Titel: | Ueber Ausgleichung der Störungen, welche durch die Bewegung der einzelnen Maschinentheile in dem regelmäßigen Gang der Locomotiven bewirkt werden; von Lechatellier. |
Fundstelle: | Band 112, Jahrgang 1849, Nr. LXXXV., S. 410 |
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LXXXV.
Ueber Ausgleichung der Störungen, welche durch
die Bewegung der einzelnen Maschinentheile in dem regelmäßigen Gang der Locomotiven
bewirkt werden; von Lechatellier.
Aus der Eisenbahn-Zeitung, 1849, Nr.
22.
Lechatellier, über Ausgleichung der Störungen beim Gang der
Locomotiven.
Wir haben bereits (S. 154 in diesem Bande des polytechn. Journals) der Versuche
erwähnt, welche in den Werkstätten der Eisenbahn von Paris nach Orleans über die von
dem Ober-Ingenieur des Bergwesens Lechatellier
vorgeschlagene Ausgleichung der Störungen angestellt wurden, welche durch die
Bewegung der einzelnen Maschinentheile in dem regelmäßigen Gang der Locomotiven
bewirkt werden. Hr. Lechatellier hat nun die theoretischen Untersuchungen, welche ihn
auf gedachte Vorschläge leiteten, seine Vorschläge selbst und die Resultate der über
dieselben angestellten Versuche in einer bei Matthias Augustin, Quai Malaquais Nr. 15 erschienenen Abhandlung über die
Stabilität der Locomotiven veröffentlicht,Etudes sur la stabilité des machines
locomotives en mouvement, in - 8° avec 2 pl. aus deren Inhalt wir Folgendes anführen:
Die Störungen des Gleichgewichts einer in Gang gesetzten Locomotive sind
hauptsächlich zwei Ursachen zuzuschreiben. Die erste derselben ist die Bewegung der
Kurbelstangen. Diese theilen der Locomotive, indem sie dieselbe nach vorne zu
überstürzen streben, zunächst senkrechte Schwankungen und eine galoppirende Bewegung
mit; soferne die Kurbelstangen aber abwechselnd, bald auf der einen, bald auf der
andern Seite der
Maschine wirken, verursachen sie ein Hin- und Herwiegen nach beiden Seiten,
welches, wenn auch Rahmen und Kessel der Locomotive diesen einseitigen
Kraftäußerungen den nöthigen Widerstand leisten, gleichwohl an der Spitze des
Rauchfanges deutlich wahrgenommen wird.
Eine zweite Ursache der Gleichgewichtsstörung ist das Beharrungsvermögen der in dem
ganzen System der Locomotive in relative Bewegung gesetzten Massen. Diese sind: die
Kurbelachse, welche in gewissen Lagen ihres Umschwungs vermöge der Centrifugalkraft
ein Bestreben entwickelt, die Treibachse bis auf einen gewissen Grad zu entlasten,
mithin die Adhäsion der Treibräder auf den Schienen zu vermindern; die Kurbelstange,
die Kolbenstange, der Kolben und die sie verbindende Schale erleiden durch die bei
jedem halben Umschwung eintretende Dampfmenge einen Gegenstoß und äußern in Folge
desselben auf die Treibachsenlager Wirkungen, welche in Verbindung mit der Bewegung
der Treibachse selbst einerseits eine stampfende Erschütterung nach vor- und
rückwärts, andererseits eine schlängelnde Seitenbewegung hervorbringen.
Diese Störungen in dem regelmäßigen Gang der Locomotiven sind es nun, welche Hr.
Lechatellier zuerst auf
theoretischem Wege zu ermitteln und zu messen versucht hat. Ungeachtet der
Schwierigkeiten und Verwickelungen, welche der Gegenstand darbietet, wußte er seinen
Zweck stets durch die einfachsten Rechnungsmethoden zu erreichen und seine
Untersuchungen, indem er sich ausschließlich der geometrischen Analyse bediente,
jedem praktischen Ingenieur zugänglich zu machen. Es ist ihm zwar dieses Bestreben
von gewissen strengen Mathematikern zum Vorwurf gemacht worden, aber gewiß mit
Unrecht, denn bei Behandlung eines Gegenstandes der so vielfach und so tief in die
Praxis eingreift, ist es offenbar von größerem Werth, sich einer allgemein
verständlichen, als der streng wissenschaftlichen Sprache zu bedienen, für die
Werkstätten der Praktiker, als für die Bibliotheken der Gelehrten zu schreiben. Ja
es dürfte in dieser Hinsicht das Beispiel eines so anerkannt verdienstvollen Mannes
der Wissenschaft, unseren Gelehrten im Allgemeinen zur Nachahmung empfohlen und
ihnen der Rath ertheilt werden, ihre Speculationen durch möglichste Vereinfachung
der angewandten Rechnungsmethoden auch dem Praktiker zugänglich zu machen, wenn sie
dieselben nicht des größten, ja des einzigen Verdienstes der Anwendbarkeit berauben
wollen.
