Titel: | Ueber die Spinnpflanze Urtica nivea (Tchou-ma der Chinesen); aus chinesischen Büchern gezogen von Stanislaus Julien. |
Fundstelle: | Band 112, Jahrgang 1849, Nr. XCVII., S. 453 |
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XCVII.
Ueber die Spinnpflanze Urtica nivea (Tchou-ma der Chinesen); aus chinesischen Büchern gezogen
von Stanislaus
Julien.
Aus den Comptes rendus, März 1849, Nr.
13.
Ueber die chinesische Spinnpflanze Urtica nivea.
Vor einigen Jahren waren in den Sälen der Primärschule, rue
Saint-Laurent, zu Paris, die von unserer Gesandtschaft aus China
mitgebrachten Producte der chinesischen Industrie ausgestellt; besonderes Interesse
erregten unter denselben Stücke eines feinen, seidenartigen Gewebes, welches die
Chinesen Hia-pou (Sommerzeug) nennen und aus den
Fasern der unter dem botanischen Namen Urtica nivea
bekannten Pflanze bereiten. Hr. Hebert schickte im Jahr 1843 Samen derselben aus Canton; sie gingen
aber nicht auf und mehrere Landwirthe behaupteten gegen mich, daß dieselben in
unseren Klimaten nicht zu keimen vermögen. Ich bedaure nicht damals schon die
Schriften übersetzt zu haben, aus welchen ich im folgenden Auszüge mittheile. Nach
aufmerksamer Prüfung werden Sachverständige daraus ersehen, daß an dem Mißlingen
nichts Schuld war, als daß man nicht wußte, welcher genauen und sorgsamen Pflege
diese Pflanze bedarf. Das Brechen, Rösten und Bleichen dieses schätzbaren
Faserstoffs beschreiben die chinesischen Schriftsteller so deutlich und so ins
Einzelne gehend, daß für alle diejenigen, welche sich mit diesem Industriezweig
befassen wollen, nichts zu wünschen übrig bleibt. Bis aus China neuer Same ankömmt,
können aus dem Jardin de plantes, wo sich sehr schöne
Büsche dieser Pflanze befinden, Wurzeln oder junge Pflanzen bezogen und durch deren
Vermehrung ein Rohstoff erzeugt werden, der gehörig behandelt, ein Gewebe liefert,
welches so kernig wie Seide, und so fein, aber stärker und kräftiger ist, als die
schönsten Battiste.
Cultur der Urtica nivea
.Kaiserliche Abhandlung über die chinesische Landwirthschaft LXXVIII. Lief. S.
3. Um diese Pflanze im dritten oder vierten Monat zu säen, wählt man
vorzugsweise ein sandiges und leichtes Erdreich. Man säet sie in einem Garten; in
Ermangelung eines solchen kann man auch ein an einem Fluß oder in der Nähe eines
Brunnens gelegenes Erdreich benutzen. Man grabt die Erde ein- oder zweimal
um, macht 1 Fuß breite und 4 Fuß lange Beete und grabt dann noch einmal um. Man
tritt die Erde mit dem Fuß, oder schlägt sie mit dem Rücken der Schaufel
oberflächlich nieder, und recht sie, wenn sie etwas fest ist, eben. Die Nacht darauf
begießt man die Beete, macht am andern Tag mittelst eines Rechens mit kleinen Zähnen
die Erde wieder etwas locker, und ebnet sie abermals.
Nun nimmt man 1/2 Ching (260 Centiliter) feuchter Erde und 1 Ho (52 Centiliter)
Samenkörner und mengt sie unter einander. Mit einem Ho Samen können 6–7 Beete
angesäet werden. Nach dem Säen brauchen die Samen nicht mit Erde bedeckt zu werden;
sie würden, wenn dieß geschähe, gar nicht keimen.
Man nimmt vier unten zugespitzte Stöcke und steckt sie in die Erde, und zwar zwei auf
der einen, zwei auf der andern Seite des Beetes; diese dienen, um ein kleines
2–3 Fuß hohes Dach darauf zu legen, welches mit einer dünnen Matte bedeckt
wird.
Im sechsten oder siebenten Monat, wenn die Sonnenhitze heftig wird, überdeckt man
diese leichte Matte mit einer Strohdecke. Im Unterlassungsfall würden die
Pflanzenkeime durch die Hitze zerstört werden.
