Titel: | Ueber die Absorption des Stickstoffs durch die Pflanzen; von Hrn. Ville. Zweite Abhandlung. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. XCIX., S. 450 |
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XCIX.
Ueber die Absorption des Stickstoffs durch die
Pflanzen; von Hrn. Ville. Zweite Abhandlung.Die erste Abhandlung des Verf. wurde im polytechn. Journal Bd. CXVIII S. 309 mitgetheilt.
Aus den Comptes rendus, t. XXXV p. 464.
Ville, über die Absorption des Stickstoffs durch die
Pflanzen.
Wenn wir mit Sicherheit bestimmen könnten, aus welcher Quelle die Pflanzen die vier
Elemente, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff schöpfen, und welche
Umstände die Absorption dieser bedingen, so würden wir alle Elemente zu einer
vollständigen Theorie des Ackerbaues besitzen. Doch sind wir noch weit von diesem
Resultate entfernt.
Man hat sich oft gefragt, ob die Luft und insbesondere der Stickstoff derselben zur
Ernährung der Pflanzen mitwirke, und hinsichtlich des letztern die Frage immer
verneinend beantwortet.
Andererseits weiß man, daß die Pflanzen nicht allen Stickstoff dem Boden entnehmen;
die Früchte, welche ein Boden jährlich erzeugt, enthalten mehr Stickstoff, als der
Dünger, welchen man ihm zugeführt hat. Woher kommt nun der Stickstoff derselben und
der Pflanzen überhaupt, welchen sie nicht aus dem Boden empfingen? Diese Frage ist
es, welche ich mir gestellt habe.
Wenn ich behaupte, daß man dem atmosphärischen Stickstoff die Fähigkeit, den Pflanzen
zur Ernährung zu dienen, immer abgesprochen hat, so sind Priestley und Ingenhousz hiervon ausgenommen.
Sie behaupteten im Gegentheil, daß die atmosphärische Luft eine Bedingung des
Pflanzenlebens sey; ihre Versuche aber, die zur Lösung des Problems nicht
ausreichend waren, wurden von Th. v. Saussure wiederholt
und widerlegt. v. Saussure faßt seine Ansichten und
Beobachtungen wie folgt zusammen: „Wenn der Stickstoff ein einfacher
Körper, wenn er kein Element des Wassers ist, so muß man zugeben, daß die
Pflanzen ihn nur aus vegetabilischen und animalischen Auszügen und
ammoniakalischen Dämpfen in sich aufnehmen. Die Anwesenheit von Ammoniak in der
Luft kann man nicht bezweifeln, wenn man sieht, daß sich reine schwefelsaure
Thonerde endlich in schwefelsaure Ammoniak-Thonerde
umwandelt.“
Th. v. Saussure lenkte zuerst die Aufmerksamkeit auf den
Ammoniakgehalt der Luft und theilte diesem eine bestimmte Rolle in der Oekonomie der
Pflanzen zu. Wir werden bald sehen, wie wir diese Ansicht zu beurtheilen haben: der
Versuch wird darüber entscheiden. Zuerst aber wollen wir einen Blick auf die neueren
Arbeiten über die Absorption des Stickstoffs durch die Pflanzen werfen.
Boussingault hat dem Studium dieser Frage zwei Jahre
gewidmet. Anstatt aber wie Priestley und v. Saussure zu verfahren, anstatt die Luft, in welcher eine
Pflanze vegetirt hatte, zu analysiren und die Veränderungen, welche sie in ihrer
Zusammensetzung erlitten hatte, zu bestimmen, hat er das Problem umgekehrt.
Er säete eine gewisse Menge Samen von bestimmter Zusammensetzung in einen von
organischen Stoffen befreiten Boden. Die Pflanzen wurden täglich mit destillirtem
Wasser begossen und alle Töpfe, welche zum Versuche dienten, in einem von Wohnungen
entfernten Pavillon eingeschlossen.
Mit Hülfe dieser neuen Methode hat Boussingault bewiesen,
daß die Pflanzen beträchtliche Mengen Stickstoff absorbiren, ohne aber zu bestimmen,
unter welchen Umständen und in welcher Form die Absorption dieses Gases erfolgt.
