Titel: | Ueber die Verbreitung der Kryptogamen und ein merkwürdiges Vorkommen einer Alge; von Hrn. Prof. Dr. Göppert in Breslau. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. XLIX., S. 231 |
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XLIX.
Ueber die Verbreitung der Kryptogamen und ein
merkwürdiges Vorkommen einer Alge; von Hrn. Prof. Dr. Göppert in
Breslau.
Aus einem Vortrag desselben in der allgemeinen
Sitzung der schlesischen Gesellschaft am 17. December 1852.
Göppert, über die Verbreitung der Kryptogamen.
Unter Kryptogamen faßt die Botanik die niedersten Gewächse, die Algen, Pilze und
Flechten, Moose und Farn zusammen. Die Kenntniß dieser Pflanzen steht bei dem großen
Publicum heutzutage noch ungefähr auf derselben Stufe, wie bei den Botanikern des
16ten Jahrhunderts, welche Moose und Flechten verwechselten und allen die
Fortpflanzung durch Samen absprachen. Neuerdings hat das Studium dieser merkwürdigen
Gewächse eine großartige Ausdehnung gewonnen. Während der große Reformator Linné, der allerdings diesen Theil der Botanik
vernachlässigte, unter 7540 Pflanzen, die er überhaupt kannte, nur 558 Kryptogamen
zählte, werden gegenwärtig allein von Farn an 1000 Arten in botanischen Gärten
cultivirt, und im Ganzen mögen wohl an 20,000 Arten von Kryptogamen bekannt seyn,
während wir die Gesammtzahl aller Pflanzen auf 160,000 schätzen. Eine weit größere
Zahl ist noch nicht näher untersucht worden.
Die Pilze, deren Artenzahl sich Wohl auf 10,000 belaufen mag, finden sich überall
ein, wo organische Substanz in der Zersetzung begriffen ist; alle sind
charakterisirt durch den Mangel der grünen Farbe, des Stengels und der Blätter. Sie
erscheinen bald als schwarze Flecken auf Blättern, bald als bunter überaus zierlich
gebauter, aber schnell vergänglicher Schimmel auf faulen Substanzen; die Hut-
und Bauchpilze sind durch ihr unglaublich rasches Wachsthum ausgezeichnet; der
Riesenbovist erreicht über Nacht die Größe eines Kürbis; 66 Millionen Zellen bilden
sich in einer Minute. Zahllos ist die Menge der feinen pulverartigen Samen, durch
welche die Pilze sich unter geeigneten Umständen außerordentlich vermehren und daher
oft furchtbare Verheerungen anrichten; berüchtigt insbesondere ist der Hausschwamm
Merulius destructor, der sich in feuchten Gebäuden
entwickelt und in Kurzem die stärksten Balken in lockeres Pulver umwandelt; bald
kriecht er papierartig über die Decke, bald quillt er schwammartig an den Wänden
heraus; wo er sich eingenistet, ist er nicht mehr auszurotten, da er sich durch
zahllose Samen immer von neuem wieder erzeugt.
Noch verderblicher sind die kleinen Pilze, welche unsere Nutzpflanzen heimsuchen, den
Flugbrand, Schmierbrand, schwarzen und braunen Rost des Getreides verursachen und
unsere Ernte oft außerordentlich beeinträchtigen. Es sind Pflänzchen von nur 1/300
Linie, aber in ungeheurer Menge auf der Oberfläche der heimgesuchten Pflanzen
verbreitet, die sie ihrer Säfte berauben und an der Samenbildung verhindern.
Ein einziges kleines Rostfleckchen am Weizen von 1/4 Linie Länge enthält an 1000
Individuen; die Pflanze, die oft in ihrer ganzen Länge damit bedeckt ist, wohl zwei
Millionen; man berechne die Zahl, die ein ganzes Feld enthält! Dabei besitzen die
Samen unendliche Lebenszähigkeit, können mit dem Stroh, auf dem sie sitzen,
gefressen werden, verdaut, dann in den Dünger und mit diesem wieder auf die Felder
getragen, und sind immer noch im Stande, die Halme, an die sie sich ansetzen, voll
neuem krank zu machen.
Die Pilze von Weizenrost und Maisbrand fand der Vortragende nach vier Monate langem
Maceriren noch unverändert. Bei solcher Productionskraft der Pilze ist es unmöglich
ein Mittel aufzufinden, das die Entstehung der durch sie veranlaßten Krankheiten in
unseren Getreidefeldern verhindere. Alle Mühe und alles Geld, das für solche Mittel,
und seyen sie noch so sehr ausgeschrieen, verwendet wird, ist gänzlich
verschwendet.
Der Vortragende hatte bereits im Jahre 1845, als die Kartoffelkrankheit zuerst in
größerem Maaßstabe auftrat, öffentlich erklärt, daß dieselbe eine Epidemie sey,
gegen die sich nichts thun lasse, und die mit der Zeit von selbst wieder
verschwinden werde, wie alle Epidemien. Nachdem inzwischen Tausende auf angebliche
Heilmittel nutzlos verwendet worden sind, so hat der Erfolg seine Voraussage
vollständig bestätiget.
