Titel: | Ueber die Gestehungskosten der Schießbaumwolle und die Gefahren bei ihrer Fabrication und Aufbewahrung im Großen; von Hrn. Maurey. |
Fundstelle: | Band 112, Jahrgang 1849, Nr. XXX., S. 138 |
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XXX.
Ueber die Gestehungskosten der Schießbaumwolle
und die Gefahren bei ihrer Fabrication und Aufbewahrung im Großen; von Hrn. Maurey.
Aus den Comptes rendus, März 1849, Nr.
11.
Maurey, über die Gestehungskosten der Schießbaumwolle und die
Gefahren bei ihrer Fabrication.
Als man zu Bouchet anfing Schießbaumwolle zu fabriciren, zahlte man für das Kilogramm
concentrirter Salpetersäure 3 Franken, wobei das Kilogr. Schießbaumwolle
durchschnittlich auf 11 Fr. 78 Cent. zu stehen kam; hätte man die Fabrication ohne
Unfall im Jahr 1848 fortgesetzt, so hätte man sich Salpetersäure zu 1 Frank 25 Cent.
verschaffen können, wodurch der Preis der Schießbaumwolle auf 7 Franken
herabgekommen wäre. Letztern glaubte ich bei Vergleichung der Gestehungskosten der
Schießbaumwolle und des Pulvers annehmen zu müssen.
Nach den amtlichen Berichten der französischen Pulverfabriken von 1849, betrugen die
Gestehungskosten von 1 Kilogr. Sprengpulver, alles inbegriffen, 1 Fr. 17 Cent., und
diejenigen des extrafeinen Pulvers 2 Fr. 39 C. Die Schießbaumwolle müßte also sechsmal so stark als ersteres und dreimal
so stark als letzteres seyn, damit gleiche Wirkungen denselben Preis kosteten. Die
Schießbaumwolle blieb jedoch unter diesen Gränzen; 3 Gramme derselben ertheilen
nämlich bei der Pendelprobe der Kugel nur eine Geschwindigkeit welche 5 Grammen
extrafeinen Pulvers entspricht; beim Sprengen entspricht sie aber nach den Versuchen
der HHrn. Combes und Flandin
Polytechn. Journal Bd. CVIII S.
141. nur beiläufig ihrem fünffachen Gewicht
Sprengpulver für hartes Gestein und bloß dem zweifachen
für weichen Kalkstein (wie der grobkörnige in der Gegend von Paris ist).
Zwischen den Elementen der Schießbaumwolle tritt nach und nach eine Störung des
Gleichgewichts ein, die sich zu erkennen gibt bald durch eine langsame Veränderung
wobei sie Wasser bildet, bald durch eine unvollständige Selbstzersetzung; endlich
durch eine Selbstentzündung, wobei sie plötzlich und gänzlich in gasförmige Producte
verwandelt wird.
Veränderungen der ersten Art habe ich bei mehreren Proben beobachtet, welche in
verschlossenen Fäßchen und an einem trockenen Orte aufbewahrt wurden; bei den einen
nach Verlauf von drei und einem halben Monat, bei den anderen nach Verlauf von neun
Monaten. Die Schießbaumwolle besaß dann einen stechenden Geruch, sie enthielt
Ameisensäure und Feuchtigkeit, welche von 1,63 bis 11,5 Procent betrug. Diese
Veränderungen befolgten ein gewisses Gesetz; sie waren im allgemeinen bedeutender
bei den Proben, bei deren Bereitung man am meisten Schwefelsäure angewandt hatte.
Auch überzeugte man sich, daß das Auswaschen der Schießbaumwolle mit reinem Wasser,
so lange man es auch fortsetzen mag, die letzten Spuren dieser Säure nicht
beseitigt, welcher man einen großen Einfluß bei jenen Erscheinungen zuschreiben
muß.
Seitdem wurde alle Schießbaumwolle mit alkalischem Wasser ausgelaugt. Proben von
Schießbaumwolle, welche auf verschiedene Art bereitet und auf diese Art ausgewaschen
worden waren, wurden in Fäßchen verpackt aufbewahrt, um zu erfahren ob sie eine
Veränderung erleiden; nach Verlauf von sechs bis sieben Monaten zeigten sie noch
keine. Glücklicherweise wurde der Versuch durch die Explosion am 17 Julius 1848
unterbrochen, wobei sie zerstört wurden.
Zwei Muster, jedes von 500 Grammen, welche seit dem 7 Novbr. 1847, das eine im
Wasser, das andere in der Erde, aufbewahrt worden waren, wurden am 8 Februar 1849
getrocknet und probirt. Das in der Erde aufbewahrte hatte darin 65 Procent
Feuchtigkeit aufgenommen; übrigens hatte weder das eine noch das andere Schaden
gelitten und beide gaben bei der Pendelprobe den früher erhaltenen wenigstens
gleiche Resultate.