„Die Untersuchungen, sagt er, welche ich unternommen habe, scheinen
somit darzuthun, daß unter mehreren Bedingungen gewisse Pflanzen zur Aufnahme
von Stickstoff aus der Luft fähig sind. Aber unter welchen Umständen und in
welcher Form dieser Stoff von den Pflanzen aufgenommen wird, ist noch
unbekannt.“
Liebig betrachtet die von Th. v. Saussure zuerst aufgestellte Ansicht als eine mit Evidenz erwiesene
Thatsache, daß nämlich der Stickstoff der Pflanzen von dem Ammoniak der Luft
herrühre, und diese Ansicht ist gegenwärtig fast allgemein angenommen. Wenn die
Pflanzen also Stickstoff aus der Luft aufnehmen, so würde dieß nur unter der Form
von Ammoniak geschehen.
Die stickstofffreien organischen Körper scheinen bei ihrer Zersetzung Ammoniak zu
erzeugen, indem sich der Wasserstoff der organischen Substanz in statu nascente mit dem atmosphärischen Stickstoff verbindet. Mulder betrachtet dieses Phänomen als die Quelle des
Stickstoffs, welchen die Pflanzen nicht aus dem Boden entnommen haben können.
Wir wollen in Folgendem die Frage rein experimentell behandeln:
Folgende drei Fragen: 1) Untersuchung und Bestimmung des
Ammoniaks der Luft; 2) Absorption des Stickstoffs
durch die Pflanzen; 3) Einfluß der Ammoniakdämpfe auf die
Vegetation, bilden den Gegenstand meiner Untersuchungen.
Untersuchung und Bestimmung des Ammoniaks der Luft. Wenn
man eine Lösung von schwefelsaurer Thonerde der Luft aussetzt, so verwandelt sie
sich in Ammoniak-Alaun; daraus geht deutlich hervor, daß die Luft mit
Ammoniakdämpfen gemischt ist.
Seitdem Th. v. Saussure diese Beobachtung veröffentlicht
hat, sind drei Versuche zur Bestimmung des Ammoniakgehalts der Luft gemacht worden;
die erste ist von Gräger, die zweite von Kemp, die dritte von Fresenius.
Nach Gräger
enthält
1 Million
Kilogrm.
Luft
333 Grm. NH₃.
Nach Kemp
„
„
„
„
3,880 „
Nach Fresenius
TagluftNachtluft
„
„
„„
0,098 „0,169 „
Von diesen drei Bestimmungen verdient die letzte insbesondere unsere Beachtung, wegen
der Sorgfalt, mit welcher der Verfasser den Versuch geleitet hat; jedoch ist Fresenius, ebenso wie seine Vorgänger, zu ungenauen
Resultaten gelangt, weil er mit nicht hinreichenden Luftmengen operirt hat.
Die Menge Ammoniak, welche Fresenius in zwei einzelnen
Bestimmungen erhielt, ist 0,00004 Gr. und 0,000079 Gr. Bei Anwendung der Methode von
Fresenius habe ich aber eine bekannte Menge Ammoniak
niemals genauer als bis auf 0,00007 Gr. bestimmen können, woraus hervorgeht, daß die
von Fresenius gefundenen Zahlen, weil sie innerhalb der
Gränzen der Versuchsfehler liegen, kein genaues Resultat zu liefern vermögen.
Ich habe sechzehn Bestimmungen von atmosphärischem Ammoniak gemacht, wobei ich
allmählich mit 20, 30 und 55,000 Liter Luft operirte; die Beschreibung der von mir
angewendeten Apparate findet sich in meiner Abhandlung. Die Luft war aus einer Höhe
von 9–10 Metern über der Bodenoberfläche genommen; sie wurde vor dem Eintritt
in die geeigneten Reagentien durch eine mit Glasfäden, die zu kleinen Pfropfen
geformt und zur Aufnahme der in der Luft suspendirten Staubtheilchen bestimmt waren,
angefüllte Röhre geleitet; hierauf strömte sie durch zehn ausgezogene Spitzen in
verdünnte Salzsäure; dann wurde sie mit Dämpfen derselben Säure gemischt mittelst
einer sehr einfachen Einrichtung des Apparates, welche mir Regnault angab; endlich wurde sie durch eine Lösung von Platinchlorid
geleitet. Die vereinigten Flüssigkeiten wurden zur Analyse in einer Platinretorte
verdampft und das Ammoniak im Zustande des Platinsalmiaks bestimmt. Der Niederschlag
wurde, um ihn zu wägen, in eine ausgezogene Glasröhre, die als Filter diente,
gebracht. Bei Berücksichtigung aller der angegebenen Bedingungen kann man das
Ammoniak bis auf 0,00088 Gr. bestimmen. Ich habe mich hiervon durch viele directe
Bestimmungen überzeugt; ebenso habe ich mich auch durch Versuche versichert, daß die
Waschflüssigkeiten alles Ammoniak der Luft zurückhielten und die Glasfilter, welche
vor die zur Analyse bestimmten Apparate gestellt waren, nichts davon aufnahmen. In
den Jahren 1849 und 1850 habe ich in 1 Million Kilogrm. Luft im Mittel 23,73 Gr.
