Titel: | Beschreibung eines Verfahrens zur Gewinnung des Jods im Großen aus einigen Seegräsern (Seetangen); von Dr. Georg Kemp. |
Fundstelle: | Band 117, Jahrgang 1850, Nr. LXXXVII., S. 430 |
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LXXXVII.
Beschreibung eines Verfahrens zur Gewinnung des
Jods im Großen aus einigen Seegräsern (Seetangen); von Dr. Georg Kemp.
Aus der Chemical Gazette, 1850, Nr.
185.
Kemp's Verfahren zur Gewinnung des Jods aus Seegräsern im
Großen.
Ich theile im Folgenden die Resultate der Versuche mit, welche über diesen Gegenstand
auf der Insel Man während der Jahre 1847, 1848 und 1849 angestellt wurden. Für
unsern Zweck können wir die Seegräser in zwei allgemeine Classen eintheilen, solche
welche mehr gegen die Oberfläche, und solche die tief im Wasser wachsen; erstere
umfassen solche Gewächse, welche zwischen den Niveaux der Fluth und Ebbe wachsen,
und letztere solche welche nur oder doch hauptsächlich 3–4 Faden tief unter
dem Niveau der Ebbe gefunden werden. Als Beispiele der ersten Abtheilung führen wir
an: Fucus vesiculosus, F. serratus, F nodosus und Halydrys siliquosa, während die Laminaria digitata, L. saccharina und L.
bulbosa die zweite Abtheilung charakterisiren und in der That das
Hauptmaterial für nachstehende Untersuchungen lieferten. Die Natur scheint diese
Seeproducte geschaffen zu haben, um als Lagerstätten zu dienen, in welchen sich
gewisse für die Vegetation nothwendige, anorganische Körper ansammeln, die sonst für
den Menschen bald unerreichbar würden. So sehen wir auf der Insel Man die
auflöslicheren Bestandtheile des Granits, Feldspaths, Thonschiefers etc., welche
durch Abreibung und Auflösung bald in das Meer geführt werden, mittelst der
Seegewächse dem Landwirth von neuem dargeboten, und zwar in einem für die
Assimilirung durch die Pflanzenorgane sehr geeigneten Zustande; ohne diese weise
Vorsehung der Natur wäre der Landwirth hinsichtlich der alkalischen Salze
hauptsächlich auf harte Felsmassen angewiesen, deren mechanischer Zustand dem
Absorptionsproceß natürlich ein fast unübersteigliches Hinderniß entgegensetzen
würde.
Als allgemeines analytisches Resultat stellt sich heraus, daß die in den Fucusarten
vorwaltende metallische Basis das Natrium ist, in Verbindung mit Schwefel, Chlor und
kleinen Mengen von Jod und Brom; während die in der Laminarien-Region
vorkommenden Pflanzen sich durch vorwaltenden Kaligehalt auszeichnen, mit einem
größern Verhältniß von Jod, als jene Species, daher sie für den Fabrikanten von größerer Wichtigkeit
sind.Prof. Thomson bemerkt auf die Autorität Gaultier de Claubry's, daß der Fucus serratus mehr Jod enthalte als der F. digitatus oder vesiculatus. Meine Erfahrung ist das gerade Gegentheil, wobei ich
annehme daß F digitatus identisch ist mit dem
was jetzt Laminaria digitata genannt
wird. Am Anfang meiner Untersuchung verschaffte ich mir von den
Wald- und Forstbeamten die Erlaubniß, das Seegras von den Felsen abschneiden
zu dürfen, um zuvörderst vergleichende Versuche über die Periode des Wachsthums
anzustellen, in welcher diese Seegewächse die größte Menge Jod enthalten. Ich
überzeugte mich jedoch bald, daß in den frühern Perioden des Wachsthums das Jod fast
ganz fehlt, daß es in den spätern zunimmt, und das Maximum erreicht, wenn die Gräser
den Herbststürmen unterliegen und an den Strand getrieben werden, wodurch das
kostspielige und gefährliche Sammeln derselben auf den Felsen überflüssig wird. Als
Hauptpunkt steht also fest, daß die ergiebigste Jodquelle das
Laminarien-Geschlecht ist, und zwar zur Zeit wo sie ihre jährliche
Lebens-Verrichtungen durchgemacht haben.