Wenn aber auch die Schwefelsäure, welche durch ungenügendes Auswaschen in der
Schießbaumwolle zurückbleibt, die Ursache der so eben besprochenen Veränderungen
ist, so ist dieß kein Grund ihr auch die freiwilligen Explosionen zuzuschreiben.
Jene langsamen Veränderungen scheinen einzutreten ohne daß sich die Masse erhitzte
und ohne alle Gasentbindung; die Feuchtigkeit welche dabei entstand, verminderte die
Entzündbarkeit der Schießbaumwolle, und nachdem ihre Entmischung einen gewissen Grad
erreicht hatte, konnte man ihr durch Trocknen ihre Wirksamkeit nicht wieder
ertheilen. Nach meiner Ansicht sind die freiwilligen Explosionen anderen noch
unbekannten Ursachen zuzuschreiben; vielleicht sind es dieselben, welche die
Temperaturgränze abändern, wobei sich verschiedene Schießbaumwollen entzünden die
sonst kein Anzeichen einer Veränderung darbieten.
Von einer zu Bouchet fabricirten Schießbaumwolle, welche man als eine der besten
betrachtete, wurden einige Gramme in einem Glase mit eingeschliffenem Pfropf
aufbewahrt; sie erlitt eine unvollständige Selbstzersetzung mit Entbindung von
Gasen. Durch die Expansionskraft dieser Gase wurde der Pfropf herausgeschleudert und
man fand am Boden der Flasche eine weiche, etwas elastische weiße Substanz von einem
unangenehmen sauren Geruch. Man verpfropfte das Glas wieder und fand daß der
Rückstand fortfuhr Stickstoffoxyd zu entbinden. Nach Verlauf mehrerer Monate wurde
der Pfropf sogar zum zweitenmal herausgeschleudert.
Bei derartigen Zersetzungen wird Wärme frei; wenigstens beobachtete man dieß zu
Montreuil bei Schießleinen im dortigen Laboratorium zum
Füllen der Zündhütchen. Aber weder zu Montreuil noch zu Bouchet war die Erhitzung
beträchtlich genug um eine vollständige Reaction zu bewirken, ohne Zweifel weil die
Quantitäten nur klein waren. Je beträchtlicher die in Zersetzung begriffene Masse
ist, desto intensiver muß die entwickelte Wärme seyn und man begreift daß sie sich
bis zur Entzündung steigern kann.
So werden sich die Explosionen erklären, welche in der Trockenanstalt zu Bouchet am
25 März 1847, zu Vincennes am darauf folgenden 2 August und zuletzt zu Bouchet am 17 Julius 1848
stattfanden.
Ich werde hier nur von letzterer Katastrophe sprechen, welche in dem Gebäude
stattfand, wo man die Schießbaumwolle in dem Maaße als sie trocknete, aufzulagern
pflegte. Es waren damals 1600 Kilogramme darin, welche – mit Ausnahme einiger
für Versuche aufbewahrten Proben – sämmtlich durch alkalische Laugen passirt
worden waren. In diesem Fall kann man die Explosion nicht dem Schießleinen zuschreiben, wovon sich kein Atom im Magazin
befand.
Das Unglück war fürchterlich. Vier Personen wurden getödtet, drei verwundet. Das
Gebäude, dessen Mauern theils einen ganzen, theils einen halben Meter dick waren,
wurde von unten bis oben zerstört; an seiner Stelle bildete sich ein weiter Trichter
von beiläufig 4 Meter Tiefe auf 16 Meter Durchmesser. Alle Dauben und Reifen der mit
Schießbaumwolle gefüllten Fäßchen waren gänzlich verschwunden als wenn sie
verflüchtigt worden wären. Von dem Holzwerk des Gebäudes fand man Stücke auf, welche
zerbrochen waren, aber ohne Anzeichen von Verkohlung. Hundertvierundsechzig Bäume,
welche das Gebäude umgaben, waren entweder ganz ausgerissen oder abgestämmt, die
einen gerade über dem Erdboden, die anderen in verschiedener Höhe nach den
Richtungen des gebildeten Trichters; die nächsten waren ihrer Rinde beraubt und bis
zu den Wurzeln in lange den Hanfschaben ähnliche Fasern zertheilt. In der
südwestlichen Verlängerung der großen Achse des Gebäudes und bis auf ungefähr 300
Meter fand sich eine Linie von Materialien, nach ihrem Eigengewicht geordnet,
nämlich zunächst die Holzstücke, dann die Steine und am weitesten weg die
Eisenstücke.
Die Fabrication und Aufbewahrung der Schießbaumwolle im Großen bietet also wegen
ihrer Selbstzersetzung Gefahren dar, wogegen wir uns bis jetzt nicht zu schützen
vermögen.