Titel: | Untersuchungen über die Ursachen, durch welche in den Pflanzen Elektricität entwickelt wird; von Hrn. Becquerel. |
Fundstelle: | Band 121, Jahrgang 1851, Nr. XCV., S. 388 |
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XCV.
Untersuchungen über die Ursachen, durch welche in
den Pflanzen Elektricität entwickelt wird; von Hrn. Becquerel.
Aus dem Journal de Pharmacie, März 1851, S.
212.
Becquerel, über die Entwickelnng von Elektricität in den
Pflanzen.
Der Verfasser hatte sich die Aufgabe gestellt, den Weg zu zeigen, auf welchem man zur
Entdeckung der physischen und chemischen Ursachen gelangen könne, die bei der
Erzeugung der elektro-physiologischen Erscheinungen thätig sind; er
veröffentlichte in den Annales de Chimie et de Physique
die Resultate seiner Versuche mit Pflanzen, welche, da ihre Constitution einfacher
ist als diejenige der Thiere, sich zu derartigen Untersuchungen besser eignen.
Von den organisirten Körpern, sagt er, sind diejenigen, welche dem Thierreich
angehören, aus knochigen, sehnigen, häutigen, fleischigen etc. Theilen zusammengesetzt, die
befeuchtet oder mit Flüssigkeiten erfüllt sind, durch welche sie mehr oder weniger
gute Leiter der Elektricität werden; diejenigen aus dem Pflanzenreich bestehen aus
Fasern, Gefäßen, Röhren, welche ebenfalls Flüssigkeiten enthalten, durch die sie zu
Leitern werden. Diese Flüssigkeiten spielen also in Folge des ihnen ausschließlich
angehörigen Leitvermögens die Hauptrolle bei Erzeugung der in den organischen
Körpern beobachteten elektrischen Wirkungen, selbst wenn die Lebenskraft hie und da
mit im Spiel ist. Diese Flüssigkeiten zu je zweien betrachtet, bringen bei ihrer
wechselseitigen Berührung in Folge der dabei entstehenden Reactionen nothwendig elektrische Wirkungen hervor, welche sowohl durch den
Condensator bemerklich werden, indem man die eine dieser Flüssigkeiten mit der Erde,
und die andere mit einer der Platten in Verbindung setzt, als auch durch den
Multiplicator, indem man die Kette mit zwei in diese Flüssigkeiten tauchenden
Platinblechen schließt.
Die chemischen Reactionen können auch ohne Dazwischenkunft von Platinblechen
elektrische Ströme hervorrufen, wenn die Flüssigkeiten und festen Theile in einer
gewissen Weise angeordnet sind. Wenn man nämlich eine Aetzkalilösung und
Salpetersäure, welche durch eine dünne Thonschicht getrennt sind, mittelst zweier
Platinbleche mit einander in Verbindung setzt, so macht die Säure die positive
Elektricität frei. Nimmt man statt der Bleche eine Uförmige Röhre von 1 Decimeter
Länge, welche mit feuchtem Thon gefüllt ist, der kalkfrei und so präparirt ist, daß
der Theil welcher in die Säure taucht, immer weniger sauer und der andere immer
weniger alkalisch ist, damit nur eine einzige chemische Reaction, da wo sich die
dünne Thonschicht befindet, statt hat, so hat man einen Apparat, mittelst dessen
man, wenn man die Röhre von einander bricht, um zwei Conductoren zu haben,
Zersetzungen bewirken kann.
Solche Anordnungen finden aber ohne Zweifel im Innern der organisirten Körper statt,
welche aus mehr oder weniger durchdringlichen festen Theilen bestehen, und aus
Flüssigkeiten, die sich im lebenden Organismus — wo die Kraft des Gewebes
hindernd entgegentritt — nur sehr schwer vermischen.