Nachdem Hr. Lechatellier die
Natur der vorhandenen Gleichgewichtsstörungen bestimmt hat, macht er eine der
Passagierlocomotiven der Nordbahn zum Gegenstand seiner Untersuchungen und gelangt durch
dieselben zu folgenden Resultaten:
Die Belastung der Vorderachse dieser Locomotiven beträgt in normalem Zustande 4000
Kilogr. Diese Belastung wird durch die galoppirende Bewegung der Locomotive bei
jedem halben Umschwung der Achse um 700 bis 1100 Kilogr. vermindert. Bei den
Locomotiven, von denen es sich hier handelt, kommt die Differenz von 400 Kilogr.
nicht in Betracht, weil sie durch die Steifigkeit der hinteren Federn aufgewogen
wird. Dagegen kann die Adhäsion der Treibräder auf den Schienen in Folge der
Centrifugalkraft der excentrischen Theile der Kurbelachse etc. bei einer
Fahrgeschwindigkeit von 76 Kilometer in der Stunde um 2500 Kilogr. vermindert
werden. Die Belastung der Treibachse beträgt im normalen Zustande 7000 Kilogr., kann
aber in Folge der oben angeführten Störungen je nach der Fahrgeschwindigkeit um 20
bis 25 Procent verändert werden.
Die stampfende Erschütterung der Locomotiven erlangt bei großer Fahrgeschwindigkeit
eine entsprechende Bedeutung. Sie wirft die Locomotive bei einer Geschwindigkeit von
76 Kilom. in der Stunde mit einer Kraft von 6000 Kilogr. in der Richtung der
Bahnachse abwechselnd vor- und rückwärts und zwar etwa achtmal in der
Secunde. Welchen zerstörenden Einfluß diese Bewegung auf die Kuppelung von
Locomotive und Tender ausübt, ist leicht zu ermessen. Bisher hat man diesen Einfluß
durch eine Feder zu schwächen gesucht; Hr. Lechatellier gibt, wie man weiter unten sehen
wird, ein Mittel an, denselben gänzlich zu beseitigen.
Die schlängelnde Bewegung kommt hinsichtlich ihres Kraftmaaßes der stampfenden
gleich. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 16 Kilometern in der Stunde drückt sie die
Locomotive mit einer Kraft von 6000 Kilogr. achtmal in der Secunde abwechselnd bald
gegen den einen, bald gegen den andern Schienenstrang. Die Adhäsion der Radreife auf
den Schienen in der Richtung der Radachsen und der Vorsprung der Spurkränze leisten
allerdings dieser Bewegung den erforderlichen Widerstand, und verhindern dadurch das
Derailliren der Locomotive, allein es ist leicht einzusehen, daß manche äußere
Veranlassung, welche für sich allein nicht hinreichen würde die Locomotive aus dem
Geleise zu bringen, in Verbindung mit der schlängelnden Bewegung der Locomotive
einen solchen Unfall herbeiführen kann. Abgesehen hievon aber gewinnt die
schlängelnde Bewegung durch den zerstörenden Einfluß, welchen sie auf Schienen und
Locomotiven ausübt, Bedeutung. Das beständige Hin- und Herrücken der Räder auf den
Schienen und das Andrücken der Spurkränze an die Schienenränder nützt die Räder in
verhältnißmäßig kurzer Zeit ab. Durch die Gewalt, welcher sie zu widerstehen haben,
werden die Achsen fortwährend nach verschiedenen Richtungen gebogen, geschwächt und
dem Bruch nahe gebracht, die Achsenhalter gekrümmt, der Rahmen und die Verbindung
des Kessels mit demselben, sowie überhaupt die ganze Construction der Locomotive
erschüttert und allmählich gelockert. Außerdem ist die Reibung der Spurkränze an den
Schienen bedeutend und vermindert die Zugkraft der Locomotive in dem Maaße, in
welchem jene durch die schlängelnde Bewegung vermehrt wird. Nicht minder zerstörend
wirkt diese schlängelnde Bewegung auf die Solidität des Oberbaues. Die Oberfläche
der Schienen wird rasch abgenützt, der innere Rand derselben abgeblättert, die
Befestigung der Schienen auf den Schwellen gelockert, die Spurweite verändert und
die Schwellen selbst verrückt.
