Titel: | Verfahren zur Prüfung des käuflichen Cyankaliums, zur Bestimmung des Blausäuregehalts der medicinischen Blausäure etc.; von Justus v. Liebig. |
Fundstelle: | Band 119, Jahrgang 1851, Nr. XC., S. 438 |
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XC.
Verfahren zur Prüfung des käuflichen Cyankaliums,
zur Bestimmung des Blausäuregehalts der medicinischen Blausäure etc.; von Justus v.
Liebig.
Im Auszug aus den Annalen der Chemie und Pharmacie,
Jan. 1851, S. 102.
Liebig's Verfahren zur Prüfung des käuflichen Cyankaliums,
verbinnter Blausäure etc.
Wenn man eine blausäurehaltige Flüssigkeit mit einer Aetzkalilösung bis zur stark
alkalischen Reaction versetzt und eine verdünnte Lösung von salpetersaurem
Silberoxyd langsam zugießt, so entsteht ein Niederschlag, der bis zu einer gewissen
Gränze beim Umschütteln sogleich wieder verschwindet. Setzt man der Blausäure
Aetzkalilösung und einige Tropfen Kochsalzlösung zu und mischt sie sodann mit der
Silberlösung, so kann man wie zuvor ein gewisses Verhältniß der letzteren zusetzen,
ehe ein bleibender Niederschlag erscheint, der in diesem Falle weiß, nämlich
Chlorsilber ist.
Die mit Kali versetzte blausäurehaltige Flüssigkeit enthält Cyankalium, in welchem
Silberoxyd oder Chlorsilber bis zu dem Punkte löslich sind, wo sich die bekannte,
aus gleichen Aequivalenten Cyankalium und Cyansilber bestehende Doppelverbindung
gebildet hat, welche durch überschüssiges Alkali keine Zersetzung erfährt.
Wenn man demnach den Gehalt der Silberlösung an Silber kennt, und weiß wie viel man
davon dem Volum oder Gewicht nach einer alkali- und blausäurehaltigen
Flüssigkeit hat zusetzen müssen, bis zur Entstehung eines Niederschlags, so kennt
man damit den Cyan- oder Blausäuregehalt der Flüssigkeit; denn ein
Aequivalent des verbrauchten Silbers in der Silberlösung entspricht genau zwei
Aequivalenten Blausäure.
Die folgenden Versuche, welche von meinem Assistenten Hrn. Dr.
Fleitmann angestellt sind, dürften genügen, um einen
Anhaltspunkt zur Beurtheilung der Genauigkeit dieser Methode zu geben.
Es wurde zuvörderst in einer sehr verdünnten Blausäure der Gehalt direct durch
Fällung mit salpetersaurem Silberoxyd bestimmt; 100 Kubikcentimeter dieser Blausäure
lieferten 0,332 Gram. Cyansilber, entsprechend einem Gehalte von 0,067 Proc. an
Blausäure.
Zu derselben Blausäure wurden zur vollständigen Fällung von einer Silberlösung,
welche in 100 Kubikcent. ½ Gramm metallisches Silber enthielt, verbraucht
53,5 Kubikcentimeter.
100 Kubikcentimeter derselben Blausäure mit Kali und dann unter stetem Umschütteln
bis zur entstehenden Trübung mit derselben Silberlösung versetzt, bedurften 27
Kubikcentim. von dieser Lösung.
150 Kubikcentim. derselben Blausäure bedurften des Zusatzes von 40 Kubikcentim.
derselben Silberlösung.
Nach diesen Bersuchen enthielt die Flüssigkeit:
Textabbildung Bd. 119, S. 439
durch Titrirung in; durch directe
Bestimmung.; alkalischer; saurer Lösung.;Blausäure;
Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß das Verfahren zur Bestimmung des
Blausäuregehaltes in einer alkalischen Flüssigkeit mittelst einer titrirten
Silberlösung den besten Methoden, welche hierzu in Anwendung sind, an Sicherheit und
Zuverlässigkeit gleichsteht, während es diese in mehreren anderen Beziehungen,
namentlich an Schnelligkeit und leichter Ausführbarkeit, weit übertrifft.
Ein Gehalt der Blausäure an Ameisensäure oder Salzsäure, welche die Bestimmung des
Blausäuregehaltes mittelst einer titrirten Silberlösung ungenau machen, übt nämlich
nicht den geringsten Einfluß auf die Ermittelung desselben in der alkalischen
Flüssigkeit aus, und sie gewährt zuletzt den Vortheil, daß der Anfang des
Sichtbarwerdens der Reaction das Ende der Operation anzeigt, und sie hat darin einen
Vorzug vor ähnlichen Methoden, deren Beendigung auf das Aufhören einer Reaction
berechnet ist. Bei der Bestimmung in der alkalischen Flüssigkeit bleiben die beiden
Flüssigkeiten, welche gemischt wurden, klar; sobald die kleinste bleibende Trübung
sich zeigt, ist die Analyse fertig; um bis zu diesem Punkt zu kommen, sind eine oder
zwei Minuten ausreichend. Bei der directen Titrirung mit salpetersaurem Silberoxyd
entsteht ein Niederschlag, welcher die Flüssigkeit trüb macht; das Absetzen und
Klären der Flüssigkeit muß gegen Ende der Operation abgewartet werden, um die Gränze
wahrzunehmen, wo keine Fällung mehr eintritt; aus einer verdünnten Flüssigkeit
setzen sich aber die letzten Spuren Cyansilber weit schwieriger ab, als bei der
Chlorbestimmung, und dieses Verfahren ist gerade durch diesen Umstand unangenehm und
zeitraubend.
