Titel: | Ueber die Theorie der elektromagnetischen Maschinen; von J. Müller. |
Fundstelle: | Band 125, Jahrgang 1852, Nr. XCVI., S. 446 |
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XCVI.
Ueber die Theorie der elektromagnetischen
Maschinen; von J.
Müller.
Aus Poggendorff's Annalen der Physik, 1852 Nr.
8.
Müller, über die Theorie der elektromagnetischen
Maschinen.
Diesen interessanten Gegenstand hat Jacobi neuerdings
wieder bearbeitet, und eine Abhandlung darüber in dem Bulletin de la Classe physico-mathématique de l'Académie
de St. Petersbourg T. IX publicirt. Hier gibt Jacobi endlich eine genügende und verständliche Entwickelung der bereits
vor mehr als zehn Jahren von ihm über diesen Gegenstand ausgesprochenen Gesetze,
welche bisher theils mißverstanden, theils ignorirt worden waren. – Wenn, wie
Jacobi zeigt, Männer wie Steinheil, Poggendorff u.s.w. die von ihm aufgestellten Gesetze nicht
richtig gewürdigt habenHr. Prof. Poggendorff
bemerkt dazu: „Was mich betrifft, so muß ich diesen Vorwurf des
Hrn. Jacobi aufs
entschiedenste zurückweisen. Meine Betrachtungen in den Annalen Bd.
LXXIII S. 347 haben mit den von ihm aufgestellten Gesetzen nichts zu
schaffen, und das, was ich am Schlusse derselben über die
Mißverständnisse bei den bisherigen Nutzanwendungen der magnetischen
Kraft gesagt habe, bedarf auch gegenwärtig keines Widerrufs.“
, wenn diese Gesetze, trotz ihrer Einfachheit, über 10 Jahre unbeachtet
blieben und die Anerkennung nicht finden konnten, welche sie, wie sich herausstellt,
allerdings verdienen, so wird Jacobi wohl selbst
einräumen, daß daran seine Darstellungsweise viel verschuldet hat. Hätte er gleich
die Entwickelung mitgetheilt, wie er sie jetzt veröffentlicht, so hätte ihm von
Anfang an eine gerechte Anerkennung nicht fehlen können, und manche vergebliche
Bemühung zur Construction elektromagnetischer Motoren wäre vielleicht
unterblieben.
Ich nehme keinen Anstand einzugestehen, daß auch ich die Bedeutung seiner Gesetze
völlig mißverstanden habe; und daß also Jacobi wohl ein
Recht hat sich über die Behandlung dieses Gegenstandes in meinem „Bericht
über die neuesten Fortschritte der Physik“ zu beklagen; ich will es
ihm deßhalb auch nicht verargen, daß er dagegen auch meinen Worten zum Theil eine
unrichtige Deutung gibt.
Mit Vergnügen erkenne ich das Verdienst an, welches sich Jacobi durch Aufstellung dieses Gesetzes erworben hat. Sobald man dasselbe
einmal richtig aufgefaßt hat, was nach den neuerdings gegebenen Erläuterungen durchaus nicht schwierig
ist, kann man über den hohen wissenschaftlichen Werth und die große praktische
Bedeutung dieses Gesetzes nicht mehr zweifelhaft seyn.
Gegen einen Punkt der neuen Entwickelung nur, der jedoch das Hauptresultat nicht
wesentlich ändert, glaube ich einen Einwurf machen zu müssen, den Jacobi bei näherer Betrachtung wahrscheinlich selbst als
begründet anerkennen wird.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß wenn die Enden einer Drahtspirale in leitender
Verbindung stehen, die in dieser Spirale auf irgend eine Weise inducirten Ströme caeteris paribus der Summe der Leitungswiderstände in
der Spirale und dem Verbindungsstück ihrer Enden umgekehrt proportional sind; ich
glaube aber nicht, daß dieser Fall direct auf die elektromagnetischen Maschinen
anwendbar ist, denn hier tritt ja der Inductionsstrom gar nicht als solcher auf; die
Kräfte, welche unter andern Umständen einen Inductionsstrom hervorzurufen hätten,
bewirken hier nur eine Schwächung des primären Stromes. Da nun der inducirte Strom
hier nicht wirklich zur Entstehung kommt, da er nicht von Theilchen zu Theilchen in
dem Spiraldraht fortschreitet, so hat er auch keinen Leitungswiderstand zu
überwinden, und ich meine deßhalb, daß die Stromschwächung von dem
Leitungswiderstande des Schließungsbogens unabhängig seyn müsse, kurz daß man in
Gleichung 7) der Jacobi'schen Abhandlung den Nenner ρ fortzulassen habe, daß man setzen müsse:
i‚ = xm'βv.
Unter dieser Voraussetzung ergibt sich, wie ich in der eben erscheinenden 4ten
Auflage meines Lehrbuchs der Physik entwickelt habe, als Maximum des mechanischen
Effectes:
T₀ = n²k²/4xρ²,
während Jacobi findet:
T₀ = n²k²/4xρ,
Nach meiner Gleichung wird der Werth von T₀
unverändert bleiben, wenn die elektromotorische Kraft der Säule in gleichem
Verhältniß wächst wie der gesammte Leitungswiderstand; nach der Jacobi'schen Formel wird man dagegen in diesem Falle eine
Vergrößerung des mechanischen Effectes zu erwarten haben.
Es ist leicht durch das Experiment zu entscheiden, welche der beiden Formeln der
Wahrheit entspreche. Man verbinde irgend einen elektromagnetischen Motor mit einer
Säule, z.B. mit einer solchen, welche aus drei großen Bunsen'schen Bechern besteht, schalte in den Schließungsbogen eine
Tangentenbussole ein und merke den Stand derselben, während der Motor still gehalten
wird. Ist dieß geschehen, so lasse man den Motor laufen und regulire die Belastung
desselben so, daß die Tangente des an der Bussole beobachteten Ablenkungswinkels
halb so groß ist als für den Ruhezustand. Der Apparat gibt jetzt das Maximum des
mechanischen Effectes, welcher mit dieser Säule erreicht werden kann.
Nun verdopple man die Zahl der Becher, vermehre aber gleichzeitig den
Leitungswiderstand so, daß die Nadel der Tangentenbussole für den Ruhezustand genau
dieselbe Stelle einnimmt, wie vorher; dann wird nach meiner Ansicht auch genau
dasselbe Maximum des mechanischen Effectes erhalten werden müssen, während nach Jacobi's Formel eine Vermehrung und zwar eine
Verdoppelung des mechanischen Effectes erwartet werden muß. Bei unveränderter
Belastung müßte also nach Jacobi's Theorie der Apparat bei verdoppelter elektromotorischer
Kraft und verdoppeltem Gesammtleitungswiderstande schneller laufen als bei halb so
viel.
Ich habe derartige Versuche mit einem Stöhrer'schen
Apparat angestellt und habe gefunden, daß eine gleichzeitige Verdoppelung der
elektromotorischen Kraft der Säule und des Gesammtwiderstandes durchaus keine
Vergrößerung des mechanischen Effectes zur Folge hat.
Freiburg, im Juli 1852.