Seit neuester Zeit richtet ein Fadenpilz, des Oidium
Tuckeri, in den Weingärten unendliche Zerstörungen an; er ist die Ursache
der Traubenkrankheit, die seit 1848, von England ausgehend, sich nach Frankreich,
von da nach Italien bis Neapel ausbreitete, gegen den Herbst 1851 die Schweiz und
Tyrol verheerte, Deutschland bis auf einige südliche Punkte bisher noch verschonte,
dagegen in Griechenland in diesem Jahre fast die ganze Korinthenernte vernichtet
hat.
Auch die Orangenbäume sind in Italien in diesem Jahre durch einen Pilz erkrankt. Ein
anderer Schimmel, Botrytis Bassiana, ist der Seidenzucht
verderblich, indem er die Raupen anfällt und tödtet. Selbst bei Menschen werden
manche Ausschlagskrankheiten von parasitischen Pilzen verursacht.
Das Element der zweiten Classe der Kryptogamen, der Algen, ist das Wasser; sie sind
darum merkwürdig, weil sich unter ihnen zugleich die kleinsten und die größten
Pflanzen finden, die Protococcuszellen, welche kaum 1/500 Linie groß sind, und die
Seetange, die aus dem Grunde des Meeres sich 1500 Fuß erhebt. Auch kommen die Algen
in den kältesten Theilen der Erde, im ewigen Schnee und in den eisigen Küsten der
Polarländer, so wie in den heißesten Quellen, z.B. in Thermen von Karlsbad vor.
Manche Arten sind in so unendlicher Menge vorhanden, daß sie das Meer weilenweit
grün oder roth färben; die zwischen den Bermudas und Azoren befindlichen sogenannten
Sargasso-Wiesen, die Columbus bei seiner
Entdeckungsreise täuschten, bedecken einen Raum von 60,000 Quadratmeilen (sechsmal
so groß als Deutschland).
Indem der Vortragende die Verbreitung der übrigen Familien der Kryptogamen, der
Flechten, Moose und Farn nur kurz berührte, verweilte er bei einem, von ihm näher
untersuchten merkwürdigen Vorkommen eines mikroskopischen Pflänzchens in der
Weistritz bei Schweidnitz. Seit dem August dieses Jahres ist eine Fabrik in
Polnisch-Weistritz, eine halbe Meile oberhalb Schweidnitz, im Gange, welche
aus Rübenmelasse Spiritus brennt und die Schlempe in den vorbeifließenden, in die
Weistritz mündenden Mühlengraben laufen ließ. Seit dieser Zeit wurden im Wasser der
Weißritz weiße Flocken in solcher Menge bemerkt, daß sie die Röhren der Wasserkunst
verstopften; das Wasser ging durch sie in kürzester Zeit unter höchst ekelhaftem
Geruch in Fäulniß über, und wurde dadurch zum Waschen und Kochen untauglich. Man
schrieb die Ursache dieser höchst beschwerlichen Erscheinung der Fabrik zu und
untersagte in Folge dessen das Ablaufen der Schlempe in den Mühlbach. Seitdem wird
die Schlempe in einem eigenen Reservoir aufgesammelt, das jedoch möglicher Weise mit
dem Mühlbach noch in unterirdischer Communication stehen kann; jedenfalls hat sich
die Erscheinung inzwischen noch weiter, bis eine halbe Meile unterhalb der Stadt,
ausgebreitet. In Folge dessen reiste der Vortragende selbst nach Schweidnitz und
untersuchte in Begleitung der HHrn. Bürgermeister Glubrecht und Stadtverordneten-Vorsteher Sommerbrod die Verhältnisse; er fand den etwa 1000 Fuß langen und
6–8 Fuß breiten Mühlgraben am Boden ganz und gar mit einer weißen,
flottirenden, lappigen Masse wie austapezirt, so daß es aussah, als seyen lauter
Schafvließe am Boden befestigt. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß diese
Masse von einem fädigröhrigen farblosen Pflänzchen von 1/200–1/300 Linie im
Durchmesser gebildet sey, welches seit 1789 zuerst durch Roth als Conferva lactea beschrieben,
gegenwärtig als Leptomitus lacteus bezeichnet, und in
rasch fließenden Gewässern zur Winterzeit, doch nie in so großartiger Menge
beobachtet wurde. Dieses Pflänzchen gehört in eine Gruppe, die zwischen Pilzen und
Algen in der Mitte steht, und als Classe der Pilzalgen, Mycophyceae, bezeichnet wird; mit den Algen hat sie den Aufenthalt im
Wasser, mit den Pilzen den Mangel der grünen Farbe und die Ernährung durch zersetzte
organische Substanzen gemein. Wahrscheinlich sind die Samen dieses Pflänzchens aus
irgend einem Punkte oberhalb der Stadt herbeigeschwemmt worden, und haben sich, weil
sie hier durch das Zusammenwirken des rasch fließenden Wassers und der von der
Schlempe stammenden organischen Substanz einen sehr günstigen Boden fanden, in einer
so unerhörten Weise entwickelt, daß sie einen Raum von fast 10,000 Quadratfuß
bedecken und für die Stadt Schweidniß eine wahre Calamität herbeigeführt haben. In
dem Reservoir für die Schlempe findet sich der Leptomitus
lacteus nicht, weil hier zwar die eine Bedingung, die organische Substanz,
nicht aber die zweite, das fließende Wasser, gegeben ist.