Man sieht leicht ein, daß die Gleichgewichtsstörungen, welche bis hieher aufgezählt
worden sind, und deren Werth Hr. Lechatellier auf dem Wege des Calculs bestimmt, durch eine Reihe von
Umständen bedingt und modificirt werden, welche in der Construction der Locomotiven
begründet sind. Auf diese Umstände muß daher auch bei Angabe der Mittel Rücksicht
genommen werden, durch welche jene Störungen aufgehoben werden sollen.
Die galoppirende Bewegung kann durch entsprechende Belastung der Vorderachse und
hinreichende Steifigkeit der hintern Federn der Locomotive beseitigt werden. Die
sechsräderigen Maschinen sind im Allgemeinen dieser Bewegung nicht oder nur wenig
unterworfen, vorausgesetzt, daß der Maschinist nicht, um die Adhäsion der Treibräder
auf den Schienen zu steigern, die vordern Räder zu sehr entlastet, in welchem Falle
bei vorkommenden Unregelmäßigkeiten im Oberbau Gefahr des Deraillirens droht.
Die Veränderungen der Belastung der Treibachse, welche durch die Centrifugalkraft der
excentrischen Theile des Mechanismus entstehen, können durch Anbringung von
Gegengewichten zwischen den Speichen der Räder der Stellung der Kurbel gegenüber
völlig gehoben werden. Seit geraumer Zeit werden solche Gegengewichte von mehreren
Constructeuren angewendet, indessen finden sich immerhin auch noch Locomotiven, an
welchen sie fehlen.
Die stampfende Bewegung hat man bisher nur durch verschiedene, zum Theil höchst
ungenügende Correctivmittel zu beseitigen gesucht. Gewöhnlich hat man zwischen
Locomotive und Tender eine Zugfeder angebracht, um die Stöße zu mildern. Diese Feder
wirkt bald auf eine einfache Zugstange, bald kann der Maschinist sie mittelst einer
Doppelschraube an harte oder gleichfalls gefederte Buffer andrücken. Hr. Lechatellier thut durch Berechnung
dar, daß ein Gegengewicht, welches dem Gewichte des Kolbens, der Kolbenstange, sammt
zugehörigen Theilen, der Kurbel und des Kurbelknopfes gleichkommt, und zwischen den
Speichen der Räder angebracht wird, indem es eine der stampfenden Bewegung
entsprechende Kraft in entgegengesetztem Sinne entwickelt, auch diese Störung
vollkommen beseitigt. Dieses Gegengewicht ist nun weit bedeutender, als dasjenige,
welches angewendet wird, um die Veränderungen in der Belastung der Treibachse zu
beseitigen, und sollte daher diese Veränderungen im entgegengesetzten Sinn wieder
herstellen. Indessen hat die Erfahrung gelehrt, daß dieser Umstand einmal keinerlei
verderblichen Einfluß auf den Mechanismus der Locomotive ausübt, sodann überhaupt
nur bei großen Geschwindigkeiten fühlbar wird, und die Adhäsion der Treibräder auf
den Schienen in keinem bedenklichen Grade alterirt. Ein anderer Einwurf, welcher
gegen die Anbringung dieser Art von Gegengewichten erhoben wurde, ist der, daß sie
auf den Oberbau zerstörend einwirken; indessen kann hiegegen erinnert werden, daß
die Zerstörung der Schienen weit weniger durch die verticale Belastung als vielmehr
durch die schlängelnde Bewegung der Locomotiven bewirkt wird.