Ammoniak gefunden; das Maximum stieg bis zu 31,71 Gr., das Minimum war 17,76 Gr.
Im Jahre 1850 war das Mittel 21,10 Gr., das Maximum 27,26 Gr., das Minimum 16,52
Gr.
Daraus ergibt sich im Mittel 22,41 Gr., im Maximum 29,00 Gr., im Minimum 17,14
Gr.
Zweiter Theil. Wird der Stickstoff der Atmosphäre von den
Pflanzen absorbirt? Zur Beantwortung dieser Frage bediente ich mich folgender
Methode.
Der angewendete Apparat bestand wesentlich in einer Glasglocke und einem Aspirator.
In die Glasglocke brachte ich eine gewisse Menge Samen in weißen Sand, dem Asche von
der Pflanze beigemengt war. Der Boden der Gefäße tauchte in einen Napf mit
destillirtem Wasser. Die Aufsaugung geschah daher durch die Capillarität der
Gefäße.
Mittelst des Aspirators wurde täglich ein bekanntes Volumen Luft in die Glasglocke
geleitet; da dieses, obwohl beträchtliche Luftvolum, doch nicht hinreichend
Kohlensäure enthielt, so wurde ein Ueberschuß davon in der Glocke entwickelt und die
Entwickelung mittelst eines elektrischen Pendels regulirt.
In derselben Zeit, als der Apparat im Gange war, und die in die Glasglocken
eingeschlossenen Pflanzen die einzelnen Perioden ihrer Vegetation durchliefen, wurde
das Ammoniak der Luft bestimmt.
Aus diesen gleichzeitig angestellten Versuchen ging hervor:
1) Die Menge des in der Luft enthaltenen Ammoniaks, welche durch die Glocken geleitet
worden war; 2) die Menge Stickstoff, welche die Pflanzen absorbirt hatten und aus
der Vergleichung dieser beiden Factoren muß sich ergeben, ob das Ammoniak der Luft
zur Absorption genügte.
Im Jahr 1849 wurden 0,00125 Gr. Ammoniak in die Glocken geleitet; der Stickstoff der
Früchte betrug 0,104 Gr. mehr als der in den Samen.
1850 kamen 0,0021 Gr. Ammoniak in die Glocke; der Stickstoff der Pflanzen betrug
1,188 Gr.
1850 war das Wasser der Glocken siebenmal erneuert worden. Die jedesmal zugeführte
Wassermenge betrug zwei Liter. Bei der Anstellung der Töpfe waren acht Liter
angewendet worden, zusammen also 22 Liter. 1 Liter Wasser lieferte 0,014 Gr.
Platinsalmiak, demnach enthielt das Wasser 0,024 Gr. Ammoniak. Nimmt man an, daß die
ganze Menge des im Wasser enthaltenen Ammoniaks von den Pflanzen aufgenommen worden
sey, so bleiben noch 1,163 Gr. Stickstoff, welcher weder aus dem Ammoniak des
Wassers, noch aus dem der Luft herstammte.
Im Jahr 1851 wurde der Versuch in anderer Weise angestellt. Die Luft wurde vor dem
Eintreten in die Glocke durch Bimsstein, welcher mit Schwefelsäure getränkt war, und
dann durch eine Lösung von doppeltkohlensaurem Natron geleitet. Das Ammoniak der
Luft konnte daher bei den Phänomenen nicht mehr mitwirken. Ferner wurde das Wasser
in der Glocke nicht erneuert. Unter diesen Bedingungen übertraf der Stickstoff der
Früchte den der Samen um 0,481 Gr. Ich füge hinzu, daß bei diesem Versuche, zu
welchem drei Sonnenblumen und zwei Tabakspflanzen benutzt wurden, die Sonnenblumen
zur Blüthe gelangten und 95 unentwickelte Samen lieferten.
Ein 1852 mit Weizen angestellter Versuch gab die nämlichen Resultate. Die Pflanze hat
vollständig fructificirt und der Stickstoff der Frucht betrug 0,036 Gr. mehr als der
des Samens.
Daraus können wir den Schluß ziehen, daß der Stickstoff der
Luft von den Pflanzen absorbirt wird und denselben zur Ernährung dient, und daß
die Cerealien keine Ausnahme von der Regel machen.