittel an einem mit
Schlüssel versperrten Orte aufzubewahren, umsichtig erwägt, bald einsehen, daß diese
auf den ersten Anblick einige Gewähr leistende Anordnung, in der That eine solche
nicht leistet. Es ist wirklich unmöglich daß ein Apotheker alle bei ihm abverlangten
Medicamente in eigener Person abgebe; man kann nicht von ihm verlangen daß jedes
Blasenpflaster, jede Mixtur mit Kermes, mit Goldschwefel, mit Kirschlorbeerwasser,
jedes Augenwasser mit ein paar Tropfen Laudanum, jede Portion Opiumpillen etc.,
lauter in die Classe der gefährlichen Stoffe einschlagende Substanzen, von ihm
selbst verabfolgt werde.
Ueberdieß ist seine Abwesenheit manchmal unvermeidlich; er hat Bürgerpflichten zu
erfüllen, Familienpflichten, persönliche Geschäfte, Handelsbeziehungen, und muß sich
daher von Gehülfen beistehen oder vertreten lassen, welchen er dann nothwendig den
Schlüssel zu den gefährlichen Substanzen überlassen muß und die in seiner
Abwesenheit wie in seiner Gegenwart darüber müssen verfügen können, wenn der Dienst
der Apotheke keine Störung erleiden und den Kunden die benöthigten Arzneien nicht
verweigert werden sollen; es folgt aber aus dieser Nothwendigkeit, daß der Schlüssel
zum Giftschrank dem ganzen Apothekerpersonal zur Verfügung stünde, was gerade
dasselbe ist als wenn kein verschlossener Schrank vorhanden wäre.
Wir geben der Bestimmung des Artikels 34 des Gesetzes vom 21. Germinal des Jahrs XI bei weitem den Vorzug. Derselbe sagt: „Die
Giftsubstanzen, namentlich Arsenik, Realgar und Aetzsublimat, sind in den
Officinen der Apotheken und den Specereiläden in sichern und abgesonderten Orten
aufzubewahren, zu welchen nur der Apotheker und der Krämer
den Schlüssel haben, über den außer ihnen niemand zu verfügen hat, bei
einer Geldstrafe von 3000 Fr. von Seite des dawiderhandelnden
Verkäufers.“.
Diese Anordnungen sind allerdings streng, aber sie bieten eine wirkliche Gewähr gegen
den durch Unwissenheit oder in verbrecherischer Weise etwa geschehenden Verkauf.
Ferner sind sie auch ausführbar, weil sie sich nur auf eine sehr kleine Anzahl wenig
angewandter Körper per
erstrecken. Der Arsenik, der Aetzsublimat, das Realgar gehören nicht zu den stark
gebrauchten Arzneimitteln, und haben keine so unmittelbare Wirksamkeit, daß zu ihrer
Verabfolgung die Zurückkunft des abwesenden Apothekers nicht abgewartet werden
könnte. Wollte man aber diese Vorschrift auf alle Substanzen ausdehnen, welche in
dem der Verordnung vom 29. Oct. beigegebenen Verzeichniß aufgeführt sind, so käme
dieß einem Verbot der Ausübung der Pharmacie gleich. Dieß wäre also ein Grund, wenn
man die Maßregel zugleich ausführbarer und wirksamer machen will, die Anzahl der in
dieser Verordnung begriffenen Substanzen noch bedeutend zu vermindern.
Gibt man nun zu, daß die vorbeugende Maßregel, um wirksam und ausführbar zu seyn,
sich nur auf eine kleine Anzahl Substanzen erstrecken darf, welche sind ihr dann zu
unterziehen und welche müssen aus dem Verzeichniß gestrichen werden?
Wir müssen hier an eine Unterscheidung erinnern, welche in einer dem Minister für
Ackerbau und Gewerbe von der Société de Pharmacie zu
Paris eingereichten Abhandlung aufgestellt und mit vieler Gewandtheit entwickelt
wurde. Sie betrifft den, vom fraglichen präventiven Gesichtspunkt aus,
aufzustellenden Unterschied zwischen den verschiedenen als Gift zu betrachtenden
Substanzen. So sind z. B. der Arsenik und die Schwefelsäure, vom physiologischen und
medicinischen Gesichtspunkt aus, in den Augen der Aerzte sowohl als anderer Leute,
zwei gleich heftige und gefährliche Gifte; ihre verbrecherische Anwendung begründet
das Verbrechen der Vergiftung, wie es vom Strafgesetzbuch definirt und mit gleicher
Strafe belegt wird.
