Titel: | Versuche über die Wirkungen der Ansteckungsstoffe, wenn sie in die Verdauungswege des Menschen und der Hausthiere gelangen; von Hrn. Renault, Director der Veterinärschule zu Alfort. |
Fundstelle: | Band 125, Jahrgang 1852, Nr. LVI., S. 227 |
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LVI.
Versuche über die Wirkungen der
Ansteckungsstoffe, wenn sie in die Verdauungswege des Menschen und der Hausthiere
gelangen; von Hrn. Renault, Director der Veterinärschule zu Alfort.
Aus dem Moniteur industriel 1851, Nr.
1608.
Renault, Versuche über die Wirkungen der Ansteckungsstoffe
etc.
Man ist heutzutage noch im Zweifel, ob die Gesundheit von Schweinen oder Hühnern,
welche zufällig oder eine Zeit lang Ueberreste (sogar gekochte) an ansteckenden
Krankheiten gefallener Thiere zu fressen bekamen, nicht leidet. Ferner weiß man noch
nicht, ob das Genießen des Fleisches von Schweinen oder Hühnern, welche mit dem
Fleische von Thieren, die mit ansteckenden Krankheiten behaftet waren, gefüttert
wurden, der Gesundheit des Menschen gefährlich sey. Endlich ist es noch
zweifelhafter, ob der Mensch durch den Genuß des Fleisches oder der Producte an
solchen Krankheiten gefallener oder in Folge derselben geschlachteter Thiere sich
nicht großer Gefahr aussetze. Kein Wunder also, daß die Behörden sich wohl besinnen,
ehe sie sich des einzigen Mittels einer wirksamen Aufsicht begeben, welches ihnen in
der Untersuchung der noch lebenden Thiere als Controle der guten Beschaffenheit des
Fleisches zu Gebote steht; denn wenn der Genuß des Fleisches der von Wuth, Brand,
Rotz etc. befallenen Thiere, dem Menschen wirklich diese Krankheiten oder wenigstens
schlimme Zufälle zuzöge, so wäre der freigegebene Fleischverkauf, ohne vorherige
Untersuchung des Fleisches und des zum Schlachten bestimmten Thieres, eine bleibende
Gefährdung des öffentlichen Wohles. Es ist nämlich gewiß, daß es kein physisches
Merkmal gibt, durch welches bei bloßer Besichtigung des zum Verkaufe hergerichteten
Fleisches erkannt werden könnte, ob dasselbe von Thieren herrührt die man
schlachtete nachdem sie von einer dieser Krankheiten befallen waren.
Seit dem Jahr 1828 beschäftige ich mich mit Versuchen über die contagiösen
Krankheiten in landwirthschaftlicher und sanitätspolizeilicher Beziehung, und glaube
aus meinen sämmtlichen Beobachtungen folgende Schlüsse ziehen zu können:
1) daß Hunde und Schweine ohne Gefahr für ihre Gesundheit alle Secretionsproducte,
wie sie heißen mögen, alle Bestandtheile von Leichnamen (wie Blut, Fleisch etc.),
ungekochte wie gekochte, von solchen Thieren verzehren können, welche von einer der
erwähnten contagiösen Krankheiten befallen waren, als da sind: der acute Rotz und
Wurm, die brandigen Krankheiten (wenigstens des Schafes), die Wuth, der ansteckende
Typhus, die Lungenentzündungs-Seuche des Rindviehes, die Hühnerseuche;
2) daß für die Hühner das nämliche hinsichtlich derselben Krankheiten gilt, mit
Ausnahme vielleicht der Hühnerseuche, worüber erst Versuche außerhalb der
Seuchen-Atmosphäre angestellt werden müßten, was ich nicht thun konnte;
3) daß die giftigen Stoffe des acuten Rotzes und Wurmes, welche durch den Einfluß des
Verdauungsprocesses der Fleisch- und allesfressenden Thiere ihre contagiösen
Eigenschaften ganz verlieren, dieselben in den Verdauungswegen des Pferdes, wenn
auch geschwächt, beibehalten;
4) daß die giftige Substanz des Milzblutes, welche Hunde, Schweine und Hühner ohne
üble Folgen verzehren und leicht verdauen können, den Grasfressern, wie dem Schafe,
der Ziege und dem Pferde, oft Anfälle von Brand veranlaßt;
5) daß die Fleisch- und Allesfresser, wenn sie von einem Krankheitsgift
angesteckte Substanzen zur Nahrung erhalten, hinsichtlich der Ansteckung frei
ausgehen, während dieselben Substanzen, von Grasfressern verschlungen, ihre volle
Wirkung ausüben können, ist wohl dadurch zu erklären, daß die Ansteckungsgifte als
Stoffe wesentlich animalischer Natur, in den zur Verdauung animalischer
Nahrungsmittel bestimmten Organen große Veränderungen erleiden, wodurch sie ihre
schädlichen Eigenschaften verlieren, was man bei den Grasfressern, welche nach ihrer
Organisation nur Pflanzenstoffe zu verdauen vermögen, nicht erwarten darf;
6) daß es jedenfalls eine bewährte Thatsache ist, daß der Mensch ohne alle Gefahr
sich vom Fleisch und anderen Producten solcher Thiere (Schweine oder Hühner) nähren
kann, welche mehr oder weniger lange Zeit mit mehr oder weniger großen Mengen von
Ueberresten an contagiösen Krankheiten gefallener Thiere gefüttert worden waren;
7) da es erwiesen ist, daß die Schweine und Hühner in Folge ihrer Ernährung mit
Substanzen, welche von am Rotz oder Wurm, am Brand oder der Wuth gefallenen Thieren
herrühren, weder an ihrer Gesundheit leiden, noch die Qualität der von ihnen zur
Ernährung des Menschen gelieferten Producte dadurch im geringsten verändert wird, so
besteht kein sanitäts-polizeilicher Grund, das Füttern der Schweine und des
Geflügels mit Ueberresten aus den Abdeckereien zu verbieten;
8) endlich hat sich hinsichtlich des Fleisches und der Flüssigkeiten von Thieren,
welche von contagiösen Krankheiten befallen waren, herausgestellt, daß das Sieden
die giftigen Eigenschaften (dieses Fleisches und dieser Flüssigkeiten) in dem Grade
aufhebt, daß nicht nur die Materie des Rotzes und des Wurms ohne Nachtheil vom
Pferde verschlungen werden können; nicht nur die brandigen Stoffe vom Pferde, dem
Schaf und der Ziege; nicht nur die Ueberreste der an der Seuche gefallenen Hühner
vom Geflügel, sondern auch, daß alle diese Stoffe – deren Ansteckungsvermögen
so stark und so sicher wirkt, wenn sie im frischen Zustande eingeimpft werden
– längere Zeit dem Kochen oder Sieden ausgesetzt, ganz aufhören giftig zu
wirken und auf jedwedes Thier, sogar eingeimpft, ganz ohne Wirkung bleiben.
So begreiflich der Widerwille des Menschen gegen Fleisch, Milch etc. von Rindern,
Schweinen, Hammeln oder Hühnern, welche von contagiösen Krankheiten befallen waren,
auch ist, so hat es folglich für ihn gar keine Gefahr, das gekochte Fleisch oder die
gesottene Milch dieser Thiere zu verzehren.