Titel: | Ueber die Keimkraft alter Samenkörner; von Professor Girardin. |
Fundstelle: | Band 112, Jahrgang 1849, Nr. LXXX., S. 384 |
Download: | XML |
LXXX.
Ueber die Keimkraft alter Samenkörner; von
Professor Girardin.
Aus dem Journal de Pharmacie, Jan. 1849, S.
46.
Girardin, über die Keimkraft alter Samenkörner.
Bekanntlich behalten gewisse Samen, vor äußern Einflüssen geschützt, eine unbestimmte
Zeit ihre Keimfähigkeit; die Samen z.B. der Birke, der Zitterespe, des
Stechginsters, des Färbeginsters, des Fingerhutkrauts, der Kreuzwurz, der
Heidelbeere, des Heidekrauts, zu tief in die Erde gegraben, behalten wenigstens ein
Jahrhundert lang ihre Eigenschaften. Hundertjähriger Same der Sinnpflanze soll noch
gekeimt haben; Bohnen welche in Tournefort's Herbarium gefunden wurden, keimten noch ein Jahrhundert
nach seinem Tode eingesäet, trugen Blüthen und Früchte.
Wie Cap in neuerer Zeit nachwies, ist der Grund hievon,
daß die Bestandtheile der Keimhülle ohne Wasser nicht auf einander wirken können.
Luft, Licht und Wärme, sagt er, wirken dabei nur secundär und nicht ohne die
ursprüngliche Anregung des Keimprocesses durch Wasser. Folgende Thatsachen
bestätigen diese Behauptung.
Wohlbeschaffenes Getreide kann, vor Luft und besonders Feuchtigkeit geschützt, sehr
lange aufbewahrt werden. Ein Privatmann in Neapel, welcher ein auf einem Berge vor
der Stadt gelegenes Landhaus getauft hatte und es neu aufbauen lassen wollte, fand
im Grunde desselben ein ungeheures, gut erhaltenes gefülltes Getreidemagazin; er
befrachtete mit diesem Getreide mehrere Schiffe und brachte es in den Handel, ohne
daß jemand bemerkt hätte, daß dasselbe schon vor einem Jahrhundert geerntet worden
sey. Uebrigens befand sich dieses Magazin in einem vulkanischen Erdreich, in welches
Insecten und Feuchtigkeit nicht eindringen konnten. Die Mündung desselben war
ursprünglich wahrscheinlich gut verschlossen worden.
In der Citadelle zu Metz wurde im Jahr 1817 ein im Jahr 1523 errichtetes
Getreidemagazin entdeckt; das Getreide gab, obgleich schon 294 Jahre alt, ein recht
gutes Brod.
Unter den Producten Bosniens wird vorzüglich die Hirse geschätzt; in den
Festungsmagazinen daselbst sollen Säcke mit Hirse 42 Jahre lang aufbewahrt worden
seyn, ohne daß sie an Nahrhaftigkeit und Keimkraft verloren hätten.
Das Korn (der Roggen) behält seine Keimkraft wenigstens 40 Jahre lang.
Die mehligen Samen, welche viel Stärkmehl enthalten, wie die Getreidearten und
Hülsenfrüchte, behalten in der Regel ihre Keimkraft viel länger als andere.
Zu Bicêtre wurde im letzten Winter ein aufgegrabener Weg mit frischer Erde
aufgefüllt, die aus einem Kapellenhof in einer Tiefe von 1,60 Meter nach
Hinwegräumung der darüber befindlichen Erd- und Steinschichten gegraben
worden war. Diese Erde, welche 242 Jahre bedeckt gewesen war und nun an die Luft
kam, trug in diesem Jahr allerlei Pflanzen, unter andern:
Epilobium pallustre in großer Menge, Matricaria
Parthenium, Viola bicolor, Geranium dissectum, Erigeron canadense, Senebiera
corniculata, Aethusa Cinapium, Mercurialis annua, Salex alba. Die Samen
dieser Pflanzen hatten sich also so lange in dem ursprünglich sumpfigen,
überschütteten Erdreich erhalten.
In alten Gräbern – hievon liegen mehrere Fälle vor – wurden mitunter in
Höhlungen der Skelette Samen verschiedener Pflanzen vorgefunden, welche, obwohl ihr
Alter 15 bis 18 Jahrhunderte betrug, nach dem Einsäen sehr schön aufgingen; die aus
solchen Samen erhaltenen Pflanzen waren Himbeersträuche, Rosmarin, Chamille. In
einem Grab aus. der gallisch-römischen Zeit gefundene Samen gaben Heliotropium vulgare, Centaurea Cyanus und Medicago lupulina.
In einem nach seinem Aussehen aus der Zeit der Gallier herrührenden Topf, welcher in
einer gewissen Tiefe unter der Erde gefunden wurde, befanden sich Samen mit fetter
Erde zusammengeknetet; obwohl ganz ausgetrocknet, gaben sie eingesäet, doch noch
Pflanzen der Mercurialis annua.
Ja sogar die in einem ägyptischen Sarkophag im brittischen Museum gefundenen Körner
von Weizen und Erbsen gingen noch auf; Wickenkörner jedoch nicht. In einer Mumie,
welche in Aegypten in Gegenwart eines englischen Consuls geöffnet wurde, fand man
drei Weizenkörner, welche man der königl. Agriculturgesellschaft in London
übersandte. Sie wurden eingesäet und lieferten wieder frische Saat. Die Aehren
dieses Weizens sind ungemein groß; es soll sich diese Sorte in Aegypten nicht mehr
vorfinden. Eine dieser Aehren, welche der Secretär der Gesellschaft öffnete,
enthielt 130 hellbraune, längliche Körner, welche mit dem russischen Weizen
Aehnlichkeit haben. Ricinussamen die in einem ägyptischen Grabe gefunden wurden,
gingen nach
Kunth nicht auf, wie überhaupt die leicht ranzig
werdenden ölreichen Samen sich bei weitem nicht so gut aufbewahren lassen. Von
zwanzig Pflanzenarten aus ägyptischen Gräbern, welche Kunth erkannte, hatten neun deutliche Samenkörner; unter diesen waren
sieben so gut erhalten, daß ihre ganze Organisation wahrgenommen werden konnte.