Betrachten wir diese beiden Substanzen aber unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen
Verfolgung und der Schwierigkeiten welche sich der Justiz entgegenstellen, den
Thäter der Vergiftung auszumitteln, so finden wir zwischen ihnen bedeutende
Verschiedenheiten. Der Arsenik ist ein Körper, welcher wegen seiner Farbe und seines
pulverigen Zustandes mit einer Menge als Nahrung oder als Würze dienender Substanzen
verwechselt werden kann; er kann in sehr kleiner Dosis schon den Tod herbeiführen,
folglich heimlicherweise in tödtlicher Dosis in alle Speisen gebracht werden, ohne
daß das Opfer etwas ahnt, ohne daß der Geschmack noch sonst eine Eigenschaft seine
Gegenwart verräth; ferner können die durch ihn hervorgebrachten Zufälle, wenn sie
schwach sind, mit Unpäßlichkeiten, wie sie sehr häufig vorkommen, verwechselt werden
und selbst wenn der Tod eintritt, haben die Symptome desselben, wie stark sie auch
auftreten mögen, an und für sich doch niemals einen so entschiedenen Charakter, um für sich allein die
Behauptung rechtfertigen zu können, daß Vergiftung stattgesunden habe.
Gegenüber dieser Schwierigkeit den Schuldigen zu ergreifen, muß daher die
Gerechtigkeit mit allen vorbeugenden Mitteln versehen seyn, welche die Ausübung
eines Verbrechens zu verhindern vermögen, weil sie dasselbe, nachdem es geschehen,
nicht leicht zu entdecken vermag.
Anders verhält es sich mit der Schwefelsäure, welche schon in viel geringern Dosen,
als wobei sie tödtlich wirkt, grausame, unerträgliche Schmerzen verursacht. Schon
aus diesem Grunde kann sie nicht in tödtlicher Dosis ohne Wissen des Nehmenden, ohne
seine Aufmerksamkeit zu erregen, ohne seinen Widerstand und verzweifelten Kampf
hervorzurufen, eingegeben werden. Endlich hinterläßt diese Säure auf dem Körper, im
Munde, auf dem Gesichte, den Kleidern, eben so tief gehende und charakteristische
Merkmale als diejenigen eines Schneide-Instruments oder einer Feuerwaffe nur
seyn können.
Der Justiz stellt sich also hier keine Ungewißheit, keine Schwierigkeit in
Constatirung des Verbrechens entgegen; die in der Medicin unwissendsten Personen
könnten sich dem Schlachtopfer nicht nähern, ohne die Spur der Aetzsubstanz zu
erkennen; es ist hier also nicht, wie beim Arsenik, zu befürchten daß die
Grabesstille den Schuldigen beschützen könne gegen die gerechte Strenge des
Gesetzes, und die Gesellschaft läuft nicht Gefahr, wie dieß schon oft sich
ereignete, einem Zufall die Entdeckung eines unbemerkt vollbrachten Verbrechens
verdanken zu müssen.
Was hier von der Schwefelsäure gesagt wurde, gilt in verschiedenen Graden von der
Salpetersäure, vom Aetzkali, kurz von allen ätzenden, mit einem schon in kleiner
Dosis scharfen, abstoßenden Geschmack begabten Körpern, welche nicht eingenommen
werden können, ohne die Aufmerksamkeit und den Widerwillen des Nehmenden zu
erregen.
Es besteht sonach hinsichtlich der präventiven Gesetzgebung ein ungeheurer
Unterschied zwischen Gift und Gift, z. B. zwischen Arsenik und Schwefelsäure, und es
leuchtet ein, daß die für den erstern unerläßlichen Sicherheitsvorkehrungen, nicht
in demselben Grade für die letztere nothwendig sind; wenn wir überdieß auf die
Ursache zurückgehen, welche die abermalige Umarbeitung des Gese es veranlaßte, so
entgeht uns nicht, daß die Abänderungen desselben fast nur in Hinsicht auf eine
einzige Giftsubstanz, den Arsenik, hervorgerufen wurden.
