Titel: | Ueber die Krankheit des Weinstocks und die Mittel dagegen. |
Fundstelle: | Band 126, Jahrgang 1852, Nr. LVIII., S. 307 |
Download: | XML |
LVIII.
Ueber die Krankheit des Weinstocks und die Mittel
dagegen.
Ueber die Krankheit des Weinstocks und die Mittel
dagegen.
Beobachtungen von Guérin-Mèneville.
– Derselbe besuchte auf einer Reise durch Piemont, Italien und das südliche
Frankreich eine Menge Weinberge, wo diese Krankheit herrschte, und fand dabei seine
frühere Ansicht bestätigt, daß man nicht hoffen darf, die Ursache der Krankheit zu
entdecken, wenn die Traube schon von Kryptogamen überzogen ist, sondern daß man
dieselbe zu verschiedenen Zeiten, vielleicht am Anfang des Jahrs, in den Wurzeln, in
den Säften der Pflanze suchen müsse. „Ich bin, sagt er, zu der
Ueberzeugung gekommen, daß eine tief liegende Ursache der Desorganisation bei
den Weinstöcken vorhanden seyn müsse, wie dieß bei den Kartoffeln stattfindet,
und auch bei den Seidenwürmern, wo deren Zucht im Großen betrieben wird. Diese
Ursache scheint ein Mangel des Gleichgewichts in den Functionen zu seyn,
entweder ein Ueberfluß an Lebenskraft, eine zu rasche Lebensbewegung, oder ein
Mangel an Lebenskraft, Atonie, außerordentliche Schwäche. Vielleicht führen
diese beiden Ursachen zu ähnlichen Resultaten, einer Krankheit, welche unter
gewissen Umständen mit Kryptogamen endet. Merkwürdig ist, daß die Krankheit, mit
seltenen Ausnahmen, vorzüglich die schönsten Weinstöcke, welche geschützt und in
gutem Boden stehen, ergreift, z.B. die an Wänden und Geländern gezogenen und
sorgfältig gepflegten; ferner, daß mehrere Weinstöcke (im Weinberg des Hrn.
Robert zu St. Tulle),
welche man zu beschneiden vergessen hatte, und die sich belaubt und einige
schöne Trauben getragen hatten, ganz frei von der Krankheit blieben, neben den
am stärksten heimgesuchten; ebenso ist zu erwähnen, daß alle wilden Weinstöcke
der um die befallenen Weinberge herumgezogenen Hecken keine Spur der Krankheit
zeigen.“
„Ich hatte Gelegenheit, die Krankheit an Weinstöcken zu beobachten, deren
Trauben noch keine Spur des Oïdium zeigten.
Diese Stöcke hatten auf ihren Reben des Jahrgangs, auf dem schönen, herrliche
Trauben tragenden, grünen Rebholz, rothe und schwärzliche Flecken, welche aus
Längenreihen kleiner Punkte gebildet waren, eine Art kleiner Knöpfchen, die eine
in den Gefäßen der Pflanzen erfolgte Veränderung der Säfte anzuzeigen schienen.
Ich habe mich durch genaue Beobachtungen überzeugt, daß diese Flecken sich
einige Tage vor dem Oïdium auf den Trauben
zeigen. Dadurch war ich in Stand gesetzt, die Krankheit vorherzusagen. Noch ein
Kennzeichen gesellte sich immer zu diesem, eine größere Sprödigkeit des
Rebholzes als bei gesunden Stöcken. Dieselbe Beobachtung wurde auch von dem
Entomologen Hrn. Lefebure de
Cérisy, gegenwärtig zu Toulon, gemacht. Sie berechtigt
wohl zu dem Schlusse, daß der die Trauben überziehende Kryptogam nur die Folge
einer Krankheit ist.“
„Wenn sich dieß wirklich so verhielte, und diese Vermuthung durch Versuche
bestätigt würde, so wäre wohl auch zu hoffen, daß sich ein Mittel gegen diese
Krankheit finden läßt, ohne daß man ruhig abzuwarten braucht, bis sie von selbst
verschwindet. Daß ich auf rechtem Wege bin, darauf scheinen die von einem
piemontesischen Landwirth empfohlenen Mittel wirklich hinzudeuten, nämlich dem
Weinstock zur Ader zu lassen, ihn zu einer andern Zeit als gewöhnlich zu
schneiden, zu einer Zeit wo der Saft in Bewegung ist und durch das Schneiden
mehr oder weniger von der die Pflanze ernährenden Flüssigkeit verloren geht, bis
zu dem Culturverfahren, welches darin besteht, die Erde um die Weinstöcke
aufzuhacken und einen Theil der Wurzelfasern zu entfernen. Alle diese
schwächenden (herabstimmenden) Mittel entsprechen der Ansicht eines
Ueberschusses von Lebenskraft.“
„Im Schlosse Polycard, im Medoc, soll ebenfalls das einige Centimeter
tiefe Aufhacken um die Weinstöcke, das Abschneiden aller Wurzelfasern an der
Oberfläche und Wiederzudecken derselben nach einigen Wochen, von sehr gutem
Erfolg gewesen seyn.“
„Das Spätschneiden des Weinstocks scheint mir alle Aufmerksamkeit zu
verdienen. Ein Bauer zu Tremoulat in der Gemeinde Valence (Drôme),
welcher, wie ich erfuhr, darüber in Verzweiflung kam, daß er auch im vorigen
Jahr seine Lese verlor, hatte sich zu dem Versuche entschlossen, einen Theil
seines Weinberges erst fünf Wochen später als den andern zu schneiden, wo die
Schößlinge schon anzuschwellen ansingen. Dieser Weinstock verlor anfangs eine
ziemlich große Menge Saft, er thränte, wie man zu
sagen pflegt, wuchs aber dennoch wie der andere fort, und wurde vom Oïdium nicht heimgesucht, während alle
übrigen und alle Weinberge der Umgegend fast vollständig davon ergriffen wurden.