Vor dem Keimen oder wenn die ersten Keime erst zu erscheinen beginnen, darf nicht
begossen werden. Man befeuchtet das Mattendach nur mittelst eines in Wasser
getauchten Besens, um die von ihm bedeckte Erde feucht zu erhalten. Jede Nacht
werden die Matten entfernt, damit die jungen Triebe den Thau aufnehmen können.
Sobald sich die ersten Keime zeigen, muß jedes Unkraut, welches man gewahr wird,
sogleich ausgerissen werden. Wenn die Pflanze einmal 2 bis 3 Finger hoch ist, ist
das Dach nicht mehr nöthig. Ist die Erde etwas trocken, so wird sie drei Zoll tief
leicht begossen.
Man legt nun in einem etwas schweren Boden neue Beete an, um die jungen Pflanzen
darein zu versetzen. Die Nacht darauf begießt man die ersten Beete, worin sich noch
die jungen Pflänzchen befinden; am andern Morgen begießt man die zu deren Aufnahme
bestimmten neuen Beete. Sie werden mit der Schaufel herausgenommen, wobei man an
jedem Stock eine kleine Erdscholle läßt, und in Abständen von 4 Zoll von einander
versetzt. Man behackt fleißig.
Nach drei bis fünf Tagen begießt man einmal; dann nach zehn Tagen, nach 15 und 20
Tagen wieder.
Nach dem zehnten Monat bedeckt man sie einen Fuß hoch mit frischem Ochsen-,
Esel- oder Pferdemist.
Weitere Bemerkungen.Aus dem allgemeinen Lehrbuch der Ackerbaues, betitelt:
Nong-tching-tsiouen-chou. Wenn man die Urtica nivea das erstemal anbaut,
bedient man sich dazu des Samens. Hat man einmal Pflanzen aus dem Samen, so geben
die alten Wurzeln von selbst wieder neue Schößlinge. Nach einigen Jahren
durchkreuzen und verschlingen sich die Wurzeln, und die Stengel müssen getrennt und
frisch eingesetzt werden.
Heutzutage pflegt man in den Landschaften An-king und Kien-ning Stücke
von den Wurzeln abzutrennen und sie einzusetzen. Wer sich keinen Samen verschaffen
konnte, ahmt das Verfahren nach, dessen man sich bedient um aus Absenkern
hervorgegangene Pflanzungen zu erhalten.
Wo die Wurzel aber nicht zu haben ist und man sie auch nicht wohl weither kommen
lassen kann, muß man zum Samen seine Zuflucht nehmen.
Sobald die jungen Setzlinge ein paar Zoll hoch sind, begießt man sie mit Wasser,
welchem etwas Mistjauche zugesetzt ist. Wenn man die Stengel abgeschnitten hat, muß
sogleich begossen werden, was aber bei Nacht oder trübem Wetter zu geschehen hat;
würde man es beim Sonnenschein thun, so würde die Pflanze brandig werden.
Schweinemist wende man ja nicht an.
Die Urtica nivea kann jeden Monat eingesetzt werden, es
muß dieß aber in feuchtem Erdreich geschehen.
Versetzung und Vermehrung der Urtica
nivea
.Kaiserliche Abhandlung über die Landwirthschaft, LXXVIII. Lief. S. 5. Wenn die Büsche recht dicht herangewachsen sind, gräbt man ringsherum die
Erbe aus und trennt die neuen Stöcke ab, welche man anderswohin versetzt. Der
Hauptstock wächst dann um so kräftiger fort. Da die alten Stöcke nach vier bis fünf
Jahren sehr dicht bewachsen sind, so zertheilt man sie und versetzt sie in andere
Beete.
Einige biegen nur lange Stengel nieder und erhalten so auf gewöhnliche Weise
Absenker.
Ist ein Beet zu stark besetzt, so macht man ein neues, welchem bald mehrere neue
nachfolgen. Auf diese Weise vermehrt sich die Pflanzung ins Unendliche.
Man wählt sogleich ein im Herbst wohl umgearbeitetes, fettes Erdreich aus und gibt
ihm feinen Dünger. Im darauffolgenden Frühjahr versetzt man. Die beste Zeit dazu ist
diejenige, wo die Vegetation beginnt; nach dieser ist die beste diejenige wo die
neuen Triebe zum Vorschein kommen; die dritte, das heißt mindest zweckmäßige Zeit
ist diejenige wo die Stengel schon groß sind.
Man setzt die neuen Pflanzen in Abständen von 1 1/2 Fuß und begießt sie, nachdem man
sie mit Erde gut umgeben hat.