Ich werde nun zeigen, daß das gegenwärtige Verfahren das Jod aus der Asche der
Pflanzen zu gewinnen, welches ich das Kelpverfahren nenne, zu unserem Zweck nicht
anwendbar ist. Alle Seegräser enthalten eine sehr große Menge Seewasser; in den
kleinen Species der oberen Wasserschicht kann dasselbe ohne Schwierigkeiten, indem
man sie im Sommer dem Wind und der Sonne aussetzt, entfernt werden; bei den andern
Species hingegen tritt, selbst unter den günstigsten Umständen, schon bevor die
Pflanze in den ihrer Verbrennung günstigen Zustand gebracht werden kann, Zersetzung
ein; das Kelpverfahren paßt daher nur für Species welche weing Jod enthalten, und
für eine Zeit wo die andern Species ihre Reife noch nicht erreicht haben. Dazu kommt
noch, daß man die Temperatur bei der Kelpbereitung nicht so genau controliren kann,
daß die flüchtigern Iodverbindungen nicht auf mechanische Weise verloren gingen,
weil dabei ein sehr lebhafter Strom heißer Luft entsteht. Ueberdieß ist in dicht
bevölkerten Districten die Gewinnung von Kelp mit starkem Iodgehalt nicht wohl
möglich, denn der beim Verbrennen des Seegrases (besonders der Laminaria digitata) entstehende Rauch ist höchst lästig
und würde die Unternehmer in beständige Processe verwickeln. Diese Uebelstände
veranlaßten mich nach einem Verfahren zu forschen, wodurch sie vermieden würden;
dazu mußte ich ermitteln, in welchem Theil der Pflanze das Jod in der größten Menge
enthalten ist und ob der Zweck nicht durch mechanische Mittel erreicht werden kann. Ich
beschränke mich im Folgenden auf das Verfahren mit der Laminaria digitata und L. saccharina,
hauptsächlich der erstern, weil sie nicht nur die meisten Schwierigkeiten darbot,
sondern auch in größerer Menge geliefert wurde.
Wenn man den Strunk der L. digitata quer durchschneidet,
so sieht man äußerlich eine dünne Rindenschicht zunächst einer Masse verdichteten
Zellgewebes und innerlich einen durchsichtigen markigen Mitteltheil, gewöhnlich von
elliptischer Form. Gießt man auf eine solche Schnittfläche sehr verdünnte Essigsäure
oder Salzsäure, bedeckt sie mit einer sehr dünnen Schicht Stärkekleister und setzt
sie vorsichtig der Einwirkung von Chlor an der Mündung einer Flasche aus, welche
eine Lösung dieses Gases enthält, so wird das Jod frei und durch seine Verbindung
mit Stärke erkennbar; man sieht es in Zellen zwischen den äußern Rinden und den
innern Marktheilen eingehüllt.
Diese Erscheinung berechtigte zu der Hoffnung, daß man bloß die Strünke der Pflanze
auszupressen braucht, um aus der gewonnenen Flüssigkeit, worin der größte Theil der
Iodsalze enthalten seyn muß, ohne weiteres das Jod isoliren zu können. Allein das
Zellgewebe zeigte sich so dicht, daß ein Stück desselben von der Größe nur eines
Kubikzolls unter dem Druck von zwanzig Centnern nur eine sehr kleine Menge
Flüssigkeit lieferte, obwohl Professor Forchhammer sie zu
75 Procent anschlägt, was noch viel weniger ist, als ich selbst zu verschiedenen
Zeiten gefunden habe. Ich war daher genöthigt, das Zellgewebe bestmöglich zu
zerreißen, was durch Reiben der Strünke auf einem gewöhnlichen Reibeisen geschah.
Der Erfolg war nun ganz befriedigend und das Jod durch die gewöhnlichen Processe
leicht zu gewinnen; nur mußte das Verfahren noch der Fabrication im Großen angepaßt
werden. Ich steckte daher an ein Rübenschneidmesser eine Scheibe von 6 Zoll
Durchmesser und verband diese mittelst eines Riemens mit einem Rad von fünf Fuß
Durchmesser, welches sich in der Minute 80mal umdrehte, so daß dem kleineren Rade
eine Geschwindigkeit von 800 Umdrehungen in der Minute mitgetheilt wurde; als ich
nun die Maschine mit den von Wurzeln und Endblättern befreiten Strünken füllte,
wurden dieselben sehr schnell in kleine Scheiben zerschnitten. Meine anfängliche
Absicht war, diese Scheiben noch durch eine andere Maschine in einen Brei zu
verwandeln, also das Zellengewebe gänzlich zu zerreißen und dann die Flüssigkeit
auszupressen, um sie auf Jod zu verarbeiten. Dieß war jedoch nicht nöthig, denn
nachdem die Scheiben etwa 12 Stunden lang in einem Haufen gelegen hatten, begann
eine Gährung mit Wärme-Entwickelung und andern Erscheinungen, welche die Masse ohne weiteres
Zuthun in einen Brei verwandelte, durch dessen Auspressung der Zweck vollkommen
erreicht war. Die in der Presse zurückbleibende saserige Masse enthält zwar noch
Jod; aber die ausgepreßte Masse ist bei niedriger Temperatur so leicht einzuäschern,
daß dieses Verfahren im Großen dem umständlicheren vorzuziehen ist.
