Titel: | Sicherheitsventil mit Hemmungshebel für Locomotivenkessel; von Lemonnier und Vallée, Werkmeistern auf der Orleans-Eisenbahn. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. II., S. 25 |
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II.
Sicherheitsventil mit Hemmungshebel für
Locomotivenkessel; von Lemonnier und Vallée, Werkmeistern auf der
Orleans-Eisenbahn.
Aus den Annales des mines, 5te Reihe, 1852, Bd. I S.
337.
Mit Abbildungen auf Tab.
I.
Lemonnier und Vallée Sicherheitsventil mit Hemmungshebel für
Locomotivenkessel.
Die Sicherheitsvorrichtungen an den Dampfkesseln sind höchst nothwendig, denn
obgleich sie nie fehlen, so ereignen sich doch leider noch oft genug Unfälle, sowohl
bei feststehenden als auch bei Schiffsmaschinen und Locomotiven. Bei einem genauen
Studium dieses wichtigen Gegenstandes fanden wir, daß bei allen bis jetzt
ausgeführten Systemen von Sicherheitsventilen ein Hauptfehler besteht. Diese
Apparate, welche stets einem Maximum des Drucks entsprechen, der gewöhnlich
derjenige ist worauf der Kessel geprüft (und gestempelt) wurde, haben nämlich den
Nachtheil, daß sich das Ventil nur dann nach und nach öffnet, wenn der Druck
übermäßig ist, und daß dem Dampf sehr häufig nur ein sehr beschränkter Durchgang
bleibt, so daß er nicht in der gehörigen Menge und mit der erforderlichen
Geschwindigkeit ausströmen kann.
Nun ist es aber von der größten Wichtigkeit, damit nicht Unfälle durch übermäßigen
Druck veranlaßt werden, daß die Oeffnung des Ventils von der Art sey, daß der Dampf
ungehindert und in großer Menge ausströmen kann. Dieß ist die Aufgabe, welche zu
lösen wir uns vorgenommen haben, und die wir wirklich mittelst eines sehr einfachen
Mechanismus gelöst haben, der nicht allein den Vortheil der Wohlfeilheit, sondern
auch den hat, ohne Schwierigkeiten bei den bestehenden Sicherheitsapparaten
angewendet werden zu können, mögen es nun solche an Locomotiven oder an
Schiffs- oder Fabrik-Maschinen seyn.
Man wird die Einrichtung des Mechanismus und das Princip, worauf er begründet ist,
mittelst der nachstehenden Beschreibung und der Fig. 9, 10 und 11 leicht begreifen.
Fig. 9 stellt
eine Seitenansicht von einem Sicherheitsventil mit Feder dar, so wie es gewöhnlich
bei den Locomotiven angewendet wird. Fig. 10 ist ein
Durchschnitt nach einer parallel der vordern Seite laufenden Ebene.
Man nimmt bei diesen Figuren an, daß das Sicherheitsventil geschlossen ist, d.h. daß
die Dampfspannung im Kessel unter dem höchsten Druck steht, für welchen der Apparat
regulirt ist.
Fig. 11
stellt denselben Apparat, in einem senkrechten Durchschnitt mit geöffnetem Ventil
dar, woraus sich entnehmen läßt, daß in dem Kessel übermäßiger Druck vorhanden
ist.
Aus den Figuren erkennt man leicht, daß der Mechanismus, den wir den gewöhnlichen
Sicherheitsventilen hinzugefügt haben, einfach aus einer Art Regel A besteht, deren unteres Ende eine spitzzulaufende
Verstärkung a bildet und die an ihrem oberen Ende
mittelst doppelter Gelenke mit den beiden Bügeln B, B'
verbunden ist. Der eine Bügel B ist mit der senkrechten
Stange C verbunden, und diese erhält einen Druck von der
Springfeder D, welche in der Büchse E steckt. Der obere Bügel B'
ist dagegen mittelst eines Scharniers mit dem Schraubenkopf I verbunden, dessen Mutter auf dem Ende des Hebels G ruht, der auf die Mitte des Ventils drückt, um dasselbe in seinem Sitz
zu erhalten.
Am Ende der Federbüchse E ist eine Vorrichtung
angebracht, deren Einrichtung aus den Fig. 9 und 10 zu erkennen ist, in
welcher das Ende der Regel A steckt, und zwar zwischen
den beiden Stiften b und b',
zwischen denen sie bei ihrer auf- und niedergehenden Bewegung gleitet.