Man erinnert sich in Frankreich noch recht wohl jener zu einer traurigen Berühmtheit
gelangten Vergiftungen, welche Schlag auf Schlag die Gesellschaft in Schrecken
versetzten und ihr die Eigenschaften und Wirkungen des Arseniks bis auf die
kleinsten Details enthüllten.
Wir sahen die Wissenschaft mit sich selbst in Kampf gerathen, wie sie den Werth der
von ihr zur Entdeckung des Giftes angewandten Mittel dem Publicum zu beurtheilen
anheimgab, wie sie vor den Gerichtshöfen, in den Zeitungen und sogar in
Flugblättern, alle Möglichkeiten der Unsicherheit verhandelte, welche diese Mittel
dem Angeklagten noch übrig lassen, um sich dem Ausspruch des
„Schuldig“ zu entziehen. Es ist daher nicht zu verwundern,
daß die Rechtsgelehrten, die Beamten, die ganze Bevölkerung darüber erschrocken,
einstimmig Präventivmaßregeln verlangten, um das Publicum gegen die Wirkungen einer
so gefährlichen, so oft angewandten und so schwer zu entdeckenden Substanz zu
schützen.Nach den Kanzlei-Registern geschahen mehr als die Hälfte, beinahe zwei
Drittheile der constatirten Vergiftungen mittelst Arseniks.
Unter der Gewalt dieser Umstände und, wie gesagt, einzig und allein des Arseniks
halber, sah man sich gezwungen das Gesetz über den Giftverkauf abzuändern. Es wäre
vielleicht natürlicher, jedenfalls aber zweckmäßiger gewesen, nur den Verkauf des
Arseniks besondern Bedingungen zu unterwerfen, welche um so strenger und wirksamer
hätten gestellt werden können, als sie sich speciell auf die betreffende Substanz
bezogen hätten, ohne die Gesetzgebung hinsichtlich der übrigen Gifte, gegen welche
sich noch kein Einwurf von nur einigem Belang erhoben hatte, zu berühren. Indem man
aber dieses Bedürfniß mißkannte und eine zu allgemeine Verordnung geben wollte, kam
es daß man dem Arsenik eine Menge Körper beigesellte, die größtentheils bloß in der
Medicin Anwendung finden und gar nicht oder doch nur in geringem Grade giftig
sind.
So wurden der Ausübung der Apothekerkunst unnützerweise Fesseln angelegt, während man
sich andererseits gezwungen sah, alle Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich weit
gefährlicherer Körper aufzugeben, deren täglicher Gebrauch die Anwendung der
kleinlichen Umständlichkeiten, an welche man den Arsenik binden will, durchaus
unmöglich macht.
Diese Inconsequenz wird noch auffallender, wenn man bedenkt daß diese in der
Verordnung vorgeschriebenen Umständlichkeiten gerade den Apothekern auferlegt
werden, also Leuten, welche dem Publicum am meisten Garantien des Wissens und der
Sittlichkeit bieten und denen persönlich am meisten daran liegt, daß in ihrer
Officin keine Fahrlässigkeit, kein Irrthum vorfalle.
Aller Verantwortlichkeit frei hingegen sind die Droguisten, Farbwaarenhändler,
specereihändler und die, jedes Unterrichts baren, Kleinkrämer (débitants), welche in demselben Laden zugleich Gifte und Nahrungsmittel
verkaufen, die oft sogar untereinander auf demselben Gestell stehen, z. B. Stärke
mit Bleiweiß; Potasche und Soda mit Kochsalz; Kleesalz mit Kandiszucker; Bleizucker,
Schweinfurtergrün, Fliegengift mit Mehlzucker oder Fadennudeln!
Offenbar liegt hierin nicht nur ein auffallender Widerspruch, sondern eine wirkliche
Gefahr, eine Quelle von Mißbräuchen und Irrthümern, wofür die Verwaltung
verantwortlich gemacht werden kann, weßhalb der Minister des Ackerbaues und des
Handels sagte: „Ich muß nun wissen ob, in Anbetracht daß die allgemeinen
Bestimmungen der Art. 34 und 35 des Gesetzes vom 21. Germinal des Jahrs XI durch das Gesetz vom 19. Jul. 1845, in Verbindung
mit der Verordnung vom 29. Oct. 1846 aufgehoben wurden, die medicinische
Akademie die beschränkte Liste, welche ich Ihnen hiemit zusende, zur Gewähr der
öffentlichen Sicherheit ausreichend finde.“
Man steht daß der Hr. Minister selbst die Gefahr beherzigt, welcher die Gesellschaft
ausgesetzt ist; nur glaubt er, daß sie durch die auf dem Verzeichniß der Giftkörper
vorgeschlagene Reduction veranlaßt werden könnte, während die Commission glaubt, daß
diese Gefahr hauptsächlich durch die nicht in der Verordnung eingeschlossenen
Substanzen verursacht werde.
