Titel: | Ueber die neue Tangentenboussole des Hrn. Gaugain. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. LXXII., S. 340 |
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LXXII.
Ueber die neue Tangentenboussole des Hrn.
Gaugain.
Mit einer Abbildung auf Tab. V.
Ueber Gaugain's Tangentenboussole.
Die im polytechn. Journal Bd. CXXVI S. 155
erwähnten Versuche von Despretz über die gewöhnliche
Tangentenboussole, aus welchen hervorgeht, daß die Proportionalität zwischen der
Stromstärke und der Tangente des Ablenkungswinkels erst dann zugelassen werden kann,
wenn der Durchmesser des Stromkreises 30 bis 40mal so groß ist, als die Länge der
Magnetnadel, haben Hrn. Gaugain auf den Gedanken
gebracht, ob diese Proportionalität nicht dadurch erreicht werden könne, daß man den
Drehungspunkt der Nadel in eine gewisse Entfernung von der Ebene des Stromkreises
versetzt.Comptes rendus, Januar 1853, Nr. 4.
Um diesen Gedanken ins Werk zu sehen, ließ sich derselbe eine Tangentenboussole
verfertigen, deren Stromkreis parallel mit sich selbst in verschiedene Entfernungen
von dem Mittelpunkte der Nadel verschoben werden konnte, und bestimmte nun in
verschiedenen Lagen desselben den Unterschied zwischen der wirklichen Intensität des
Stromes und der durch die Tangente des Ablenkungswinkels der Nadel angegebenen auf
folgende Weise.
Der breite Kupferstreifen, welcher den Stromkreis der gewöhnlichen Boussolen bildet,
war durch vier mit Seide umsponnene Kupferdrähte von ungefähr 1 Millimeter
Durchmesser ersetzt und die Einrichtung so getroffen worden, daß der Strom bald
durch einen dieser Drähte allein, bald durch alle vier, nachdem sie zu einem
fortlaufenden Draht verbunden waren, geleitet werden konnte, wobei im ersten Falle
ein Compensationsdraht eingeschaltet wurde, dessen
Leitungswiderstand dem der drei übrigen Drähte genau gleich war. Setzt man also die
Stromstärke während eines Versuchs als constant und bei den Drähten eine solche Lage
voraus, daß jeder einzelne für sich in ganz gleicher Weise auf die Nabel wirkt, wenn
der Strom ihn allein durchläuft, so muß die Wirkung des Stromes auf die Nadel im
zweiten Falle, wo der Strom alle vier Windungen durchläuft, die vierfache seyn von derjenigen, welche er im ersten Falle
auf die Nadel äußert, wo nur eine einzige Windung durchströmt ist, und es kann nun
durch Vergleichung der Tangenten der Ablenkungswinkel gefunden werden, ob diese auch
in dem Verhältnisse 4 : 1 stehen, oder nicht, d.h. ob die Tangenten der
Ablenkungswinkel in demselben Verhältnisse stehen, wie die Intensitäten der
gemessenen Ströme.
Die vorher bemerkte gleiche Wirkung der einzelnen Drähte auf die Nadel glaubt Hr. Gaugain dadurch erreicht zu haben, daß er die vier Drähte
schraubenförmig um einen isolirten Draht von ungefähr 2 Millimeter Durchmesser
wickelte, so daß sie zusammen eine viergängige Schraube bildeten, und daß er diese
Schraube um die für den Stromkreis bestimmte, mit einer Rinne versehene cylindrische
Rolle herumlegte. Die Erfahrung bestätigte denn auch, daß die Wirkung eines jeden
dieser vier Schraubenströme auf die Nadel die gleiche war. Auch glaubt Hr. Gaugain alle von Despretz
empfohlenen Vorsichtsmaßregeln angewendet zu haben, sowohl um eine möglichst
constante Kette zu erhalten, als auch die Veränderungen in der Stromstärke, welche
selbst bei möglichst constanten Ketten vorkommen, zu compensiren.
Die Resultate, welche Hr. Gaugain mit diesem Apparat
erhalten hat, sind folgende.
Wenn der Stromkreis einen kleinen Durchmesser hat, und die gewöhnliche Lage einnimmt,
d.h. wenn sein Mittelpunkt mit dem der Magnetnadel zusammenfällt, so ist der
Unterschied zwischen der wahren Intensität und der von dem Instrument angegebenen
sehr beträchtlich, wenn die Ablenkung ein wenig groß wird. Entfernt man dann den
Stromkreis von dem Mittelpunkte der Nadel, so findet man, daß der einer bestimmten
Ablenkung entsprechende Unterschied kleiner, und in einer gewissen Entfernung davon,
welche einem Viertheil von dem Durchmesser des
Stromkreises gleich ist, für alle Ablenkungen Null wird. Ueber diese
Entfernung hinaus erscheint jener Unterschied wieder mit entgegengesetztem Zeichen
und sein absoluter Werth wächst dann mit der Entfernung. So fand Hr. Gaugain bei einem Stromkreise von 44 Millimeter
Durchmesser, daß der genannte Unterschied für alle Ablenkungen Null war, wenn der
Stromkreis 54 Millimeter von dem Mittelpunkte der Nadel entfernt wurde; für einen
Stromkreis von 263 Millimeter betrug die entsprechende EntfernungEnfernung 66 Millimeter.