Im Sommer und Herbst muß man die Zeit benutzen, wo die Erde eben vom Regen befeuchtet
wurde. Man kann die Setzlinge auch auf naheliegende Stellen versetzen; es muß aber
um jeden Stock herum eine Scholle Erde gelassen werden.
Ueber denselben Gegenstand. Behufs der Vermehrung der
Pflanzen trennt man mittelst eines Messers Wurzeltheile von drei bis vier Fingern
Länge ab und legt sie zu zweien oder dreien in 1 1/2 Fuß von einander entfernte
Gruben. Man umgibt sie mit guter Erde und begießt sie; nach drei bis fünf Tagen
wiederholt man letzteres. Wenn die neuen Stengel eine gewisse Höhe erreicht haben,
wird fleißig behackt.
Wenn der Boden trocken ist, begießt man. Sollen diese Setzlinge in die Ferne
verschickt werden, so muß die Wurzel ihre erste Erde behalten und in Schilfblättern
eingewickelt werden. Ferner umhüllt man sie mit einer Matte, um sie gegen Luft und
Licht zu schützen. Dann kann man sie in einer Entfernung von mehreren Hunderten Li
(Zehnmeilenlängen) ohne allen Anstand versetzen.
Das erste Jahr, wenn die Pflanze einen Fuß hoch geworden ist, macht man eine Ernte;
das zweite Jahr wieder; die Fasern der abgeschnittenen Stengel lassen sich gut
verspinnen.
Jedes Jahr im zehnten Monat, ehe man die über die Wurzel hinausgehenden Schößlinge
abschneidet, bedeckt man die Erde mit einer dicken Lage Ochsen- oder
Pferdemist. Im zweiten Monat entfernt man den Dünger mittelst des Rechens, damit die
neuen Individuen ungehindert herauskommen können. Nach Verlauf von drei Jahren sind die Wurzeln
außerordentlich dicht bewachsen; würde man nicht einen Theil der, dicke Büsche
bildenden Setzlinge versetzen, so würden sie einander ersticken.
Ernte. Es lassen sich jedesmal drei Ernten machen. Zur
Zeit wo man die Stengel abschneidet, müssen die dem Wurzelstock entspringenden
kleinen Schößlinge ungefähr einen halben Zoll groß seyn. Sobald die großen Stengel
abgeschnitten sind, wachsen die Schößlinge kräftiger nach und geben bald eine zweite
Ernte. Wären die jungen Triebe schon zu hoch, so dürfte man die großen Stengel nicht
abschneiden; aber die Schößlinge könnten dann auch nicht fortschlagen und würden die
Entwickelung dieser großen Stengel beeinträchtigen.
Kurz vor Anfang des fünften Monats geht man an die erste Ernte; die zweite macht man
in der Mitte des sechsten, oder am Anfange des siebenten Monats; die dritte endlich
in der Mitte des achten oder am Anfang des neunten Monats. Die Stengel der zweiten
Ernte wachsen rascher als die andern; sie sind auch von viel besserer Qualität.
Nach der Ernte werden die Stöcke mit Dünger bedeckt und sogleich begossen; man hüte
sich wohl beim Sonnenschein zu begießen.
Brechen der Faser der Urtica nivea
. Nach beendigter Ernte der Stengel nimmt man ein (Bambus- oder auch ein
eisernes) Messer, und spaltet sie von dem einen Ende an. Zuerst wird die Rinde
entfernt, dann schabt man die innere weiße, mit einem faltigen Häutchen, welches
sich selbst ablöst, umgebene Schichte weg. So gelangt man an die innern Fasern;
diese löst man los und erweicht sie in kochendem Wasser. Nimmt man das Brechen im
Winter vor, so legt man die Stengel vorher in lauwarmes Wasser, wo sie sich dann
leichter spalten.
Die erste Schichte der Urtica nivea ist grob und hart und
taugt nur zu ordinärem Zeug; die zweite ist etwas geschmeidiger und feiner; die
geschätzteste ist die dritte Schicht, welche zur Fabrication eines außerordentlich
feinen und leichten Zeuges dient.
