Titel: | Ueber die Zuckerindustrie; von Hrn. Barreswil. |
Fundstelle: | Band 117, Jahrgang 1850, Nr. LIX., S. 273 |
Download: | XML |
LIX.
Ueber die Zuckerindustrie; von Hrn. Barreswil.
Aus dem Journal de Pharmacie, Mai 1850, S.
351.
Barreswil, über die Zuckerindustrie.
Aus dem Zuckerrohr und der Runkelrübe die größtmögliche Menge Zucker von schönster
Qualität und dem besten Geschmack zu erzeugen, das ist jetzt eine Hauptaufgabe, die
Tagesfrage. Jeder bemüht sich zur Lösung derselben beizutragen, sey es durch ein
neues Verfahren oder durch die Verbesserung der schon bekannten. Ich beabsichtige
alle diese Verfahrungsarten der Reihe nach zu prüfen.
Das Zuckerrohr und die Runkelrübe enthalten einen zuckerhaltigen Saft; um denselben
abzuscheiden, wird ersteres zerquetscht, letztere zerrieben und die so zerkleinerte
Masse so gut als möglich ausgepreßt. Dennoch bleibt ein Theil des Zuckers in dem
Zuckerstroh (der Bagasse) und in dem ausgepreßten Rübenbrei zurück; letzterer dient
als Viehfutter, ersteres als Brennmaterial. Es ist noch unentschieden, ob es einen
Vortheil gewähren würde allen Zucker auszuziehen, bei dem Zuckerrohr durch besseres
Zerkleinern desselben und bei dem Rübenbrei durch das Auswaschen.
Der Zuckersaft ist keineswegs eine einfache Lösung von Zucker in Wasser; er hat eine
complicirte Zusammensetzung, aber der Zucker ist der vorherrschende Bestandtheil.
Wie jeder andere Saft enthält derselbe organische stickstoffhaltige, allen Thieren
und Pflanzen gemeinsame Stoffe, welche als Fermente die größten Feinde des Zuckers
sind, da sie denselben schnell in je nach den Umständen verschiedene Producte
(Alkohol, Milchsäure, Buttersäure etc.) verwandeln und sich überdieß entweder von
selbst oder durch die gemeinschaftliche Einwirkung der Luft und des Eisens der
angewendeten Gefäße färben, eben so wie dieß mit einem Apfel der Fall ist, den man
mit einem Messer durchschnitten hat. Zuerst handelt es sich also darum, den Zucker
vor der zerstörenden Einwirkung dieser Fermente zu schützen.
Mege (polytechn. Journal Bd. CXV S. 215) erinnert an die Methode von
Achard; er empfiehlt die Anwendung von Schwefelsäure,
die allerdings einen klaren und farblosen Saft gibt, aber vielleicht den Zucker
verändert.
Melsens (polytechn. Journal Bd. CXIV S. 375)
empfiehlt, die Idee von Proust benutzend, die Anwendung
der schwefligen Säure, wodurch man jede Färbung des Saftes, jede Einwirkung des
Fermentes vermeidet, und sogleich Zucker in Broden erhalten kann, welcher nicht
raffinirt zu werden braucht. Das Verfahren der Zuckerfabrication könnte dadurch
vielleicht eben so einfach wie dasjenige bei der Salzgewinnung werden. Dieses System
hat sehr viel für sich. Wenn die Anwendung der schwefligen Säure ohne Gefahr für den
Zucker ist, so wäre damit eine sehr bedeutende Ersparniß verknüpft; würde der Zucker
aber angegriffen, so bliebe die Anwendung der schwefligen Säure auf diejenigen
Länder beschränkt, wo die Zuckerfabrication so weit zurück ist, daß ein
beträchtlicher Antheil des Zuckers nach dem gegenwärtigen Verfahren verloren geht
und man es schon für einen großen Vortheil hält, wenn man die Producte bei gleicher
Quantität von besserer Qualität und mit geringeren Kosten erzielt.
Nach dem jetzt allgemein in den Zuckerfabriken angewendeten Verfahren scheidet man
die Fermente mittelst Kalk aus, welcher dieselben coagulirt und niederschlägt.
Dieses Mittel ist eines der besten, weil der Kalk wohlfeil zu haben ist und
ausgezeichnete Resultate gibt; es hat aber den Nachtheil, daß sich Kalk im Zucker
auflöst. Da man nun stets etwas zu viel Kalk zusetzen muß, um sicher zu seyn genug
zugesetzt zu haben, so löst sein Ueberschuß einen Theil der Fermente wieder auf und
das Remedium wirkt als Gift. Der Zucker färbt sich und der Syrup wird schleimig.
Die meisten Fabrikanten setzen so wenig als möglich Kalk zu und rechnen auf die
Wirkung der Knochenkohle, um den geringen Ueberschuß desselben aufzunehmen. Einige
wenden eine größere Menge Kalk an und neutralisiren den Ueberschuß durch
schwefelsaure Thonerde, durch schwefelsaures Zinkoxyd, durch sauren phosphorsauren
Kalk, oder durch unlösliche Substanzen, wie durch Stearinsäure, Kieselsäure,
Pektinsäure, Huminsäure etc.