In Paris hatte das Spätschneiden denselben Erfolg.“ (Comptes rendus, September 1852, Nr. 10.)
Auch nach der Angabe des Winzers Roussel in Joyeuse
(Ardèche) ist von zwei Abtheilungen desselben Weinbergs, in deren einer das
Beschneiden im Monat
December, in der andern im April vorgenommen wurde, die letztere von der Krankheit
verschont geblieben und die erstere nicht. Zwar hatte er eben so guten Erfolg bei
einem Weinberg wahrgenommen, wo das Beschneiden früh vorgenommen worden war, aber
absichtlich später noch Einschnitte gemacht wurden, als der Saft schon in Bewegung
war, wodurch viele Flüssigkeit zum Ausfluß kam. (Comptes
rendus, a. a. O.)
Einfaches und wohlfeiles Mittel gegen die
Traubenkrankheit; von Roboiam. –
„Nachdem ich, sagt der Verfasser, am 20. Octbr. 1851 in einem Vortrag
in der (franz.) Akademie der Wissenschaften von der Anwendung des Schwefels, des
Kalks und mehrerer anderen Schutzmittel gegen die Traubenkrankheit und von der
Schwierigkeit und Unmöglichkeit ihrer Anwendung im Großen gesprochen hatte,
bemerkte ich: Eine Thatsache mußte allen Winzern auffallen, daß nämlich alle
Zweige (Reben), ihre Blätter und Trauben, welche von Gras oder sonst etwas
bedeckt sind, grün und gesund sind, während diejenigen von denselben Stöcken und
Reben, welche sich in der Höhe befinden und der Luft ausgesetzt sind, erkranken.
Starkes Licht und unmittelbare Einwirkung der Luft scheinen sonach für die
Entwickelung der Krankheit unerläßlich zu seyn.“
„Diese Beobachtung schien mir eine werthvolle und beachtenswerthe
therapeutische Anzeige zu seyn; das von mir vorgeschlagene, daraus abgeleitete
Mittel war leicht auszuführen; es schien alle Bedingungen für die Cultur im
Großen zu vereinigen, indem es, statt die Kosten zu erhöhen, sie noch vermindern
konnte. Ich habe jetzt hinlängliche Erfahrungen gemacht, um seinen Werth zu
kennen. Es ist überall und unstreitig wirksam.“
„An mehr als hundert Stellen meines Gartens sind alle Zweige, welche auf
dem Boden kriechen, gesund, so auch ihre Trauben und Blätter; die auf
umgegrabener Erde hinkriechenden haben kein so lebhaftes Grün, wie diejenigen
auf mit Rasen bedecktem Boden. Die Stöcke, welche nur die Bearbeitung des
Frühjahrs (Beschneiden und Umgraben) erfahren haben, seitdem aber nicht
geschürft, nicht ausgeputzt, nicht beschnitten wurden, sind viel weniger krank
als die sorgsamer gepflegten. An denselben Stöcken kann man die sorgsam
gepflegten Zweige mit den untern vergleichen, die ich auf der Erde hinkriechen
ließ; an erstern ist alles krank, an letztern alles gesund. An einigen Stöcken
kann der Fortschritt des Uebels verfolgt werden, welches, je höher man kommt,
desto mehr zunimmt.“
„Ich hatte gleich beim ersten Erscheinen der Krankheit angerathen, den
Weinstock auf die Erde umzulegen und den Boden mit Rasen zu belegen; der Hafer,
welcher zu jeder Zeit angesäet werden kann, ein herrliches Futter gibt und grün
geschnitten wieder nachtreibt, und daher immer in der gehörigen Höhe erhalten
werden kann, schien mir den Zweck erfüllen zu müssen; doch leuchtet ein, daß
diese Versuche, so bündig sie auch im Allgemeinen sind, hinsichtlich der
Einzelnheiten von der Erfahrung ihre Regelung erwarten.“ (Comptes rendus, Septbr. 1852, Nr. 11.)