Bei der Laminaria saccharina, welche im Herbst viel Jod
enthält, ist das Verfahren noch einfacher. Nachdem man dieselbe als Treibseegras
gesammelt hat,Bei Kronburg nächst Helsingör werden jährlich in den Monaten November und
December an 30,000 doppelte Pferd-Ladungen Seegras an den Strand
geworfen, welche, eine zu 500 Pfd. trockener Pflanzen gerechnet, 15
Millionen Pfund entsprechen.— Forchhammer,on
the metamorphosed Fucoid Schists in Scandinavia; Report of British
Association for 1844 p. 163.
braucht man es nur in Kufen zu werfen, welche am Boden mit einem Zapfen zum Ablassen
der Flüssigkeit versehen sind. Ein paar Stunden lang läuft nur Seewasser ab; nach
einer gewissen Zeit aber, je nach dem Quantum und der Temperatur, tritt wirkliche
Gährung ein; und man prüft die ablaufende Flüssigkeit von Zeit zu Zeit sorgfältig
auf Jod, um, sobald sich solches zeigt, den Zapfen zu schließen; während der
nächsten zwölf Stunden wird der Inhalt der Kufe dann und wann umgerührt. Nachdem
alles in eine teigartige Masse umgewandelt ist, in welcher man das zurückgebliebene
Zellgewebe mit der Hand leicht noch vollends zerbröckeln kann, braucht man bloß noch
eine hinlängliche Menge gebrannten Kalk zuzusetzen; in diesem Fall können beinahe
sämmtliche Iodsalze in aufgelöstem Zustande durch Auspressen gewonnen werden. An
Orten, wo der Kalk zu theuer ist, kann man das Einäscherungsverfahren anwenden.
Die nachfolgenden Arbeiten richten fich nach den Umständen. Bezweckt man bloß das Jod
zu gewinnen, so kann dieß auf verschiedene Weise geschehen; beabsichtigt man aber
auch die Kalisalze zu gewinnen, so muß zur Abdampfung und wiederholten
Krystallisationen geschritten werden; die Kosten des Brennstoffs kommen dabei
natürlich sehr in Betracht; als solcher läßt sich aber auch das nach dem Pressen
zurückbleibende Zellgewebe benutzen.
An den Strändern, wo dieselben Umstände obwalten wie bei den von mir vorzugsweise
erwähnten, gibt es viele Buchten, welche größtentheils zu den Pachthöfen ihrer
nächsten Umgebung gehören oder doch nur durch dieselben zugänglich sind; in
denselben sammeln sich nach jedem Sturm ungeheure Mengen Treibseegrases an, die meistentheils
verloren gehen, und in vielen andern Fällen auf beinahe unfahrbaren Straßen an das
Land geschafft werden müssen.
Nach Prof. Forchhammer reducirt sich die Tonne Seegras
durch das Trocknen auf 500 Pfund fester Substanz (und nach meiner Erfahrung
übersteigt diese Annahme die Wirklichkeit noch bedeutend), daher der Landwirth mit
jeder Tonne solchen Wracks, die er an das Land schafft,
1740 Pfd. Wasser transportirt, was rein verlorne Arbeit ist, da sein Zweck kein
anderer ist, als sein Erdreich mit Kali- und Natronsalzen zu versehen. Wenn
man aber nachfolgendes Verfahren einschlägt, so kann man nicht nur viel ersparen,
sondern auch auf vielen kleinern Pachthöfen durch Umsicht und Fleiß aus dem Seegras
allein einen bedeutenden Ertrag erzielen. Ehe ich dieses Verfahren beschreibe, muß
ich jedoch eine kleine Abschweifung machen.
Bekanntlich wird das Jod aus seinen Lösungen mittelst Stärkmehls mehr oder weniger
leicht niedergeschlagen; um daher ein wohlfeiles Verfahren zu ermitteln, durch
welches alles freie Jod aus seiner Auflösung gefällt werden kann, untersuchte ich
zuerst diesen Punkt näher, wobei ich fand, daß die Leichtigkeit, mit welcher die
Iodstärke niedergeschlagen wird, großentheils von der Größe der Stärkekügelchen
abhängt. Mag nun die das Kügelchen umgebende blasenartige Hülle der Körper seyn
welcher sich unmittelbar mit dem Jod verbindet, oder die Iodlösung in Folge der
Endosmose in das Bläschen dringen, so ist der praktische Erfolg in beiden Fällen
derselbe. Nun hat nach Raspail's Beobachtungen das
Körnchen der Hirsestärke einen Durchmesser von nur 1/10000 Zoll; das vom Weizen
hingegen einen von 1/500, und das der Kartoffel gar von 1/200 Zoll.
