Titel: | Die Brückenwaage des Sectionsraths v. Steinheil in Wien. |
Fundstelle: | Band 122, Jahrgang 1851, Nr. LXX., S. 351 |
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LXX.
Die Brückenwaage des Sectionsraths v. Steinheil in
Wien.
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
Steinheil's Brückenwaage.
Der Sectionsrath v. Steinheil überreichte der Akademie der
Wissenschaften in Wien das Modell einer in der neuesten Zeit von ihm construirten
Brückenwaage nebst nachfolgender Beschreibung derselben.
Es lassen sich in der gewählten Construction Vortheile vereinigen, welche keine der
bisherigen bekannten Brückenwaagen besitzt. Bei der wichtigen Rolle, welche das
qualitative Merkmal der Gravitation in allen Lebensverhältnissen spielt, erscheint
eine Vereinfachung des Messungsmittels von praktischem Belang, weil oft nur des
Messungsmittels wegen weniger zuverlässige Merkmale als Maaß gewählt werden, und
daher die Möglichkeit gute Merkmale leicht anwenden zu können, willkommen seyn
muß.
Die Brückenwaage beruht, wie die Waage von Weber in
Göttingen, im Princip auf Anwendung von Federn oder Bändern etc. statt Schneiden.
Bei Waagen, welche für technische Zwecke jedoch bequem seyn sollen, ist es
erforderlich, daß die Waagschale in derselben Ebene bleibe, welches auch die Lage
des zu wägenden Körpers auf derselben sey.
Es ist ferner erforderlich, daß die Last ohne Auflegen oder Verstellen von Gewichten
direct angegeben werde. Zu diesen Anforderungen kommen noch die weitern, daß die
Waage unveränderlich und dauerhaft, zugleich aber wohlfeil herzustellen sey. Diesen
von der Technik gestellten Anforderungen entspricht die neue Brückenwaage.
An der Decke des Zimmers etc. seyen an Bändern zwei parallele Seitenwände aufgehängt.
(Fig. 4.)
Die Seitenwände tragen an ihren unteren Enden eine horizontale Brücke, ebenfalls an
Bändern aufgehängt. Da die oberen und unteren Anhängepunkte in zwei parallelen
Verticalebenen liegen, so ist klar, daß, welche Last auch auf die Brücke gebracht
werden mag, diese Ebenen doch stets vertical bleiben müssen, weil ihre Schwere in
die unteren Aufhängepunkte der Brücke verlegt ist. Aus demselben Grunde wird es aber
auch gleichgültig, welche Lage die Last auf der Brücke einnimmt.
Vermöge der Steifigkeit der Seitenwände wird dieses System nur in einer auf die
Seitenwände senkrechten Ebene schwingen können.
Befestigen wir nun in der Schwingungsebene ein constantes Gewicht an der Seitenwand
und zwar so, daß sein Schwerpunkt außerhalb der Aufhängepunkte liegt, so werden die
Seitenwände aus der Verticalebene weichen. Der Winkel der Ablenkung von der
Verticalen ist aber Function von Lage und Größe des constanten Gewichts und von dem
Gesammtgewicht der Waage. Seine Aenderungen dienen daher als Maaß der Unterschiede
der aufgelegten Lasten, und wenn die Scala empirisch mittelst Auflegen bekannter
Gewichte entworfen ist, ebenso zur Bestimmung des absoluten Gewichts irgend eines
Körpers.
Während das constante Gewicht die Ablenkung der Seitenwände bewirkt und dabei um ein
gewisses Maaß sinkt, wird die Brücke mit der aufgelegten Last um einen aliquoten
kleinen Theil dieses Maaßes gehoben. Hier verhalten sich bekannter Weise die Lasten
umgekehrt, wie die senkrechten Projectionen der Bewegungen des constanten Gewichts
und der Brücke. Hieraus ließe sich leicht ausrechnend die Scala der Gewichtsangaben
dieser Waage bestimmen oder auf ein gegebenes Maaß bringen, was sich nach den
Anforderungen an die Waage regeln läßt.
In sehr vielen Fällen kommt es nur darauf an, 1 Procent der Last zu kennen. Selbst
für zehnmal größere Genauigkeit reicht eine Theilung aus, an welcher das constante
Gewicht gleich den Zeiger bildet. Man kann aber, da die Waage absolut keinen todten
Gang besitzt und weder durch Nässe noch Temperaturänderung in ihren Angaben variirt,
durch Vermehrung der Genauigkeit der Ablesung selbst sehr große Genauigkeit in die
Gewichtsbestimmungen bringen. Für die meisten Fälle wird eine Theilung auf dem
Gegengewichte, wie bei dem vorgelegten Modelle, genügen. Es versteht sich übrigens
von selbst, daß die Theilung ebenso gut an dem Träger des Inder und letzterer an dem
Gegengewichte angebracht werden kann. Fig. 5. In manchen Fällen
wird es selbst noch bequemer seyn, die Theilung auf dem Fußboden, den Inder auf der
Brücke so anzubringen, daß sich der Index mit der Brücke längs der Theilung hin bewegt. Von der
Präcision wird es abhängen, welcher aliquote Theil der aufgelegten Last noch
abgelesen werden kann. Allein, wollte man einen Spiegel mit seiner Reflexionsebene
auf einer der Seitenwände befestigen, und sich des Gauß'schen Princips der Ablesung bedienen, so ließe sich jede in der Praxis
vorkommende Genauigkeit der Gewichtsbestimmung erzielen.
Jede Schneide einer Brückenwaage ist der Abnutzung durch den Gebrauch und in Nässe
dem Rosten ausgesetzt. Ein Band von Hanf oder Seide kann, ohne Aenderungen zu
erleiden, Jahre lang benutzt und dann fast ohne Kosten erneuert werden.
Alle Hebel der Brückenwaagen müssen von Eisen seyn. An dieser Waage ist keine einzige
Achse, keine Schneide, kein Metall als die Nägel oder Schrauben, mit welchen die
Bänder befestigt werden.
Die Brückenwaage kann nur durch einen Mechaniker, diese Waage aber von jedem Landmann
selbst angefertigt werden. Die Decimal- und Brückenwaage fordert bei jeder
Wägung das Auflegen und Addiren der Gewichte. Diese Waage zeigt sogleich und direct
die Last des gewogenen Gegenstandes an der Scala, was viel weniger Zeit fordert und
weniger Irrungen unterliegt.
Die Richtigkeit dieser Waage kann jeden Augenblick nachgewiesen werden durch Auflegen
von Gewichten, deren Zahl die Scala entsprechen muß. Die Prüfung einer Brückenwaage
kann nicht ebenso anschaulich für jedermann gemacht werden.
Diese Waage ist keinerlei Veränderungen durch den Gebrauch ausgesetzt. Es kommt
einzig und allein darauf an, daß die Abstände der oberen und unteren Aufhängepunkte
genau gleich und parallel seyen; aber dieß läßt sich sehr leicht ausführen, weil die
Brücke und die obere Decke mit einander stets in zweierlei Lagen abgehobelt
(zugestoßen) werden können und auf diese zugestoßenen Endflächen des Längenholzes
dann bloß die Bänder etc. aufgenagelt oder überhaupt befestigt werden. Selbst die
Temperaturänderungen und die verschiedenen hygroskopischen Zustände der Waage können
dieses Element und somit den richtigen Gang der Waage nicht ändern u.s.f. (Aus den
Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften,
mathematisch-naturwissenschaftliche Classe. Jahrg. 1850. S. 398.)