Für Pharmaceuten, welche keine genauen Maaßgefäße besitzen und darauf angewiesen sind
ihre Versuche mit einer gewöhnlichen guten Tarirwaage anzustellen, möchten folgende
Verhältnisse vortheilhaft seyn.
Es werden 63 Gran geschmolzenes salpetersaures Silberoxyd in 5937 Gran Wasser
aufgelöst und in dieser Weise 6000 Gran einer Flüssigkeit erhalten, von welcher 300 Gran einem Gran wasserfreier Blausäure entsprechen.
Man tarirt bei der Prüfung der medicinischen Blausäure das Gefäß der Silberlösung und
setzt von derselben einer abgewogenen, mit etwas Kalilauge und einigen Tropfen
Kochsalzlösung versetzten Portion Blausäure (z. B. 60 Gran, die man mit
drei-bis viermal soviel Wasser verdünnt, als ihr Volum beträgt) unter
beständiger Bewegung (in einem gewöhnlichen weißen Medicinglas) so lange zu, bis
eine sichtbare Trübung erscheint und diese beim Umschütteln nicht wieder
verschwindet. Man wiegt jetzt die Silberlösung zurück und erfährt durch den
Gewichtsverlust wie viel man verbraucht hat; angenommen, es seyen von der
Silberlösung 360 Gran verbraucht worden, so enthalten die 60 Gran der untersuchten
Blausäure 1,20 Gran wasserfreie Blausäure, oder 100 enthalten 2 Gran. Es ist nicht
leicht sich in dieser Prüfung um 1 bis 2 Gran der Silberlösung zu irren, aber wenn
auch dieß geschähe, so würde der Fehler doch nicht mehr als 1/100 bis 4/50 Gran
Blausäure betragen.
Die wässerige Blausäure wird so selten zu medicinischen Zwecken angewendet, daß eine
Probe für dieselbe kaum ein Bedürfniß ist, aber das destillirte Bittermandelwasser
und Kirschlorbeerwasser, beide blausäurehaltige Flüssigkeiten, sind täglich im
Gebrauch, und es ist für die medicinische Anwendung besonders werthvoll, den Gehalt
derselben an diesem wirksamen Bestandtheil unter Umständen mit Bestimmtheit zu
kennen. Die beschriebene Probe läßt sich für diesen Zweck mit gleichem Erfolg
benutzen.
Das Kirschlorbeerwasser ist in der Regel hell und durchsichtig, das
Bittermandelwasser hingegen meistens milchig, durch kleine Oeltröpfchen getrübt, und
es ist nothwendig, letzteres mit seinem drei-bis vierfachen Volum Wasser zu
versetzen um es hell zu machen, weil man sonst die Gränze der Reaction nicht scharf
wahrnehmen kann.
Eine Anzahl Proben mit Kirschlorbeerwasser und Bittermandelwasser aus einer hiesigen
Apotheke ergaben für erstere in 10,000 Theilen einen Theil, und für das andere in
derselben Menge 7½ Theile wasserfreie Blausäure. Man bemerkt leicht, daß in
Beziehung auf das Kirschlorbeerwasser diese Methode alle andern gewöhnlichen
analytischen Bestimmungsmethoden an Schärfe übertrifft, denn 1/10000 Baryt in einer
sauren Flüssigkeit wird durch Schwefelsäure zwar noch angezeigt, aber der vierte
Theil des schwefelsauren Baryts bleibt in Auflösung.
Das untersuchte Kirschlorbeerwasser enthält demnach in 1 Liter = 1000 Gram. Wasser, 1
Decigramm; das Bittermandelwasser in derselben Menge 7,5 Decigram. wasserfreie
Blausäure.
Das beschriebene Verfahren dient ferner zur Prüfung des käuflichen Cyankaliums und es
hat sich mit Hülfe desselben das unerwartete Resultat ergeben, daß das nach der von
mir beschriebenen Methode dargestellte einen verhältnißmäßig geringen Gehalt an
Cyankalium besitzt. Von zwei Proben in zwei verschiedenen Operationen dargestelltes
Cyankalium wurde in der einen 63,5 Proc., in der andern nur 59,99 Proc. Cyankalium
gefunden.