Man regulirt die Stellung dieses Stücks auf der Büchse auf solche Weise, daß es genau
der höchsten Pressung entspricht, bei welcher der Kessel betrieben werden soll. Es
muß sich daher in dieser Stellung, wie sie die Fig. 9 und 10 zeigen, die Regel und
folglich der ganze Mechanismus in dem Augenblick befinden, in welchem die Spannung
der Dämpfe in der Nähe des bestimmten Maximums angelangt ist.
Man sieht alsdann, daß die mit Schraubengewinden versehene Stange F und folglich auch die Stange C sich heben und die Regel A mit sich nehmen;
die Verstärkung der letztern a verläßt darauf den Stift
b, und indem der Ablauf der Verstärkung alsdann
gegen den zweiten Stift b' tritt, ist die Regel gelöst
und wird in die in Fig. 11 angegebene Stellung emporgeschleudert. Letztere Bewegung ist eine
nothwendige Folge der Verbindung der Regel mit den excentrischen Bügeln B und B', welche sie
einerseits mit dem Kopf der Stange C und anderseits mit
dem Bügel der Schraube F verbinden.
Daraus folgt, daß der Hebel G sogleich eine hinreichend
hohe Stellung einnehmen und daß folglich das Ventil selbst hinreichend hoch gehoben
werden wird, so daß die Dämpfe augenblicklich ausströmen können.
Auszug aus dem Bericht der
Central-Dampfmaschinen-Commission.
Bei den gewöhnlich angewendeten Springfedern entspricht eine jede Atmosphäre des
Drucks nur 0,01 Met., und oft auch nur 0,005 oder 0,006 Met. des Laufs; nur auf der
(französischen) Nordbahn beträgt sie ausnahmsweise 0,02 Met. des Laufs.
Neuerlich hat Hr. Polonceau Federn anfertigen lassen, die
aus einem einfachen horizontalen Stahlblatt bestehen, welches in senkrechter
Richtung biegsam ist.
Bei einem so geringen Lauf der Feder bei jeder Atmosphäre Druck, und bei einem
gewöhnlich 1 zu 10 betragenden Verhältniß des Hebelarms, läßt sich die traurige
Folgerung machen, daß bei einer Längenzunahme der Feder, welche einem Ueberschuß des
Drucks von einer Atmosphäre entspricht, die Hebung des Ventils nur 1/10 von dem Lauf
der Feder beträgt, und folglich je nach den Fällen nur 0,5 und selbst nur 0,6
Millimeter des Laufs.
Nun ist klar, daß unter diesen Umständen das eintretende Oeffnen der Ventile, wodurch
der Dampf entweichen kann, eine Steigerung seiner Spannung nicht zu verhindern im
Stande ist; denn bei einer Hebung von 1 Millimeter beträgt die
Ausströmungsoberfläche nur 1/25 von derjenigen des Ventils. Man verliert demnach
größtentheils den Vortheil, welchen man von dem Spiel dieser Sicherheitsapparate zu
erwarten hat. Bei den Locomotiven bemerkt man daher auch fortwährend, daß, obgleich
das Ventil gehoben ist, der Manometer noch Pressungen von 7 bis 8 Atmosphären und
mehr angibt, während die Normalbelastung der Ventile nur auf 6 Atmosphären berechnet
wurde. Diese Thatsache zeigt sich hauptsächlich auf den Stationen, wenn die
Locomotiven nicht im Betriebe sind und die Dämpfe sich im Kessel anhäufen können;
sie zeigt sich aber auch während der Fahrten. Alsdann kann der Locomotivführer
nichts anderes thun, als daß er die Verbindungen zwischen Kessel und Tender öffnet,
um dadurch das Wasser in dem letzteren vorzuwärmen.