Diese von Hrn. Gaugain gemachte Entdeckung wird durch die
Theorie vollkommen bestätigt, wenn man, wie es Hr. Bravais auf Veranlassung des Hrn. Gaugain
gethan hat, die drehende Wirkung eines Kreisstromes auf die beiden Pole einer
Magnetnadel untersucht, deren Mittelpunkt in einer im Mittelpunkt des Kreises auf
seiner Ebene errichteten Senkrechten liegt und unter der Voraussetzung, daß die
Wirkung eines Strom-Elementes im umgekehrten Verhältnisse des Quadrats seiner
Entfernung von jenen Polen steht, und die Länge der Nadel nicht mehr als höchstens
ein Drittheil von dem Durchmesser des Stromkreises beträgt, so daß man die sechste
und die höhern Potenzen des Verhältnisses l : R vernachlässigen kann, worin l die halbe Länge der Nadel, R den Halbmesser
des Stromkreises bezeichnet. Die Theorie zeigt nämlich, daß für die oben angegebene
Lage des Mittelpunktes der Nadel in Bezug auf die Ebene des Stromkreises und wenn
der Mittelpunkt der Radel vom Mittelpunkte des letztern um 1/2 entfernt ist, die
Intensität J des Stromes mit vollkommen hinreichender
Genauigkeit durch den Ausdruck:
Textabbildung Bd. 127, S. 342
gemessen wird, worin α den Ablenkungswinkel der Nadel,
und K einen Coefficienten bedeutet, welcher von der
Ablenkung unabhängig ist, dessen Werth sich nur mit der magnetischen Intensität der
Nadel, ihrer Länge, dem Halbmesser des Stromkreises und der Intensität des
Erdmagnetismus ändert.
Sobald daher des zweite Glied in der Klammer ein sehr kleiner Bruch ist, so kann man
einfach
J = K tang α,
also die Intensität des Stromes der Tangente des
Ablenkungswinkels proportional nehmen. Der durch diese Annahme begangene relative
Fehler ist dann dem Werth jenes zweiten Gliedes in der Klammer gleich, also Null,
wenn α = 0, und wenn sin² α = 2/3
oder α = 54° 44' wird; zwischen diesen Ablenkungen gibt es daher einen
größten positiven relativen Fehler und zwar für sin² α = 1/3 oder α = 35° 16', dessen Werth
demnach gleich ist
Textabbildung Bd. 127, S. 343
Ueber 54° 44' hinaus wird der Fehler negativ und erreicht zwischen 63 und
64° einen dem vorhergehenden Maximum gleichen absoluten Werth; man kann
demnach diesen letztem überhaupt als den größten relativen Fehler betrachten, da man
für genauere Messungen nicht leicht über eine Ablenkung von 64° hinausgehen
wird. Für die Verhältnisse
l/R = 1/3, =
1/4, = 1/5
wird also dieser größte relative Fehler φ die
Werthe
φ = 1/80, = 1/254, =
1/620
erhalten, welche bei 35° einem Fehler im Ablesen des
Ablenkungswinkels von etwa
20 , 6 , 2
1/2 Minuten
entsprechen, von denen also der letzte für alle Instrumente
der Art immer kleiner seyn wird als die Beobachtungsfehler, von denen aber auch der
zweite, da er ein größter Werth ist, noch übersehen werden darf, so daß eine nach
dieser Weise construirte Tangentenboussole, deren Nadel in der Länge einem Viertheil
vom Durchmesser des Stromkreises gleich istDie Länge 2l
in dem theoretischen Werthe von J ist
eigentlich die Entfernung der beiden magnetischen Pole der Nadel, und immer
kleiner als deren wirkliche Länge; wenn also diese ein Viertheil vom
Durchmesser beträgt, so wird das Verhältniß l :
R nicht viel größer als 1/5 seyn., welche also bei einer Drehung um 90° gerade bis in den Mittelpunkt
dieses Kreises reicht, als ein vollkommen richtiger Strommesser zu betrachten
ist.
Hr. Gaugain hat ferner seine Entdeckung zugleich dazu
angewendet, einen sehr empfindlichen
Tangenten-Strommesser zu construiren, indem er den Leitungsdraht
nicht mehr um eine cylindrische, sondern um eine conische Rolle von solcher
Convergenz, daß die Erzeugende der Kegelfläche mit der Achse derselben einen Winkel
bildet, dessen Tangente gleich 2 ist, in mehrfachen Windungen herumlegte, und den
Mittelpunkt der Nadel in den Mittelpunkt (Spitze) dieser Kegelfläche versetzte, wie
es Fig. 16
andeutet. Man sieht leicht ein, daß dann der Mittelpunkt der Nadel von der Ebene
eines jeden einzelnen Stromkreises um ein Viertheil seines Durchmessers entfernt
ist, daß also jede einzelne Windung für sich eine Ablenkung der Nadel hervorbringt,
deren Tangente der Intensität des ihn durchlaufenden Stroms proportional seyn wird
(vorausgesetzt, daß der Durchmesser der kleinsten Windung wenigstens der vierfachen
Länge der Nadel gleich ist) und daß folglich der conische
Multiplicator, welcher aus der Verbindung aller dieser Windungen entsteht,
dieselbe Eigenschaft besitzt.
Hr. Gaugain hat sich einen solchen Tangenten-Multiplicator anfertigen lassen, und gefunden, daß damit
auch die Intensität sehr schwacher Ströme gemessen werden kann.
Bemerken wir noch dazu, daß dieses Instrument gegen die bisherigen Tangentenboussolen
außer der verhältnißmäßig größeren Länge der Nadel und der richtigen Maaßangabe auch
noch den Vortheil einer bequemeren Beobachtung darbietet, weil die Nadel, wenn sie
sich im magnetischen Meridian befindet, nicht mehr durch den Stromkreis bedeckt wird
und daher richtiger auf den Nullpunkt eingestellt werden kann.
G. D.