Die Kartoffelstärke, das wohlfeilste Stärkmehl, ist daher auch das zur Fällung
geeignetste. Wenn man eine Auflösung von neutralem essigsaurem Blei (Bleizucker) mit
Ammoniak versetzt, so erhält man bekanntlich das essigsaure Bleisalz mit dreifacher
Basis, P b O (C4H3O3) + 2 P b O; und wenn
man der Stärke eine Auflösung dieses Salzes zusetzt, so erhält man eine unlösliche
Verbindung von Stärke mit Bleioxyd, mittelst deren man in wenigen Secunden jedes
Quantum Jod aus einer Auflösung fällen kann; bei der Dichtigkeit des Niederschlags
läßt sich die überstehende Flüssigkeit leicht abgießen und der Niederschlag ohne
Verlust wiederholt auswaschen.
Man bereite die Kartoffelstärke wie gewöhnlich durch Zerreiben der Kartoffeln und
Schlämmen mit Wasser, welches man dann durch ein Sieb oder grobe Leinwand laufen läßt, um das
zerrissene Zellgewebe abzusondern; die trübe Flüssigkeit läßt man dann einige
Minuten ruhen und gießt hierauf die über dem Niederschlag stehende milchige
Flüssigkeit ab; der Rückstand wird wiederholt ausgewaschen und auf gleiche Weise
behandelt, bis der Niederschlag sich rasch absetzt und die Flüssigkeit sich in
wenigen Secunden klärt; auf diese Weise werden die kleinen Kügelchen entfernt.
Nachdem man vorher schon eine concentrirte Auflösung von essigsaurem Blei bereitet
und mit Aetzammoniak versetzt hatte, gießt man diese Flüssigkeit zu, und erhält
sogleich die beabsichtigte Iodverbindung, welche auf Flanell gesammelt, getrocknet
und aufbewahrt werden kann.
Ich komme jetzt auf das Verfahren zurück, welches ich für den Landwirth empfehle.
Aus dem in Haufen gesammelten Seegras läßt man das mechanisch zurückgehaltene
Seewasser abtropfen. Da hiezu einige Stunden erforderlich sind, so kann diese Zeit
von Weibern und Kindern benützt werden um die Stengel des Tangs (Laminaria digitata) von den Blättern und Wurzeln zu
putzen und für die Rübenschneidmaschine und die andern Operationen herzurichten.
Nachdem die Masse (wie oben beschrieben wurde) gegohren hat und ausgepreßt worden
ist, versetzt man die gewonnene Flüssigkeit mit käuflicher Salzsäure, bis sie
deutlich sauer reagirt, dann setzt man ihr eine Auflösung von Chlorkalk zu, um das
Jod auszuscheiden, wobei man sich hüten muß einen Ueberschuß zuzusetzen. Einige
Uebung reicht hin, um das richtige Verhältniß von Chlorkalk zu treffen, weil die
braune Farbe der Flüssigkeit bis zu einem gewissen Punkte zunimmt, und nachdem
dieser erreicht ist, der kleinste Zusatz von Chlorkalk genügt um die Intensität
ihrer Farbe zu vermindern.
Das so frei gemachte Jod wird nun mittelst in Wasser zerrührter Stärke
niedergeschlagen, von der man so lange zusetzt, bis sie durch das Jod nicht mehr
blau gefärbt wird. Man hat nun bloß noch die Flüssigkeit abzugießen und den
Rückstand zu sammeln, welcher, sobald er trocken ist, an den Iodfabrikanten
abgeliefert werden kann, der daraus das Iodkalium durch Zusatz von Schwefelkalium
etc. bereitet. Die an Kali-, Natron- und Talkerdesalzen reiche
Flüssigkeit ist ein werthvoller Zusatz für die Düngergrube, oder kann über den
Compost im Hof gegossen werden, dessen Ammoniak dann durch ihren Ueberschuß an
Salzsäure firirt wird. Die Preßkuchen des Zellengewebes werden auf einer trocknen
Stelle aufgeschüttet und als Brennmaterial, zum Dämpfen der Rüben und dergl. verbraucht; die Asche,
welche sie liefern, bewahrt man auf, um sie gelegentlich auszulaugen und auch daraus
das Jod noch zu gewinnen.