Die sehr einfache Vorrichtung der HHrn. Lemonnier und Vallée gleicht die Nachtheile einer zu geringen
Hebung der Ventile vollständig aus, wie es die vergleichenden Beobachtungen an einer
Maschine auf der Orleans-Bahn bewiesen. Das eine von den beiden Ventilen
dieser Locomotive hatte die gewöhnliche Einrichtung, das andere die hier
beschriebene Abänderung. Befestigte man nun dieses letztere so, daß nur das
gewöhnliche Ventil spielen konnte, so hob sich dasselbe zwar bei sechs Atmosphären,
allein der Manometer
zeigte fortwährend sieben und acht Atmosphären an. Wenn man dagegen das gewöhnliche
Ventil feststellte und das andere spielen ließ, indem man ihm eine solche Stellung
gab, daß es sich etwa bei einem Druck von 6,5 Atmosphären erhob, so erfolgte diese
Hebung wirklich, und der Manometer fiel nach höchstens einer Minute ebenfalls bis
auf sechs Atmosphären.
Anfänglich hatten die HHrn. Lemonnier und Vallée ihren Apparat so eingerichtet, daß das
Entweichen des Hebels in dem Augenblick stattfand, wo die Spannung die bestimmte
Gränze erreicht hatte und dessen rotirende Bewegung in der senkrechten, auf der
Achse der Maschine senkrecht stehenden Ebene bewirkte. Es folgte daraus, daß der
Locomotivführer, welcher sehr häufig die Dampfspannung dadurch beurtheilt, daß er
mit der Hand auf die Schraube drückt die auf dem Ende des Ventilhebels liegt, einen
sehr heftigen Stoß gegen den Arm durch den Hebel bekam, indem sich derselbe
auslöste.
Um diesen Uebelstand zu verbessern, bringen die Erfinder den Apparat jetzt so an, daß
der Hebel in der senkrechten Ebene, welche parallel mit der Achse der Maschine ist,
und von hinten nach vorn entweicht; dadurch wird der Locomotivführer geschützt. Zu
noch größerer Vorsicht haben sie an dem Ende der Ventilhebel einen kleinen
horizontalen Hebel angebracht, der eine schiefe Stellung im Verhältniß zu der Ebene
hat, welche der sich auslösende Hebel durchläuft, und der sich ganz von selbst der
Hand des Maschinenführers darbietet, sobald er mit derselben die Ventilwaagen
untersuchen will.
Man erkennt leicht, daß die die Feder umgebende Röhre wenigstens eben so lang seyn
muß als wie jene, wenn sie einem geringern Druck unterworfen ist. Wenn die Waage an
ihrem Platz und die Feder mit diesem Druck verbunden ist, so ist klar, daß die sich
mit dem Ventilhebel verbindende Stange ebenfalls aus dem Innern dieser Röhre soweit
herausgetreten ist wie die Feder selbst. Die Erfinder haben übrigens noch eine
andere Einrichtung construirt, wodurch die ganze Länge des Apparates um eine Größe
vermindert werden kann, welche genau gleich der Länge dieser Zunahme ist. Man wendet
die eine oder die andere dieser Einrichtungen an, je nachdem die Kuppel des
Locomotivkessels mehr oder weniger hoch ist.
Man kann die Gradeintheilung dieses Apparates so machen, daß er schon bei 1/2
Atmosphäre über dem bestimmten Druck in Wirkung tritt, so daß man die ganze Spannung
des Dampfes benutzen kann, ohne daß der Locomotivführer den Druck jeden Augenblick
zu vermindern braucht; bekanntlich ist es bei Locomotiven sehr vortheilhaft mit dem möglichst höchsten
Druck zu fahren.
Der Nutzen des hier beschiebenen Mechanismus hat in Frankreich schon eine bedeutende
Anerkennung gefunden; von den 90 Maschinen auf der Orleans-Bahn sind 30 damit
versehen, was für jede Locomotive eine Auslage von nur 10 Franken oder 2 2/3 Rthlr.
veranlaßte.
Die HHrn. Lemonnier und Vallée haben ihre Erfindung auch auf die Sicherheitsventile der
feststehenden Dampfkesseln ausgedehnt, jedoch gewährt sie bei diesen nicht denselben
Nutzen, weil deren Ventile nicht durch Federn gedrückt werden, welche ihre Hebung
vermindern, und die um so mehr Widerstand leisten, je bedeutender die Hebung
ist.
Schließlich erkennt die Commission den ganzen Nutzen der Erfindung der HHrn. Lemonnier und Vallée
an, und muß den Wunsch ausdrücken, daß mit den auf diese Weise eingerichteten
Sicherheitsventilen recht viele Versuche angestellt werden möchten, um deren
Vortheile auf verschiedenartige Weise zu erproben.