Andere Mittel. – In einer Mittheilung des Hrn.
Payen an die (franz.)
Akademie der Wissenschaften, über die Bestrebungen zur Heilung der Traubenkrankheit,
sagt derselbe:
Das einfache Mittel, welches bis jetzt noch den besten Erfolg verspricht, ist die
Besprengung der Blätter, Trauben und des Rebholzes mit schwacher
Schwefelcalcium-Auflösung. Dieselbe ist gleich beim ersten Auftreten der
Epidemie mittelst einer gewöhnlichen Gießpumpe vorzunehmen und ein bis zweimal zu
wiederholen.
Man bereitet die Auflösung, indem man 250 Gramme Schwefelblumen mit dem gleichen
Volum Kalkhydrat (frisch gelöschten Kalk), in 3 Liter (3000 Gramme) Wasser gerührt,
10–15 Minuten lang kochen läßt. Nach dem Erkalten wird die Flüssigkeit klar
abgegossen. 2 Liter derselben, mit 200 Liter Wasser verdünnt, genügen zur
Besprengung der Weinstöcke von 300 Meter Oberfläche.
Kaum hatte Hr. Heuzé den
guten Erfolg dieses Verfahrens der Central-Ackerbau-Gesellschaft (in
Frankreich) mitgetheilt, als mehrfältige Versuche damit gemacht wurden, worüber eben
so gute Berichte einliefen.
Auf wohlfeile Weise ließe sich obige Flüssigkeit aus den sonst werthlosen Rückständen
der Sodasalz-Fabriken, durch Kochen derselben mit ihrem vier- bis
fünffachen Gewicht Wasser darstellen. Die so erhaltene schwefelhaltige Lösung
(Fünffach-Schwefelcalcium-Kalk), mit ihrem fünfzig- bis
hundertfachen Gewicht Wasser verdünnt, würde hoffentlich dieselben Dienste thun,
worüber indessen erst Versuche entscheiden müßten. Es könnte derselben nöthigenfalls
noch etwas Kalkhydrat zugesetzt werden.
Den besten Erfolg hatte Hr. Chenot bei Anwendung auf 64° R. erhitzten Wassers, welches
die Schmarotzerpflanze tödtet, ohne der Frucht zu schaden. Auf die Blätter ist seine
Wirkung bei weitem keine so unschuldige, indem dieselben dadurch vertrocknen, als wären sie am
Feuer erhitzt worden. (Monitor industriel, 1852, Nr.
1685.)
Auch von Hrn. de la Vergne (zu
Macon) wird der Schwefel gegen die Traubenkrankheit empfohlen, jedoch nicht durch
Waschungen, sondern mittelst Räucherung. Man stülpt über den erkrankten Stock einen
Mantel von Wachsleinwand und hängt innerhalb desselben, etwa an einem Zweigchen,
mittelst eines Eisendrahtes ein kleines Becherchen von der Größe eines
Vierundzwanzigers auf, in welchem man Schwefel anzündet. Das durch die Verbrennung
desselben erzeugte schwefligsaure Gas dringt durch die Poren des Weinstocks und
vernichtet sowohl die Ursache der Krankheit als deren äußerliche Wirkung (Thierchen
oder Kryptogamen). Doch darf diese Einwirkung bei jedem Stock nicht länger als zwei
Minuten dauern, weil er sonst Schaden leiden würde. Man könnte glauben, daß dieses
Mittel bei ganzen Weingärten zu hoch zu stehen käme; Hr. de la Vergne berechnet aber, daß bei acht
Stunden Arbeit in einem Tage eine Person 240 Stöcke vornehmen kann. – In
Folge dieses Verfahrens befindet sich in den Weinbergen des Hrn. de la Vergne keine einzige kranke
Traube mehr.
Das Oïdium, bemerkt Hr. Saint-Rieul-Dupouy, welcher
Vorstehendes berichtet, kannte man früher in Europa nicht; es ist, wie die Cholera,
ein asiatisches Product, und herrscht in Asien endemisch. (Moniteur industriel, 1852,
Nr. 1691.)