Ein bloßer Blick auf die Substanzen, deren Weglassung vorgeschlagen wurde, genügt um
zu zeigen, daß an dieser Weglassung im Interesse der öffentlichen Gesundheit sehr
wenig liegt. Alle diese Körper schlagen nämlich, wie gesagt, ausschließlich in den
Handel der Apotheken und können daher, nach dem Wortlaut unserer Gesetze, im Detail
nur von Apothekern auf ärztliche Vorschrift hin verkauft werden; die Gesellschaft
ist folglich in dieser Hinsicht hinlänglich geschützt.
Es hat in dieser Beziehung nicht nur keinen Anstand, das reducirte Verzeichniß an die
Stelle des ursprünglichen treten zu lassen, sondern es würde dieß sogar noch den
Vortheil gewähren, daß die Vorschriften der Verordnung gehandhabt werden könnten,
weil sie sich auf eine kleinere Anzahl von Substanzen beschränken würden.
Doch muß die Commission hinzufügen, daß weder das ursprüngliche, noch das reducirte
Verzeichniß, ihr ohne die Art. 34 und 35 als eine hinreichende Gewähr für die
öffentliche Sicherheit darbietend erscheinen.
Um der Unzulänglichkeit des neuen Gesetzes zu begegnen, weiß sie kein wirksameres
Mittel vorzuschlagen, als das Fortsetzen der, durch den nicht aufgehobenen Art. 29
des Gesetzes vom 21. Germinal und den Art. 42 des Beschlusses vom 25. Thermidor
desselben Jahres, angeordneten Visiten (Beschaubesuche). Diese von den Professoren der
Apothekerschulen und den medicinischen Jurys vorzunehmenden Visiten, welche
vorzüglich die Arzneidroguen, Gewürze, Nahrungsmittel und alle Substanzen betreffen,
deren Verfälschung einen Einfluß auf die öffentliche Gesundheit haben könnte, waren
dann auch auf die im Verzeichniß nicht aufgeführten Giftsubstanzen auszudehnen,
damit Unglücksfälle vermieden werden, welche durch die Unwissenheit der Kleinkrämer
oder deren ungeordneten Haushalt veranlaßt werden können. Diese Maßregel scheint der
Commission die Freiheit, deren der Handel bedarf, mit den Gewährleistungen welche
das Publicum in Anspruch nimmt, in Einklang zu bringen. Sie ist wesentlich eine
präventive (zuvorkommende, verhütende) und eine längst bewährte; die mit ihrer
Ausführung Betrauten wirken hier vorzüglich durch Ueberzeugung. Sie klären die
Verkäufer über ihre Pflichten, über die Verantwortlichkeit welche sie auf sich
laden, über die ihnen unbekannten Gefahren auf; diese Inspectionen erhalten die
Ordnung, die Sorgfalt, durch welche Unglücksfälle verhütet werden und beugen so,
ohne Aufsehen, vielen Unglücksfällen oder Verbrechen vor, welche die Gerichte wohl
bestrafen aber nicht verhüten können.
An Thatsachen welche in diesem Punkt die Ansicht der Commission rechtfertigen, fehlt
es nicht.
Aus statistischen Erhebungen des Justiz-Ministeriums geht hervor, daß im
Seine-Departement, welches eine zwei- bis dreimal so große Bevölkerung
hat, als die übrigen Departements, und in dem sich 19/20 des in Frankreich
existirenden Arseniks befinden, die Anzahl der Vergiftungen geringer ist als in den
meisten andern Departements. So kommen auf 335 Verbrechen der Vergiftung, welche in
einem Zeitraum von 10 Jahren begangen wurden, nur 4 auf das Departement der Seine,
wogegen 8 im Puy-de-Doôme, 9 in der obern Garonne, 10 im
Maine-Loire, 12 im Gers und 13 im Isère constatirt sind. Welchem Umstand ist
ein solcher Unterschied, gegenüber so vielen in der Hauptstadt vereinigten Elementen
des Verbrechens und der so leichten Ausführbarkeit desselben zuzuschreiben, wenn
nicht der täglichen, unausgesetzten und umsichtigen Ueberwachung welche in Paris
stattfindet, der durch sie eingeflößten Furcht und der Belehrung und Aufklärung
welche die Visitatoren verbreiten.