Kuhlmann (polytechn. Journal Bd. CXVI S. 61)
wendet die Kohlensäure an, wobei er ein größeres Verhältniß von Kalk nicht zu
fürchten hat.
Rousseau (polytechn. Journal Bd. CXVI S. 297)
sättigt die zuckerhaltige Substanz vollkommen mit Kalk, so daß derselbe sich nicht
nur mit den zu fällenden Substanzen, sondern auch mit der Gesammtmenge des Zuckers
verbindet, und er scheidet dann wie Kuhlmann den
überschüssigen Kalk durch Kohlensäure aus.
Welches Verfahren man auch angewendet habe, so ist der Zucker mehr oder weniger von
seinen Fermenten befreit; die Knochenkohle dient dazu, die Reinigung zu vollenden.
Die Flüssigkeit wird so weit abgedampft, daß der Zucker herauskrystallisiren kann;
beim Erkalten scheidet sich der Zucker in Krystallen aus, welche mit einem um so
klebrigeren und gefärbteren Syrup imprägnirt sind, je weniger der angewendete Saft
gereinigt war. Dieses Gemenge von Krystallen und Syrup wird in Formen sich selbst
überlassen, in welchen die Krystalle durch Abtropfen von der Melasse getrennt
werden. Die Trennung des Zuckers von der Melasse kann auch in
Centrifugal-TrockenmaschinenBeschrieben im polytechn. Journal Bd. CXVI S. 382 und 384.
geschehen, welche aus zwei in einem Kasten eingeschlossenen und an den
entgegengesetzten Seiten einer horizontalen Achse befestigten Körben von
Metallgeflecht bestehen. Wird in diese Körbe das Gemenge von Zucker und Melasse
gebracht und die Achse vermittelst einer durch Räderwerk mit derselben verbundenen
Kurbel rasch umgedreht, so werden Krystalle und Melasse gegen die Wände der Körbe
geschleudert; der Syrup geht durch die Maschen des Geflechts, während der Zucker in
den Körben zurückbleibt. Das erstere Verfahren ist langwierig und erheischt mehrere
Wochen Zeit, das zweite ist in einigen Minuten beendigt. Welchem dieser beiden
Verfahren der Vorzug gebührt, darüber sind die Ansichten getheilt.
Nach diesen Verfahrungsarten sucht man so viel als möglich krystallisirbaren Zucker
zu erhalten; endlich bleibt als Rückstand eine klebrige Flüssigkeit, welche nach
mehrmonatlichem ruhigem Stehen einige Krystalle liefert und dann wegen der darin
enthaltenen fremdartigen Körper zu krystallisiren aufhört; dieß ist die Melasse. In einigen Gegenden Frankreichs verwendet man
einen aus der Melasse des Zuckerrohrs bereiteten Syrup als Surrogat des Zuckers zu
allen Zwecken. Die Runkelrübenmelasse wird in Alkohol verwandelt und sie gibt
außerdem als letztes Product Kalisalze.
Dubrunfaut und Leplay (S. 136
in diesem Bande des polytechn. Journals) haben ein Verfahren angegeben, um aus der
Melasse den krystallisirbaren Zucker zu fällen, so daß als Rückstand (zur
Destillation) ein Product bleibt, welches gar keinen krystallisirbaren Zucker mehr
enthält. Sie behandeln die Melasse mit Schwefelbaryum oder Barythydrat, wobei ein
Niederschlag entsteht, welcher eine besonders in heißem Wasser wenig auflösliche
Verbindung von Zucker mit Baryt ist; dieser Niederschlag wird ausgewaschen und dann
der Zucker vom Baryt durch eine Säure (Schwefelsäure oder Kohlensäure)
abgeschieden.
Die nach diesen verschiedenen Verfahren dargestellten Zuckerarten sind mehr oder
weniger unrein und müssen daher raffinirt werden.
Scoffern reinigt dieselben mittelst
basisch-essigsauren Bleioxyds, welches den Zucker nicht niederschlägt, wohl
aber die organischen Substanzen, welche sich der Krystallisation des Zuckers
widersetzen. Die Bleiverbindungen sind aber giftig und um so gefährlicher, weil sie
süß schmecken und ihre Gegenwart also nicht durch den Geschmack angezeigt wird. Scoffern scheidet sie vollständig ab, wenigstens
versichert er dieß und die ersten englischen Chemiker bezeugen es; dieß geschieht
mittelst schwefliger Säure. Es kann seyn, daß bei Scoffern's Verfahren etwas Zucker zerstört wird; soviel steht aber fest,
daß nach demselben die schönsten Producte aus Zuckerarten
erhalten werden, aus welchen man bisher nur geringere Qualitäten gewinnen
konnte.
Alle diese Verfahrungsarten haben ihre Wichtigkeit und verdienen in gleichem Grade
die Beachtung der Fabrikanten. Ich behalte mir vor, sie nach einander zu analysiren
und das Ergebniß der Prüfung seiner Zeit mitzutheilen. Einige sind bereits mit dem
besten Erfolg im Großen angewandt, andere jedoch unbedingt verworfen worden. Ueber
den Werth dieser Methoden können natürlich nur Erfahrung und Thatsachen
entscheiden.