So erhielt Hr. Donné aus Thieren und Pflanzen Ströme,
indem er Flüssigkeiten von verschiedener Zusammensetzung in einem und demselben
Körper, welche auf die sie umgebenden Flüssigkeiten chemisch einwirken, mittelst
metallener Bleche oder Drähte mit einem Multiplicator in Verbindung setzte. Als er
ein Platinblech in den Mund brachte, der gewöhnlich alkalisch ist, und ein anderes
auf die Haut, welche eine Säure absondert, so wurde die Magnetnadel um 15 bis 20,
selbst 30 Grade abgelenkt; die Schleimhaut des Mundes lieferte dem Strom in Folge
ihrer alkalischen Beschaffenheit die negative Elektricität, und die Haut die
positive Elektricität.
Aehnliche Wirkungen traten ein bei Versuchen mit dem Magen und der Leber, und selbst
mit Früchten. Als er zwei Platinnadeln in verschiedene Früchte steckte, die eine auf
der Seite des Stiels, die andere auf derjenigen des Butzens (der Kelchnarbe), so
wurde die Magnetnadel je nach der Fruchtart um 15 bis 20 Grade abgelenkt. In den
Aepfeln und Birnen ging der Strom vom Stiel zum Butzen; in der Pfirsiche, Aprikose
und Pflaume in umgekehrtem Sinne.
Nachdem Hr. Becquerel seine Ansichten durch diese
Thatsachen unterstützt hat, untersucht er die elektrischen Wirkungen, welche bei der
Circulation des aufsteigenden Saftes und eines Rindensaftes entstehen, welcher
letztere nicht von gleicher Zusammensetzung mit ersterem und durch Gewebe von ihm
getrennt ist.
Ferner erörtert er den elektrischen Zustand der Erde in Beziehung zu demjenigen der
Pflanzen, und kommt endlich auf die Frage, ob es in den Pflanzen directe elektrische
Ströme gibt.
Seine interessanten Betrachtungen und zahlreichen Versuche führten ihn auf folgende
Schlüsse:
1) in den Stämmen der Gewächse werden mittelst Platinnadeln, wovon man die eine in
die Rinde, die andere in das Holz steckt, elektrische Ströme erzeugt, deren Richtung
vom Zellgewebe nach dem Mark geht;
2) ähnliche Ströme werden in der Rinde erzeugt, welche im Gegentheil vom Cambium nach
dem Zellgewebe gehen;
3) der Saft, oder die Flüssigkeit des Rindenzellgewebes, einige Augenblicke dem
Zutritt der Luft ausgesetzt, verändert sich derart, daß wenn man ihn neuerdings mit
dem Saft in Berührung bringt, welcher sich im grünen Theil des Rindenzellgewebes
befindet, er in Bezug auf letztern negativ wird;
4) durch Vermittelung der Wurzeln, des Marks und der anderen Theile des Stengels
werden terrestrische Nebenströme erzeugt;
5) die Richtung der terrestrischen Ströme zeigt, daß beim Vegetationsproceß die Erde
beständig einen Ueberschuß positiver Elektricität, das Zellgewebe der Rinde und der
Blätter aber einen Ueberschuß negativer Elektricität erhält, welcher durch das verdunstete Wasser
in die Luft übergeht;
6) die Vertheilung des aufsteigenden Safts und des Safts des Rindenzellgewebes macht
es wahrscheinlich, daß in den Pflanzen beständig Ströme in der Richtung von der
Rinde zum Mark circuliren;
7) die chemischen Processe sind, wie nicht zu bezweifeln, die ersten Ursachen der in
den Pflanzen beobachteten elektrischen Wirkungen; letztere sind sehr mannichfach und
wurden erst in wenigen Fällen beobachtet;
8) die einander entgegengesetzten elektrischen Zustände der Pflanzen und der Erde
machen es wahrscheinlich, daß sie in Folge der Kraft der Vegetation auf den
Continenten und den Inseln einen gewissen Einfluß auf die elektrischen Erscheinungen
der Atmosphäre ausüben müssen.