Unfälle welche in Folge von Sorglosigkeit und Unkenntniß entstehen könnten, werden
bei uns täglich vermieden, ohne daß das Publicum das Geringste ahnt, nämlich durch
die Bemerkungen welche die Sachverständigen bei ihren Besuchen den Zuckerbäckern,
Specereihändlern etc.
über die giftige Natur gewisser Körper machen, welche sie zum Färben der Bonbons und
andern Zwecken anwenden wollen. Welche Dienste dieses Ueberwachungssystem, das die
Municipalität von Paris beinahe auf alle Nahrungsmittel erstreckte, der Gesundheit
des Publicums und besonders der Armen leistete, wollen wir hier gar nicht
erörtern.
Wir wollten nur zeigen, daß mit Umsicht vorgenommene Beschaubesuche bei den
Verkäufern von Giftstoffen von dem besten Erfolg für die öffentliche Gesundheit seyn
können.
Wir glauben also, der bisherigen Erfahrung zufolge, beim Hrn. Minister den Antrag
dahin stellen zu müssen, daß diese Visiten in Zukunft in dem Maaße vervielfältigt
und weiter erstreckt werden mögen, als sie auf viele Substanzen Anwendung finden
sollen, welche, ohne minder gefährlich geworden zu seyn, heutzutage in der Industrie
und sogar zum Hausgebrauche eine solche Verbreitung erlangt haben, daß sie durch
ihre Anzahl und die Menge ihrer Anwendungen der Gesetzgebung, die sie bisher unter
Aufsicht hatte, entgehen, so daß es unmöglich ist die durch die Verordnung vom 29.
Oct. vorgeschriebenen strengen und umständlichen Maßregeln aufrecht zu erhalten.
Wir beehren uns sonach der Akademie vorzuschlagen, dem Hrn. Minister für Ackerbau und
Handel zu antworten:
1) Daß die Anzahl der in dem, der Verordnung vom 29. Oct. 1846 beigegebenen
Verzeichniß enthaltenen Substanzen, ohne Anstand vermindert und durch die von der
École de Pharmacie vorgeschlagene ersetzt werden
könne, weil diese Reduction Substanzen trifft, die entweder keine starken Gifte oder
Arzneikörper sind, welche nach dem gegenwärtig geltenden Gesetze nur von Apothekern
verkauft werden dürfen;
2) daß die in dieser Verordnung enthaltenen Vorschriften, wenn sie bloß auf die in
dem einen oder dem andern dieser Verzeichnisse enthaltenen Substanzen angewandt
werden, der Gesellschaft keine hinlängliche Gewähr gegen den Mißbrauch leisten, den
der freie Handel mit den vielen in der Verordnung nicht inbegriffenen Giftkörpern
zur Folge haben kann;
3) daß es für die öffentliche Sicherheit unerläßlich ist, hinsichtlich dieser
letztern Substanzen, in Ermangelung der strengen Bestimmungen der aufgehobenen
Artikel (34 und 35) des Gesetzes vom 21. Germinal, die durch dasselbe Gesetz
vorgeschriebenen Visiten (Beschaubesuche) beizubehalten.
Verzeichniß der Giftsubstanzen, wie es von
derÉcole de Pharmaciean der Stelle des der Verordnung vom 29. Oct. 1846 beigegebenen,
vorgeschlagen wird.
1. Aetzsublimat.
2. Alkaloide, giftige nebst ihren Salzen.
3. Arsenik nebst seinen Verbindungen.
4. Belladonna, Extract und Tinctur.
5. Bilsenkraut, Extract und Tinctur.
6. Blausäure.
7. Brechweinstein.
8. Canthariden (spanische Fliegen), ganze.
9. Chloroform.
10. Cyankalium.
11. Cyanquecksilber.
12. Fingerhutkraut, Extract und Tinctur.
13. Mutterkorn.
14. Opium und dessen Extract.
15. Phosphor.
16. Schierling, Extract und Tinctur.
17. Stechapfel, Extract und Tinctur.
18. Tabakspflanze (Nicotiana).