Was nun endlich eben diese schlängelnde Bewegung betrifft, so können auf die Größe
derselben eine Menge von Nebenumständen einwirken, welche theils in dem Zustand der
Locomotiven liegen, wie z.B. Mangel an Parallelismus der Achsen, ungleicher
Durchmesser der Räder, Abnützung der Radreife, schlechte Stellung der Kuppelstangen
u.s.w. theils in dem Zustand des Oberbaues, wie z.B. das Profil der Schienen,
mangelhafte Befestigung derselben u.s.w. Man hat verschiedene Mittel versucht, um
diese Bewegung zu beseitigen, man hat die Entfernung der äußern Räderpaare vermehrt,
um den Locomotiven einen breiteren und sichereren Stand zu geben – eine
Anordnung, welche auf gerader Bahn wohl dem Zweck entspricht, in Krümmungen aber der
leichten Bewegung der Maschine große Hindernisse bereitet. Man hat zwischen
Locomotive und Tender gefederte Buffer angebracht, deren Zweck war,
Seitenschwankungen zu verhindern, allein bei großer Fahrgeschwindigkeit reichte die
Federkraft der Buffer nicht hin, in Krümmungen bewirkte sie eine für den sichern
Gang gefährliche Steifigkeit zwischen Locomotive und Tender. Auf der Nordbahn hat man
eine für diesen Zweck erdachte Vorrichtung versucht, welche, auf dem Tender
angebracht, bei jeder Fahrgeschwindigkeit die schlängelnde Bewegung ziemlich gut
beseitigt; allein auch diese Vorrichtung hat den Uebelstand, daß sie die freie
Bewegung in Krümmungen und besonders das Einlausen in Weichen erschwert. Hr.
Lechatellier hat daher
versucht, das Uebel bei der Wurzel zu fassen und durch Berechnung dargethan, daß das
Gegengewicht, welches zur Beseitigung der stampfenden Bewegung zwischen den Speichen
der Räder angebracht wird, zugleich auch die Ursachen der schlängelnden Bewegung
vollkommen hebt. Hienach bleiben nur noch diejenigen Ursachen von
Gleichgewichtsstörungen zu beseitigen, welche durch sorgfältige und genaue Montirung
und tadellose Instandhaltung der Locomotiven von selbst wegfallen.
Wie bereits Eingangs erwähnt, blieb Hr. Lechatellier mit den Resultaten seiner Berechnungen nicht bei der
Theorie stehen, sondern stellte auf der Nordbahn, sowie auf der Eisenbahn von Paris
nach Orleans Versuche an, welche jene Resultate vollkommen bestätigten. Auf der
Nordbahn erreichte eine mit Gegengewichten versehene Locomotive eine
Fahrgeschwindigkeit von 90 Kilometern in der Stunde, während in Hinsicht der
Stabilität und Sicherheit des Ganges nichts zu wünschen blieb. Man nahm vier
Fünftheile der Gegengewichte weg und alsbald zeigte die Locomotive Schwankungen,
welche mit wachsender Geschwindigkeit dermaßen zunahmen, daß die Spurkränze den
Schienen Funken entlockten und die Fahrgeschwindigkeit ohne die äußerste Gefahr
nicht über 50 Kilometer in der Stunde gesteigert werden konnte. Auf der Eisenbahn
von Paris nach Versailles (r. U.) förderte die Locomotive Herkules ohne
Gegengewichte auf einer Steigung von 1 : 200 – 24 Wagen mit einer
Maximalgeschwindigkeit von 24 Kilometern in der Stunde. Dieselbe Locomotive, mit
Gegengewichten versehen, erreichte mit derselben Last ohne Anstand eine
Geschwindigkeit von 40 Kilometern in der Stunde. Abgesehen von der angehängten
Belastung hatte man früher mit dieser Locomotive ohne Gefahr höchstens eine
Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde erreichen können; mit Gegengewichten
versehen, legt dieselbe mit Leichtigkeit 60 Kilometer in der Stunde zurück. Daß
durch mögliche Beseitigung aller Störungen des Gleichgewichts im Gange einer
Locomotive andererseits namhafte Ersparnisse an Brennmaterialverbrauch erzielt
werden können, leuchtet ein.
Es wird schwer seyn eine einfachere und klarere Lösung des Problems anzugeben,
welches das Interesse aller Eisenbahningenieure in so hohem Grade in Anspruch nimmt.
Die vorgenommenen Versuche haben gezeigt, daß bei Anwendung der von Hrn. Lechatellier vorgeschlagenen Mittel
die Stabilität der Locomotiven mehr als verdoppelt wird, auch haben seine Vorschläge
auf beinahe allen französischen Eisenbahnen Aufnahme gefunden.