Rösten und Bleichen der Urtica
nivea
. Man vereinigt die Stengel zu kleinen Bünden, welche man auf das Dach des
Hauses legt, damit sie vom Thau der Nacht befeuchtet und dann wieder durch die
Sonnenhitze getrocknet werden. In fünf bis sieben Tagen werden sie von selbst
vollkommen weiß. Ist das Wetter trübe oder regnerisch, so bringt man sie an einen
bedeckten, dem Luftzug ausgesetzten Ort zum Trocknen; sonst würden sie, wenn sie vom Regen naß
wären, augenblicklich schwarz werden.
Ein anderer Schriftsteller sagt: „Nach dem Brechen der Fasern bindet man
sie in Strähne zusammen, biegt diese rund und läßt sie eine Nacht hindurch auf
dem Boden eines mit Wasser gefüllten Behälters liegen; hierauf spinnt man sie
auf dem Rad. Nachdem dieß geschehen, legt man sie noch in eine schwache Lauge
von Maulbeerholzasche.
Wenn man sie aus dem Gefäße genommen, theilt man sie in Pakete von 10 Loth ab,
nimmt alsdann für jedes Paket eine Tasse reines Wasser, welches man mit seinem
gleichen Gewicht gepulverten Kalks vermischt und läßt sie eine Nacht über in
einem Gefäße in dieser Mischung liegen.
Am andern Tag befreit man sie vom Kalk und kocht sie in einer Lauge von
Weizenstrohasche, wodurch sie weich und geschmeidig werden. Nachdem sie an der
Sonne wohl getrocknet wurden, läßt man sie noch einmal in reinem Wasser kochen;
nun schweift man sie noch einmal in Wasser, um ihre Reinigung zu vollenden und
dann trocknet man sie an der Sonne.
Hierauf werden ihre Enden am Rade zusammengesponnen um langes Garn zu erhalten,
welches man zu Zeugen verwebt.“
Ein anderer Schriftsteller sagt: „Nachdem die Fäden gesponnen sind, kocht
man das Garn in Kalkwasser und wenn es erkaltet ist, wäscht man es in reinem
Wasser sorgfältig aus. Hierauf breitet man es auf einem an der Oberfläche des
Wassers befindlichen Bambusgitter in gleichen Schichten aus, so daß es zur
Hälfte von unten her befeuchtet wird, und zur andern Hälfte oben trocken bleibt.
Vor einbrechender Nacht nimmt man es weg, läßt es austropfen und trocknen; an
den anderen Tagen fährt man so fort, bis das Garn vollkommen weiß ist. Erst dann
soll es verwoben werden. Einige verarbeiten jedoch die Faser erst nach dem
gewöhnlichen Rösten zu Garn.
Andere setzen die rohen Fasern über Nacht dem Thau, und am Tage den
Sonnenstrahlen aus; verspinnen sie einige Tage darauf und bleichen erst den
gewobenen Zeug.
Wieder andere schneiden, wie diejenigen welche die Pflanze Ko verarbeiten, die Stengel ab, verweben die Fasern, nachdem sie sie
durch den Dampf siedenden Wassers erweicht haben und bleichen sie gar nicht
mehr. Solche Fasern liefern ein geschmeidigeres und kernigeres Tuch.“
Einsammeln der besten Samen der Urtica
nivea
. Wenn man solche behufs der Saat einsammeln will, so gebe man jenen, welche
von den ersten Trieben herstammen, den Vorzug. Im neunten Monat (nach der
Choang-kiang-Zeit), am 2ten October, sammelt man den Samen und läßt
ihn auf dem Boden trocknen; vermengt ihn dann mit einer gleichen Menge feuchten
Sandes und gibt ihn in einen Bambuskorb, den man sorgfältig mit Stroh bedeckt. Es
ist dieß sehr nothwendig, denn wenn der Same gefröre, würde er nicht mehr keimen.
Der Same des zweiten und dritten Triebs taugt nicht zur Saat. Zur Zeit der Saat
macht man die Wasserprobe mit den Samen und wendet die darin zu Boden sinkenden an;
die obenauf schwimmenden sind untauglich.
Man säetDasselbe Werk, S. 4. vor der ersten Hälfte des ersten Monats ein. Die besten Samen sind die
schwarz gesprenkelten. Nach dem Einsäen bedeckt man sie mit Asche. Dicht gesäet,
kommen die Pflanzen schwach und dünn; säet man hingegen dünn, so kommen sie kräftig.
Sobald die Blätter zum Vorschein kommen, begießt man mit flüssigem Dünger. Im
siebenten Monat sammelt man die Samen, bringt sie in ein Hanftuch und hängt sie in
freier Luft auf, was die Keimung befördert und beschleunigt.